Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 5: Vogtländischer Marmor mit mäusefahlen Adern

Vorgeschichte

Der Schultheiß Harnisch – der Vater des Universalerben – hatte sich in seiner Jugend schon zum Maurergesellen aufgeschwungen und wäre bei seinen Anlagen zu Mathematik und Stubensitzen – denn er las Sonntage lang draußen im Reiche – weit gekommen, hätt' er sich nicht an einem frohen Marientage in einem Wirtshause in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen, in die Flasche. Vergeblich wollt' er am andern Morgen aus dem engen Hals wieder heraus; sie hatten ihn fest und darin. Er war unschlüssig, sollt' er hinausschleichen und sich in der Küche die Vorderzähne ausschlagen, um keine für die Patronen zum Regimente zu bringen, oder sollt' er lieber – denn es konnt' ihn doch die Artillerie als Stückknecht fassen – vor den Fenstern des Werb- und Wirtshauses einen Dachsschliefer niedermachen, um unehrlich zu werden und dadurch nach damaliger Sitte kantonfrei. Er zog die Unehrlichkeit und das Gebiß vor. Allein der erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber-Händen los, aber er biß ihn wie ein Zerberus aus seiner Gewerkschaft aus.

»Nu, nu,« sagte Lukas in seinen Land-Bildern, »lieber einen Schlitz in dem Strumpf aufgerissen, als einen in der Wade zugenäht.« – So sehr floh er, wie ein Gelehrter, den Wehrstand.

Damals starb sein Vater, auch Schultheiß; er kam nach Hause und war der Erbe des Hauses wie der Kronerbe des Amts; obwohl seine Krongüter in Kron-Schulden bestanden. In kurzem vermehrte er diese Krongüter beträchtlich. Er warf sich mit Leib und Seele auf das Jus – versaß seine kanonischen Stunden an angeborgten Akten und gekauften Büchern, teilte auf alle Seiten umsonst responsa aus, ganze Bogen und Tage lang – jeden Schulzen-Aktus berichtete er schriftlich und konzipierte und mundierte das Schreiben mit schöner gebrochener Fraktur und schiefer Kurrent, wobei ers noch für sich selber kopierte – schauete als Schulz überall nach, lief überall hin und regierte den ganzen Tag. Durch alles dieses blühte wenigstens das Dorf mehr als seine Äcker und Wiesen, und das Amt lebte von ihm, nicht er vom Amte. Er konnte gleich den besten Städtern, die ein gutes Haus machen, sich nun, wie die Sorbonne, als das ärmste unterschreiben (pauperrima domus). Alle verständige Elterleiner traten darin einander bei, daß er ohne sein hantierendes Weib – eine gesunde Vernunft in corpore –, das an einem Morgen für Vieh und Menschen kochte, grasete, mähte, längst mit dem Schulzenzepter in der einen Hand und mit dem Bettelstabe in der andern hätte von seinem regierenden Haus und Hof ziehen müssen, wovon er eigentlich nur der Pächter seiner Gläubiger war.

Nur eine Arzenei gabs für ihn, nämlich den Entschluß, das Haus und dadurch die Schultheißerei wegzugeben. Aber er ließ sich ebensogerne köpfen, als er diese Arzenei nur roch oder einnahm, einen Gifttrunk seiner ganzen Zukunft.

Erstlich war die Dorfschulzenschaft seit undenklichen Zeiten bei seiner Familie gewesen, wie die Regentengeschichte derselben beweiset; sein Jus und Herz hing daran, ja seine ewige Seligkeit, weil er wußte, daß im ganzen Dorfe kein so guter Jurist für diesen Posten zu finden war als er, wiewohl Sachverständige erklärten, es werde zu diesem Posten nicht mehr gefordert als zu einem römischen Kaiser nach der goldnen BulleAur. bull. 1. homo justus, bonus et utilis. , nämlich ein gerechter, guter und brauchbarer Mann. Sein Haus anlangend, so trat vollends folgender frappanter Jammer ein.

Elterlein war zweiherrig: am rechten Bachufer lagen die Lehnmänner des Fürsten, am linken die Einsassen des Edelmanns; wiewohl sie einander im gemeinen Leben nur schlecht die Rechten und die Linken hießen. Nun lief nach allen Flurbüchern und Grenzrezessen in alten Zeiten die Demarkationslinie, der Bach, dicht an des Schulzen Hause vorbei. Nachher veränderte der Bach sein Bette, oder ein dürrer Sommer nahm ihn gen Himmel; kurz Harnischens Wohnung wurde so weit hinübergebaut, daß nicht nur ein Dachstuhl auf zwei Territorien stand, sondern auch eine Stubendecke und, wenn man ihn hinsetzte, ein Krüpelstuhl.

Aber so wurde dieses Haus des alten Schulzen juristischer Vorhimmel, so wie zugleich seine kameralistische Vorhölle. Mit unsäglichem Vergnügen sah er oft in seiner Wohnstube – die an der Wand ein fürstlicher Grenz- und Wappenpfahl abmarkte – sich um und warf publizistische Blicke bald auf landesherrliche, bald auf ritterschäftliche Stubenbretter und Gerechtsame und bedachte, daß er nachts ein Rechter wäre – weil er fürstlich schlief – und nur am Tage ein Linker, weil Tisch und Ofen geadelt waren. Es war seinen Söhnen nichts Seltenes, daß er Sonntags vor dem Abend-Essen, wenn er viel gedacht hatte, mehrmals heiter und hastig den Kopf schüttelte und dabei murmelte: »Mein Haus ist einem redlichen IktusJuristen. , sag' ich, ordentlich wie auf den Leib gemacht – ein jeder anderer Mann würde die besten importantesten Gerechtsame und Territorien darin verschleudern, weil er gar nicht der Mann dazu wäre – denn er wäre in der Sache gar nicht zu Hause –, und ich alter verständiger Iktus soll heraus, solls losschlagen, höre, Vronel?« – Erst nach langer Zeit antwortete er sich selber: »Nun und nimmermehr«, ohne die Antwort Veronikas, seiner Frau, zu hören.

Freilich wenn er sich täglich gegen seine Gläubiger mehr in die Zitadelle seines Hauses zurückzog und ihnen dabei wie andere Kommendanten die Vorstädte, nämlich das Feld, d. h. die Felder räumte und, so gut er konnte, mit dem Hause zugleich seinen Schulzenposten, den Spielraum seiner Kenntnisse, zu versteigern aufschob, statt solchen zu steigern – gleichsam sein schlagendes Herz, den Saitensteg seines lauten Lebens, wenn er das tat: so hatt' er noch vier von ihm selber gezeugte Hände im Auge, die ihm helfen und den Steg seiner hellsten Töne und Mißtöne wieder stellen sollten; nämlich seine Zwillingssöhne.

Als Veronika mit diesen niederkommen wollte, hielt er, als sei sie eine sizilianische oder englische Königin, hinlängliche Geburtszeugen bereit, die nachher sich in Taufzeugen einteilten. Das Kindbette hatt' er ins ritterschaftliche Territorium geschoben, weil es einen Sohn geben konnte, den man durch diese Bettstelle der Bettstelle den landesherrlichen Händen entzog, die ihm eine Soldatenbinde umlegen konnten statt der schon bestimmten Themisbinde. In der Tat trat auch der Held dieses Werkes, Peter Gottwalt, ans Licht.

Aber die Kreißende fuhr fort; der Vater hielt es für Pflicht und Vorsicht, das Bette dem Fürsten zuzuschieben, damit jeder sein Recht bekomme. »Höchstens gibts ein Mädchen,« sagte er, »oder was Gott will.« Es war keines, sondern das letztere; daher der Knabe nach des Kandidaten Schomakers Übersetzung den Namen des Bischofs von Karthago unter Geiserich, nämlich Quod Deus vult, oder Vult im Alltagswesen bekam.

Jetzt wurden in der Stube scharfe Markungen, Einhegungen und Teilungs-Traktate gemacht, Wiegen und alles wurde geschieden. Gottwalt schlief und wachte und trank als Linker, Vult als Rechter; späterhin, als beide ein wenig kriechen konnten, wurde Gottwalten, dem adeligen Sassen, das fürstliche Gebiet durch ein kleines Gitterwerk – das man bloß aus Hühner- und andern Ställen auszuheben brauchte – leicht zugesperrt; und ebenso sprang der wilde Vult hinter seinem Pfahlwerk, der dadurch fast das Ansehen eines auf- und ablaufenden Leoparden im Käfig gewann.

Erst mit langer Mühe und Strenge schaffte Veronika die lächerliche Ab- und Erbsonderung ab; denn der alte Lukas hatte, wie jeder Gelehrte, eine besondere Hartnäckigkeit der Meinungen und bei aller Ehrliebe steifen Kaltsinn gegen das Lächerlichwerden.


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