Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel

Bessere Zustände in Hellas. Aufstand und Kriegszüge der Bulgaren. Widerlegung des Irrtums über die Eroberung des Piräus durch den Helden Harald. Die Runenschrift auf dem Piräus-Löwen. Die Pilgerfahrten berühren nicht Athen. Griechische Renaissance in Konstantinopel. Michael Psellos. Sein Verhältnis zu Hellas und Athen. Byzantinische Verwaltung dieses Themas und der Stadt. Der heilige Meletios und seine Klöster. Bedrängnisse des Reichs. Die Seldschuken. Die Normannen. Das Abendland und das Morgenland. Robert Guiscard. Venedig und Byzanz. Europa, das Papsttum und das griechische Reich. Die Komnenen. Die Normannen Siziliens plündern Theben und Korinth. Benjamin von Tudela in Griechenland. Zustand Athens.

1.

Im Beginne des 11. Jahrhunderts sahen sich, infolge der großen Siege Basileios II., die altgriechischen Länder in eine verhältnismäßig günstige Lage versetzt. Die slavische und die byzantinische Kolonisation trugen ihre Früchte, und Hellas wie der Peloponnes konnten sich unter dem Schutze der erstarkten Reichsgewalt zu neuem Wohlstande entwickeln. Die Landschaften boten wieder Ernten an Korn und Öl dar; die Flotten von den Themen Samos, der Kibyrrheoten in Karien, Lydien und Pamphilien und vom ägäischen Meer schützten die Küsten, oder sie beschränkten doch die Raubzüge der Korsaren. Die Schiffs- und Kriegssteuer mußte freilich als drückende Last empfunden werden. Doch vermochten die Einwohner Griechenlands immer so viel Summen Geldes aufzubringen, als nötig waren, um sich von der Heeresfolge loszukaufen. Dies hatten sie schon im Jahre 935 gezeigt, als der Kaiser Romanos Lakapenos einen Kriegszug gegen die Lombardei rüstete. Denn damals konnte der Peloponnes 1000 gesattelte Pferde stellen und 7200 Goldstücke zahlen.Konst. Porph., De admin. imp., c. 51. 52. Von Hellas spricht er nicht. Auch während der Verwirrungen, die das byzantinische Reich von neuem erfuhr, als Basileios II. im Jahre 1025 gestorben war und seinem schwachen Bruder Konstantin VIII. den Thron hinterlassen hatte, wurde Hellas durch seine entfernte Lage davor geschützt, zum Schauplatz der Völkerkämpfe zu werden, oder es erlitt solche nur als vorübergehende Stürme. Das skythische Volk der Petschenegen in den Landschaften des Dnjepr und am Dnjestr, welches schon einmal im Jahre 970, mit den Russen vereint, Konstantinopel bedrängt hatte und dann in Thrakien eingefallen war, setzte diese Raubzüge bis zu den Thermopylen fort. Auch die Uzen drangen mehrmals über die Donau und machten einmal sogar in Hellas einen Einfall.In der ersten Zeit des Kaisers Konstantin Dukas (1059–1067): Mich. Attaliota, Hist., p. 83: άχρι Θεσσαλονίκης καὶ αυτη̃ς ‛Ελλάδος... Furchtbarer war der Aufstand der Serben und die neue Erhebung der Bulgaren, die das byzantinische Joch abwarfen, unter ihrem Haupt Deleanos ihre Unabhängigkeit herstellten, den Kaiser Michael IV. in die Flucht schlugen und die ganze Balkanhalbinsel mit namenlosen Greueln erfüllten.

Ein Bulgarenheer, geführt von Anthimos, konnte im Jahre 1040 sogar durch die Pässe der Thermopylen nach Böotien eindringen, wo Allakasseos, der Stratege des Thema Hellas, ihm bei Theben sich entgegenwarf, aber in einer mörderischen Schlacht unterlag.καὶ συμμίξας εν Θήβαις, τρέπεται καὶ αναιρει̃ται πλη̃θος τω̃ν Θηβαίων πολύ. Kedrenos II, p. 529. Die festen Mauern der Kadmea scheinen diese gewerbetreibende Stadt geschützt zu haben, und von einem Einfall der Bulgaren in das benachbarte Attika selbst verlautet nichts. Nun aber hat man geglaubt, daß damals Athen, durch den Steuerdruck des Strategen von Hellas zur Verzweiflung gebracht, sich gegen die Regierung der Kaiserin Zoe empört habe und daß der Piräus entweder vom Bulgarenführer Anthimos eingenommen worden sei oder doch den Athenern zum Stützpunkt ihrer Rebellion gedient habe. Hierauf soll der städtische Hafen von jenem berühmten norwegischen Helden Harald wieder erobert worden sein, welcher zwischen 1033 und 1043 die warägischen Söldner in Byzanz befehligte, dann nach großen Taten im Mittelmeer in sein nordisches Vaterland heimkehrte und im Jahre 1047 den Königsthron Norwegens bestieg.Diese fabelhafte Einnahme des Piräus durch Harald bei Hopf, S. 147, bei Hertzberg, S. 307, und Paparrigopulos IV, p. 295. Allein kein Geschichtsschreiber hat davon berichtet, sondern diese Meinung ist nur durch die irrige Auslegung einer Runenschrift veranlaßt worden.

Vor dem Arsenale Venedigs steht, neben zwei andern von den Venetianern entführten athenischen Löwenbildern, der berühmte sitzende Löwenkoloß von Marmor, welchen Francesco Morosini im Jahre 1688 aus dem Piräus als Beute fortgeführt hat. Auf seiner Brust und Flanke ist eine barbarische Zeichenschrift mit dem Meißel eingegraben, und diese hat man als Runenschrift erkannt.Zuerst machte Akerblad darauf aufmerksam; Laborde, Athènes II, p. 242ff. Ein Entzifferer derselben vermaß sich mit großer Kühnheit herauszulesen, daß Harald der Lange diese Runen durch Asmund habe eingraben lassen, nachdem er mit einer Normannenschar den Hafen Piräus erobert und das rebellische Griechenvolk bestraft hatte.Rafn, Runeninskrift i Piraeus, Inscription Runique du Pirée, Kopenhagen 1856. Indes ein wirklicher Meister in der Runenkunde hat diese Erklärung als ein Spiel der Phantasie bezeichnet.Sophus Bugge, Monatsschrift der schwed. Ak. d. W., 1875, S. 97–101 Seine Ansicht bestätigt Wilh. Thomsen in Kopenhagen, The relations between ancient Russia and Scandinavia, 1877, p. 109. Er behauptet nur dies als sicher, daß die Schriftzeichen auf dem Piräuslöwen wirklich Runen sind, und zwar so schadhaft gewordene, daß kaum mehr als ein einziges Wort lesbar ist. Aus der Art, wie die Inschriften auf kunstreich verschlungenen Bändern in Schlangenform angebracht sind, glaubt er schließen zu dürfen, daß dieselben um die Mitte des 11. Jahrhunderts von einem schwedischen Manne aus Upland eingegraben worden sind.

Die kindische Sitte der Reisenden, ihre Namen und Sinnsprüche auf Monumenten einzuzeichnen, ist so alt wie die menschliche Eitelkeit. Den Memnonkoloß bei Theben in Ägypten haben reisende Griechen und Römer mit Inschriften bedeckt, welche jetzt der Wissenschaft dienstbar sind, und normannische Abenteurer verewigten die Kunde ihrer flüchtigen Anwesenheit im Piräus auf jenem antiken Marmorlöwen in rätselhaften Schriftzeichen, die aus ihm eine Sphinx für die Forschung gemacht haben. Dies aber konnten nicht gewöhnliche Reisende noch Schiffer und Handelsleute gewesen sein, denn die Hafenwache würde ihnen das schwerlich gestattet haben. Die Runen sind sorgsam, kunstvoll und daher mit voller Muße ausgeführt. Dazu aber konnten nordische Männer Zeit finden, als der »Bulgarentöter« Basileios in Athen verweilte. Die kaiserliche Leibwache der Waräger war schon im 10. Jahrhundert in Konstantinopel errichtet worden; es ist daher kein Zweifel, daß der Kaiser Basileios diese normannische Garde mit sich nach Athen gebracht hat. Er selbst schiffte sich im Piräus nach Konstantinopel ein. Es gibt daher keine passendere Gelegenheit für die Entstehung der Runenschrift auf dem antiken Koloß als das Jahr 1018.

Alle Schlüsse, die man aus jener falschen Runenerklärung in bezug auf Athen gezogen hat, sind daher nichtig. Auch die Haraldsage weiß nichts von den Taten dieses Heldensohnes Sigurds und Bruders Olafs des Heiligen im Stadthafen Athens. Sie erzählt nur seine Abenteuer in Miklagard oder Konstantinopel, wo dieser Held zur Zeit der Kaiserin Zoe und ihres letzten Gemahls Konstantin IX. Monomachos als Haupt der Waräger gedient und die griechischen Meere durchfahren hat.Sage vom Haraldus Severus, Scripta Hist. Islandor. de reb. gestis veter. Borealium... Hafniae 1835, VI. Weder sie noch Saxo Grammaticus hat ein Wort von Athen. Irrig ist auch die Ansicht, welche man an die Haraldsage geknüpft hat, daß selbst Athens verfallene Größe in den Liedern des Nordens ihren Nachklang gefunden und man auf Island von der »hehren Stadt Athen, der Mutter aller Wissenschaften, der Pflegerin aller Philosophen und der prächtigsten, berühmtesten Stadt Griechenlands« gesprochen habe.So sagt Hopf I, S. 148, der das aus der Runenerklärung Rafns ableitet. Die Stadt Athen wird nirgend so in den Nordlands-Liedern genannt, obwohl altnordische Legenden ihrer erwähnen. Sie nennen sie Athenisborg, und dies beweist, daß für skandinavische Seefahrer die hochragende, feste Akropolis das Merkmal der Stadt gewesen ist, wie sie es später für die Franken als Kastell Setines wurde. Die Dionysiussage spricht von dem Besuche des Apostels Paulus in Athenis oder Athenisborg, die Sage der Maria Magdalena redet von einem Besuch der heiligen Martha ebendaselbst, und in der ›Vita patrum‹ wird von einem jungen Manne erzählt, der in die Schule nach Athen geschickt worden sei, aber der dieser Erzählung beigefügte lateinische Text beweist, daß die Sage nur eine Übersetzung wiedergegeben hat.Unger, Heiligen Manna Sägur I, S. 312, S. 513; II, S. 576. Dasselbe muß von jeder andern Legende gelten. In der jüngeren Edda wird bei Gelegenheit einer Besprechung der Grammatik des Donatus bemerkt, daß die Redekunst, welche die römischen Weisen zu Athenisborg in Griechenland gelernt und dann ins Lateinische übertragen hatten, dieselbe sei wie die Dichtung, die Odin aus Asien nach dem Norden gebracht habe.Jüngere Edda, Málskrudsfraedi II, c. 10, p. 94 (ed. Arnamagn). Ich verdanke alle diese Aufschlüsse Herrn Conrad. v. Maurer, dem gelehrten Kenner der altnordischen Literatur, und seine Ansicht über jene Runenschrift wie über das Fortleben Athens in Island hat Herr Sophus Bugge bestätigt.

Es ist der Mühe wert, bei dieser Gelegenheit einen Blick auch auf die Reisen namhafter Pilger des Abendlandes nach Syrien zu werfen, und sich dann zu überzeugen, daß wir solchen keine Kunde von den Zuständen Athens zu verdanken haben. Weder in der Pilgerfahrt des gallischen Bischofs Arculf um 700 noch in der Willibalds (722–728) findet sich diese Stadt genannt; der Wallfahrer berührte sie nicht, da er von Syrakus nach Monembasia und weiter über Kos und Samos nach Ephesos segelte.Descript. Terrae Sanctae ex seculo VIII von Tit. Tobler, Leipzig 1874. Hier auch das Itiner. Bernardi (um 856); derselbe geht über Bari nach Tarent, weiter nach Jerusalem. So hatte auch Liudprand von Cremona auf seiner Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel im Jahre 968 Athen nicht berührt. Die Pilger schifften in der Regel von Apulien über Korfu nach Lepanto, wo sie dann den Landweg nach Thessalien einschlugen, oder sie zogen von Messina durch den Archipel nach Syrien. Manche gingen auf der Straße des Itinerarium der alten Jerusalemfahrer über Ungarn nach Konstantinopel. Diese Richtung nahmen der Graf Wilhelm von Angoulême und der Abt Richard von Verdun in den Jahren 1026 und 1027, und so bewegte sich auch 1064 der große Pilgerzug des Bischofs Siegfried von Mainz und des Ingulf von Croyland.

Die skandinavischen Pilger benutzten drei Wege, den östlichen durch Rußland, den westlichen an den Küsten Spaniens und Afrikas und den südlichen durch Italien, welcher Sudrvegr oder Romavegr genannt wurde. Das Itinerar des Abts Nikolaus Sämundarson um 1151 ist folgendes: von Aalsborg durch Deutschland und die Schweiz nach Aosta, durch Toskana nach Rom, über Benevent, Bari und Monopoli nach Durazzo, weiter an den Küsten des Peloponnes nach Kos, und so durch die Kykladen nach Syrien.Paul Riant, Expédit. et Pélerin. des Scandinaves en T. S. au temps des Croisades, p. 81ff. Nikolaus hat auf seiner Fahrt Athen sowenig berührt wie viele andre nordländische Pilger, auch wenn sie von Venedig aus Griechenland besuchten. Denn sogar von Säwulf ist es nicht gewiß, ob er Athen gesehen hat. Dieser Reisende begab sich nach Patras, Korinth, Livadostro und Theben und ging von dort nach Negroponte, wo er ein Schiff mietete. In diesem Reisebericht hat er Athens nur flüchtig erwähnt als eines Orts, welcher zwei Tagemärsche von Korinth entfernt sei.Relatio de Peregrin. Saewulfi, Rec. de voyages et de mémoires IV, p. 834. Die Stadt Athen besaß keine christlichen Reliquien von Weltruf und war außerdem ihrer Lage wegen keine Station für Pilger und Reisende aus dem Westen nach dem Orient. Wir können daher unsre mangelhaften Kenntnisse von ihren Zuständen nicht mit abendländischen Berichten ergänzen.Der berühmte Reisende Mandeville (1322) sagt einmal, daß Seefahrer von Kreta nach Rhodos schiffen, sodann nach Zypern, nach Athen, nach Konstantinopel. Early Travels in Palestine, ed. Th. Wright, Lond. 1848, p. 156. In den deutsch. Pilgerreisen nach dem hl. Lande von 1346 ab (ed. Röricht u. Meißner, 1880) entdeckte ich nur einen einzigen Pilger, der Athen berührt hat, Jakob Breuning, und zwar erst 1579.


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