Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Als er sich nun abschreibend abmalte, wie ihm das Herz schlagen würde, das schon heftig schlug, wenn die Liebes-Gestalt aus seinem Kopf und langen Traume wie eine Göttin lebendig ins Leben spränge, nämlich vor ihn hin: so kam nichts als das verhaßte Kammermädchen mit einem Stick-Gerüste, aber bald ihr nach die blühende Wina, die Rose und das Rosenfest zugleich. Es ist schwer zu sagen, womit er sie anmurmelte, da er sie damit nicht anredete. Sie verbeugte sich so tief vor ihm, als wäre er der goldene und figurierte Knopf am Oberstabe des Generals, und sagte das höflichste Bewillkommungs-Wort und setzte sich an den Stickrahmen. Konnte sie nicht hundert Deckmäntel ihrer Absicht, im Schreibzimmer zu sein, als ein Mädchen finden und umlegen? Hätte sie nicht z.B. ihr blaues Kleid aus dem Wandschrank holen können – oder das weiße – oder den Schleier – oder einmal eintunken wollen – oder an der elektrischen Lampe ein Licht zum Siegeln anzünden – oder hier den Vater ganz vergeblich suchen? – So aber trat sie herein und setzte sich vor den Stickrahmen, um für eine Stiftsdame einen Ordensstern aufgehen zu lassen, der für den abschreibenden Sternseher, wie oft für Trägerinnen, nichts werden konnte als ein Irr- und Nebelstern.

Der Schreiber schwamm nun in der Wonne einer himmlischen Gegenwart, wie in unsichtbarem Duft einer hauchenden Rose, Winas Dasein war eine sanfte Musik um ihn. Er sah zuletzt sehnsüchtig kühn ihre gesenkten großen Augenlider und den ernst geschloßnen Mund im Spiegel zu seiner Linken an, versichert der eignen Unsichtbarkeit und erfreuet, daß gerade zufällig, wenn er eben in den Spiegel sah, immer ein warmes Erröten das ganze niederblickende Antlitz überfloß. Einmal sah er im Spiegel den Brautschatz ihres Blicks ausgelegt, sie zog leise wieder den Schleier darüber. Einmal, da ihr offnes Auge darin wieder dem seinigen begegnete, lächelte sie wie ein Kind; er drehte sich rechts nach dem Urbild und ertappte noch das Lächeln. »Ging es Ihnen seit Rosenhof wohl, Herr Harnisch?« sagte sie leise. »Wie einem Seligen,« versetzte er, »wie jetzt.« Er wollte wohl etwas viel anderes, Feineres sagen; aber die Gegenwart unterschob sich der Vergangenheit und testierte in deren Namen. Doch gab er die Frage zurück. »Ich lebte«, sagte Wina, »mit meiner Mutter, dies ist genug; Leipzig und seine Lustbarkeiten kennen Sie selber.« – Diese kennt freilich ein darbender Musen- und Schulzensohn wenig, der an den Rosen des kaufmännischen Rosentals nicht höher aufklettert als bis zu den Dornen, weil er jene nicht einmal so oft teilt als ein Maurer-Meister einen fürstlichen Saal, zu welchem dieser stets so lange Zutritt hat, als er ihn mauert. Indes denken sich die höheren Stände nicht leichter hinab, zu Honoratioren besonders – denn von Schäfer-, d.h. Bauerhütten haben sie im französisch eingebundenen Geßner eine gute Modell-Kammer –, als sich die tiefern hinauf. »Göttlich ist da der Frühling«, antwortete er, »und der Herbst. Jener voll Nachtigallen, dieser voll weichen Duft; nur gehen der Gegend Berge ab, welche nach meinem Gefühl durchaus eine Landschaft beschließen müssen, doch nicht unterbrechen; denn auf einem Berge selber ist nicht die Landschaft, sondern wieder ein fernster Berg schön und groß. – Die Leipziger Gegend enget also ein, weil die Grenze, oder vielmehr die Grenzlosigkeit, nichts der Phantasie übrig lässet, was, soviel ich gehört, nicht einmal das Meer tut, das sich am Horizont in den Äther-Himmel auflöset.« – »Sonderbar«, versetzte Wina, »bestimmt hier die Gewohnheit des äußern Auges die Kraft des innern. Ich hatte eine niedersächsische Freundin, welche zum erstenmale von unsern Bergen ebenso beschränkt wurde als wir von ihren Ebenen.« Der Notarius war über ihre philosophische Sprachkürze – da überhaupt der Mann an der Frau gerade so sehr seinen Kopf bewundert, als seine Brust verdammt – so betroffen, daß er nicht wußte, was er sagen sollte, sondern etwas anderes sagte. »Besuchten Sie zuweilen die Badörter um Leipzig?« fragte sie spät. Da er darunter nicht Lauchstädt, sondern die Studenten-Badörter in der Pleiße verstand und eine solche Frage von weiblichen Lippen zum vornehmen Zynismus rechnete: so umging er sie nach Vermögen in der Antwort: »Der Leipziger Magistrat habe zu seiner Zeit wegen mehrerer Unglücksfälle erst die bessern Badörter bestimmen lassen.« – Wina mißverstand wieder sein Mißverstehen. Und so kann in Deutschland und fast auf der Erde jeder, der sich verspricht, auf einen zählen, der sich verhört; so wenige Ohren, ob sie gleich doppelt am Kopfe stehen, gibt es für die hiesigen Zungen, und man findet noch schwerer ein offnes als ein kurzes.

Plötzlich sprang der General wie mit einem verschimmelten bleichen Gesicht herein aus dem Puderstübchen – mit einem Bilde in der Hand und trocknete sich aus den Augenlidern den Puder wie Zähren ab. »Sage mir, wer ist ähnlicher, die Mutter oder die Tochter? – In der Tat recht brav retouchiert!« Das Gemälde stellte Wina vor, wie sie zu einem ihr ähnlichen Töchterchen, das nach einem Schmetterling fing, ihr Gesicht herab an die kleine Wange beugt, sehr mütterlich-gleichgültig, ob sie vom Kinde über dem Schmetterling übersehen werde oder nicht. Im Kunst-Feuer fragte der General auch den Notar: »Ist denn die Mutter nicht so ausnehmend getroffen, meine Wina nämlich, daß man die Ähnlichkeit sogar im Kinde wieder findet? – Sprechen Sie als Dritter!« – Walt, verlegen mit seiner Errötung über den bloßen Gedanken, das Kind sei Winas, versetzte: »Die Ähnlichkeit ist wohl Gleichheit?« – »Und zwar auf beiden Seiten!« erwiderte Zablocki, ohne sehr den Notar zu fassen, der nach den gewöhnlichen Voraussetzungen des Standes schon alles voraussetzen sollte, und zwar folgendes: der General wollte seiner losgetrennten Gattin ein Denkmal seiner Zärte zuwenden, einen Spiegel, der nur sie abbildete, nämlich ein festes Bild; hatt' aber leider aus Kälte sie sonst nie sitzen lassen, außer zuletzt juristisch – Zum Glücke war nun Wina ihr so ähnlich – die wenigen Jahrzehende ausgenommen, wodurch sich Töchter hauptsächlich von den Müttern zu unterscheiden suchen –, daß die jetzige Wina als die vorige Mutter zu gebrauchen war, der man nichts als die vorige Wina in die Hand zu geben hatte, die, als Kind gemalt, eine Aurikel in der Linken hält und darauf einen weißen Schmetterling mit der Rechten setzt. Diese zweimal, als Bild und als Urbild, angewandte Wina wollte der General seiner Frau als einen ölgemalten Ichs-Himmel auf Leinwand auftun, um sie in Erstaunen zu setzen, daß sie über vierzig Meilen gesessen – einem Maler.

Als der Vater fort war, machte Walt – noch tiefer in Erstaunen und Unglauben gesetzt – die Bemerkung, sie sehe dem schönen Kinde ähnlich, um nur herausgezogen zu werden. »O bliebe man sich nur auch in wichtigern Punkten ähnlich!« sagte Wina. »Auch war ich noch bei meiner Mutter; ich glaube, Sie oder Ihr Bruder lag damals am Tage des Malens an den Blattern blind; denn sie ging mit mir in Ihr Haus. Schöne Zeit! ich wollte gern die eine Ähnlichkeit auf mich nehmen, könnte ich damit meiner Mutter die andere zurückführen.«

Nun fuhr der Notar über die Nähe des erhelleten Abgrunds, in den er hätte treten können, rot zurück und fürchtete ordentlich, die Betise fahre ihm noch wider Willen aus dem Halse. »Auch ich ginge gern in jene Blindheit zurück; die Nacht ist die Mutter der Götter und Göttinnen!« sagte er und wollte erträglich auf die Aurikelbraut anspielen. Wina verstand nichts davon als den Ton und Blick; und so war es genug und gut gemacht.

Man rief sie zum Essen. Da er glaubte, er werde wie im Rosenhöfer Wirtshaus wieder an die Generals-Tafel gezogen: so stand er auf, um ihr den Arm zu bieten, sie stickte aber fort; und er stand nahe am Rahmen und sah herab auf das lockige Haupt, worin seine Welt und seine Zukunft wohnte, die sich in lauter Schönheiten verbarg – das Fruchtgewinde des Geistes war vom Blumengewinde der Gestalt schön verhüllt und schön verdoppelt. Sie stand auf. Jetzt näherte er sich mit dem rechten Arme, um sie fort zu führen. »Ich werde« – sagte Wina sanft – »nach dem Essen wieder kommen und Ihrem Herzen eine Bitte bringen«; und sah ihn mit den großen guten Augen unverlegen an und gab, wie zur Antwort auf seinen fragenden Arm, ihm ein wenig die ablenkende Hand in seine, um sie zu drücken. Mehr braucht' er nicht, der Liebe ist eine Hand mehr als ein Arm, wie ein Blick mehr als ein Auge. Er blieb reich zurück am einsamen Eßtische, den ein verdrüßlicher Bedienter an den Schreibtisch gesetzt hatte. Seine Hand war ihm wie geheiligt durch das Wesen, das bisher nur von seiner Seele berührt wurde. Wer kann es sagen, warum der Druck einer geliebten Hand mehr innige Zauberwärme in die Seele sendet als selber ein Kuß, wenn nicht etwa die Einfachheit, Unschuld, Festigkeit des Zeichens es tut?

Er speiste an einer Göttertafel – die Welt war der Göttersaal –, denn er sann Winas nächster Bitte nach. Eine tun, heißt in der Liebe mehr geben, als eine erhören. Aber warum macht die Liebe denn diese Ausnahme? Warum gibt es denn keine verklärte Welt, wo alle Menschenbitten so viel gelten und geben, und wo der Geber früher dankt als der Empfänger?

Mit wunderbaren Gefühlen irrte er um Winas Bitte herum, da er doch fühlte, Wina sei ein durchsichtiger Juwel ohne Wölkchen und Federn. Denn dies ist eben die Liebe, zu glauben, man durchschaue das Geliebte noch schärfer als sich, so daß man den blauen Himmel dadurch erblickt, durch welchen man wieder die Sterne sieht – indes der Haß überall Nacht sieht und braucht und bringt.

Als er die wenigen Strahlen küßte, die am Sterne des Stifts und der Liebe aufgegangen waren oder gestickt: tat sein Himmel alle Wolken wieder auf, nämlich die Flügeltüren, und Wina erschien und schien. Er wollte sagen: ich bitte um die Bitte; aber er hielt es für unzart, das eine Bitte zu nennen, was Wina eine genannt. So hatt' er den höchsten Mut für sie, aber nicht vor ihr; und von den langen Gebeten an dieses Heiligenbild, welche er zu Hause sich aussann und vornahm, brachte er nichts zum Bilde selber auf seinen Knieen als: Amen, oder Ja, ja. »Sind Sie zuweilen bei den hiesigen Tees?« fing Wina an und setzte, wie es ihr Stand tut, immer ihren Stand voraus. »Neulich bei mir, bei dem vortrefflichen Flötenspieler, den Sie gewiß bewundern.« – »Ich hör' dies heute von meinem Mädchen«, sagte sie, meinend die Nachricht des Beisammenwohnens; Walt aber nahm an, sie habe von seinem magern Weintee manches gehört.

»Ich meine vorzüglich, sind Sie öfters bei den geistreichen Töchtern des Herrn Hofagenten? Eigentlich red' ich bloß von meiner Freundin Raphaela.« Er führte – doch ohne die Wechsel-Not – den Abend an, wo sie für den mütterlichen Geburtstag gesessen. »Wie schön!« sagte Wina. »So ist sie eben. Einst, als sie bei mir in Leipzig in eine lange Krankheit fiel, durfte ihrer Mutter nichts geschrieben werden, bis sie entweder genesen oder verschieden sei. Um dieser Liebe wegen lieb' ich sie so. Ein Mädchen, das seine Mutter und seine Schwestern nicht liebte, – ich weiß nicht, warum oder wie es sonst noch recht lieben könnte, nicht einmal seinen Vater.« – Walt wollt' es gern äußerst fein auf sie selber zurückwenden und machte daher die allgemeine Bemerkung, daß Töchter, die ihre Mutter lieben, die besten und weiblichsten sind.


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