Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 22: Sassafras

Peter Neupeters Wiegenfest

Der Notarius konnte den ganzen Morgen nichts Gescheutes machen als Plane, an einem solchen Ehrentage ein neuerer Petrarca zu sein, oder ein in einem Dorfe gebrochner Juwel, der sich auf der Edelsteinmühle der Stadt schon sehr ausgeschliffen. Er hielt sich vor, das sei das erstemal, daß er in den schimmernden Tier-Kreis des feinsten Cercle oder Kränzchens rücke. »Gott, wie fein werden sie alles drehen«, sagte er sich, »und vor Tournüre kaum reden! Madame – kann der Graf sagen –, ich bin zu glücklich, um es zu sein. Herr Graf, kann sie versetzen, Ihr Verdienst und Ihre Schuld – Darf man das Erraten erraten? fragt er – Sollte Fragen mehr erlaubt sein als Antworten? fragt sie – Das eine erspart das andere, versetzt er – Oh Graf, sagt sie – Aber Madame, sagt er; denn nun können sie vor Feinheit nichts mehr vorbringen, und wenn sie toll würden. Ich für meine Person setze vieles in den Hoppelpoppel oder das Herz.«

Walt goß sich bei Zeiten seinen Sonntags-Beschlag, den Nanking, als sein eigner Gelbgießer über und setzte statt des braunflammigen Hutes – den wollt' er in der Hand tragen – mehr Puder als gewöhnlich auf. Er ging geputzt ein paar Stunden leicht auf und ab. Er hörte vergnügt einen Wagen nach dem andern vordonnern; »nur abgeladen!« sprach er, »lauter Fracht und Meßgut für den Roman, in dem ich Leute von Stande so nötig habe als Dinte. Und wie wird sich uns allen mein Klothar von so mannigfachen Seiten zeigen müssen; der alte treue Freund! Gott wird mir schon dazu verhelfen, daß ich auch etwas sagen kann zu ihm.«

Da er endlich bei einem neuen Rollen es für Zeit hielt, sich hinabzumachen und den Cercle zu schließen und zu runden mit seinem eignen Bogen und Bückling: so stellt' er sich oben, mit seinem Hute in der Hand, ans Treppengeländer und schauete so lange hiedurch hinab, bis er dem neuen Nachschuß sich zuschießen konnte, um so unbemerkt und ohne sonderliche Kurvaturen im Saale einzutreffen. Er glänzte sehr, der Saal, die vergoldeten Schlösser waren aus den Papier-Wickeln herausgelassen, dem Lüstre der Staub- und Bußsack ausgezogen, die Seiden-Stühle hatten höflich vor jedem Steiß die Kappen abgenommen, und auf dem getäfelten Fußboden war die Leinwand ganz von den Papiertapeten weggezogen, welche die ostindische Decke so zudeckten, daß diese sowohl sich als den getäfelten Fußboden an einigen Winkeln leicht zeigte. Den Salon selber hatte der Kaufmann, weil lebendige Sachen zuletzt jeden krönen, mit Gästen-Gefüllsel ordentlich wie ein hohes Pasteten-Gewölb satuiert, namentlich mit Aigretten – Chemisen – Schmink-Backen – Rotnasen – feinsten Tuchröcken – spanischen Röhren – Patentwaren und französischen Uhren, so daß vom Kirchenrat Glanz an bis zu netten Reisedienern und ernsten Buchhaltern sich alles mischen mußte. Der große Kaufmann sucht weiter in keine höchste Klasse zu kommen als in die der Gläubiger, wenn seine hohen Schuldner fallieren. Er, als kalter stiller Justierer des Verdienstes, schätzt gleich sehr den niedrigsten Bürger, wenn er Geld hat, und den höchsten Adel, wenn dessen altes Blut in silbernen und goldnen Adern läuft und dessen Stammbaum Nahrungs- und Handelszweige treibt. Freilich – so wie dem Pater Hardouin die Münzen der Alten mehr historische Glaubwürdigkeit hatten als alles Schriftliche derselben – so kann der abwägende Kaufmann Adels-Pergament und sonstige Ehren-Punktierkunst nie so hoch stellen als dessen Münzen, insofern er von fremder Zuverlässigkeit sprechen soll.

Schon die Anfurt des Ehrentages fand der Notar viel lustiger und leichter, als er nur hoffen wollen; denn er bemerkte bald, daß er nicht bemerkt wurde, sondern sich auf jeden Seidenstuhl setzen konnte und ihn zum Weberstuhl seiner Träume machen. Noch hatte er nichts vom Grafen noch vom Wiegenfest und den beiden Töchtern gesehen – als endlich Klothar, der Eßkönig, zu seiner Freude blühend hereintrat, obwohl in Stiefeln und Überrock, als hab' er sich mehr auf parlamentarische Wollen-Säcke zu setzen als auf seidne Agenten-Stühle. »Herr Hofagent,« sagt' er, ohne die Versammlung zu prüfen, »wenn Sie wollen, mich hungert verdammt.« Der Hofagent befahl Suppe und Töchter; denn er schätzte den Grafen längst und innigst, weil er als der Agioteur von dessen Renten am besten wußte, wie viel er war, besonders ihm selber; und er behauptete oft, einem Manne von so vielen jährlichen Einkünften solle doch jede vernünftige Seele es zugute halten, wenn er seine eignen Meinungen habe oder lese, was er wolle.

Plötzlich kam Musik – mit ihr die Suppenterrine mit gedruckten Geburtsfestliedern – dann die beiden Töchter mit einer langen Blumen-Guirlande, die sie Neupeter so geschickt über den Körper wanden, daß er in einem blühenden Ordensband dastand – die Komtoristen liefen und teilten die Gedichte aus – und zuerst ihrem Prinzipal ein vergoldetes – Nun fing andere Instrumentalmusik an, um das Karmen oder vielmehr den Gesang desselben zu begleiten – die Gesellschaft mit ihren Papieren in den Händen stimmte ihn an als ein längeres Tischgebet – und selber Neupeter sah singend in sein Blatt. Vult hätte nicht unter die gehört, die dabei am ernsthaftesten geblieben wären, zumal als der blumige Ordens-Mann sich selber ansang; aber wohl Gottwalt war dazu gemacht. Ein Mensch, sobald er an seine Geburt denkt, ist so wenig lächerlich, als es ein Toter sein kann; da wir, wie sinesische Bilder, zwischen zwei langen Schatten oder langen Schlummern laufen, so ist der Unterschied nicht groß, an welchen Schatten man denke. Walt quälte sich mit leisem Singen bei schlechter Stimme; und als es vorbei und der Alte sehr gerührt war über das fremde Gedächtnis für sein Wiegenfest bei eigner Vergeßlichkeit und die Seinigen ihm früher gratulierten als die Fremden: so war kein Glückwunsch so aufrichtig in irgendeinem Herzen als Gottwalts ferner und stiller; aber es beklemmte ihn, daß der Mensch – »besonders, seh' ich, an Höfen«, dacht' er – gerade den heiligen Tag, wo er sein erneuertes Leben überrechnen und ebnen sollte, im Rauschen fremder Wellen verhört – daß er das neue Dasein mit der lärmenden Wiederholung des alten feiert, anstatt mit neuen Entschlüssen – daß er statt der einsamen Rührung mit den Seinigen, deren Wiegen oder Gräber seinen ja am nächsten stehen, den undankbaren Prunk und trockne Augen sucht. Der Notar setzte sich vor, seinen ersten Geburtstag, an den ihn ein guter Mensch erinnere – denn noch hatt' er in seiner harten Armut keinen einzigen erlebt –, ganz anders zu begehen, nämlich sehr weich, still und fromm. – –

Man setzte sich zu Tisch. Walt wurde neben den zweiten armen Teufel – Flitten – als der erste postiert und rechts neben den jüngsten Buchhalter. Ihm verschlugs wenig; ihm gegenüber saß der Graf. Rund wie Geld, das wie der Tod alles gleichmacht, war die Tafel, gleichsam ein größerer Kompagnie-Teller. Der Notar, ganz geblendet von der Neuheit des Geschirres und dessen Inhalts, streckte statt seiner sonstigen zwei linken Hände zwei rechte aus und suchte mit wahrem Anstand zu essen und den Ehren-Säbel des Messers zu führen; belesen genug, um mit der Breite des Löffels zu essen, nicht mit der Spitze, erhielt er sich bloß bei bedenklichen Vorfällen durch die alte Vorsicht im Sattel, nicht eher anzuspießen, bis ihm andere das Speisen vorgemacht; wiewohl er sie bei den Artischocken so wenig für nötig erachtete, daß er, Beweisen nach, deren bittern Stuhl und die Spitzblätter aufkäuete, die er hätte in die holländische Sauce getunkt ablecken können und sollen. Was ihm indes weit besser schmeckte als alles, was darin lag, waren die Senfdosen, Dessertlöffel, Eierbecher, Eistassen, goldne Obstmesser, weil er das neue Geschirr in seinen Doppelroman als in einen Küchenschrank abliefern konnte: »Esset ihr in Gottesnamen«, dacht' er, »die Kibitzen-Eier, die Mainzer Schinken und Rauch-Lächse; sobald ich nur die Namen richtig überkomme durch meinen guten Nachbar Flitte, so hab' ich alles, was ich für meinen Roman brauche, und kann auftischen.«

In die höchste Schule der Lebensart gingen seine Augen bei dem Grafen, der keine Umstände machte – geradezu weißen Portwein forderte – und einen Kapaunenflügel mit nichts abschälte als mit dem Gebiß – des Gebacknen nicht zu gedenken, das er mit den Fingern annahm. Diese schöne Freiheit – eingekleidet noch in Stiefeln und Überrock – spornte Walten an, daß er, als mehrere Herren Konfekt einsteckten für ihre Kinder, sich es zur Pflicht und Welt rechnete, auch einige süße Papierchen oder Süßbriefchen, die ihm ganz gleichgültig waren, in die Tasche zu schaffen. Auch sein Nachbar Flitte, der ungemein fraß und foderte, zeigte deutlich, wie man zu leben habe – besonders wovon.


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