Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 52: Ausgestopfter Fliegenschnäpper

Vornehmes Leben

Nachdem er am Morgen die feinste Anrede an den Hofagenten ganz in den Kopf gebracht hatte, woraus sie ohnehin noch nicht gekommen war: trat er vor Neupeter, der ihn in der Schreibstube neben einem brennenden Lichte mit dem Petschaft am nassen Maul und mit der Nachricht empfing, es sei Posttag. Während der Kaufmann fortsiegelte, hielt er hinter dessen Rücken leicht seine Rede voll Zärte, bis dieser, da er ausgesiegelt hatte, das Licht ausputzte und fragte: »Was gibts?« Zerfahren war dem Notar der ganze Sermon.

Kein Mensch kann dieselbe Rede zweimal nacheinander halten; in der Eile mußte er nur darauf denken, aus dem Gesagten einen dünnen Bleiextrakt zu liefern. Der Hofagent ersuchte ihn aber, »mit solchen Schnurrpfeifereien den Leuten vom Halse zu bleiben.«

Alle mögliche Sünden im neuen Amte hätt' er lieber getragen als dieses harte Türzuschlagen vor demselben. – Jemanden nun ferner Ordensketten durch geschenktes Vorkaufsrecht der Wohnprobewoche überhängen zu wollen, fiel ihm nicht mehr ein: sondern wo ein armer, aber guter Teufel, mit welchem sich mehr Tränen- als Himmelsbrot, z.B. ein elendes Wohnloch teilen ließe, anzutreffen und zu beglücken wäre, darnach ging sein Sehnen, nicht sein Fragen; denn besagter Teufel war längst da, Flitte aus Elsaß. Walt ging auf den Nikolai-Turm und trug, aber furchtsam, Flitten den Vorzug an, daß er bei ihm die erste Probewoche halten wolle. Der Elsasser umhalste ihn erfreuet; und versicherte er ziehe diesen Tag noch vom Turm herab, weil er ganz hergestellt sei und der frischen Turmluft weniger bedürfe. »Ich miete für uns ein Paar kostbare garnierte Zimmer beim Cafetier Fraisse; pardieu wir wollen leben comme il faut«, sagt' er. Walt wurde zu selig. In einer halben Stunde hatte Flitte ein- und darauf ausgepackt; denn mit seinem Geräte hatt' er, wie eine Raupe und Spinne mit ihrem Fadengespinste, gewöhnlich den Gang durch seine Wechselwohnungen bedeckt und bezeichnet; gleichsam mit schönen Haarlocken, die zum Andenken ausgerauft werden; und hatte sich, wie gedacht, wie Weltkörper durch Umlauf kleiner eingeschliffen. Er wagte es jetzt, aus seinem Turm – seiner bisherigen Bastei und Grenzfestung gegen Gläubiger – herabzurücken in ein unbefestigtes Kaffeehaus, weil er teils sein eignes Testament beerbet hatte, nämlich den Kredit davon, teils das Kabelsche, in dessen Gütergemeinschaft ihn Walts neueste Fehler vor der Stadt einzusetzen schienen, teils die zehn Tannenstämme, Walts Klage-Eichen. »Der ausgestopfte Blaumüller« Nro. 51 erwähnte schon weitläuftiger, mit welchem Gepränge er die durch Walt gesäete Fehler-Ernte von Steinobst und Kernhäusern aufgeknackt und ausgekernet hatte, um sich der Stadt zu zeigen.

Walt schied am schönsten Nachsommer-Morgen halb wehmütig aus seiner leisen Klause; ihm war, als brauche sie ihn und habe denn so leer und allein Langweile, besonders sein Sessel. Aber wie fuhr er, da er beim Cafetier Fraisse eintrat, vor der Garnitur der Zimmer, vor den langen Spiegeln voll Zurückfahrern, vor den Ei-Spiegeln an den Wandleuchtern und vor der Rest-Pracht zurück! – Er erschrak. Flitte lächelte – Fremden wollte Walt ein Ersparer sein; – daß der gute Elsasser solche Paläste von Stuben miete, bedacht' er und stöhnte sehr. Denn er hielts für Aufwand seinetwegen, weil er nicht voraussetzte, daß Flitte unter die wenigen sogenannten Verschwender gehöre, die wie der deutsche Kaiser schwören, nichts auf die Nachkommen zu bringen, Reich oder Reichtum, und welche wie hohe Staatsbediente Athens zum Zeichen ihrer Vaterlandsliebe nichts hinterlassen als Nachruhm und Schulden.

Walt zog ohne weiteres das aus der Kabelschen Operationskasse für die Probenwoche bewilligte Goldstück hervor und legt' es mit den Worten auf den Tisch: »Dies bestimmte der Testator; ich wollte gern, es wäre mehr.« – Wenige Menschen wurden noch so stark angefahren als er von Flitten, der ihn fragte, ob er denn beim Henker nicht sein Gast sei.

Aber nun hatt' er noch einen feinern Punkt, nämlich den testatorischen Zweck seines Wohnens zu besprechen. Er nahm folgende Wendung: »Es wird ordentlich schwer, in diesen kostbaren heitern Zimmern und bei Ihnen an etwas so Juristisches wie das Testament und dessen Haupt-Klausel zu denken; da ich aber meine Freude nicht meiner Obliegenheit gegen meine Eltern opfern darf: so – darf ich eben schwerlich, sondern ich muß Sie um den Vorschlag dessen bitten, worin ich etwa Fehler begehen könnte. Wahrlich, es wird mir schwerer zu fragen als zu handeln.« –

Der Elsasser faßte ihn nicht sogleich mit seinen Feinheiten: »Pah,« sagt' er, »was ist zu sakrifizieren? Wir parlieren und tanzen zusammen; das geht den alten Kabel nichts an.« – – »Parlieren und tanzen?« (versetzte der vom Notariat zusammengescheuchte Walt) »Und zwar beides zusammen? – Ich kann hier nichts sagen, als daß schon eines von beiden einen unabsehbaren Spielraum zu Fehlern auftäte, geschweige – Wahrlich, an und für sich oder für mich, lieber Herr Flitte – aber...« – – »Sacre –! wovon reden wir denn eigentlich? – Wird denn ein Mensch auf der Erde prätendieren, daß man zum langnasigen Bürgermeister läuft und ihm es vorsingt, wie man lustig gewesen ist?« – Walt faßte schnell die Hand und sagte: »Ich vertraue«; und Flitte umarmte ihn.

Sie frühstückten unter freudigen Gesprächen. Die langen Fenster und Spiegel füllten das geglättete Zimmer mit Glanz; ein kühler blauer Himmel lachte hinein. Der Notar verspürte sich in vornehmer Behaglichkeit; das Glücksrad drehte ihn, nicht er das Rad, und er brauchte es nicht wie ein Wagenrad erst rot zu malen. Flitte las ihm zwei für den Reichs-Anzeiger in wenigen Tagen ausgearbeitete Inserate vor; – im ersten foderte er einen Generalkriegszahlmeister, Herrn v. N. N. in B., auf, ihm die Summe von 960 Albustalern für Wein innerhalb 6 Monaten zu bezahlen, wenn er nicht gewärtig sein wolle, daß er ihn öffentlich an den Pranger in dem Reichs-Anzeiger stellte. Dem Notar entdeckte er gern den Namen des Mannes und der Stadt; indessen war an der Sache nichts. Das zweite Inserat enthielt mehr ungefärbte Wahrheit, nämlich die Nachricht, daß er einen Compagnon mit 20000 Tlr. zu einem Weinhandel suche und wünsche.

Walts Gesicht glänzte von Freude, daß der gutmütige Mensch so viele Mittel habe, und er erhob dessen vergoldete Wetterstangen des Lebens recht stark.

Flitte aber versetzte: »Sagen Sie mir aufrichtig, ob keine Stil-Fehler darin sind. Ich warf die Dinge in der Zeit einer kleinen Stunde hin.« Walt erklärte, je kleiner eine Anzeige sei, desto schwerer werde sie; er wolle leichter einen Bogen für den Druck ausarbeiten als dessen 1/24 Bogen. »Schadet wohl überhaupt Lukubrieren viel? An der Makrobiotik sahen mich oft die Nachbarn bis 3 Uhr aufsitzen«, sagte Flitte, nicht ganz unwahr, da er bisher durch seine Nachtmütze auf einem Haubenstock und durch ein Licht daneben einen makrobiotischen Leser auf die leichteste und gesündeste Weise vorgestellt hatte. Darauf schnürte er vor dem Notar, dessen herzliches aufrichtiges Bewundern und einfältiges Vertrauen ihn mit süßer Wärme durchzog, ein Bündel seiner Liebesbriefe an sich auf, worin er, sein Herz und sein Stil sehr geschätzet wurde. Der Elsasser hatte das Paquet von einem jungen Pariser, an den es geschrieben war, zum sichern Verschlusse bekommen.

Walt wußte sich so wenig zu lassen vor Beifallklatschen über den Stil der schönen Schreiberin, daß der Elsasser am Ende beinahe selber glaubte, die Sache sei an ihn geschrieben; aber jener tats sehr deshalb, um nicht über die Liebe selber viel zu reden. Da er als ein unerfahrner verschämter Jüngling noch glaubte, die Empfindungen der Liebe müßten hinter dem Klostergitter, höchstens in einem Klostergarten leben, so sagt' er nur im allgemeinen: »Die Liebe dringt wie Opferrauch, so zart auch beide sind, doch im dicken Regenwetter durch die schwere Luft empor« – wurde aber ungemein rot. »Surement,« sagte der Elsasser, »die Liebe strebt jeden Tag immer weiter.«

Flitte ging noch weiter und zeigte sich seinem Gaste gar gedruckt; er wies ihm nämlich die feinsten Liebes-Madrigale, die er, wie er sagte, drucken lassen in Centesimo-Vigesimo Format und nie über einen 1/20 Bogen stark; es waren Verseblättchen, aus Pariser Zuckerwerk ausgeschält, wahre Süßbriefchen, deren Plagiat Flitte sich dadurch erleichterte, daß er den süßen Einband aufaß. Warum lässet die deutsche Poesie der französischen den Vorzug der süßesten Einkleidung; warum wollen wir nämlich, wenn die Franzosen Zucker und Gebäck um ihre Verse wickeln, es umkehren und mit den unserigen Zucker und Gewürz einkleiden und einpacken? – könnte man hier fragen, wenn es der Ort wäre, hier zu antworten. – Walt pries unmäßig; der Elsasser schwamm auf Freudenöl, ertrank beinah in Lobes-Salb-Öl. Über jeden Genuß, den man den Menschen wohlwollend zubereite, waltet der Zufall der Aufnahme, des Gaumens, des Magens, der ihn verarbeitet; hingegen für den Genuß eines aufrichtigen Lobes hat ohne Ausnahme jeder Mensch zu jeder Stunde Ohr und Magen aufgetan; und er sagt außer sich: »Lob ist Luft, die das einzige ist, was der Mensch unaufhörlich verschlucken kann und muß.« Flitte nicht anders; neuerfrischt zog er den Notar auf die Stadtgassen hinaus, um ihm einige Freuden zu machen und sich Platz. Nämlich die alten Gläubiger jagten ihm so eifrig nach als er neuen; da er nun die Maxime der Römer kannte, welche nach Montesquieu so weit als möglich vom Hause Krieg führten: so war er selten zu Hause. Beide durchstrichen die Morgenstadt; und Walten wurde sehr wohl. Da Flitte der Stadt sich zeigen wollte – nämlich den Kabels-All-Erben Harnisch in der Probewoche –, so sprach er mit vielen ein Wort; und der Notar stand glücklich dabei. Vor jedem Parterre-Fenster – »par-terre«, sagte Flitte, »sprechen die Deutschen ganz falsch aus« – klopft' er wie an einer Glastüre an und sagte dem aufmachenden Mädchenkopfe, dem noch die halbe Aurora des Morgenschlafs anschwebte, hundert gute Dinge, und die Tochter in der Morgenkleidung mußte am Fensterrahmen fortnähen. Oft gab er ohne weiteres Fragen Küsse von außen hinein – was Walt für einen Grad von Lebensart hielt, den nur einige Günstlinge Frankreichs erreichten. Rauchte ein ansehnlicher Mann in der Schlafseide mit der Pfeife aus dem zweiten Stock herab: so sprach oder ging Flitte hinauf, und Walt tats mit. Jener kannte jeden lange; denn bei dem Hochbürgerstande lehrte er die Kinder tanzen und beim Adel die Hunde; letzterem ging er auch auf heiligern Wegen nach, nämlich zur Altar-Partie. Denn da der Haßlauer Adel, wie bekannt und sonst gewöhnlich ist, in corpore öffentlich auf einmal als eine heilige Tischgesellschaft und Kompagniegasse das Abendmahl genoß: so war er hinterdrein und der letzte Mann, wie hinter den Bürgerlichen der Scharfrichter; das einzige Mal ausgenommen, wo er wie ein Schieferdecker es bloß nahm, weil er einen Turm bestiegen. Walt betrat nie mehr Zimmer als an diesem Morgen. Sprengte ein Herr vorbei: Flitte wußte ein Wort über den Gaul nachzuschicken, etwa dieses: er hinke. Stand ein Wagen fahrfertig: Flitte paßte, bis man einstieg, und verhieß nachzukommen aufs Landgut. Kehrten verspätete Kaufleute von der Leipziger Messe zurück: Flitte ließ sie auf die Meß-Neuigkeiten von Haßlau nie so lange warten, bis sie unter Dach und Fach waren, sondern er packte aus, während sie auspackten.

Walt wurde aller Welt vorgestellt und redete mehrmals.

Es wäre schwer zu glauben, daß beide an einem Morgen so viele Besuche abgestattet haben, wäre nicht die Gewißheit da. Sie gingen zu dem Spitzen- oder Klöppelherrn Herrn Oechsle und besahen die Sachen und die hübschen Klöpplerinnen aus Sachsen und viele Knöpfe aus Eger, in welche Vögel halb mit Farben, halb mit eigenen Federn gefasset waren. Walt hatte dessen schöne Fußtapeten ganz mit Stiefelspuren verschont durch einen einzigen tapfern Weitschritt, den er über sie sogleich in die gebohnte Stube tat.

Sie gingen ins Gartenhaus des Kirchenrat Glanz, wo Flitte seine Latinität an dem Kupferstich eines Kanzelredners schwach zu zeigen suchte, indem er die darunter gesetzten lateinischen Verse und Notizen fertig und mit gallischer Aussprache ablas, ausgenommen bis zu den Worten mortuus est anno MDCCLX. Denn wer solche fremde Zahlen-Zeichen mehr in eigner als in fremder Sprache ablesen muß, weil er diese nicht versteht, fällt halb ins Lächerliche bei aller sonstigen Gelehrsamkeit. –


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