Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eben wurde das Completorium geläutet, als Wina vor einer überlaubten kleinen Kapelle vorbeiging. Sie ging wie verlegen langsam, stand und sagte Luzien etwas ins Ohr. Walt war ihrer Seele zu nahe, um nicht in sie zu schauen; er ging schnell voraus, um sie beten zu lassen und sie heimlich nachzuahmen. Luzie hatte leise Winen gesagt, seitwärts oben die schwarze Laube sei die blaue. In dieser wollte er die Beterin erwarten. Als er näher trat, flog aus der Laube Jakobine lustig heraus und warf ihm scherzend einen Schawl über den Kopf und entführte ihn am Arme, um an seiner grünen Seite, sagte sie, die kostbare Nacht zu genießen.

Ob er gleich nicht von weitem ahnte, mit welcher frechen Parodie der Morpheus des Zufalls den Menschen oft mit seinem Geschicke paare und entzweie: so widerstand doch der Spaß und die Freiheit und der Kontrast dem ganzen Zuge seiner höhern Bewegungen. Er setzt' ihr eiligst auseinander, woher und womit er komme, und sah bedeutend nach der Kapelle, als werd' er von dort aus stark erwartet. Jakobine scherzte schmeichelnd über Walts Damen-Glück und verschloß ihm den Mund durch das Überfüllen seines Herzens. Indes er nun äußerlich scherzend focht – und innen es auf allen Seiten überschlug, wie er ohne wahre Grobheit Jakobinens Arm von seinem schütteln könne: – so sah er, wie vom Eingange des Gartens her, den General auf die Tochter loskommen, sehr freudig ihre Hand in seinen Arm einpacken und mit dem Engel der Sterne davon und nach Hause laufen.

»Ach wie schnell gehen die schönen Sterne des Menschen unter!« – dachte Walt und sah nach den Bergen, wo morgen ein paar Bilder davon wieder aufgehen konnten; und war nicht imstande, Jakobinen zu fragen, ob sie die Reize der schönen Nacht empfinde.

Diese flog kalt vor dem Notar ins Haus und verschwand auf der Treppe. Er brauchte diesen Abend nichts weiter als ein Kopfkissen für seine wachen Träume und ein Stück Mondschein im Bette. Aber in der Nachmitternacht – so lange träumt' er – fuhr wieder auf der Gasse eine Nachtmusik auf, welche Zablockis Leute abbliesen. Nachdem Walt die Gasse wie ein Lorettohäuschen in die schönste welsche Stadt getragen und niedergesetzt – nachdem er die herrlichen Blitze des Klanges, die an den Saiten wie an Metalldraht herabfuhren, auf sich einschlagen lassen – und nachdem er die Sterne und den Mond nach der irdischen Sphärenmusik in Tanz gesetzt – und nachdem die Lust halb aus war: so flatterte Jakobine, deren Flüstern er vorher fast im Nebenzimmer zu hören geglaubt, zur Türe hinein und ans Fenster, vor brennender Ungeduld, die Töne zu hören, nicht aber den Notar.

Walt wußte nicht sogleich, wo er war oder bleiben sollte. Er schlich sich heimlich und leise aus den Kissen in die Kleider und hinter die Hörerin; wie angezündeter Flachs war er in höhere Regionen aufgeflogen, ohne einen Weg zu wissen. Nicht daß er von ihr oder von sich etwas besorgte; aber nur die Welt kannte er und ihre Parterres-Pfeifen gegen jedes kühne Mädchen, ein Unglück, wogegen er lieber sich von der zweiten Famas-Trompete jagdgerecht anblasen ließe, um nur das Weib zu retten; – – und er wußte kaum, ob er nicht aus der Stube so lange unvermerkt entflüchten sollte, bis die Aktrice in ihre heimgegangen.

Sie hörte drei Seufzer – fuhr um – er stand da – sie entschuldigte sich sehr (zu seiner Lust, da er gefürchtet, er habe sein eignes Dasein zu exkusieren), daß sie in ein besetztes Zimmer gekommen, das ihr, da es ohne Nachtriegel gewesen, frei geschienen. – Er schwur, niemand habe weniger dawider als er; – aber Jakobinens Reinheit glaubte sich damit noch nicht rein gewaschen, sie fuhr fort und stellt' ihm unter dem musikalischen Getöse, so laut sie konnte, vor, wie sie denke, wie ihr Nachtmusik in Mark und Bein fahre, an Fast- und Freitägen ganz besonders, weil da vielleicht ihr Nervensystem viel rührbarer sei, und wie dergleichen sie nie unter dem Bette lasse, sondern wie sie die erste beste Wasch-Serviette (sie hatte eine um) über den Hals schlage, um nur ans Fenster zu kommen und zu hören.

Unter dieser Rede hatte eine fremde Flöte so närrisch mit feindlichen Tönen durch die Nachtmusik gegriffen und geschrien, daß diese es für angenehmer hielt, überhaupt aufzuhören. Jakobine sprach laut, ohn' es zu merken, weiter: »Man überkommt dann Gefühle, die niemand gibt, weder Freundin noch Freund.«

»Etwas leiser, Vortreffliche, ums Himmels willen leiser!« – sagte Walt, als sie den letzten Satz nach der Musik gesagt – »der General schläft gerade nebenan und wacht. Wohl, wohl ist meistens für ein weibliches Herz eine Freundin zu unmännlich und ein Freund zu unweiblich.« – Sie sprach so leise, als ers haben wollte, und faßte ihn an der Hand mit beiden Händen an, wodurch die dicke plumpe Serviette, die sie bisher mit den Fingern wie mit Nadeln zugehalten, auseinanderfiel. Er erfuhr, was Höllenangst ist; denn das leisere Sprechen und Beisammenstehen wußt' er, konnt' ihn ja jede Minute, wenn die Türe aufging, bei der Welt in den Ruf eines Libertins, eines frechen Mädchen-Wolfs setzen, der nicht einmal die Unschuld schonet, wofür er Jakobine hielt, weil sie sanfte blaue Augen hatte.

»Aber Sie wagen beim Himmel zu kühn!« sagt' er. »Schwerlich, sobald nur Sie nicht wagen«, versetzte sie. Er deutete, was sie von seinen Anfällen sagte, irrig auf seinen unbefleckten Ruf und wußte nicht, wie er ihr mit Zärte die Rücksicht auf seinen ohne Eigennutz – denn ihr Ruf war ja noch wichtiger – in der größten Eile und Kürze (wegen des Generals und der Türe) auseinandersetzen sollte. Und doch war er von so guten ehrlichen Eltern, von so unbescholtenem Wandel – und trug den Brautkranz jungfräulicher Sittsamkeit so lange vor dem Bruder und jedem mit Ehren – – er hatte den Henker davon, wenn der verfluchte Schein und Ruf hereingriff und ihm den gedachten Kranz vom Kopfe zog, gesetzt auch, es wuchs ihm nachher eine frische Martyrerkrone nach.

Ihm wurde ganz warm, das Gesicht rot, der Blick irre, der Anstand wild: »Gute Jakobine,« sagt' er bittend, »Sie erraten – es ist so spät und still – mich und meinen Wunsch gewiß.« –

»Nein,« sagte sie, »halten Sie mich für keine Eulalia, Herr v. Meinau. Schauen Sie lieber die reine keusche Luna an!« sagte sie und verdoppelte seinen Irrtum. – »Sie geht« – versetzte er und verdoppelte ihren – »in einem hohen Blau, das kein Erden-Wurf durchreicht. So will ich wenigstens meine Tür zuriegeln, damit wir sicher sind.«

»Nein, nein«, sagte sie leise, ließ ihn aber mit einem Handdruck los, um ihre Serviette zurechte zu falten. Er kehrte sich jetzt um und wollte dem Nachtriegel zufliegen, als etwas auf den Boden hinflog – ein Menschen-Gesicht. Jakobine schrie auf und rannte davon. Er nahm das Gesicht, es war die Maske des Larvenherrn, den er für den bösen Genius gehalten.

Im Mondschein durchkreuzten sich seine Phantasien so sehr, daß es ihm am Ende vorkam, Jakobine habe selber die Maske fallen lassen und ihm und seinem armen Rufe nachgestellt. Er litt viel; – es richtete ihn nicht auf, daß er sich der besten Behauptungen seines Bruders erinnerte, daß z.B. solche Befleckungen des Rufs heutzutage, gleich den Flecken von wohlriechenden Wassern, aus den Schnupftüchern und der weißen Wäsche von selber heraus gehen, ohne alle Prinzessen-Waschwasser und Fleckausmacher – es tröstete ihn nicht, daß Vult ihn einmal gefragt, ob denn die jetzigen Fürsten noch wie die alten gewisse moralische Devisen und Symbola hätten, dergleichen gewesen »praesis ut prosis« und andere spielende, und daß der Flötenist selber geantwortet, dergleichen habe jetzt nicht einmal ein tiefer Stand, und es könne überhaupt, wenn schon in Tassos und Miltons christliche Heldengedichte die heidnische Götterlehre hab' eindringen dürfen, auch in unserem Christentum so viel Götterlehre (wenigstens in Betreff der schönsten Abgöttin) Platz greifen, als wir gerade bedürfen und begehren.

Darauf dachte Walt wieder an die Möglichkeit, daß irgend jemand das arme unschuldige Mädchen gesehen, und daß er ihren unbescholtnen Ruf anschmitze, der – schloß er – unbeschreiblich rein und fest sein mußte, da sie so viel gegen die Weiblichkeit sich herausnehmen durfte – Dann fiel ihm die 9te Testaments-Klausel »Ritte der Teufel« ein, die Ehebruch und ähnliche Sünden an ihm besonders bestraft – Dann der General mit seiner heiligen Briefsammlung von erotischen Platonikerinnen – Dann Wina und ihr Auge aus dem Himmel – – Der Notar bracht' eine der dümmsten und elendesten Nächte zu, die je ein Mensch durchgelegen, der unter dem Rückgrat keine Eiderdunen gehabt, welche freilich noch stärker einheizen.


 << zurück weiter >>