Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 48: Strahlkies

Die Rosenhöfer-Nacht

Weder Jakobine noch der General machten je ein Geheimnis daraus – nämlich aus ihrem wechselseitigen; – es kann also die Anverwandten von beiden auf keine Weise zu etwas Juristischem gegen den Verfasser der Flegeljahre berechtigen, wenn er im Strahlkies bloß kalt erzählet, daß Zablocki ein wenig in den nächsten Garten spazieren gegangen, und die Aktrice Jakobine zufällig nicht sowohl als in der guten Absicht, von ihrer Rolle der Johanna von Montfaucon im Freien zu verschnaufen. Noch viel weniger als schreibende Verfasser sind von hohen Anverwandten allgemeine Sätze anzugreifen, wie z.B. dieser: daß sehr leicht der weibliche theatralische Lorbeer sich rückwärts in eine Daphne verwandle – und der Satz, daß eine Schauspielerin nach einer schweren tragischen Tugend-Rolle am besten ihr eignes Theater aux Italiens und ihre eigne Parodie werde – am wenigsten dieser, daß das Militär, es sei auf Kriegs- oder Friedensfuß, den griechischen Möbeln gleiche, die meistens auf Satyrfüßen standen – und endlich der, daß wohl nichts einander mehr sucht und ähnlich findet (daher schon die Worte Kriegstheater und Theaterkrieg, Aktion und Staatsaktion, Truppen) als eben Theatertruppen die Kriegstruppen, und vice versa.

Ich fahre also, nachdem ich berichtet, daß beide spazieren gegangen, gleich ihnen ruhig und ungestört, hoff' ich, fort.

Walts Gesicht wurde eine Rose unter dem Ausbleiben des Vaters. Wina heftete die Augen, die sich wie süße Früchte unter das breite Laub der Augenlider versteckten, unter dem Hute auf ihr Strickzeug nieder, das einen langen Kinderhandschuh vollendete. Über den Notar kam nun wieder die Furcht, daß sie ihn als den Auslieferer ihres Briefes zu verabscheuen anfange. Er sah sie nicht oft an, aus Scheu vor dem zufälligen Augen-Aufschlag. Beide schwiegen. Weibliches Schweigen bedeutet – ohnehin als das gewöhnlichere – viel weniger als männliches. Die befeuernde Wirkung, welche der Wein hätte auf den Notar tun können, war durch seine Anstrengung, den feinsten Gesellschafter zu spielen, niedergehalten worden. Indes wär' ihm die Lage nicht unangenehm gewesen, wenn er nur nicht jede Minute hätte fürchten müssen, daß sie – vorbei sei.

Endlich sah er sehr scharf und lange auf den Strick-Handschuh und wurde so glücklich, sich einen Faden der Rede daraus zu ziehen; er schöpfte nämlich die Bemerkung aus dem Handschuh, daß er oft stundenlang das Stricken besehen, und doch nie begriffen.

»Es ist doch sehr leicht, Herr Harnisch«, versetzte Wina, nicht spöttisch, sondern unbefangen, ohne aufzublicken.

Die Anrede: »Herr Harnisch« jagte den Empfänger derselben wieder in die Denk- und Schweig-Kartause zurück. – »Wie kommts,« – sagt' er, spät heraustretend und den Strick-Faden wieder aufnehmend – »daß nichts so rührend ist als die Kleidungsstücke der lieben Kinder, z. B. dieses hier – so ihre Hütchen – Schühchen? – – Das heißet freilich am Ende: warum lieben wir sie selber so sehr?« –

»Es wird vielleicht auch darum sein,« – versetzte Wina und hob die ruhigen vollen Augen zum Notar empor, der vor ihr stand – »weil sie unschuldige Engel auf der Erde sind, und doch schon viele Schmerzen leiden.«

»Wahrhaftig, so ist es« – (beteuerte Walt, indem Wina wie eine schöne stille Flamme glänzend vor ihm aufstand, um ihr Mädchen herzuklingeln) – »Und wie dürfen Erwachsene klagen? – Ich will wahrlich das Sterben eines Kindes« (setzt' er hinzu und folgte ihr einige Schritte nach) »ertragen, aber nicht sein Jammern; denn in jenem ist etwas so heilig-schauerliches.« Wina kehrte sich um und nickte.

Luzie kam; Wina fragte, ob der General ihr nichts aufgetragen. Luzie wußte von nichts, als daß sie ihn in den nahen Garten hinein spazieren sehen. Rasch trat Wina ans mondhelle Fenster, atmete einmal recht seufzend ein und sagte schnell: »Den Schleier, Luzie! Und du weißt es gewiß, liebes Mädchen, und auch den Garten?« – Mit einer leisen Stimme, wie nur eine mährische Schwester anstimmen kann, versetzte Luzie: »Ja, Gnädigste!« Wina warf den Schleier über den Hut und redete, hinter diesem gewebten Nebel und fliegenden Sommer unbeschreiblich blühend und liebreizend, den Notarius mit sanftem Stocken an: »Lieber Herr Notar – Sie lieben ja auch, wie ich hörte, die Natur – und mein guter Vater« – –

Er war schon nach dem Hut-Stock geflogen und stand bewaffnet und reisefertig da – und ging hinter beiden mit hinaus. Denn ein fremdes Zimmer zu verlassen, fühlt' er sich ganz berechtigt. Indes aber solches geschlossen wurde, kam er wieder voraus zu stehen, nahe an der Treppe; – und in ihm fing ein kurzes Treffen und Scharmützel an über die Frage, ob er mit entweder dürfe oder solle – oder weder eines noch das andere. Wina konnte ihn nicht zurückrufen – und so kam er, innen fechtend, auf die Treppe und trug das stille Handgemenge bis zur Haustüre hinaus.

Da ging er ohne weiteres mit und setzte den Hut von seinem Stock auf den Kopf; aber er zitterte, nicht sowohl vor Furcht oder vor Freude, sondern vor einer Erwartung, die beide vereinigt. O es ist eine lächerliche und reine Zeit im frühen Jünglingsalter, wo im Jüngling die alte französische Ritterschaft mit ihrer heiligen Scheu erneuert und wo der Kühnste gerade der Blödeste ist, weil er seine Jungfrau, für ihn eine von dem Himmel geflogne, eine nach dem Himmel fliegende Gestalt, so ehret wie einen großen Mann, dessen Nachbarschaft ihm der heilige Kreis einer höhern Welt ist, und dessen berührte Hand ihm eine Gabe wird. Unselig, schuldvoll ist der Jüngling, der niemals vor der Schönheit blöde war.

Die drei Menschen gingen durch eine waldige Gasse dem Garten zu. Der Mond zeichnete die wankende Gipfel-Kette auf den lichten Fußsteig hin, mit jedem zitternden Zweig. Luzie erzählte, wie schön der Garten und besonders eine ganz blaue Laube darin sei, aus lauter blauen Blumen gewebt. Blauer Enzian – blaue Sternblumen – blauer Ehrenpreis – blaue Waldreben vergitterten sich zu einem kleinen Himmel, worin gerade im Herbst keine Wolke, d. h. keine Knospe war, sondern offne Ätherkelche.

»Da die Blumen leben und schlafen,« sagte Walt bei diesem Anlaß, »so träumen sie gewiß auch, so gut wie Kinder und Tiere. Alle Wesen müssen am Ende träumen.« – »Auch die Heiligen und die heiligen Engel?« fragte Wina. »Ich wollte wohl sagen Ja,« – sagte Walt – »insofern alle Wesen steigen und sich also etwas Höheres träumen können.« – »Ein Wesen ist aber auszunehmen«, sagte Wina. – »Gewiß! Gott träumet nicht. Aber wenn ich nun die Blumen wieder betrachte, so mag wohl in ihren zarten Hüllen der dunkle Traum von einem lichtern Traume blühen. Ihre duftende Seele ist nachts zugehüllt, nicht durch bloße Blätter, sondern wahrhaft organisch, wie denn unsere auch nicht durch bloße Augenlider zugeschlossen wird. Sobald nun einmal die farbigen Wesen am Tage Licht und Kraft verspüren: so können sie ja auch nachts einen träumerischen Widerschein des Tages genießen. Der Allsehende droben wird den Traum einer Rose und den Traum einer Lilie kennen und scheiden. Eine Rose könnte wohl von Bienen träumen, eine Lilie von Schmetterlingen – in dieser Minute kommt es mir ordentlich fast gewisser vor – das Vergißmeinnicht von einem Sonnenstrahl – die Tulpe von einer Biene – manche Blume von einem Zephyr – Denn wo könnte denn Gottes oder der Geister Reich aufhören? Für ihn mag wohl ein Blumenkelch auch ein Herz sein, und umgekehrt manches Herz ein Blumenkelch.« –

Jetzt traten sie in den Zauber-Garten ein, dessen weiße Gänge und finstere Blättergruppen einander wechselnd färbten. Die Berge waren, wie Nachtgötter, hoch aufgestanden und hoben ihr dunkles Erdenhaupt kühn unter die himmlischen Sterne hinein. Der Notar sah den bisher auseinanderliegenden Farbentau der Dichtung an Winas Hand sich als einen Regenbogen aufrichten und im Himmel stehen als der erste glänzende Halbzirkel des Lebens-Kreises.

Er wurde – so wie Wina immer einsylbiger – immer vielsylbiger und betrank sich im Taufwasser seiner Worte, das er über jeden Berg und Stern goß, der ihnen vorkam. Es gab wenige Schönheiten, die er nicht, wenn er vorbeiging, abschilderte. Es war ihm so wohl und so wohlig, als sei die ganze schimmernde Halbkugel um ihn nur unter seiner Hirnschale von einem Traume aufgebauet und er könne alles rücken und rauben und die Sterne nehmen und wie weiße Blüten herunterschlagen auf Winas Hut und Hand. Je weniger sie ihn unterbrach und abkühlte: umso größer machte er seine Ideen und tat zuletzt die größte, jene ungeheure auf, worin die Welt zerschmilzt und blüht, so daß Luzie, die bisher weltliche Lieder murmelnd gesungen, damit aufhörte, aus Scheu vor Gottes Wort.


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