Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 61: Labrador-Blende von der Insel St. Paul

Vults antikritische Bosheit – die Neujahrs-Nacht

Auf die süßen Früchte und Rosen, die sie an der Wetterseite ihres Lebens zogen, blies wieder ein rauhes Lüftchen, nämlich Herr Merkel, der ihren Roman mit wahrer Verachtung zurückschickte, den Waltischen Anteil noch erträglich, den Vultischen aber nicht nur abgeschmackt fand, sondern gar dem Guckguck Jean Paul nachgesungen, welcher selber schon ohne die Guckgucks-Uhr der Nachahmung langweilig genug klinge. Dieses brachte den Flötenmeister dermaßen auf, daß er alle kritischen Blätter dieses Selbst-Redakteurs durchlief und darin bloß nach Ungerechtigkeiten, Bosheiten, Fehlschlüssen, Fehlgriffen und Fehltritten so lange nachjagte, bis er ihm gerade so viele, als man Delille in seinem homme aux champs WiederholungenIm Appel aux principes, wozu noch 558 – Antithesen vorgeworfen werden. vorwarf, zum zweiten Einrücken zufertigen konnte in einem Briefe, nämlich sechshundertunddreiundvierzig.

Der ganze Brief war voll Ironie, nämlich voll Lob – Anfangs erwähnte Vult achtend der Kritik im allgemeinen, welche er eine nötige Zuchthäusler-Arbeit nennt, da sie im Polieren des Marmors, Schleifen der Brillen, Raspeln der Färbehölzer und Hanfklopfen für Stricke bestehe – machte glaublich, daß, insofern Genies nur durch Genies, Elefanten nur durch Elefanten zu bändigen und zu zähmen wären, ein kritischer Floh sich ganz tauglich dazu anstelle, da er sich von anderen Elefanten weder in der Gestalt noch, unter einem Vergrößerungsglase, in der Größe unterscheide und noch den Vorzug habe, sich leichter ins Ohr zu setzen und überall zu stechen und zu hüpfen – erklärte jedoch die gewöhnliche Regelgeberei bei Männern wie z.B. Goethe für ebenso unnütz als eine zurechtweisende Sonnenuhr auf der Sonne – rückte nun Herrn Merkel nicht ohne Bosheit näher, indem er es erhob, daß er gerade an großen Autoren, die es am ersten und stillsten vertrügen, sich am meisten zeige durch kleine Ergießungen von Galle und Hirnwasser, so wie man nirgends (selten an kleine Privathäuser) so oft als an erhabene und öffentliche Gebäude wie Rats-, Opernhäuser und Kirchen pisset. – Er wunderte sich, daß das Publikum sich noch nicht die Qual und Arbeit stark genug vorgestellt, womit er ganz allein in den Frauenzimmer-Briefen das tote Musenpferd aus der Straße wegzuschleppen strebte, eine Marter, wovon ein Wasenknecht zu sprechen wisse, der mehrere Tage ganz allein, weil jeder Vorbeigehende sich zur Handreichung aus Vorurteil für zu ehrlich halte, an einem gefallenen Gaule abtrage – nahm davon Gelegenheit, dessen Stolz im vorteilhaften Lichte zu erblicken, da M. allerdings über die ungeheuren Riesenschenkel und den Riesenthorax seines Schattens vergnügt erstaunen müsse, den er auf die Märker-Fläche projektiere bei dem tiefen Stand der Morgensonne der neuen Zeit. –

Da aber Vult im Verfolge anfängt, anzüglich zu werden, ja verachtend: so hält sich der Verfasser durch kein Kabelsches Testament und durch keine Labrador-Blende von der Insel St. Paul für das Kapitel verbunden, den Rest hier zu exzerpieren; umso mehr, da nicht einmal Merkel selber das ganze Schreiben eingerückt oder beantwortet hat, den ich hier öffentlich zu bezeugen auffordere, ob nicht der unterdrückte Rest noch unschicklichere Angriffe enthalten habe und aus gleichen Gründen von ihm wie von mir unterschlagen worden sei. –

Darauf wurde der Roman an Herrn v. Trattner in Wien geschickt, weil man dahin, sagte Vult, nur halb frankieren dürfe. »Ich danke Gott, sobald ich nur hoffen kann«, sagte Walt. Die neue Arbeit wurde der alten mit beigelegt. Der Buchhändler blieb dabei, daß er jede Woche nicht mehr als einen Korrektur-Bogen zuschickte und folglich dieses Erbamt des Korrektorats ungewöhnlich ausdehnte. Der Notarius beging jede Woche zwar nicht neue Korrektorats-Fehler, aber unzählige; nur über den Buchstaben W keine, weil sein Wohl und Weh, Wina, damit anfing.

Tot-öde wäre das Doppel-Leben der Brüder ausgefallen ohne die Liebe, welche den Baugefangenen der Not die höchsten Luftschlösser erbauen läßt, welches so viel ist, als sie bewohnen! Nichts erträgt die Jugend leichter als Armut (so wie das Alter nichts leichter als Reichtum); denn irgendeine Liebe – sie meine ein Herz oder eine Wissenschaft – erhellet ihre dunkle Gegenwart künstlich und lässet sie im künstlichen Tage so freudig sein, als sei es ein wahrer, wie Vögel vor dem Nachtlicht fortschlagen, weil sie es für einen Tag ansehen.

Vult war nun entschlossen, in der Neujahrs-Nacht auf Winas Herz seine feindliche Landung – mit der Flöte in der Hand – zu machen. Hoffnungen hatt' er – da aus Gemeinschaft der Arbeit leicht die des Herzens wird und aus dem Faktor der Handelswitwe leicht ihr Mann – genug: »Wenn ein Paar durch das Ausführen eines zweistimmigen Satzes nicht einstimmig werden: so irr' ich mich sehr«, sagt' er. Walt hingegen entwarf keinen andern Eroberungsplan als den, Wina verstohlen anzuschauen – vor Freude zu weinen – ja heranzurücken mit sich – und, wenn Gott ihm Finsternis oder sonst Gelegenheit bescherte, im Saus und Braus der Wonne ihre Hand zu küssen und gewiß irgend Etwas zu sagen. Bis dahin sagte er ihr noch mehr, aber gedruckt auf Taffent und feinstem Papier.

Da er nämlich durch seinen poetischen Anteil an der Haßlauer Zeitung das Vertrauen des Herausgebers so sehr gewonnen hatte, daß dieser von ihm die ganze Lieferung gedichteter Neujahrswünsche, eines beträchtlichen Handels-Artikels des Mannes, sich verschrieben, so legte er in die Blätter, die für Mädchen verkauft wurden, unzählige Phönix-, Paradiesvögel- und Nachtigallen-Eier zum Wünschen nieder, welche das Schicksal später ausbrüten sollte; nämlich es gab mit anderen Worten wenig Freudenkränze, Freudenmonde, Freudensonnen, Freudenhimmel, Freudenewigkeiten, welche er auf dem Taffent nicht den verschiedenen Mädchen wünschte, bloß in der Hoffnung, daß unter so vielen Wünschen wenigstens einer von so vielen Freundinnen Winas werde gekauft werden, für diese. »O wohl zehn!« sagt' er.

So kam Weihnachten heran und ging vorüber, ohne daß aus der Asche der Kindheit die gewöhnlichen schillernden Phönixe aufstiegen – da die Neujahrs-Nacht ihnen zu nahe vorglänzte –, und diese brach endlich mit ihrer Abend-Aurora an, die noch dem alten Jahre gehörte.

Noch abends beim Schimmer des Hesperus oder sonst eines Sterns verflucht' es Vult von neuem, daß er nichts weiter hatte als die schönste Gelegenheit, aber kein Geld, nachts den galantesten Mann von Welt bei den Jungfrauen zu spielen: »Ich wollte, ich wäre wie schlechtere Musici mit dem Bettelorden der Neujahrsfahrer umhergeschifft und hätte wenigstens mir so viel erbettelt, um den Reichen zu machen«, sagt' er. Sobald Engelberta ihn auf 4 Uhr morgens in die große gelbe Stube mit dem Bewußten bestellte: so ging er Nachts mit Walt freudeglühend in das Weinhaus, wo er als ein alter Hausfreund den Tag vorher (es kostete ihm bloß seine feinen Beinkleider-Schnallen) Champagner-Wein ohne Kork aufs Eis setzen lassen, um, wie er sagte, die Ruinen ihres Hunds-Lebens ein wenig auszutapezieren.

Walt nahm sich eine halbe Stunde Zeit, um zu begreifen, daß dem offenen Weine kein Weingeist verrauchet sei. Dann trank – allen Nachrichten zufolge, die man hat – jeder; doch so, daß beide einander als positive und negative Wolken entladend entgegenblitzten, Walt mehr mit scherzhaften Einfällen, Vult mit ernsten. In einer Blumenlese aus ihrem Gespräche würden die Farben so bunt nebeneinander kommen, als hier zur Probe folgt:

»Der Mensch hat zum Guten im Leben so wenig Zeit als ein Perlenfischer zum Perlen-Aufgreifen, etwa zwei Minuten. – Manche Staatseinrichtungen zünden ein Schadenfeuer an, um die eingefrornen Wasserspritzen aufzutauen, damit sie es löschen. – Man steigt den grünen Berg des Lebens hinauf, um oben auf dem Eisberge zu sterben. – Jeder bleibt wenigstens in einer Sache wider Willen Original, in der Weise zu niesen. – Winckelmann verdient Suworows Ehrennamen Italiskoi. – Heimlich glauben die meisten, Gott existiere bloß, damit sie erschaffen wurden; und die durch den Äther ausgestreckte Welten-Partie sei die Erdzunge ihres Dunst-Meers, oder ihre Erde sei die Himmelszunge. – Jeder ist dem Andern zugleich Sonne und Sonnenblume, er wird gewendet, und wendet. – Viele Witzköpfe an einer Tafel, heißt das nicht mehrere herrliche Weine in ein Glas zusammengießen? – Kann eine Sonne mit andern Kugeln als Welt-Kugeln beschossen werden? – Sterben heißt sich selber durch Schnarchen wecken.« – –

Und so weiter; denn im Verfolge war viel weniger Zusammenhang und mehr Feuer. So schlug endlich die Totenglocke des Jahrs; und der unsichtbare Neumond des neuen schrieb sich bald mit einer Silber-Linie in den Himmel ein. Als die Gläser endlich geleert waren wie das Jahr: so lustwandelten beide auf der Gasse, wo es so hell war wie am Tage. Überall riefen sich Freunde, die von Freuden-Gelagen herkamen, den Neujahrs-Gruß zu, in welchem alle Morgen- und Abendgrüße eingewickelt liegen. Auf dem Turm-Geländer sah man die Anbläser des Jahrs mit ihren Trommeten recht deutlich; Walt dachte sich in ihre Höhe hinauf, und in dieser kam es ihm vor, als sehe er das Jahr wie eine ungeheure Wolke voll wirbelnder Gestalten am Horizont heraufziehen; und die Töne nannten die Gestalten künftiger Stunden beim Namen. Die Sterne standen als Morgensterne des ewigen Morgens am Himmel, der keinen Abend und Morgen kennt; aber die Menschen schaueten hinauf, als gäb' es droben ihren eiligen Wechsel und ihre Stunden- und ihre Totenglocken und den deutschen Januar.

Unter diesen Gefühlen Gottwalts stand die Geliebte als ein Heiligen-Bild, von Sternen gekrönt, und der Himmels-Schein zeigte ihre großen Augen heller und ihre sanften Rosenlippen näher. Nicht wie sonst stellte ihm das alte Jahr, das an der Geburt des neuen starb, das Vergehen des Lebens dar; die Liebe verwandelt alles in Glanz, Tränen und Gräber; und vor ihr berührt das Leben, wie die niedergehende Sonne auf den nordischen Meeren am langen Tage, nur mit dem Rande die Untergangs-Erde und steigt dann wieder morgendlich den Himmelsbogen hinauf.


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