Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 19: Mergelstein

Sommers-Zeit – Klothars-Jagd

Jetzt fing das Notariat des Notarius ordentlich erst recht an. Er wurde der allgemeine Instrumenten-Macher der neugierigen Stadt. Gerichtlich bei den Testamentsexekutoren sind die Schuldverschreibungen, die Protokolle über verdorbne Warenfässer, Pachtbriefe über Handelsgewölbe, Kontrakte über zu reparierende Stadt-Uhren und dergleichen niederlegt, die er in so kurzer Zeit ausfertigte, daß ein alter hinkender Notarius nicht wußte, was er dazu sagen sollte aus Grimm, sondern zu Gott hoffte, der Amtsbruder werde, was er da einbrocke, schon einmal auszuessen haben, wenn ihn einst die sieben Erben und die geheimen Testamentsartikel für jedes Notariats-Verbrechen bei den Haaren nehmen, wie ja das sein tägliches Gebet zum Himmel sei. Walt fand nichts dabei unbegreiflich, als daß er – freilich mehr sein Petschaft – imstande sein sollte, die wichtigsten Dinge zu bestätigen, da er kaum begriff, wie er einst einen Ehemann oder Staatsbürger abgeben könnte statt einem leeren Jüngling.

Seinem Bruder schrieb er, wie er mitten unter den Instrumenten den Roman weiter webe, indem er so lange, bis eine Kopie abtrockne, ungehindert dichten könne – so wie D'Aguesseau behauptete, er habe viele seiner Werke im Zwischenraume gemacht, wo er sagte, qu'on serve, und wo man meldete, qu'il etoit servi. Aber Vult schrieb ihm Bitten und Gebote zurück, ums Himmels willen bei sich zu sein, sich nie zu irren, kein Stunden-Datum und andere Beiwerke der Kontrakte zu vergessen, nie zu abbrevieren mit Zeichen oder notis, obgleich notarius davon herstamme; – da er zumal sicher wisse, daß man jedem Federzug auflaure und daß ihm nur deshalb der Hoffiskal das Kunden-Heer zuweise.

Einst schrieb ihm etwas Ähnliches sein Vater Lukas – nachdem er bisher jeden dritten Tag mündlich deswegen gekommen war – in einem kalligraphischen, kopierten Briefe, worin er ihn bei der Erbschaft beschwor, in seinen Instrumenten nichts zu radieren, noch zweierlei Dinte zu nehmen, und darauf befragte, ob es außer Treibers Spatzenrecht, Kluvers Hundsrecht und Müllers Bienenrecht nicht noch Wespenrechte, Hühnerrechte und Rabenrechte gebe, und was das Bienenrecht statuiere, wenn einer nur eine Biene totmache oder ein paar. Der Sohn schickte eine höfliche und ernste Antwort mit einer Spielkarte, worein er einen Maxd'or als einen Ehrensold für den Rat gesteckt. Er hatte das Goldstück gegen übermäßiges Agio von Neupetern erwechselt, um seine Eltern durch das Gold (den Phönix und Messias des Landvolks) in den dritten Himmel zu werfen. Die Botenfrau mußt' ihm aber die Viertelstunde ihrer Ankunft bestimmen und beteuern, damit er erstlich bis dahin in den seligsten Träumen des nahen elterlichen Glückes schwimmen und zweitens doch noch die Viertelstunde kosten könne, wo er entschieden wußte, das ganze Haus in Elterlein sei nun außer sich vor Jubel über den Maxd'or und lasse Schomakern aus dem Schul- und die Goldwaage aus dem Pfarrhause darzu holen. So viel süßer wirds, lieber durch Boten als mit der Hand, lieber fernen Leuten als einem dasitzenden Mann zu schenken, der alles ausmacht, wenn er einsteckt und sich bedankt.

Seine alte Seelen-Schwester Goldine erhielt jetzt einen Brief. Vorn herein schrieb er: »er übertreib' es nicht, wenn er sowohl in Rücksicht seiner jetzigen Bekanntschaften als seiner künftigen Hoffnungen sich für ein Glückskind des gütigsten Schicksals erkläre; und nur mit griechischer Furcht vor der Nemesis bekenn' er, daß sein erster Ausflug fast zu glücklich, seine erste Ziel-Palme schon voll Früchte sei und seine Abende einen Abendstern besäßen, und die Morgen den Morgenstern.«

Darauf ging er weiter zur Malerei des Sommerlebens, an welche er sich ohne Furcht mit folgenden Farben machte:

»Schon der Sommer allein erhöbe! Gott, welche Jahres-Zeit! Wahrlich ich weiß oft nicht, bleib' ich in der Stadt, oder geh' ich aufs Feld, so sehr ists einerlei und hübsch. Geht man zum Tor hinaus: so erfreuen einen die Bettler, die jetzt nicht frieren, und die Postreiter, die mit vieler Lust die ganze Nacht zu Pferde sitzen können, und die Schäfer schlafen im Freien. Man braucht kein dumpfes Haus; jede Staude macht man zur Stube und hat dabei gar meine guten emsigen Bienen vor sich und die prächtigsten Zweifalter. In Gärten auf Bergen sitzen Gymnasiasten und ziehen im Freien Vokabeln aus Lexizis. Wegen des Jagdverbotes wird nichts geschossen, und alles Leben in Büschen und Furchen und auf Ästen kann sich so recht sicher ergötzen. Überall kommen Reisende auf allen Wegen daher, haben die Wagen meist zurückgeschlagen, den Pferden stecken Zweige im Sattel und den Fuhrleuten Rosen im Mund. Die Schatten der Wolken laufen, die Vögel fliegen darzwischen auf und ab, Handwerkspursche wandern leicht mit ihren Bündeln und brauchen keine Arbeit. Sogar im Regenwetter steht man sehr gern draußen und riecht die Erquickung, und es schadet den Viehhirten weiter nichts, die Nässe. Und ists Nacht, so sitzt man nur in einem kühlern Schatten, von wo aus man den Tag deutlich sieht am nördlichen Horizont und an den süßen warmen Himmels-Sternen. Wohin ich nur blicke, so find' ich mein liebes Blau, am Flachs in der Blüte, an den Kornblumen und am göttlichen unendlichen Himmel, in den ich gleich hineinspringen möchte wie in eine Flut. – Kommt man nun wieder nach Hause, so findet sich in der Tat frische Wonne. Die Gasse ist eine wahre Kinder-Stube, sogar abends nach dem Essen werden die Kleinen, ob sie gleich sehr wenig anhaben, wieder ins Freie gelassen, und nicht wie im Winter unter die Bett-Decke gejagt. Man isset am Tage und weiß kaum, wo der Leuchter steht. Im Schlafzimmer sind die Fenster Tag und Nacht offen, auch die meisten Türen, ohne Schaden. Die ältesten Weiber stehen ohne Frost am offnen Fenster und nähen. Überall liegen Blumen, neben dem Dintenfaß, auf den Akten, auf den Sessions- und Ladentischen. Die Kinder lärmen sehr, und man hört das Rollen der Kegelbahnen. Die halbe Nacht geht man in den Gassen auf und ab und spricht laut und sieht die Sterne am hohen Himmel schießen. Selber die Fürstin geht noch abends vor dem Essen im Park spazieren. Die fremden Virtuosen, die gegen Mitternacht nach Hause gehen, geigen noch auf der Gasse fort bis in ihr Quartier, und die Nachbarschaft fährt an die Fenster. Die Extraposten kommen später, und die Pferde wiehern. Man liegt im Lärm am Fenster und schläft ein, man erwacht von Posthörnern, und der ganze gestirnte Himmel hat sich aufgetan. O Gott, welches Freuden-Leben auf dieser kleinen Erde! Und doch ist das erst Deutschland! Denk' ich vollends an Welschland! – Goldine, dabei hab' ich noch die tröstende Aussicht, daß ich diesen Erntetanz der Zeit, den ich Ihnen hier in matter Prosa geschildert, weil ich Ihre Liebe, Ihr Vergeben kenne, mit ganz anderem poetischen Farben-Schmelze malen kann. – – Freundin, ich schreibe einen Roman. – Genug, genug! was ich sonst noch gefunden, was ich vielleicht nach anderthalb Stunden finde – Goldine, dürfte ich diese Freuden in Ihr Herz ausgießen! O müßt' ich nicht vor die glänzenden Sonnen-Wolken verhüllende Erdenwolken ziehen! – Addio, Carissima!«

Aber hier sprang er auf, ließ unabgeschrieben den Kaufbrief liegen, unter dessen Abfassung er heute eben vernommen, daß Klothar zurück und der Himmel in der Nähe sei, und lief in des Grafen Garten. Im Schreiben war Walt Befehlshaber seiner Phantasie beträchtlich, aber im Leben nur Diener derselben; wenn jene spielend ihm ihre Blumen und Früchte wechselnd in den Schoß hinein und über den Kopf hinüber warf: so drang unaufhaltsam sein ernsteres Herz seinen Gärten, seinem Gipfel zu und suchte den Zweig.

In Klothars Park hofft' er auf ein schönes Begegnen. Alle Fenster der Villa standen offen, aber kein Kopf darin. Der Gärtner, der ihn für einen Gartenfreund nahm, ging ihm nach der Sitte mit einem Blumenstrauß in der Hoffnung entgegen, er werde diese Gärtners-Blumen-Schwabacher und Fernschreiberei lesen können und ihm dafür ein paar Groschen schenken. Der Notar weigerte sich höflich vor dem blühenden Geschenke, nahm es endlich mit den dankbarsten Mienen an und drückte den aufrichtigsten Dank noch mündlich vor dem Gärtner aus, der sich mit den finstersten überwebte, weil er keinen Heller bekam. Selig strich der Notar durch die Gänge, in die dunkeln Busch-Nischen, an betitelte Felsen und Mauern, vor grüne Bänke der Aussichten – und überall flog ihm ein Blumenkranz auf den Kopf oder ein Sommervogel ans Herz, nämlich wahre Freuden, weil er überall ein Beet erblickte, woraus, wie er dachte, sein künftiger Freund sich einige Blumen oder Früchte des schnellen Lebens-Frühlings ausgezogen. »Der edle Jüngling kann« – sagte Gottwalt an den verschiedenen Plätzen – »wohl auf dieser Bank lang der Abendröte nachgesehen haben – in diesem Blütendickicht dämmernde Herzens-Träume ausgesponnen – auf dem Hügel wird er an Gott gedacht haben voll Rührung – Hier neben der Statue, o wenn er hier könnte die sanfte Hand seiner Geliebten genommen haben, falls er eine hat – wenn er betet, tat ers gewiß in diesem mächtigen Hain.«

Es gab wenige Bänke im Park, worauf er sich nicht niedersetzte, voraussetzend, Klothar habe früher da gesessen. – »Der englische Garten ist göttlich« – sagt' er abgehend zum stillen Gärtner an der Pforte – »abends erschein' ich gewiß wieder, liebster Mann.«


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