Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Flitte aus Elsaß tanzte geradezu im Sessionszimmer, besah lachend alle Ernste und schwur, er sei nicht der Reichste unter ihnen, aber für ganz Straßburg und Elsaß dazu wär' er nicht imstande, bei einem solchen Spaß zu weinen. –

Zuletzt sah ihn der Polizei-Inspektor Harprecht sehr bedeutend an und versicherte: falls Monsieur etwan hoffe, durch Gelächter aus den sehr bekannten Drüsen und aus den Meibomischen und der Karunkel und andern die begehrten Tropfen zu erpressen und sich diebisch mit diesem Fensterschweiß zu beschlagen, so wolle er ihn erinnern, daß er damit so wenig gewinnen könne, als wenn er die Nase schneuzen und davon profitieren wollte, indem in letztere, wie bekannt, durch den ductus nasalis mehr aus den Augen fließe als in jeden Kirchenstuhl hinein unter einer Leichenpredigt. – Aber der Elsasser versicherte, er lache nur zum Spaß, nicht aus ernstern Absichten.

Der Inspektor seinerseits, bekannt mit seinem dephlegmierten Herzen, suchte dadurch etwas Passendes in die Augen zu treiben, daß er mit ihnen sehr starr und weit offen blickte.

Der Frühprediger Flachs sah aus wie ein reitender Betteljude, mit welchem ein Hengst durchgeht; indes hätt' er mit seinem Herzen, das durch Haus- und Kirchenjammer schon die besten schwülsten Wolken um sich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das nötigste Wasser aufgezogen, wär' ihm nur nicht das herschiffende Flöß-Haus immer dazwischengekommen als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.

Der Kirchenrat, der seine Natur kannte aus Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewiß wußte, daß er sich selber zuerst erweiche, sobald er nur an andere Erweichungs-Reden halte, stand auf – da er sich und andere so lang am Trockenseile hängen sah – und sagte mit Würde, jeder, der seine gedruckten Werke gelesen, wisse gewiß, daß er ein Herz im Busen trage, das so heilige Zeichen, wie Tränen sind, eher zurückzudrängen, um keinem Nebenmenschen damit etwas zu entziehen, als mühsam hervorzureizen nötig habe aus Nebenabsichten – »Dies Herz hat sie schon vergossen, aber heimlich, denn Kabel war ja mein Freund«, sagt' er und sah umher.

Mit Vergnügen bemerkte er, daß alle noch so trocken dasaßen wie Korkhölzer; besonders jetzt konnten Krokodile, Hirsche, Elefanten, Hexen, Reben leichter weinen als die Erben, von Glanzen so gestört und grimmig gemacht. Bloß Flachsen schlugs heimlich zu; dieser hielt sich Kabels Wohltaten und die schlechten Röcke und grauen Haare seiner Zuhörerinnen des Frühgottesdienstes, den Lazarus mit seinen Hunden und seinen eigenen langen Sarg in der Eile vor, ferner das Köpfen so mancher Menschen, Werthers Leiden, ein kleines Schlachtfeld und sich selber, wie er sich da so erbärmlich um den Testaments-Artikel in seinen jungen Jahren abquäle und abringe – noch drei Stöße hatt' er zu tun mit dem Pumpenstiefel, so hatte er sein Wasser und Haus.

»O Kabel, mein Kabel,« – fuhr Glanz fort, fast vor Freude über nahe Trauertränen weinend – »einst wenn neben deine mit Erde bedeckte Brust voll Liebe auch die meinige zum Vermod« – –

»Ich glaube, meine verehrtesten Herren,« – sagte Flachs, betrübt aufstehend und überfließend umhersehend – »ich weine« – setzte sich darauf nieder und ließ es vergnügter laufen; er war nun auf dem Trocknen; vor den Akzessit-Augen hatt' er Glanzen das Preis-Haus weggefischt, den jetzt seine Anstrengung ungemein verdroß, weil er sich ohne Nutzen den halben Appetit weggesprochen hatte. Die Rührung Flachsens wurde zu Protokoll gebracht und ihm das Haus in der Hundsgasse auf immer zugeschlagen. Der Bürgermeister gönnt' es dem armen Teufel von Herzen; es war das erstemal im Fürstentum Haßlau, daß Schul- und Kirchenlehrers-Tränen sich, nicht wie die der Heliaden in leichten Bernstein, der ein Insekt einschließet, sondern, wie die der Göttin Freia, in Gold verwandelten. Glanz gratulierte Flachsen sehr und machte ihm froh bemerklich, vielleicht hab' er selber ihn rühren helfen. Die übrigen trennten sich durch ihre Scheidung auf dem trockenen Weg von der Flachsischen auf dem nassen sichtbar, blieben aber noch auf das restierende Testament erpicht.

Nun wurd' es weiter verlesen.

 
4te Klausel

Von jeher habe ich zu einem Universalerben meiner Activa – also meines Gartens vor dem Schaftore, meines Wäldleins auf dem Berge und der 11000 Georgd'ors in der Südseehandlung in Berlin und endlich der beiden Fronbauern im Dorf Elterlein und der dazu gehörigen Grundstücken – sehr viel gefodert, viel leibliche Armut und geistlichen Reichtum. Endlich habe ich in meiner letzten Krankheit in Elterlein ein solches Subjekt aufgetrieben. Ich glaubte nicht, daß es in einem Dutzend- und Taschenfürstentümlein einen blutarmen, grund-guten, herzlich-frohen Menschen gebe, der vielleicht unter allen, die je den Menschen geliebt, es am stärksten tut. Er hat einmal zu mir ein paar Worte gesagt, und zweimal im Dunkeln eine Tat getan, daß ich nun auf den Jüngling baue, fast auf ewig. Ja ich weiß, dieses Universalerben tät' ihm sogar wehe, wenn er nicht arme Eltern hätte. Ob er gleich ein juristischer Kandidat ist, so ist er doch kindlich, ohne Falsch, rein, naiv und zart, ordentlich ein frommer Jüngling aus der alten Väterzeit und hat dreißigmal mehr Kopf, als er denkt. Nur hat er das Böse, daß er erstlich ein etwas elastischer Poet ist, und daß er zweitens, wie viele Staaten von meiner Bekanntschaft bei Sitten-Anstalten, gern das Pulver auf die Kugel lädt, auch am Stundenzeiger schiebt, um den Minutenzeiger zu drehen. Es ist nicht glaublich, daß er je eine Studenten-Mausfalle aufstellen lernt; und wie gewiß ihm ein Reisekoffer, den man ihm abgeschnitten, auf ewig aus den Händen wäre, erhellet daraus, daß er durchaus nicht zu spezifizieren wüßte, was darin gewesen und wie er ausgesehen.

Dieser Universalerbe ist der Schulzen-Sohn in Elterlein, namens Gottwalt Peter Harnisch, ein recht feines, blondes, liebes Bürschchen – –

*

Die sieben Präsumtiv-Erben wollten fragen und außer sich sein; aber sie mußten forthören.

 
5te Klausel

Allein er hat Nüsse vorher aufzubeißen. Bekanntlich erbte ich seine Erbschaft selber erst von meinem unvergeßlichen Adoptivvater Van der Kabel in Broek im Waterland, dem ich fast nichts dafür geben konnte als zwei elende Worte, Friedrich Richter, meinen Namen. Harnisch soll sie wieder erben, wenn er mein Leben, wie folgt, wieder nach- und durchlebt.

 
6te Klausel

Spaßhaft und leicht mags dem leichten poetischen Hospes dünken, wenn er hört, daß ich deshalb bloß fordere und verordne, er soll – denn alles das lebt' ich eben selber durch, nur länger – weiter nichts tun als:

  1. Einen Tag lang Klavierstimmer sein – ferner
  2. Einen Monat lang mein Gärtchen als Obergärtner bestellen – ferner
  3. Ein Vierteljahr Notarius – ferner
  4. so lange bei einem Jäger sein, bis er einen Hasen erlegt, es dauere nun 2 Stunden oder 2 Jahre –
  5. er soll als Korrektor 12 Bogen gut durchsehen –
  6. er soll eine buchhändlerische Meßwoche mit Herrn Paßvogel beziehen, wenn dieser will –
  7. er soll bei jedem der Herren Akzessit-Erben eine Woche lang wohnen (der Erbe müßt' es sich denn verbitten) und alle Wünsche des zeitigen Mietsherrn, die sich mit der Ehre vertragen, gut erfüllen –
  8. er soll ein paar Wochen lang auf dem Lande Schule halten – endlich
  9. soll er ein Pfarrer werden; dann erhält er mit der Vokation die Erbschaft. – Das sind seine neun Erb-Ämter.

 
7te Klausel

Spaßhaft, sagt' ich in der vorigen, wird ihm das vorkommen, besonders da ich ihm verstatte, meine Lebens-Rollen zu versetzen und z. B. früher die Schulstube als die Messe zu beziehen – bloß mit dem Pfarrer muß er schließen –; aber, Freund Harnisch, dem Testament bieg' ich zu jeder Rolle einen versiegelten Regulier-Tarif, genannt die geheimen Artikel, bei, worin ich Euch in den Fällen, wo Ihr das Pulver auf die Kugel ladet, z.B. in Notariatsinstrumenten, kurz, gerade für eben die Fehler, die ich sonst selber begangen, entweder um einen Abzug von der Erbschaft abstrafe, oder mit dem Aufschube ihrer Auslieferung. Seid klug, Poet, und bedenkt Euren Vater, der so manchem Edelmann im -a-n gleicht, dessen Vermögen wie das eines russischen zwar in Bauern besteht, aber doch nur in einem einzigen, welches er selber ist. Bedenkt Euren vagabunden Bruder, der vielleicht, eh' Ihrs denkt, aus seinen Wanderjahren mit einem halben Rocke vor Eure Türe kommen und sagen kann: »Hast du nichts Altes für deinen Bruder? Sieh diese Schuhe an!« – Habt also Einsichten, Universalerbe!

 
8te Klausel

Den Herrn Kirchenrat Glanz und alle bis zu Herrn Buchhändler Paßvogel und Flitte (inclusive) mach' ich aufmerksam darauf, wie schwer Harnisch die ganze Erbschaft erobern wird, wenn sie auch nichts erwägen als das einzige hier an den Rand genähte Blatt, worauf der Poet flüchtig einen Lieblings-Wunsch ausgemalt, nämlich den, Pfarrer in Schweden zu werden.« (Herr Bürgermeister Kuhnold fragte hier, ob ers mitlesen solle; aber alle schnappten nach mehreren Klauseln, und er fuhr fort:) »Meine T. Herren Anverwandten fleh' ich daher – wofür ich freilich wenig tue, wenn ich nur zu einiger Erkenntlichkeit ihnen zu gleichen Teilen hier sowohl jährlich zehn Prozent aller Kapitalien als die Nutznießung meines Immobiliar-Vermögens, wie es auch heiße, so lange zuspreche, als besagter Harnisch noch nicht die Erbschaft nach der sechsten Klausel hat antreten können – solche fleh' ich als ein Christ die Christen an, gleichsam als sieben Weise dem jungen möglichen Universalerben scharf aufzupassen und ihm nicht den kleinsten Fehltritt, womit er den Aufschub oder Abzug der Erbschaft verschulden mag, unbemerkt nachzusehen, sondern vielmehr jeden gerichtlich zu bescheinigen. Das kann den leichten Poeten vorwärts bringen und ihn schleifen und abwetzen. Wenn es wahr ist, ihr sieben Verwandten, daß ihr nur meine Person geliebt, so zeigt es dadurch, daß ihr das Ebenbild derselben recht schüttelt (den Nutzen hat das Ebenbild) und ordentlich, obwohl christlich, chikaniert und vexiert und sein Regen- und Siebengestirn seid und seine böse Sieben. Muß er recht büßen, nämlich passen, desto ersprießlicher für ihn und für euch.


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