Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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»Ich tauge nicht zu Wendungen, wie Sie hören, Herr Sekretär. Empfangen Sie meine offne Bitte gutmütig auf einmal.« Es war diese: da Raphaelens Geburtsstunde in die Nachmitternacht oder Morgenstunde des Neujahrs einfalle: so wolle sie durch den Beistand Engelbertens sie durch leises Ansingen zur Feier des erneuerten Lebens wecken; wünsche aber zur dürftigen Stimme eine Begleitung, nämlich die Flöte, und an wen könne sie sich schicklicher wenden als an Herrn von Harnisch? – Walt schwur freudig, dieser blase freudig dazu.

Sie bat auch um das Setzen des Gesangs; Walt schwur wieder. »Aber sogar um die Verse dazu muß ich Ihren werten Freund angehen,« – setzte sie unbeschreiblich-lieblich lächelnd hinzu – »da ich ihn aus unserer Zeitung als einen weichen Dichter des Herzens kenne.« –

Ganz froh erstaunt fragte Walt, was Vult darin gemacht. Sie sagt' ihm – mit der den Literatoren noch gewöhnlichern Verwechslung gleicher Namen – folgende Polymeter von ihm selber her:

Das Maiblümchen

Weißes Glöckchen mit dem gelben Klöppel, warum senkst du dich? Ist es Scham, weil du, bleich wie Schnee, früher die Erde durchbrichst als die großen stolzen Farbenflammen der Tulpen und der Rosen? – Oder senkst du dein weißes Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue Erde auf der alten erschafft, oder vor dem stürmenden Mai? Oder willt du gern deinen Tautropfen wie eine Freuden-Träne vergießen für die junge schöne Erde? – Zartes, weißes Knospenblümlein, hebe dein Herz! Ich will es füllen mit Blicken der Liebe, mit Tränen der Wonne. O Schönste, du erste Liebe des Frühlings, hebe dein Herz!
 

Walten waren unter dem Zuhören vor Freude und Liebe und vor Dichtkunst die Augen übergegangen – und Wina hatte mitgeweint, ohne es zu merken –; darauf sagt' er: »Ich habe wohl den Vers gemacht.« –

»Sie, Lieber?« – fragte Wina und nahm seine Hand – »und alle Polymeter?« – »Alle«, lispelte er. Da blühte sie wie das Morgenrot, das die Sonne verspricht, und er wie die Rose, die schon von ihr erbrochen ist. Aber einander verborgen hinter den froher nachquellenden Tränen, glichen sie zwei Tönen, die unsichtbar zu einem Wohllaut zittern; sie waren zwei gesenkte Maienblümchen, einander durch fremdes Frühlingswehen mehr nachbewegt als angenähert.

Jetzt hörte sie den Vaterstritt. »Und Sie machen den Text für den Geburtstag?« sagte sie. – »O!« (versetzte er) – »Ja, ja!« und durfte nicht fortreden, weil Zablocki eintrat und mit dem Väter- und Gatten-Schnauben ihr den arbeitsamen Verzug vorrückte, da sie, wie er sagte, wisse, daß die Neupeters – dahin fuhr er mit ihr – Bürgerliche wären, und eh' er solche im Kleinsten manquiere, komm' er lieber bei seinesgleichen um Stunden zu spät. Sie floh dahin; er rief sie aber zurück, um selber mit einem Schlüsselchen, so groß wie ein Staubfaden, ein goldnes Schloß an einer Kette auf ihrem schönen Halse aufzuschließen und sie abzunehmen. Unter dem Aufsperren sah sie gutmütig dem Vater ins Auge; dann warf sie scheidend dem Notar einen Flugblick voll Weltall zu.

Kauen und Schlucken unter einem Adagio Pianissimo einer Tafelmusik hätte Walten nicht so widerstanden als die Annahme von Kopiergebühren, die ihm der General jetzt aufnötigen wollte. Das Weigern hielt dieser anfangs scherzend aus, bis er durch den Argwohn, Walt handle aus Ehrgefühl, sein eigenes so beleidigt fand, daß er so heftig schwur, ihn, wenn er nicht gehorche, nie mehr zu einem Notariats-Instrument ins Haus zu lassen, daß Walt sich entschloß, sich seine Himmelspforte nicht selber zuzuriegeln.

Nun war er allein und zum letztenmale als Kopist im Zimmer; und hatte, was der Mensch zum feinsten Glücke braucht, nämlich einen Widerspruch der Wünsche: er wünschte nicht nur wegzukommen, um über Winas Kopf zu Hause mit Sternen-Träumen auf- und abzuschweben, sondern auch da zu bleiben, da er das Krönungs-Zimmer seines Lebens zum letztenmale bewohnte. Die Sonne fiel immer feuriger hinein und vergoldete es zu einer Zauberlaube im elysischen Haine. Als er es verließ, war ihm, als falle ein blühender Zweig herab, worauf bisher die Nachtigall seiner Seele gesungen.

Wie lag zu Hause, wo ihm nichts fehlte als Vult – aber dieser kaum –, das Leben und der Traum im Leben wie vergoldetes Gewölk um ihn her! Tausend Paradieses-Zweige schlugen über ihm unsichtbar zusammen und durchzogen ihn heimlich mit einem berauschenden Blüten-Dufte, in dessen Eden er nicht hineinsehen konnte. Wenn bisher die Wolke zu stehen schien und der Mond zu fliehen: so sah er jetzt die Flucht der Wolken unter dem festen schönen Gestirn.

»Wenn sie nur recht innig liebt,« – dacht' er – »gesetzt auch, sie meinte mich nicht allein; die Hauptsache ist ihre Wonne. Sie sollte dazu ordentlich mehrere Mütter haben, mehrere Väter und unzählige Freundinnen!« Er freuete sich mehr als dreißigmal über die Freude, womit Wina die Neujahrs-Nacht und jetzt unter seinen Füßen die Freundin anschauen werde. Daß sie ihn liebe und achte, wußt' er nun recht; aber nicht wie stark; – den höchsten Grad ihrer Liebe gegen ihn sich jetzt zu denken, hieß ihm, sich abzuzeichnen, wie ihm sein würde, wenn man ihn auf Millionen Weltstufen auf die Gipfel-Sonne geleitete, um ihn, den Notar, zum Gott zu krönen.

Er hatte schon viel von dem Geburtstags-Gedicht ohne sein Wissen ausgearbeitet – bloß durch das Denken an Winas Bitte –, als endlich Vult erschien. In der Angst, dieser schlage aus Kälte gegen Raphaela und den Adel das Musikfest ab, wollt' er ihn etwas künstlich, wie in einem englischen Garten, auf feinen Schlangenlinien und mit Mäandern vor den Vorschlag wie vor ein Denkmal führen. »Leider schrieb ich heute das letztemal beim General«, sagt' er mit der seligsten Miene von der Welt. »Du willst sagen ›Gottlob‹«, sagte Vult. Walt stolperte schon vornen in den Mäander hinein und ertrank fast. »Ich hoffte bisher,« versetzte Vult, »du solltest mich Stimmen-Narren allmählich beim Vater einführen, damit die Tochter sänge, wenn ich bliese.« – »Beides«, schlug Walt heraus, »kannst du ohne ihn und mich jetzt haben, dies hab' ich dir sogar vorzuschlagen.«

Der Flötenspieler fragte heftig. Walt bestand aber darauf, daß er, bevor er deutlich werde, ihm einen einzigen Zug von Raphaelen geben dürfte; es war der schöne vom Verschweigen des Krankseins.

Es gab keinen Charakterzug von der Welt, den der Flötenspieler je mit einem so abstrebenden Gesichte sich vorzeichnen lassen, als diesen; doch zog er den satirischen zuckenden Stachel in die Scheide zurück, um nur den Vorschlag zu bekommen.

Walt quälte ihn so lange um sein Urteil hierüber, daß er losbrach: »Ich schwöre dir ja, ich schätze die Handlung; der Teufel und seine Großmutter könnten nicht zärter verfahren; es ist eine Redensart, ich meine wir beide. Nun sprich!« –

Walt schlugs vor.

»Du bist ein guter Mensch« – sagte Vult mit einer schwer zu bergenden Erfreuung – »ich nehm' es willig an. Ich scherze überhaupt oft bloß. Als Mietsmann zeig' ich der Tochter vom Hause so gerne einige Aufmerksamkeiten – und ich soll es. Doch die Wahrheit zu sagen – ein böser Ausdruck, gleichsam als habe man vorher keine gesagt –, so stimmt mich hier Wina mit ihrer reinen rollenden Perlen-Stimme noch mehr. Gott! wie kann nicht eine Singpartie gesetzt werden (besonders von mir), wenn man das edle Portamento der Sopran-Person, deren diminuendo und crescendo und ihre herrliche Vereinigung von Kopf– und Brust–Stimme – du verstehst mich unmöglich, Bruder, ich spreche als Künstler – dermaßen kennt wie ich! Mensch, glaubst du, daß ich damals, als ich sie in Elterlein hörte, schwur, sie soll mit meinem Willen nie mehr à secco singen? – à secco, Walt, heißt nämlich allein; ein Punsch-Royalist wie ich kommt freilich auch leicht aufs Trockne, aber anders.«

Walten schien es ein wenig, als komme Vult eben nicht vom festen Lande her. Beider Abend wurde aber im Feuer der Liebe vergoldet. Jeder glaubte, er sehe über den Paradieses-Strom hinüber recht gut die Quelle der Freude des andern von weitem rauchen und nebeln. Walt zwang ihn scherzhaft, es auf einen Bogen zu schreiben, daß er morgen noch der heutigen Meinung sein und blasen und setzen wolle. Vult schrieb: »Ich will, wie Siegwart, den Mond zu meinem Bettwärmer machen – oder ein Lauffeuer im Laufe aufhalten – ja ich will die erste beste Glacière von Prüde heiraten und mir es also gefallen lassen, daß eine Jungfrau die Früchte der Glutzeit zu Eiszieraten ausquetscht, z.B. zu Rosen- und Aprikoseneis, zu Stachelbeereneis, zu Zitroneneis: wenn ich nicht die beste Flötenmusik sogleich Mozartisch setze und blase zur Zauberflöte, in der Minute, wo diese mein Bruder gedichtet und aufgeschrieben hat; und ich entsage jeder Exzeption, besonders der, daß ich heute nicht gewußt hätte, was ich morgen wollte.« –

»Ein wahrer Schelm ist doch mein Walt« – dacht' er im Bette –; »würde ihn ein anderer wohl im Hauptpunkte so durchschauen wie ich? – Kaum!«


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