Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2.

Der Prozeß der Slavisierung großer Gebiete in Hellas und dem Peloponnes ist überhaupt geschichtlich nicht begrenzbar, nur scheint er sich hauptsächlich im 8. Jahrhundert unter der Regierung des Konstantin Kopronymos (741–775) vollzogen zu haben. Im 10. verfaßte ein Nachkomme dieses bilderstürmenden Kaisers seine Schrift über die Themen des Reichs, und darin bemerkte er vom Peloponnes, daß das ganze Land slavisch und barbarisch geworden sei, infolge einer allgemeinen Pest. Diese aber hatte Konstantinopel und Griechenland seit 746 in entsetzlicher Weise entvölkert.In der 14. u. 15. Indiktion, d. i. 746, 747. Theophanes, p. 651. ’Εσθλαβώθη δὲ πα̃σα η χώρα καὶ γέγονε βάρβαρος, ότε ο λοιμικὸς θάνατος πα̃σαν εβόσκετο τὴν οικουμένην: Konst. Porphyr., De Thematibus II, p. 53.

Demnach war die Ansicht byzantinischer Ethnographen diese, daß die durch jene furchtbare Seuche in der Bevölkerung des griechischen Festlandes entstandenen Lücken durch eine besonders massenhafte Einwanderung von Slaven ausgefüllt wurden. Es konnte sogar die byzantinische Regierung selbst sein, welche Slavenstämmen von Thessalien her in den verödeten Gebieten Ländereien anwies, wo sie dann nicht die Städte, sondern nur das offene Land als Hirten und Ackerbauern besetzten.Der Ausdruck Χώρα des Konstant. Porphyr. bedeutet nach Paparrigopulos das offene Land. Auch die Serben und Kroaten hatten im 7. Jahrhundert ihre Sitze unterhalb der Save in Illyrikum keineswegs erobert, sondern mit Erlaubnis des Kaisers Herakleios als Ansiedler besetzt, ohne alte, feste Seestädte an der Adria wie Ragusa, Spalato, Trau und Zara jemals in Besitz zu nehmen.Gfrörer, Byzant. Geschichten II, S. 16ff. Benjamin von Kállay, Gesch. der Serben, deutsch von Schwicker, Budapest 1878, I, S. 6ff.

Derselbe Kaiser Konstantin Kopronymos konnte übrigens das durch die Pest gelichtete Konstantinopel dadurch ergänzen, daß er Menschen aus hellenischen Ländern und Inseln dorthin verpflanzte.Theophanes, p. 662: εκ τω̃ν νήσων καὶ ‛Ελλάδος καὶ τω̃ν κατωτικω̃ν μέρων. Dazu die Bemerkung Zinkeisens I, S. 741ff. Als derselbe Kaiser die Wasserleitung des Valens in Byzanz herstellte, ließ er aus den verschiedensten Provinzen Werkleute kommen, aus Asien und Pontos 1000 Maurer, aus Hellas und den Inseln 500 Töpfer; Theoph., p. 680. Daher kann Griechenland nicht so völlig verödet gewesen sein. Daß sich aber slavinische Stämme dort niedergelassen hatten, ist als sicher anzusehen. Wenn auch wegen der mangelnden geographischen Kenntnisse des Abendlandes kein besonderer Wert darauf zu legen ist, daß in dem von einer Nonne verfaßten Bericht über die Reise Willibalds zwischen 722 und 725 die Küste der Argolis, wo Monembasia liegt, durchaus als terra slavinica bezeichnet wird, so ist doch diese Benennung nicht als durchaus grundlos anzusehen. Eine teilweise Kolonisierung griechischer Landschaften durch Slaven muß vielmehr auf geschichtlich unbemerkte Weise lange vor jener Pest stattgefunden haben; nur nötigt die bestimmt ausgesprochene Ansicht eines gelehrten byzantinischen Kaisers zu der Annahme, daß sie ihren Höhepunkt erst mit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts erreicht hat.Schafarik, Slav. Altert., deutsch von Wuttke II, S. 192, setzt die Ausbreitung der Slaven im Peloponnes zwischen 746 u. 799. Erst vom 8. Jh. überhaupt datiert Zinkeisen I, S. 732, die Slavisierung Griechenlands. Im 10. war Altgriechenland von Slavenstämmen überzogen. Ein byzantinischer Scholast, welcher einen Auszug aus Strabo machte, konnte sagen. »Auch jetzt sind fast ganz Epiros und Hellas, der Peloponnes und Makedonien von den Skytho-Slaven bewohnt.«καὶ νυ̃ν δὲ πα̃σαν ’Ήπειρον καὶ ‛Ελλάδα σχέδον, καὶ Πελοπόννησον καὶ Μακεδονίαν Σκύθαι Σκλάβοι νέμονται: Strabo, ed. Almeloven, Amsterdam 1707, lib. VII, p. 1251. Von Elis redend, bemerkte derselbe Autor: »Jetzt besteht nicht einmal mehr der Name der Pisaten, Kaukonen und Pylier, denn all dies haben die Skythen in Besitz.«Lib. VIII, p. 1261: άπαντα γὰρ ταυ̃τα Σκύθαι νέμονται.

Im Angesicht solcher Zeugnisse der Byzantiner und der Ortsnamen, welche die slavischen Bebauer griechischer Gaue als Denkmäler ihres Daseins dort zurückgelassen haben, muß die Slavisierung althellenischer Länder als geschichtliche Tatsache betrachtet werden. Ihre Wirkung auf das griechische Volk ist so stark übertrieben worden, daß die Gegner der irrigen Doktrin Fallmerayers von der vollständigen Ausmordung der Hellenen durch die Slaven dadurch zu dem heftigsten Widerspruch aufgereizt worden sind. Ein berühmter griechischer Forscher hat schließlich die Ansicht ausgesprochen, daß es geschichtlicherweise keine slavische Frage in Griechenland gibt, weil niemals wirklich Slaven in den Peloponnes eingedrungen sind; vielmehr seien die dort eingewanderten Stämme von den Byzantinern nur aus Haß gegen die Hellenen Slaven genannt worden und als Albanesen anzusehen.»Il n'y a pas historiquement une question slave, jamais des Slaves tels que l'éthnologie moderne les conçoit, n'ayant pénétré dans le Péloponnèse«, K. Sathas, Mon. Hist. Hell. I, Paris 1880, p. XXVIII. Derselbe: La tradition hellénique et la légende de Phidias. (Ann. de l'Assoc. pour l'encourag. des études grecques en France, Paris, XVI. année, 1882, p. 122ff.) So gewichtig das Urteil dieses gelehrten Griechen auch ist, so muß ich doch meinen hochgeschätzten Freund um Verzeihung bitten, wenn ich mich demselben nicht unterwerfe. Auch Gustav Mayer hat in seiner Abhandlung ›Konst. Sathas und die Slavenfrage in Griechenland‹ (Essays und Studien zur Sprachgesch. und Volkskunde, Berlin 1885, S. 117ff.) geurteilt, daß die Ansicht von Sathas an den slavischen Ortsnamen Moreas scheitere.

Die Albanesen, welche schon Ptolemaios kannte, werden in der Geschichte als unabhängiges Volk nicht vor dem 11. Jahrhundert bemerkt. Sie hatten in Epiros und Albanien die Stürme der Völkerwanderung überdauert als der einzige altillyrische Stamm, der seine Eigenart erhielt, wenn er auch vielfach mit slavischen Elementen durchsetzt sein mochte. Außer ihnen behaupteten sich die Wlachen, Abkömmlinge römischer Kolonisten, ein Hirtenvolk, welches von den Hochtälern des Rhodope und Pindus in das niedere Thessalien einwanderte, so daß dieses Land Großwlachien genannt wurde. Später, im 14. Jahrhundert, zogen Albanesen massenhaft erst in Thessalien, dann auch in Altgriechenland ein.

Die heutigen Hellenen betrachten dieselben als ihre Stammverwandten, nicht nur wegen ihrer heldenhaften Teilnahme an dem Befreiungskampfe, sondern um ihrer illyrischen Herkunft willen.Paparrigopulos, Epilog zu seiner Geschichte des hellen. Volks (1877), p. 386, u. Hist. de la civil. hell., p. 395ff. Allein um diese Kolonisten von durchaus barbarischer Art, die eine den Griechen völlig fremde Sprache redeten, als Stammgenossen anzusehen, hätten die Griechen im Mittelalter doch wohl einiger antiquarischer Studien bedurft, welche sie belehrten, daß für Herodot die Thesproten und Molosser und für Plato die epirotischen Athamanen Hellenen gewesen waren. Dem Strabo galten die Epiroten freilich nicht als solche. In der ganzen Zeit vor dem Befreiungskriege bestand zwischen den skipetarischen Einwanderern und den Bewohnern Altgriechenlands ein durchaus feindseliges Verhältnis. Als sich die Albanesen des Peloponnes im 15 Jahrhundert gegen die griechischen Despoten empörten, nannte sie der Geschichtsschreiber Phrantzes ein ruchloses Menschengeschlecht und ihre Sprache barbarisch.Lib. IV, 16, p. 391: τὸ κάκιστον καὶ ανωφελέστατον τω̃ν ’Αλβανιτω̃ν γένος... τὴν αυτω̃ν γλω̃σσαν τὴν βαρβαρίζουσαν. – Chalkokon. I, p. 271 ist in Verlegenheit über ihre Abkunft und ihr Verhältnis zu den Illyriern. Sathas unterstützt seine Doktrin dadurch, daß Konst. Porphyr. nicht schreibt: εσκλαβώθη, sondern εσθλαβώθη, und Tafel, De Prov., p. IX, bemerkt, εσθλαβώθη bedeute »in servitutem redacta«. Anna Komnena, Alex. I, c. 16, bezeichnet Borilas und Germanos als Σκύθαι, u. II, c. 1, als Σθλαβογενει̃ς. In der Note dazu übersetzt Du Cange (Anna Kom., ed. Bonn, II, p. 444) das Wort mit »servilis condicionis«, aber er sagt zugleich, daß die »Slavi seu Slavini« der Lateiner bei den Griechen Σθλάβοι und Σθλαβίνοι heißen. Die griechische Form σθλάβος findet sich in vielen slavischen Eigennamen, wie Σφενδοσθλάβος (Svetoslav), Βλαδισθλάβος (Wladislav) usw. Die Griechen selbst gebrauchten übrigens auch die Form Σκλάβος. Der Excerptor Strabonis spricht von Σκυθοί Σκλάβοι, und auch Konst. Porphyr. von Σκλάβοι im Peloponnes. So schreiben auch Prokopios, Menander, Theophylaktos, Theophanes, Nikephoros Σκλαβηνοί, welche die Σθλαβι̃νοι des Kedrenos und noch des Mazaris oder die Σθλαβησιάνοι des Theophanes (Contin.) sind. Auch die Chronik von Morea hat die Form Σκλάβοι für die fremden Stämme im Peloponnes.

Die Byzantiner faßten übrigens den ethnologischen Begriff der Slaven und Slavinen in sehr weitem Sinne auf und verbanden ihn mit Hunnen (Avaren) und Skythen. Skythen aber waren für sie alle nördlichen Völker jenseits des Tanais. Nach ihrer Ansicht ergossen sich aus jenem unerschöpflichen Völkerbehältnis im Lauf der Jahrhunderte Wanderstämme ostwärts bis zum kaspischen Meer und westwärts bis zum Ozean, und diese ursprünglichen Skythen erhielten verschiedene Namen wie Sarmaten, Massageten, Kelten und sogar Germanen.Niephor. Gregoras II, c. 4. Die Bulgaren nennt Michael Psellos (Sathas, Bibl. M. A. IV, p. 71) ausdrücklich Skythen, – Ου̃νοι καὶ Σθλαβι̃νοι in Thrakien, beim Kedrenos I, p. 677.

Da die nordische Völkerwanderung nach der Donau seit dem 6. Jahrhundert auch turanische, finnische und hunnische Steppenvölker in ihren Strudel zog, so kann die slavische Bevölkerung in Altgriechenland mit solchen Bestandteilen gemischt gewesen sein. Wir kennen Stammnamen der makedonischen und thessalischen Slaven, der Drogubitzen, Sagudeten, Belegitzen oder Veligosten, der Vajuneten und Berziten,Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme, S. 630. aber nicht solche der barbarischen Eindringlinge in Hellas und dem Peloponnes, mit alleiniger Ausnahme der zwei Tribus der Melinger und Ezeriten auf den Abhängen des Pentedaktylos oder Taygetos, von welchen das Gebirgsland Lakoniens den Namen »Slavenland« erhielt.τὰ Σλαβικὰ der Chronik von Morea, p. 113. »Montaignes des Esclavons«; »Esclavons de la Chacoignie et de Cardalevo«: Liv. d. la Conq. 100, 155 Von diesen Stämmen sind die Mainoten und Tzakonen zu unterscheiden, Abkömmlinge der alten Hellenen, doch mit Slaven gemischt. Noch in Venez. Urkunden des 15. Jh. ist die Zachonia, worin Monembasia liegt, gleichbedeutend mit Sklavonia. »Ad partes Zachonie vel Slavonia«: Sathas, Mon. H. H. I, 298. Dieser Forscher hält freilich die Tzakonen für Albanesen, die sich Myrmidonen nannten und aus Thessalien in den Peloponnes kamen. Nach ihm sind die Milinger Myrmidonen, da μηλιγγνόνι im Tzakonischen und Albanesischen so viel ist wie μύρμηξ. Nikeph. Gregoras IV, p. 5, hält aber das Wort Tzakones einfach für den vulgären Namen der Lakones. Für die von Kopitar als slavisch erklärte Sprache der Tzakonen hat Thiersch in seiner Abhandl. über diese den dorischen oder pelasgischen Ursprung zu erweisen gesucht. Einer der gründlichsten Kenner des Slaventums ist der Ansicht, daß die Barbaren im Peloponnes Slovenen gewesen sind, die sich in Makedonien und Thrakien niedergelassen und aus deren Verbindung mit der dortigen Bevölkerung die Bulgaren hervorgingen.Miklosich, Die slav. Elem. im Neugriechischen, Sitzungsber. der k.k. Akademie der Wiss., Wien 1869, LXIII, Heft I, S. 531. Er bestreitet die Meinung Fallmerayers, welcher eine Einwanderung aus Rußland behauptet. Thrakien und Makedonien wurden wesentlich Slavinia genannt. Theophanes, p. 663, spricht von τὰς κατὰ Μακεδονίαν Σκλαβινίας.

Diese Vermutungen können zu keinem ethnographischen Ergebnis führen. Wichtig für die Natur der geschichtlich vollkommen dunklen slavischen Kolonisation Griechenlands ist die Tatsache, daß dort während ihrer langen Dauer kein Slavenreich entstanden ist wie in Kroatien, Serbien und Bulgarien, Ländern, welche durch die Massenhaftigkeit der sie besetzenden Barbaren ihre antiken Namen für immer verloren. Würde nicht ein Slavenstaat in Hellas und dem Peloponnes emporgekommen sein, wenn ein heldenhafter Häuptling sein Volk dorthin als Eroberer geführt hätte und wenn sich dieses Volk seiner stammlichen Einheit bewußt geblieben wäre? Keine Kunde meldet von gewaltsamen Eroberungen oder zerstörenden Kriegen der einwandernden Slaven um den Besitz Griechenlands. Von keiner einzigen Stadt wird erzählt, daß sie von Slavenhorden wie ehedem von den Goten erstürmt und vernichtet worden sei. Kein Führer wie Asparuch oder Bajan oder Zaberchan wird in Hellas namhaft, und keiner hat sich dort zum Stifter und Nationalkönig eines Slavenreiches aufgeworfen.

Ein Groß-Zupan in Patras, Chalkis oder Theben, in Argos oder in Athen würde leicht ein gebietender Dynast geworden sein, und ein solcher in Korinth hätte der Gewaltherrscher nicht nur über alle Slavenkantone, sondern über die Hellenen im ganzen Altgriechenland werden müssen. Doch hat sich während ihrer langen Besitznahme griechischer Länder unter solchen Barbarenstämmen kaum ein ernsthafter politischer Gedanke gezeigt. Da sie ihrer nomadischen Art treu blieben und ungern in Städten lebten, haben sie in dem schönen Lande keinen Staat zu bilden vermocht, wie die Goten und Langobarden in Italien, die Franken in Gallien, die Westgoten in Spanien, die Vandalen in Afrika. Sie blieben für uns geschichtslos, weniger aufgrund ihrer rohen Natur, als weil sie der Widerstand der griechischen Nation hinderte, aus dem Zustande der Hirten und Ackerbauern in einen höheren überzugehen, was sie nur vermocht hätten, wenn sie sich der festen Städte und der Häfen des Landes bemächtigten. Diese Städte aber schützten die Fortdauer des Griechentums, so daß selbst jener Ausspruch des Konstantin Porphyrogennetos als übertrieben angesehen werden muß, denn er hätte nur sagen dürfen, daß der ganze Peloponnes slavisch und barbarisch geworden sei, mit Ausnahme der vielen und ansehnlichen Städte.Rambaud, L'Empire Grec au X siècle, 1870, p. 212, hat dies bemerkt.

Die Leiden und die Verheerungen Griechenlands, die Kämpfe seines Volks mit den eingedrungenen Barbaren, seine Ausrottung in manchen Distrikten, sein Zurückweichen und seine Flucht in die festen Orte und Gebirge oder auf die Inseln hat sich die Phantasie der Geschichtsforscher unserer Zeit ausgemalt, aber kein griechischer oder byzantinischer Gewährsmann geschildert und beglaubigt. Die Slaven nahmen offene Landschaften und kleinere Städte in Besitz und bauten mit der Zeit neue Ansiedlungen. Namen von Orten, Flüssen und Bergen lehren, daß Elis, Arkadien, Messenien und Lakonien ihre massenhafteste Kolonisation erfuhren. Manche griechische Flecken wurden slavisch umgetauft, während aus barbarischen Niederlassungen neue Dörfer entstehen konnten, allein die Geschichte kennt keine einzige große Stadt, welche in Hellas von Slaven neugegründet worden ist. Dagegen konnten noch im 7. Jahrhundert zwei sehr ansehnliche, durchaus von Griechen bewohnte Städte im Peloponnes erbaut werden, Monembasia und Arkadia.

Wenn die slavische Niederlassung im eigentlichen Hellas nördlich vom Isthmos minder zahlreich war, so fehlt es auch hier nicht an Zeugnissen dafür. Wie das lakonische Gebirge Parnon den slavischen Namen Malevo erhielt, so nahm der böotische Helikon den Namen Zagora an. Auf den Abhängen des Götterberges, wo ehemals das Heiligtum des Apollo und der Musen stand, erhoben sich Hütten slavischer Hirten, welche ihr Vieh aus den Quellen der Aganippe und Hippokrene tränkten. Die Erinnerung an die alte Bedeutung des Berges war erloschen, und das Heiligtum der Musen bedeckte vielleicht schon eine byzantinische Kirche.P. Dechambre, Notice sur les ruines de l'Hiéron des Muses dans l'Helicon, Arch. d. miss. scient. IV, 1867, p. 169. Neben diesem berühmten Tempel lag das Musentheater ohne Zweifel schon lange in Trümmern; man hat dasselbe in unseren Tagen wiederentdeckt, und noch zeigt ein uralter viereckiger Turm auf dem Gipfel eines Hügels die Stelle an, wo einst Askra stand, die Vaterstadt des Hesiod.

Keine Kunde meldet, daß böotische Städte wie Lebadea, Orchomenos, Chaironea oder Theben von Slaven jemals besetzt worden sind. Die Kadmea, an welcher die Kriegsvölker Alarichs vorbeigezogen waren, hat sich als wahrscheinlicher Sitz des byzantinischen Strategen von Hellas während der slavischen Einwanderung als Griechenstadt behauptet, wie Korinth, der Vorort des Thema Peloponnes, wie Chalkis auf Euböa und Patras in Achaia. Daß aber Slaven am Kopaissee sich niedergelassen hatten, soll dessen von dem Wort topol' (Pappelbaum) abzuleitender neuer Name Topolja beweisen.Zeuß, S. 633. Platää vertauschte seinen alten Namen mit Kochla, wie Mykenä mit Chravati und Olympia mit Miraka.

Megara scheint von slavischen Kolonisten frei geblieben zu sein. Was Attika betrifft, so hat selbst Fallmerayer erklärt, daß die Spuren nordischer Ansiedlungen dort nicht in gleichem Maße wie in Böotien und Arkadien und überhaupt gar nicht zu finden sind, die böotische Grenze ausgenommen.Fallmerayer, Geschichte von Morea, und desselben Abhandlung »Welchen Einfluß« etc. Dort sind nicht slavische Ortsnamen entstanden, wie die peloponnesischen Wolgast, Goritsa, Granitsa, Krivitsa, Glogova, wie Podagora, Varsova, Sklabitsa, Kamenitsa, Krakova, Chlemitsa, Nezero, Rachova, Lukaviza, Khlomo usw.Fallmerayer, a.a.O., und J. H. Krause, Geogr. Griechenlands in der Enzykl. von Ersch und Gruber, Bd. 83, S. 296. Die slavische Herkunft mancher Namen läßt jedoch starke Zweifel zu. Prasto z. B. kann mit Leake aus Proasteion erklärt werden (Peloponnesiaca, p. 327). Die Finalen »itsa« und »ova« hat Sathas (Mon. H. H. XLIXf.) nicht als slavisch anerkannt. Nach ihm ist oßa altgriechisch und albanisch; »bitsa« leitet er von »vicus« ab. Das häufige »itsa« soll ein gräko-illyrisches Diminutiv sein. Schon J. von Ow, Die Abstammung der Griechen und die Irrtümer und Täuschungen des Dr. Ph. Fallmerayer, 1847, hat sich ähnlich über jene Endungen ausgesprochen.

In den Trümmern der alten Mysterienstadt Eleusis will man eine slavische Inschrift gefunden haben, allein diese rohen, fast wie Runen aussehenden Wortzeichen auf einem Marmorblock sind, wenn sie wirklich als slavisch gelten dürfen, das einzige Seitenstück zu einer andern Inschrift geblieben, die an den Grenzen Arkadiens gefunden wurde.Die Inschr. von Eleusis wie die von Asprokampu edierte zuerst Rhangabe, Inscriptions slaves, p. 138, bei Lenormant, Rech. Arch. à Eleusis, p. 404. Übrigens hat auch aus Thrakien Albert Dumont nur zwei slavische Inschriften verzeichnen können.

In der Stadt Athen ist weder eine kriegerisch feindliche noch eine friedliche Einwanderung von slavischen Stämmen irgend erweisbar. Man könnte glauben, daß die Athener solchen Barbaren den Einzug in ihre Ebene sperrten, indem sie die Pässe nach Böotien verschlossen; jedoch ist es einfacher, den Mangel barbarischer Niederlassungen im athenischen Gebiet aus der Dürftigkeit des Bodens zu erklären, welche schon im hohen Altertum fremde Ansiedler von diesem Lande entfernt gehalten hatte.Kiepert, Lehrb. der alten Geogr., p. 283, bemerkt: Ein Beweis für die dem geringen Bodenwert Attikas entsprechende Erhaltung eines namhaften Teils der alten Bevölkerung ist die auffallend große Zahl alter Ortsnamen, welche fast die des gesamten Mittelgriechenlands übersteigt. Im Pedion Attikas haben sich keine slavischen Ortsbezeichnungen vorgefunden. Niemals ist daselbst der Demos Khephisia mit seinem antiken Namen verschwunden. Selbst das heutige Marusi bewahrt noch in dem seinigen die Erinnerung an den Tempel der Artemis Amarusia und Herakli diejenige an das Heiligtum des Herakles. In der Diakria, der Landschaft jenseits des Hymettos am Meere Euböas, erhielten sich die altgriechischen oder neugriechisch umgestalteten Ortsnamen.

Der Demos Araphen lebt noch heutigen Tags in Raphina fort, Thorikos in Thoriko, Anaphlystos in Anabyso. Der Demos Pentele dauert in dem Klosterort Mendeli fort, wie Apollonia in Paloi und Prasiai in Prasas, wie Gargettos in Garittos und Alopeke in Ampelokipoi.Siehe dazu Surmelis, ’Αττικὰ ὴ περὶ τω̃ν Δήμων ’Αττικη̃ς, Athen 1854. Wenn es auch ungewiß ist, ob das Vorgebirge Sunion, welches die italienischen Seefahrer von dem Rest des Tempels der Athene in ihrer Sprache Capo delle colonne nannten, bei den Griechen noch seinen antiken Namen behalten hatte, so gab es doch keine Zeit, wo diese Marathon und die Bedeutung des dortigen Tumulus vergessen konnten. Wie jener Name noch heute im Dorfe Marathonas weiterlebt, so erinnert noch daselbst Inoi an das verschwundene Oinoe der ionischen Tetrapolis.Bursian, Geogr. I, S. 339. Freilich hat man behauptet, daß einige fremdartige Namen von Orten auf der Ebene Marathons wie Vrana, Zastuni, Varnabe, Mazi, Tzioura slavisch seien.Lenormant, a.a.O., p. 411. Rambaud, a.a.O., p. 228. Vráona soll slavische (?) Umgestaltung des alten Brauron sein. Selbst wenn dies richtig wäre, was noch nicht erwiesen ist, so bliebe es doch immer Tatsache, daß wenn überhaupt Slaven auch in Attika eingewandert waren, sie hier niemals so massenhafte Niederlassungen gegründet haben wie die Albanesen im 14. und 17. Jahrhundert, welche die ehemaligen Demen Attikas bis nach Athen hin ohne Kampf in Besitz nahmen. Wie diese Albanesen zu ihrer Zeit von den griechischen und fränkischen Fürsten und später auch von den türkischen Machthabern in Hellas und dem Peloponnes bereitwillig als Kolonisten aufgenommen wurden, um verödete Landschaften neu zu bevölkern, ganz so kann man sich in vielen Fällen auch die slavische Einwanderung in Griechenland als eine friedliche vorstellen.Kopitar, Jahrb. der Literatur, Wien 1830 (Slavisierung Griechenlands), ist für die friedliche Einwanderung. Die Athener hielten jedoch ihr Stadtgebiet vom Korydallos bis zum Hymettos und vom Pentelikon bis zum Piräus von den slavischen Gästen frei. Daß dies geschehen ist, daß Athen zu keiner Zeit von jenen Barbaren besetzt gewesen ist, sondern sich als wesentliche Griechenstadt, wenn auch mit manchen fremden Bestandteilen durchsetzt, immer erhalten hat, gleich Thessalonike, Patras und Korinth, ist heute als unumstößliche Tatsache anzusehen. Wir werden später bemerken, daß sich in dem Register der Kirchengüter des griechischen Erzbistums Athen, welches die Lateiner im Jahre 1205 in der Kanzlei der Metropole vorfanden und das daher viel älter ist als dieses Jahr, unter den Namen der Orte und Klöster Attikas altgriechische und neugriechische Namen, aber keine slavischen Ursprungs vorfinden.


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