Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3.

Mehmed II. befand sich damals noch im Peloponnes, wohin er auf die Kunde, daß der Despot Thomas den Tribut verweigert und die Waffen ergriffen habe, mit großen Streitkräften gezogen war. Er wollte jetzt dem unsinnigen Treiben der feindlichen Brüder wie der grenzenlosen Verwirrung ein Ende machen, in welcher das Land Morea durch den frevelvollen Ehrgeiz dieser Fürsten, durch die Tyrannei der Archonten und die Raublust der Albanesen fortdauernd festgehalten wurde.

Am 15. Mai 1458 lagerte der Sultan vor Korinth, welches zu jener Zeit dem Despoten Demetrios Palaiologos zugehörte und eine unzureichende Besatzung unter dem Befehle seines Schwagers Matthaios Asen und des spartanischen Stratioten Nikephoros Lukanes hatte.Phrantzes IV, c. 15, p. 387. Er ließ eine Belagerungstruppe vor Hohenkorinth, dann zog er selbst weiter in den Peloponnes. Die Türken hatten bisher, unter ihren ausgezeichneten Generalen Evrenos und Turahan, wiederholt mörderische Raubzüge durch dieses Land unternommen, aber dessen völlige Unterwerfung nicht ernstlich versucht. Auch jetzt noch mußte ihnen die Bezwingung desselben trotz der Zersplitterung der griechischen Kräfte nicht geringe Schwierigkeiten verursachen, weil die Halbinsel noch manche feste Städte und mehr als 150 fränkische Burgen besaß, während ihre Gebirgsnatur den Bandenkrieg begünstigte. Wenn sich unter den Peloponnesiern auch kein Held erhob wie Georg Kastriota von Kruja, der in dieser Zeit des Unterganges der griechischen Nation sein eigenes Vaterland Albanien gegen die Türkenhorden mit bewundernswerter Kraft verteidigte, so wehrten sich doch die letzten Freiheitskämpfer Moreas, Griechen wie Albanesen, mit dem Mute der Verzweiflung.

Phlios, Akowa, Ätos, viele andre Städte und ehemals in der Geschichte der fränkischen Barone berühmt gewordene Burgen in Arkadien und Messenien wurden von den Osmanen erstürmt, die Bewohner ausgemordet oder in die Sklaverei fortgeschleppt. Nach hartnäckiger Gegenwehr übergab Demetrios Asen, der Schwiegervater des Herzogs Franco, seine Stadt Muchlion, das frühere aus der Zeit der Villehardouin bekannte Nikli, im Lande der Tegeaten. Aber Mehmed wagte es doch nicht, den Despoten Thomas in dem festen Monembasia anzugreifen noch in das unwegsame, von trotzigen Stämmen bewohnte Lakonien vorzudringen, sondern er kehrte nach Korinth um. Die Pforten dieser starken Festung, des Hauptes des Peloponnes, wie sie Phrantzes noch damals nannte, öffneten ihm die feigen Befehlshaber am 6. August 1458. Dies erschreckte den Despoten Thomas so sehr, daß er Unterhändler an den Sultan schickte, und dieser bewilligte ihm Frieden um den Preis der Auslieferung von Ägion, Kalavrita, Patras und andern benachbarten Landschaften, welche ihm auch wirklich übergeben wurden.Phrantzes IV, c. 15, p. 387. Chalkokond. IX, p. 452.

Mehmed vereinigte die eroberten Gebiete Moreas mit Thessalien, übergab ihre Verwaltung dem Omar und kehrte mit der Beute und den Gefangenen nach dem Norden zurück. Es war auf diesem Marsch, daß er der Einladung seines Paschas folgte, das ihm unterworfene Athen mit seinem Besuche zu ehren. Er kam über Megara mit tausend Reitern und seinem glänzenden Gefolge von Höflingen und Würdenträgern. Der Eroberer Konstantinopels, der Vernichter Griechenlands, noch bedeckt mit dem frischen Blut der hingeschlachteten Peloponnesier, hielt seinen Einzug in die unglückliche Stadt in der letzten Woche des August 1458.Das Datum ergibt sich aus dem Folgenden. Φθινοπώρου αρχομένου (τὸ γὰρ θέρος ήδη τετελευτήκει) sagt der Zeitgenosse Kritobulos, De reb. gestis Mechemetis II. ab a. 1451–67 (bei C. Müller, Fragm. Hist. Graec. V, pars I, Paris 1870, p. 125). Er brachte ihr eine Knechtschaft von fast vier Jahrhunderten.

So unmenschlich und erbarmungslos dieser furchtbare Kriegsfürst auch sein konnte, so war er doch, zum Glücke für Athen, kein Xerxes oder Mardonios, sondern einer der gebildetsten Herrscher des Orients und selbst den Empfindungen für das Große und Schöne im Leben der Menschheit nicht unzugänglich. Er hatte Sinn für architektonische Pracht, wie er das in Konstantinopel bewies, wo er die Verwüstung des Sophiendoms verhinderte und später großartige Bauwerke aufführen ließ. Der Geschichtsschreiber Phrantzes, der ihn persönlich kannte, hat von ihm gerühmt, daß er, außer seiner eigenen Sprache, Griechisch, Lateinisch, Arabisch, Chaldäisch und Persisch verstand, die Lebensgeschichten Alexanders, Konstantins und des Theodosios las und diese großen Männer zu übertreffen bestrebt war.I, p. 93–95. Es ist daher begreiflich, daß sogar ein solcher Völkerzermalmer einige Ehrfurcht vor Athen empfand, welches auch türkische Geschichtsschreiber als die Vaterstadt der Philosophen bezeichneten.»La città di Atene, la qual è patria de' filosofi«, Seadeddin (übersetzt von Bratutti, p. 192). Der Höfling und Lobredner Mehmeds II., Kritobulos, ein Inselgrieche, der unter dem Regiment der Osmanen die Verwaltung von Imbros erhielt, schrieb, von der Größe dieses Sultans begeistert, dessen Geschichte. So unwichtig war das politische Dasein der alten Metropole Griechenlands geworden, daß er in seinem Werk des Unterganges des athenischen Herzogtums mit keiner Silbe Erwähnung tat. Aber er hat von dem Besuche Mehmeds in Athen berichtet und bei dieser Gelegenheit den schrecklichen Barbaren so dargestellt, als gehörte er in die Reihe jener römischen Imperatoren, die einst den lebenden Athenern um der Toten willen ihre Fehler verziehen hatten. Mehmed hegte, so behauptet Kritobulos, eine große Liebe zu dieser Stadt und ihren Sehenswürdigkeiten; weil er viel Schönes vernommen hatte von der Weisheit und Tugend der alten Athener und den staunenswürdigen Werken, womit sie sich ehemals vor Griechen und Barbaren hervorgetan, wollte er die Stadt, die Beschaffenheit ihres Landes, ihr Meer und ihre Häfen kennenlernen. All dies bewunderte er, zumal die Akropolis. Als ein Weiser und Philhellene und großer König besichtigte er alles dasjenige, was dort von Altertümern erhalten war.ως σοφός τε καὶ φιλέλλην καὶ μέγας βασιλεὺς τὰ αρχαι̃α καὶ άρτια στοχαζόμενος τε καὶ τεκμαιρόμενος (p. 125). Auch Chalkokondylas erzählt, daß Mehmed den Piräus und die Häfen, die Stadt und die Burg durchwanderte, die alte Pracht Athens mit Erstaunen betrachtete und ausrief, daß er dem Omar Pascha für solchen Gewinn zu großem Danke verpflichtet seiτήν τε πόλιν ταύτην καὶ ακρόπολιν πυνθάνομαι βασιλει̃ μάλιστα τω̃ν εν τη̃ χώρα αυτου̃ πόλεων εν γνώμη γένεσθαι, καὶ τήν τε παλαιὰν τη̃ς πόλεως μεγαλοπρέπειαν καὶ κατασκευὴν αγασθη̃ναι, επείποντα πόση δὴ χάρις οφείλεται εν τω̃ ημέτερω νέμω ‛Ομάρη τω̃ Τουραχάνεω. Lib. IX, 452. Wenn etwas von jenem unwiderstehlichen Zauber, mit dem Athen im Altertum so viele fremde Könige umstrickt hatte, noch zu so später Zeit auch in die Seele des osmanischen Weltgebieters einzudringen vermochte, so hat die Stadt der Pallas Athene gerade in ihrem tiefsten Falle den größten Triumph gefeiert. Infolge des Versiegens des Handels und aller anderen Erwerbsquellen während der Kriegszüge der Türken in Griechenland, namentlich durch die Verheerungen Omars, war sie damals an Einwohnerzahl stark verringert und in jenen Zustand zurückgesunken, welchen Michael Akominatos am Ende des 12. Jahrhunderts geschildert hatte. Pius II. Piccolomini hat vielleicht mit einiger Übertreibung, aber gewiß nach Berichten von Augenzeugen geurteilt, daß Athen kaum noch die Gestalt eines kleinen Kastells besaß und seinen Ruhm in ganz Griechenland nur der festen Akropolis und dem auf ihr stehenden großartigen Tempel der Minerva zu verdanken hatte.Asia et Europa, c. 11. Schwerlich konnte die Stadt damals, wie man behauptet hat, noch 50 000 Einwohner zählen.Soviel gibt ihr Surmelis, a.a.O., p. 43, und gleichviel rechnet er für Attika. Im Jahre 1578 gab Kabasylas den Umfang Athens auf 6 oder 7 Millien mit 12 000 E. an (Crusius, Turcograecia VII, Ep. 18). Ebenso Cornelio Magni, Relazione della città di Atene, 1674, p. 22.

Der Sultan behandelte die Athener mit Güte, indem er ihre Wünsche erfüllte.αιδοι̃ τω̃ν προγόνων, sagt hier wieder Kritobulos. Er bestätigte die Freiheiten, welche Omar Pascha ihnen bereits zugestanden hatte. Die Stadtgemeinde behielt das Recht der Vertretung durch eine Gerusia oder den Rat der Vecchiades unter der Aufsicht des türkischen Befehlshabers. Manche athenische Geschlechter erlangten Patente, wodurch sie von der Kopfsteuer, dem Karadsch, befreit wurden.

Mit besonderer Genugtuung erfüllte die griechische Bevölkerung der Stadt der Zusammenbruch der bisher herrschenden lateinischen Kirche und Priesterschaft. Diese verlor ihre bevorzugte Stellung in dem Augenblick, wo das Frankenregiment überhaupt sein Ende nahm und der letzte Herzog Athens nach Theben verbannt wurde. Dorthin folgten ihm ohne Zweifel nicht nur die meisten seiner Staatsbeamten, sondern auch viele andre lateinische Bürger. Die orthodoxen Priester beeilten sich, die Verluste ihrer Kirche herzustellen und von der Gnade des Sultans Privilegien zu erlangen. Bei seinem Einzuge in Athen war es auch ein griechischer Abt gewesen, der von Kaisariani, welcher ihm die Schlüssel der Stadt überreicht hatte, wofür dann dies basilianische Kloster die Befreiung vom Karadsch erhielt.Spon, Voyage de Grèce II, p. 225.

Um die Athener für sich zu gewinnen, gewährte Mehmed ihrem Kultus vollkommene Duldung, ohne diese jedoch dem katholischen zu entziehen. Der lateinische Erzbischof Nikolaus Protimo durfte ruhig in der Stadt verbleiben und seine Gemeinde verwalten, bis er im Jahre 1483 starb.Hopf II, S. 143. Freilich hatte er nach dem Einzuge der Türken in die Akropolis die Parthenonkirche verlassen müssen, und mit seinem Tode hörte auch das römisch-katholische Erzbistum auf, weil die Zahl der Franken so zusammenschmolz, daß sie keine Gemeinde mehr bilden konnten. Man hat geglaubt, daß der Mariendom nach der Übergabe der Stadtburg im Jahre 1458 von Omar Pascha zuerst dem orthodoxen Kultus der Griechen zurückgegeben worden sei.L. Roß, Archäol. Aufsätze I, S. 245ff. C.Wachsmuth, Stadt Athen I, S. 13. Dies wollte man aus einer Stelle im größeren Fragment der athenischen Stadtbeschreibung schließen, wo vom Herzoge Athens im Imperfektum gesprochen und von der Parthenonkirche als vom Tempel der Theotokos geredet wird.περὶ δὲ γε του̃ ναου̃ τη̃ς Θεομήτορος (Wien. Anon., n. 7, n. 8). Sie war also, so scheint es, noch nicht zur türkischen Moschee eingerichtet, als der unbekannte Schreiber seinen Traktat verfaßte, oder er behandelte sie ohne weiteres als die hergebrachte, uralte Kathedrale der Atheniotissa. Er sagt indes nichts davon, daß dieselbe dem griechischen Gottesdienst von den türkischen Eroberern zurückgegeben war, während er doch von einem Heratempel an der Kallirrhoe, den der Herzog ehedem zur Gebetkapelle zu benutzen pflegte, zu rühmen weiß, daß er jetzt von den »Gottesfürchtigen«, das heißt den orthodoxen Griechen, wieder zur Kirche der allerheiligsten Theotokos gemacht worden sei.Πρὸς δὲ νότου τούτων έστιν οι̃κος βασιλικὸς πλὴν ωραι̃ος, εις ὸν κατερχόμενος ο δου̃ξ κατὰ καιρὸν εις ευωχίαν εκινει̃το· εκει̃ έστι καὶ η Εννεάκρουνος πὴγη η Καλλιρρόν, εις ήν λουόμενος ανήρχετο εις τέμενος τὸ τη̃ς ‛Ήρας λεγόμενον καὶ προσηύχετο· νυ̃ν δὲ μετεποιήθη εις ναὸν τη̃ς υπεραγίας Θεοτόκου υπὸ τω̃ν ευσεβω̃ν (n. 7). Der betreffende Tempel am Ilissos war entweder jener der Hera oder der Demeter (Panagia 'σ τὴν πέτραν); August Mommsen, Athenae Christianae, p. 57. Wachsmuth I, p. 736, Note. Wäre die Metropole der Athener im Parthenon zur Zeit, als jener Unbekannte seine Abhandlung schrieb, dem griechischen Erzbischof wirklich übergeben gewesen, so würde wohl der Schreiber des Fragments ein so bedeutendes Ereignis mit um so größerer Genugtuung bemerkt haben. Nichts war indes natürlicher, als daß die Türken, sobald sie im Jahre 1418 in die Akropolis eingezogen waren, sowohl den Griechen wie den Lateinern den Zutritt in diese Festung nicht mehr gestatteten. Die dortigen christlichen Kultusstätten wurden ohne Zweifel geschlossen und konnten als solche in keiner Weise mehr fortbestehen.

Omar hatte seinen Sitz im Propyläenschloß der Acciajoli genommen, der Sultan jedoch mochte es vorgezogen haben, seine purpurnen Zelte im Olivenhain, an der Akademie oder an den Ufern des Ilyssos aufzuschlagen. Eine Tradition erzählt, daß er bei seinem Besuche Athens in den Gärten verweilte, wo heute der schöne Ort Patisia liegt, und daß dieser von ihm, dem Padischah, den Namen erhielt.Surmelis, p. 43. Mehmed II. war übrigens der einzige Sultan, den die Stadt Athen beherbergt hat. Vier Tage blieb er daselbst.Die Zeit gibt Kritobulos an. Dann zog er fort nach Böotien, wo er als Freund der Geschichte das alte Platäa und Theben besuchte. In der Kadmeia empfing ihn demutsvoll als sein dort exilierter und noch in Gnaden geduldeter Dienstmann Franco Acciajoli, der letzte Herzog von Athen. Mehmed war neugierig, das nahe Euböa zu sehen, dessen Besitz er den Venezianern im Friedensschluß des April 1454 zugesichert hatte. Die vielumkämpfte Insel, auf welcher fast zwei Jahrhunderte lang die lombardischen Dreiherren in ihren Schlössern geherrscht hatten, war seit geraumer Zeit das ausschließliche Eigentum der Republik San Marco und zumal seit dem Falle Konstantinopels ihr Kleinod in dem griechischen Meer und noch ihre bedeutendste Handelsstation. Der Großherr kündigte dem Bailo Paolo Barberigo seinen Besuch an. Die Euböoten waren anfangs erschreckt, dann kamen sie dem Sultan mit Palmenzweigen und Geschenken entgegen, als er am 2. September mit tausend Reitern über die Brücke des Euripos zog. Er sprach freundlich zu den Bürgern, durchschritt sogar die Stadt Negroponte und betrachtete sie als Kundschafter mit forschendem Blick von der sie überragenden Höhe. Es sollten noch zwölf Jahre verfließen, ehe er mit 12 000 Kriegern und mehr als 100 Galeeren am Euripos wieder erschien und dann über den Leichen der heldenmütigen Venezianer in das zertrümmerte Negroponte seinen Einzug halten konnte. Nach jenem kurzen Besuch kehrte Mehmed II. nach Theben zurück, um weiter nordwärts fortzuziehn.Kritobulos. – Estratti degli Annali di Stefano Magno, p. 200. Victor Capella bemerkte in seiner Rede an den venezian. Senat (bei Chalkokond. X, p. 547) die Absicht des Sultans, die Lage Negropontes zum Zweck späterer Eroberung zu erforschen, und das war natürlich genug.


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