Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Klothar versetzte: »Dann verkennen Sie meine Denkweise. Wie? kann man aus dem Aussetzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B. einer elektrischen, einer somnambulistischen, auf ihre Unmöglichkeit schließen? Nur aus positiven Erscheinungen ist zu beweisen; negative sind ein logischer Widerspruch. Kennen wir die Bedingungen einer Erscheinung? So viele Menschen und Jahre gehen vorüber, kein Genie ist darunter; – und doch gibts Genies; – könnt' es nicht ebenso mit den Sonntags-Kindern sein, die Augen und Verhältnisse für Geister haben? – Was Ihre Alltäglichkeit, die Sie einwenden, anlangt, so gilt diese auch für jede positive Religion, die sich in die Alltäglichkeit ihrer ersten Apostel versteckt; alles Geistige schmiegt sich so scheinbar an das Natürliche an wie unsere Freiheit an die Naturnotwendigkeit

Glanz äußerte: er wünsche nun doch sehr zu erfahren, was die zweite Meinung für sich habe.

Klothar versetzte: »Zuerst die damaligen Zeugen für die erste. Um eine Frau zu verurteilen, brauchte man statt der Tatsachen nur Zeugenschlüsse; meistens aus drei ganz fremden Tatsachen, aus dem Alpdruck, dem Drachen-Einflug und einem schnellen Unglück, z.B. Tod des Viehes, der Kinder etc., schlossen die Zeugen, und ihre Schlüsse waren ihre Zeugnisse.

Zweitens lief der ganze Zauber-Erfolg auf ein Raupen- oder Schnecken- oder anderes Schadenpulver hinaus, das der Buhle, der Teufel, dem getäuschten Weibe nebst einem Antritts- oder Werbe-Taler gab, den sie zu Hause oft als eine Scherbe befand. Die Macht des Teufels gab ihr weder Reichtum, noch einen Schutzbrief gegen den Scheiterhaufen. Ich schließe aus allem, daß damals die Männer sich des Zauberglaubens bedienten, um unter der leichten Verkleidung eines teufelischen Buhlen die Weiber schnöde zu mißbrauchen; ja daß vielleicht irgendeine geheime Gesellschaft ihren Landtag unter die Hülle eines Hexen-Tanzes verbarg. Immer machten Männer in den Hexenprozessen den Teufel gegen die Weiber, selten umgekehrt. – Nur unbegreiflich bleibts, daß die Weiber bei dem damaligen Schauder vor dem Teufel, so wie vor der Hölle, sich nicht vor seiner Erscheinung und vor der höllischen UmtaufeBekanntlich hob der Buhle die erste Taufe durch eine unreine wieder auf. und Apostasie entsetzet haben.«

Glanz lächelte, äußerte aber, jetzt träfen sie beide ja vielleicht zusammen –

Klothar versetzte sehr ernst: »Kaum! denn eine Nachspielerei hebt ein Urbild nicht auf, sie setzt eben eines voraus. Noch mangelt eine rechte Geschichte des Wunder-Glaubens oder vielmehr des Glaubens-Wunders – von den Orakeln, Gespenstern an bis zu den Hexen und sympathetischen Kuren; – aber kein engsichtiger und engsüchtiger Aufklärer könnte sie geben, sondern eine heilige dichterische Seele, welche die höchsten Erscheinungen der Menschheit rein in sich und in ihr anschauet, nicht außer ihr in materiellen Zufälligkeiten sucht und findet – welche das erste Wunder aller Wunder versteht, nämlich Gott selber, diese erste Geistererscheinung in uns vor allen Geistererscheinungen auf dem engen Boden eines endlichen Menschen.«...

Hier konnte sich der Notar nicht länger halten; eine solche schöne Seelenwanderung seiner Gedanken hatt' er in dem hohen Jüngling nicht gesucht: »Auch im Weltall«, hob er an, »war Poesie früher als Prosa, und der Unendliche müßte vielen engen prosaischen Menschen, wenn sie es sagen wollten, nicht prosaisch genug denken.«

»Was wir uns als höhere Wesen denken, sind wir selber, eben weil wir sie denken; wo unser Denken aufhört, fängt das Wesen an«, sagte Klothar feurig, ohne auf den Notarius sonderlich hinzusehen.

»Wir ziehen immer nur einen Theater-Vorhang von einem zweiten weg und sehen nur die gemalte Bühne der Natur«, sagte Walt, der so gut wie Klothar etwas getrunken. Keiner antwortete mehr recht dem andern.

»Gäb' es nichts Unerklärliches mehr, so möcht' ich nicht mehr leben, weder hier noch dort. Ahnung ist später als ihr Gegenstand; ein ewiger Durst ist ein Widerspruch, aber auch ein ewiges Trinken ist einer. Es muß ein Drittes geben, so wie die Musik die Mittlerin ist zwischen Gegenwart und Zukunft«, sagte der Graf.

»Der heilige, der geistige Ton wird von Gestalten geschaffen, aber er schafft wieder Gestalten«Die Figuren auf klingenden Glasscheiben. , sagte Walt, den die Fülle der Wahrheit allein fortzog, nicht einmal mehr der Wunsch der Freundschaft.

»Eine geistige Kraft bildet den Körper, dann bildet der Körper sie, dann aber bewegt sie am mächtigsten auf der Erde die Körper«, sagte Klothar.

»O die unterirdischen Wasser der tiefen zweiten Welt, die den gemeinen weltweisen Berg-Knappen in seinem Bergbau stören und ersäufen, ihn, der Höhen nur zum Durchbohren und Vertiefen haben will – diese sind eben für den rechten Geist der große Todesfluß, der ihn in den Mittelpunkt zieht«... sagte Walt; er stand längst aufrecht am Tisch und hört' und sah nicht mehr.

»Echte Spekulation« – – fing der Graf an.

»Mr. Vogtländer« – unterbrach Neupeter, sich zum Buchhalter wendend und Klotharn am Arm haltend, da er gelehrten Diskursen ebensogern zuhörte als entsprang – »die 23 Ellen Spekulation haben Sie doch heute gebuchet?d. h. zu Buch gebracht. – Spekulation ist in Neupeters Sinn ein ungekreuzter halbleinener, halbseidener Pariser Zeug, der sich von der enzyklopädistischen Spekulation, ebenfalls da gewebt, zu seinem Vorteil unterscheidet. Nun aber weiter, Herr Philosoph!« –

Der Graf hörte den Mißton des Mißgriffs und schwieg und stand gern auf, die vergessene, längst wartende Gesellschaft noch lieber. Des Notars Keckheit und Rede-Narrheit hatte am meisten sie unterhalten. Der Kirchenrat Glanz hatt' es seinen Nachbarn leise zu verstehen gegeben, was sie von den gräflichen Sätzen zu halten hätten, und daß dergleichen ihn nicht weniger langweilte und anekelte als jeden.

Walt war in den dritten Himmel gefahren und behielt zwei übrig in der Hand, um sie wegzuschenken. Er und der Graf trugen nun – nach seinem Gefühl – die Ritterkette des Freundschafts-Ordens miteinander; nicht etwan, weil er mit ihm gesprochen – der Notar dachte gar nicht mehr an sich und seinen Wunsch der Audienz –, sondern weil Klothar ihm als eine große, freie, auf einem weiten Meere spielende Seele erschien, die alle ihre Ruderringe abgebrochen und in die Wellen geworfen; weil ihm sein kecker Geistes-Gang groß vorkam, der weniger einen weiten Weg als weite Schritte machte, und weil der Notar unter die wenigen Menschen gehörte, die mit unähnlichem Werte sympathisieren, wie das Klavier von fremden Blas- und Bogen-Tönen anklingt.

So lieben Jünglinge; und aller ihrer Fehler ungeachtet ist ihnen, wie den Titanen, noch der Himmel ihr Vater, die Erde nur ihre Mutter; aber später stirbt ihnen der Vater, und die Mutter kann die Waisen schwer ernähren.

Wie ganz anders – nämlich viel weniger schleichend, weniger stillgiftig, vipernkalt und vipernglatt – stehen die Menschen von Tafeln, selber an Höfen, auf, als sie sich davor niedergesetzt! Wie geflügelt, singend, das Herz federleicht und federwarm! – Neupeter bot leicht seinen Park dem Grafen an – der schlug ein – Walt drang nach. Unterwegs riß der Agent sein blumiges Ordens-Band entzwei und steckt' es ein, weil er, sagt' er, nicht wie ein Narr aussehen wolle.


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