Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 56: Fliegender Hering

Brief des Biographen – Tagebuch

Gegenwärtiger Biograph der jungen Harnische bekam nach dem Abschlusse der vorigen Nummer (des sogenannten Pfefferfraßes) von dem Haßlauer Stadt-Rate vier neue – nämlich den fliegenden Hering 56, den Regenpfeifer 57, die Giftkuttel 58 und die Notenschnecke 59 – samt einem äußerst wichtigen Tagebuche Vults über Walt. Darauf antwortete er den trefflichen Testaments-Exekutoren folgendes, was durchaus als ein Zeitstück der Flegeljahre hereingehört.

P.P.

Indem ich Ihnen, verehrlicher Stadtrat und Vollstrecker, die Ausarbeitung der 55sten Nummer Pfefferfraß zusende und den Empfang der vier neuesten Naturalien, der Nummern 56, 57, 58, 59, desgleichen des Vultischen Tagebuchs bescheinige: leg' ich zugleich die vier Kapitel für das Nummern-Viereck bei, welche ich dadurch geliefert zu haben hoffe, daß ich das Vultische Tagebuch unzerzauset einwob und es durch Überschriften in Kapitel schnitt und andere Drucker-Sachen anflocht, z. B. Gänsefüßchen, um Vults jetzige Worte von meinen künftigen zu scheiden. Man griffe ohne weiteres meinen Charakter an, wenn Sie mich deshalb etwan einen Schelm, einen Naturalien-Räuber schölten und einen Arbeits-Knauser. Säh' es ein verehrlicher Haßlauer Stadtrat etwan lieber – was so unmöglich zu glauben –, wenn ich den herrlichen Vult, einen zwar außen ungemalten, aber innen schön glasierten Sauertopf, mit meinen Töpferfarben umzöge? Oder kann irgendein Testament ansinnen, daß ich einem fremden Charakter etwas aus meinem eignen vorstrecke? Mich dünkt, ich und sämtliche poetische Weberschaft haben oft genug bewiesen, wie gern und reich wir jedem Charakter – und wär' er ein Satan oder Gott – von unserem leihen und zustecken. Wir gleichen am wenigsten – dies dürfen wir sagen – jenem englischen Geizhalse, Daniel Dancer, welcher auf einen fremden Acker nichts von dem, was die Natur bei ihm übrig hatte, wollte fallen lassen, sondern wie toll vorher auf seinen eignen rannte mit der Sache. Sondern recht freudig leihet der Romancier alles, was er hat und was er ist, seinen geschriebenen Leuten ohne das geringste Ansehen der Person und des Charakters! Folglich hätte wohl niemand Vults Tagebuch so gern umgeackert und besäet als ich, wär' es nötig gewesen.

Andere Gründe, z. B. Zeitmangel und Haus-Tumult, schütz' ich nicht einmal vor, weil diese sich auf persönliche Vertrauungen gründen, womit man wohl schicklicher das Publikum als einen verehrlichen Stadtrat behelligt; worunter aber in jedem Falle die Nachricht gehören würde, daß ich gestern nach meinem Wechselfieber des Wechsels – doch nur mit Städten – wieder aus Koburg abgezogen bin nach Baireuth. Niemand muß überhaupt die Zeit mehr sparen als einer, der für die Ewigkeit nicht sowohl lebt – das tut jeder Christ – als schreibt. Wie viel Blattseiten lässet denn die Biographia britannica unseres Ichs der Historiole des Universums übrig? – Wie ohnehin alles uns Dichter drückt, scheinen nur die alten Holzschnittschneider zu ahnen, wenn sie Bienen und Vögel – diese bildlichen Verwandten unsers Honigs und unsers Flugs – bloß als fliegende Kreuze zeichnen. Wer hängt an diesen Kreuzen als wir Kreuzträger, z. B.

Baireuth, d. 13. August
1804.
Ihr
testierter
Biograph,
J. P. F. Richter?

Jetzt geht Walts Geschichte so fort, nämlich Vults Wochenbuch fängt so an:
 

»Ich schwöre hiemit mir, daß ich ein Tagebuch wenigstens auf 1 Vierteljahr schreiben will; hör' ich früher auf, so strafe mich Gott oder der Teufel. Von heute – dem Tage nach dem gestrigen Einzuge – geh' es an. Ja, wenn mich der Gegenstand – nicht ich, sondern Walt – hinge, pfählte, knebelte, zerfetzte, nach Sibirien schickte, in die Bergwerke, in die zweite Welt, in die dritte, ja in die letzte: so führ' ich das Wochenbuch fort; und damit ich nicht wanke, so will ich mit den Fingern, die man sonst dazu aufhebt, es herschreiben:
 

Ich schwöre.
 

Die Welt – welche aber nie dieses Blatt bekommen soll – kann sich leicht denken, über wen das Wochenbuch geführet werde; nicht über mich. Ein Tagebuch über sich macht jeder Dinten-Mann schon an und für sich, wenn er seine opera omnia schreibt; bei einem Schauspieler sinds die Komödienzettel; bei einem Zeitungsschreiber die Jahrgänge voll Welthändel; bei einem Kaufmann das Korrespondenzbuch; bei einem Historienmaler seine historischen Stücke; Angelus de Constantio, der an seiner storia del regno di Napoli 53 Jahre verschrieb, konnte bei jeder Reichsbegebenheit sich die seinigen, obwohl nur auf 53 Jahre, denken; und so schreibt jeder Verfasser einer Weltgeschichte damit seine eigne mit unsichtbarer Dinte dazwischen, weil er an die Eroberungen, innern Unruhen und Wanderungen der Völker seine eignen herrlich knüpfen kann. Wer aber nichts hat und tut, woran er seine Empfindungen bindet, als wieder Empfindungen: der nehme Lang- und Querfolio-Papier und bringe sie dazu, nämlich zu Papier. Nur wird er Danaiden- und Teufelsarbeit haben: während er schreibt, fällt wieder etwas in ihm vor, es sei eine Empfindung oder eine Reflexion über das Geschriebene – dies will wieder niedergeschrieben sein – kurz, der beste Läufer holet nicht seinen Schatten ein.

Und welch ein lumpiges knechtisches katoptrisches Nach-Leben, dieses grabes-luftige Zurückatmen aus lauer Vergangenheit statt eines frischen Zugs aus frischer Luft! Das flüchtige Getümmel wird ein Wachsfigurenkabinet, der blühende flatternde Lebensgarten ein festes pomologisches Kabinet. Ists nicht tausendmal klüger, der Mensch ist von Gegenwart zu Gegenwart wie Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der fröhliche Trieb tut seinen Windstoß in die Blumen und Wellen hinein, wirft Blumenstäubchen und Schiffe an ihren Ort und gähnt und stöhnt nicht wieder erbärmlich zurück?

Hingegen ein Tage- und Wochenbuch über andere! – Ich gesteh' es meinem geneigten Leser, dem guten Vult, dies ist etwas anderes; aber ich muß freilich sehen und – anfangen.

Doch so viel lässet sich auch, ohne anzufangen, annehmen, daß mein Hausherrlein und Brüderlein Walt vielleicht zu einem historischen Roman (den Titel ›Tölpeljahre eines Dichters‹ verschwör' ich nicht) zu verbrauchen ist, nämlich als Held, besonders da er eben in Liebes-Blüte und vollends gegen eine HäßlichkeitGegen Raphaela, glaubt er. steht; wenn mich nicht der ganze neuliche Wechsel-Prozeß und sein heißes Verteidigen und Beschauen ihres Gesichts und Herzens zu sehr betrügt. Nur ist durchaus erforderlich, daß ich als der Beschreiber des Lebens ihn geschickt, wie eine herkulanische Bücherrolle, auseinanderwinde und dann kopiere. Ich seh' auch nicht ein, warum ich nicht überhaupt so gut einen göttlichen Roman schreiben sollte wie Billionen andere Leute. Mir selber ist Schriftstellerei so gleichgültig, Vult! Wie ich lebe, nicht um zu leben, sondern weil ich lebe, so schreib' ich bloß, Freund, weil ich schreibe. Worin soll denn das Ebenbild Gottes sonst bestehen, als daß man, so gut man kann, ein kleines Aseitätchenaseitas, seine eigne Ursache sein. ist und – da schon Welten mehr als genug da sind – wenigstens sich Schöpfer täglich erschafft und genießt, wie ein Meßpriester den Hostiengott? – Was ist überhaupt Ruhm hienieden in Deutschland? Sobald ich mir nicht einen Namen machen kann, daß ich vom Niedrigsten bis zum Höchsten täglich genannt, gelobt und vor Begierde verschlungen werde – diesen Namen aber hat in Deutschland weiter niemand als Broihann, nämlich der erste Brauer des Broihanns –, so erhebe mich doch nie ein Journal, fleh' ich. Ebensogern als einer Vergrößerung durch dasselbe will ich einem Erzengel zu Gebote stehen, welcher mit einem mittelmäßigen Sonnen- und Weltenmikroskop auf dem Marktplatz der Stadt Gottes etwas verdienen will und daher, um andern neugierigen Markt-Engeln die Wunder Gottes und des Mikroskops zu zeigen, mich als die nächste Laus einfängt und auf den Schieber setzt mit vergrößerten Gliedmaßen zum allgemeinen Bewundern und Ekeln.

Dies beiseite, so merk' ich noch für dich besonders an, liebes Wältlein, falls du der zweite Leser dieses Wochenbuchs würdest, wie dein Vult der erste ist – in welchem Falle du aber ein ausgemachter ausgebälgter Spitzbube wärest, der sein gestriges Wort bräche, nie in meine Papiere zu blicken –, ja, ich setz' es absichtlich zur Strafe der Lesung für dich her, was ich jetzt behaupten werde, daß ich nämlich dich ächter zu lieben fürchte, als du mich liebst. Wäre dies gewiß: so ging' es schlimm. Sehr zu besorgen ist, mein' ich, daß du – ob du gleich sonst wahrlich so unschuldig bist wie ein Vieh – nur poetisch lieben kannst, und nicht irgendeinen Hans oder Kunz, sondern bei der größten Kälte gegen die besten Hänse und Künze, z. B. gegen Klothar, in ihnen nur schlecht abgeschmierte Heiligenbilder deiner innern Lebens- und Seelenbilder knieend verehrst. Ich will aber erst sehen.

Du wirst dich nicht erinnern, Wältchen, daß ich dir gestern oder heute oder morgen weisgemacht, daß ich nicht aus andern Gründen, sondern deinetwegen allein in deine Schweiß-, Dachs- und Windhunds-Hütte eingezogen bin. Folglich log ich nichts vor. Nur keine Lüge sage der Mensch, dieser Spitzbube von Haus aus! Fast alles ist gegen einen Geist eher erlaubt, weil er gegen alles sich wehren kann, nur keine Lüge, welche ihn, wie ein altrömischer Henker die unmannbare Jungfrau, in der Form der innigsten Vereinigung schänden und hinrichten will.

Schauest du also so sehr spitzbübisch und ehrvergessen in dieses Journal: so erfährst du hier nach dem vorigen Doppel-Punkt, daß ich ein Narr bin, und eine Närrin will, mit einem Wort, daß ich eben ein Fenster von dir – wie zu einer Hinrichtung Damiens' um vieles Geld – gemietet, bloß um aus dem Fenster mich selber hinzurichten, nämlich hinunterzusehen in den Neupeterschen Park, wenn Wina, in die ich mich vergafft habe, zufällig mit deiner Raphaela lustwandelt. Ich freue mich darauf, wie wir beide an unsern Fenstern stehen und hinabschmachten und lächerlich sein werden. Nichts ist komischer als ein Paar Paare Verliebter; noch mehr wär' es ein ganzer rechter und ein linker Flügel, der seufzend einander gegenüberstände; – hingegen eine ganze Landsmannschaft von Freunden sähe nur desto edler aus.

Für jeden ist eine Frau freilich etwas anderes: für den einen Hausmannskost, für den Dichter Nachtigallenfutter, für den Maler ein Schauessen, für Walten Himmelsbrot und Liebes- und Abendmahl, für Weltmenschen ein indisches Vogelnest und eine pommersche Gänsebrust – kalte Küche für mich. Die Lungensucht, welche Liebende und die Wärter der Seidenraupen – jene wollen ja auch Seide dabei spinnen – davontragen, wird mich als Seladon eher verlassen als ergreifen, weil ich so lange die lungengefährliche Flöte einstecke, als ich auf den Knieen liege und spreche. Ich bin dir aber wirklich sehr gut, Wina, zumal da deine Singstimme so kanonisch ist und so rein! – Aber ich will denn mein heutiges Tagebuch über den Bruder anheben ...«


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