Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

Zustände Moreas. Philipp von Tarent und Katharina von Courtenay. Mathilde von Hennegau und Louis von Burgund. Der Infant Ferdinand von Mallorca, Prätendent Achaias. Sein Zug dorthin, sein Kampf mit Louis von Burgund und sein Untergang. Letzte Schicksale Mathildes. Walter von Brienne, Titularherzog und Prätendent Athens. Der Papst und die katalanische Kompanie. Die Regierung Estañols. Don Alfonso Fadrique, Generalvikar. Euböa. Bonifatius von Verona. Krieg mit Venedig. Waffenstillstand.

1.

In einer durchaus ähnlichen Lage wie das Herzogtum Athen befand sich zu jener Zeit das tief herabgekommene fränkische Morea. Denn auch dort führten Statthalter die Regierung im Namen eines fremden Herrscherhauses. Philipp von Tarent war Fürst Achaias. Nachdem er sich von seiner epirotischen Gemahlin Thamar geschieden hatte, vermählte er sich am 30. Juli 1313 mit der jungen Katharina, der Tochter Karls von Valois und jener Kaiserin Katharina von Courtenay, die im Januar 1308 gestorben war. Diese Verbindung, durch welche die Ansprüche der Courtenay-Valois auf das byzantinische Kaisertum an die Anjou Neapels übergingen, geschah infolge eines zu Paris im April 1313 geschlossenen Familienvertrages, wodurch, unter der Autorität des Königs von Frankreich und des Papsts Clemens V., Ehegelöbnisse und Länder vertauscht und verhandelt wurden. Katharina von Valois war bereits als Kind mit dem Herzoge Hugo V. von Burgund verlobt worden; dieser verzichtete jetzt, nach getroffener Übereinkunft, auf die Hand der erst dreizehn Jahre alten Erbin der griechischen Kaiserrechte zugunsten Philipps von Tarent, welcher seinerseits dem Prinzen Louis, dem Bruder jenes Herzogs, Achaia als Lehnsfürstentum abtrat, indem er ihm zugleich die Hand Mathildes von Hennegau zusagte.

Die jugendliche Witwe Guidos II. von Athen besaß die Baronie Kalamata als Familiensitz, aber sie lebte nach ihrem Verlöbnis mit dem Prinzen Karl, dem Sohne Philipps von Tarent, längere Zeit in Theben, von wo sie wahrscheinlich erst durch den drohenden Einbruch der katalanischen Kompanie vertrieben wurde. Ihrer Mutter Isabella hatte sie die von ihrem Vater Florenz ererbten flandrischen Güter abgetreten, während sie ihre Erbrechte auf das Fürstentum Achaia behielt, mit Ausnahme der Baronie Karytena und der Schlösser Beauvoir und Beauregard, die ihrer Stiefschwester Margarete, der Tochter Isabellas aus ihrer Ehe mit Philipp von Savoyen, zugewiesen waren.St. Genois, a.a.O., p. 338, Accord zwischen Guillaume, Graf von Hainault, und Isabella, Fürstin von Morea, »Valenciennes, jeudi après la S. Marc. 1311«. Nachdem ihre Mutter, die berühmteste Frau jenes Zeitalters im fränkischen Griechenland, auf ihren Besitzungen im Hennegau im Jahre 1311 gestorben war, nahm sie den Titel Fürstin von Achaia an. Als inhaltlose Erinnerung dauerte derselbe Titel auch im Hause Savoyen bei den Nachkommen Philipps aus einer zweiten Ehe fort.Philipp von Savoyen starb 1334. Seine Tochter Margareta (von Isabella) vermählte sich 1324 mit Rainaud, Graf von Forez, und starb kinderlos nach 1371.

Mathilde blieb einige Zeit lang in Gesellschaft ihrer Tante Margarete auf ihren Gütern in Morea, wo sie den Schutz des ritterlichen Marschalls Nikolaus III., des letzten vom Hause St. Omer, genießen konnte. Dann begab sie sich nach Frankreich. Ihr einige Jahre zuvor mit dem jungen Prinzen Karl von Tarent geschlossenes Verlöbnis wurde aus Staatsgründen aufgehoben, und sie mußte darein willigen, sich mit Louis von Burgund zu verbinden, indem sie zugleich ihre Rechte auf Achaia dem Hause desselben abtrat und gelobte, im Falle sie Witwe wurde, keine neue Ehe ohne die ausdrückliche Erlaubnis Philipps von Tarent einzugehen.Am 6. April 1313 übertrug Philipp im Louvre seine Rechte auf Achaia an Mathilde in Gegenwart des Königs von Frankreich. Sie schenkte dann diese Rechte an ihren Verlobten Louis, welcher sie wiederum Philipp abtrat. Du Cange, Hist. de Cp., II, p. 162, und ders., Recueil, p. 364ff. Buchon, Rech., p. 238ff. Mas Latrie, Les Princes de Morée, p. 14. Am 31. Juli 1313 fand zu Fontainebleau ihre Vermählung mit jenem Prinzen statt, welcher sich König von Thessalonike nannte, weil der Exkaiser Balduin seine Rechte auf dieses Land an Burgund verkauft hatte.

Durch diese Verträge war der ehemaligen Herzogin von Athen und ihrem zweiten Gemahl der Lehnsbesitz Moreas zuerkannt worden, aber ein unerwarteter Prätendent machte ihnen das Fürstentum streitig. Dies war Ferdinand von Mallorca, derselbe aragonische Infant, welcher Jahre zuvor seine persönlichen Schicksale mit denen der katalanischen Kompanie verflochten hatte. Nach seiner Befreiung aus der Haft in Neapel war der ruhelose Prinz in sein Vaterland zurückgekehrt, wo er den verbündeten Königen von Aragon und Kastilien im Maurenkriege gedient und vor Almeria durch heroische Tapferkeit geglänzt hatte.Muntaner, c. 247. Von Mallorca, dessen Herrscher Sancho sein eigener Bruder war, wandte er sich nochmals nach Sizilien, um seinem Vetter Friedrich II. in dem neu ausgebrochenen Kriege mit Neapel zu dienen. Der König belieh ihn mit der Stadt Catania und ließ ihn alsbald eine Verbindung eingehen, kraft deren der Infant die Rechte des Hauses Villehardouin auf Achaia den Anjou gegenüber beanspruchen konnte. Mit Staunen vernahm Ferdinand, welch grenzenloses Glück seinen ehemaligen Waffengefährten, den Katalanen, im Herzogtum Athen zugefallen war, und dieses Land hatte Friedrich II. an seine Krone gebracht. Ihm selbst aber bot sich eine unverhoffte Gelegenheit dar, zum zweiten Mal auf den griechischen Schauplatz, und zwar in Morea, zurückzukehren.

Dort lebte auf ihrem Besitztum Akowa oder Mategriffon Margarete, die zweite Tochter des letzten Villehardouin, die Tante Mathildes. Sie war erst mit Isnard von Sabran vermählt gewesen, einem der großen Barone Neapels, Herrn von Ariano und Großjustiziar des Königreichs.C. Minieri Riccio, Studi storici su' fascicoli angioini, p. 43ff. Seit 1297 verwitwet, hatte sie den alten Grafen Riccardo von Kephallenia geheiratet, und auch dieser Gemahl war ihr im Jahre 1304 durch den Tod entrissen worden.Riccardo war der Sohn des Maio Orsini, des ersten Herrn von Kephallenia und Zante. Dies Haus der Pfalzgrafen Orsini stammte aus Rom und war unter den Anjou mächtig geworden. Riccardo selbst war Graf von Gravina und 1286–89 Generalkapitän in Korfu für den König Robert.

Als ihre Schwester Isabella gestorben war und sie selbst ihre väterlichen Rechte auf Achaia zur Geltung bringen wollte, setzte sie sich in Widerspruch zu den Absichten der Anjou und den Bestimmungen des Pariser Vertrages, denen gemäß jenes Fürstentum als ein Lehen Philipps von Tarent an Louis von Burgund, den Gemahl ihrer Nichte, gegeben war.

Margarete wurde von ihren persönlichen Feinden in Morea heftig bedrängt, namentlich von ihrem Stiefsohn Johann von Kephallenia, mit dem sie wegen ihres seinem Vater Richard zugebrachten Vermögens in Streit lag.Livre d. l. Cq., p. 434ff. Edelmütig hatte sie bisher der Marschall Nikolaus III. von St. Omer geschützt. Nach dessen Tode knüpfte sie aus Haß gegen die Partei der Anjou Verbindungen mit dem sizilianischen Hofe an. Sie konnte mit Grund auf die Billigung und selbst auf die nachhaltige Unterstützung ihrer Absichten durch den König Friedrich II., den Gebieter Athens, rechnen, wenn sie seinem Vetter und Günstling, dem Infanten von Mallorca, die Hand ihrer Tochter Isabella von Sabran darbot. Ihr Vorschlag wurde angenommen, und Margarete schiffte sich mit dem jungen Mädchen nach Messina ein.Es ist möglich, daß sie den Infanten persönlich kennengelernt hatte, als er im Jahre 1308 in der Kadmeia gefangen saß; dies vermutet eine geistreiche Dame, Diane de Guldencrone, L'Achaïe féodale, p. 252.

Der König Friedrich eilte, diese Verbindung zum Abschluß zu bringen, da sich aus ihr die Möglichkeit ergab, das Haus Anjou aus Morea zu verdrängen und auch dieses Land wie Athen für Aragon zu erwerben. Isabella war erst vierzehn Jahre alt, nach dem Urteil Muntaners das schönste Geschöpf, welches irgend Menschen gesehen hatten, rosenrot und weiß und über ihr Alter klug. Ihre Vermählung mit dem Infanten fand im Februar 1314 statt.Contrat de mariage, Buchon, Liv. d. l. Conq., p. 439ff., und Nouv. Rech. II, p. 390. Margarete verbriefte ihrem Eidam als Mitgift seiner Gattin die Baronie Akowa nebst ihren Ansprüchen auf den fünften Teil Achaias, und Ferdinand von Mallorca verpflichtete sich, das Erbe der Villehardouin mit den Waffen zu erobern. So sollte sich der große Kampf zwischen den Häusern Anjou und Aragon auch nach dem Peloponnes hinüberziehen.

Die Kunde jener Verbindung versetzte die ganze französische Partei Moreas in Bestürzung und Wut. Die dortigen Barone anerkannten den Pariser Vertrag und die aus ihm fließenden Rechte der Herzogin Mathilde und ihres burgundischen Gemahls; sie sahen jetzt sich und ihr Land von Sizilien her durch die Kriegsrüstung eines tapfern aragonischen Prinzen bedroht, während sich bereits die Katalanen des Herzogtums Athen bemächtigt hatten und von dort feindliche Einfälle nach Morea unternahmen. Als nun Margarete es wagte, mit ihrem geringen Gefolge im Juni 1314 von Messina nach Morea zurückzukehren, wurde sie von den Häuptern der angiovinischen Partei, ihrem Stiefsohn Johann, dem Bischof Jakob von Olenos und Nicole le Noir, dem Herrn Arkadias, als Verräterin und Verbündete der Katalanen mit Verwünschungen empfangen, ihrer Güter beraubt und festgesetzt.

Nach Griechenland aufzubrechen hinderten den Infanten der gegen Sizilien gerichtete Angriff des Königs Robert und der zwischen beiden Dynastien Anjou und Aragon mit Erbitterung fortgesetzte Krieg. Erst als dieser im Dezember 1314 durch einen Waffenstillstand beendigt war, konnte Ferdinand Schiffe und Kriegsvolk zusammenbringen. Er erfuhr unterdes, daß seine Schwiegermutter drüben in Morea, von ihren Feinden unablässig gequält, im März 1315 in ihrem Schloß Akowa gestorben war.Muntaner, c. 264. Dies verschwieg er seiner Gemahlin, die ihrer Entbindung entgegensah. Isabella gebar am 5. April einen Sohn und starb zwei Tage darauf, nachdem sie ihre Ansprüche auf Achaia diesem Kinde testamentarisch zugesprochen hatte.

Der verzweifelte Infant übergab den kleinen Jayme seinem alten Waffenbruder Ramon Muntaner, der zu ihm nach Sizilien gekommen war, und trug ihm auf, denselben nach Katalonien in Sicherheit zu bringen. Der berühmte Geschichtsschreiber der Katalanen hat selbst anziehend erzählt, unter welchen Gefahren er sich seines Auftrages entledigte, wie er dies Kind, den nachmaligen unglücklichen Jayme II., den letzten König von Mallorca, über See fortbrachte und endlich zu Perpignan in die Arme der alten Königin-Witwe Esclaramonde de Foix, der Mutter des Infanten, legte.

Nach demselben Griechenland, wo er einst als Leutnant des Königs Friedrich die Führung der großen Kompanie hatte übernehmen wollen und dann in der Kadmeia gefangensaß, riefen jetzt den Infanten solche Aufgaben und Pflichten, wie sie nur je die romantische Phantasie eines Spaniers und fahrenden Kavaliers erhitzen konnten. Der Schmerz um den Verlust des jungen schönen Weibes vereinigte sich mit der Begierde, den Tod seiner Schwiegermutter, der letzten Villehardouin, zu rächen und das Erbe seines entfernten Kindes mit dem Schwert des Helden zu erstreiten. Der König von Sizilien unterstützte ihn bereitwillig; er empfahl sein rechtmäßiges Unternehmen in einem Briefe an den Dogen Giovanni Superanzo der Republik Venedig, versichernd, daß sich der Infant eidlich verpflichtet habe, ihre Besitzungen in keiner Weise zu beschädigen.28. April XIII. Ind.; Kopie in Miscellanea, T. IV. Decreti e Docum. Veneti, Cod. lat. XL, Class. XIV, p. 19, Bibl. Marciana.

Mit einem Kriegshaufen tapferer Sizilianer, Katalanen und Aragonier landete Ferdinand im Juni 1315 kühn bei Clarenza. Er eroberte diese berühmte Stadt und das Schloß Belvedere, pflanzte seine Fahne auf andern Burgen auf und nötigte sogar die feindlichen Barone des ganz in Anarchie aufgelösten Fürstentums, ihm persönlich zu huldigen. Bei diesen glänzenden Erfolgen scheinen ihn die Katalanen Athens unterstützt zu haben.Zurita, Annal. II, p. 25.

So gelang es einem Prinzen des kleinen handeltreibenden Eilands Mallorca, sich zum Herrn des fränkischen Morea aufzuwerfen. Trotz seines frischen Schmerzes um den Tod der jungen, von ihm heiß geliebten Gattin vermählte er sich aus Politik schon im Herbst 1315 mit der Kusine des Königs Heinrich II. von Zypern, der Tochter des Seneschalls Philipp aus dem berühmten Hause Ibelin. Auch sie hieß Isabella, und auch sie war erst fünfzehn Jahre alt.Heiratsakt durch Prokura, 14. Okt. 1315 zu Nikosia, Du Cange, Hist. de Cp II, p. 371. Mas Latrie, Hist. de Cypre II, p. 1, p. 179.

Nun aber erschien von Venedig her, und durch diese Republik mit Schiffen versehen, im Frühjahr 1316 auch Louis von Burgund auf dem griechischen Schauplatz, mit starker Kriegsmacht und begleitet von seiner Gemahlin Mathilde.Nach der aragon. Chronik v. Morea, p. 128, war Mathilde schon vor ihrem Gemahl Louis mit 1000 Burgundern in Porto Junco gelandet, dann in Kalamata mit Ehren empfangen, von wo sie die französische Faktion in Bewegung setzte. Erst später kam Louis von Kephallenia her mit dem Grafen Nikolaus. Der Kampf der beiden ritterlichen Prätendenten um den Besitz Moreas ist eine wahrhaft tragische Episode in der Geschichte des fränkischen Peloponnes. Beide waren tapfre Abenteurer, die ihre Rechte aus ihrer Vermählung mit jungen, einander blutsverwandten Frauen ableiteten. Von ihnen war die eine, Isabella von Sabran, eben gestorben, die andere, Mathilde von Athen, das Opfer des Hauses Anjou, die gezwungene Gefährtin des Louis von Burgund.

Dieser rückte von Patras gegen Clarenza, und alsbald erhob sich zu seinen Gunsten der Haß der angiovinischen Partei. Die Gegner Aragons eilten zu den Fahnen Burgunds; sogar die Sanudo von Naxos hatten sich als Vasallen des Fürstentums Achaia ihnen angeschlossen. Die Truppenmacht Ferdinands war gering, da die von Mallorca und Sizilien erwartete Hilfe nicht erschien. Ein einziges Gefecht entschied daher das Schicksal des Infanten, der sich mit tollkühnem Mut den überlegenen Burgundern entgegenwarf und dann auf der Flucht von den wutentbrannten Feinden ergriffen und niedergemacht wurde. Der Anblick seines abgeschlagenen Hauptes bewog den erschreckten Kapitän Clarenzas, diese Stadt dem Prinzen Louis zu übergeben.»Declaratio summaria super facto de morte D. infantis Ferrandi de Majorca«, Du Cange, Hist. de Const., II, p. 383 ff.

Einen Tag vor dieser Katastrophe waren die Katalanen aus dem Herzogtum Athen, welche Ferdinand zur Hilfe gerufen hatte, bis Vostiza vorgerückt. Als sie hier seinen Fall erfuhren, kehrten sie um.Aragon. Chronik v. Morea, p. 136. So endete am 5. Juli 1316 der berühmte Infant von Mallorca, einer der tapfersten Ritter Spaniens.»Vir magnanimus, armorum laudis et gloriae appetitor« nennt ihn Nicol. Specialis, Hist. Sicula VI, c. 22. Seine zweite Gemahlin Isabella von Zypern gebar kurz nach seinem Tode einen Sohn Ferdinand und vermählte sich später mit Hugo von Ibelin, Graf von Jaffa und Ascalon.

Louis von Burgund war jetzt unbestrittener Herr Moreas; allein auch er starb, wie man argwöhnte, durch den Grafen von Kephallenia vergiftet, schon im Sommer desselben Jahres 1316. Seine Gemahlin Mathilde, im Alter von 23 Jahren zum zweiten Male verwitwet, sah sich jetzt ohne Freunde neuen Verhängnissen schutzlos preisgegeben. Sie blieb zunächst in Andravida als Regentin des Fürstentums.

In der Geschichte des fränkischen Griechenlands, ja selbst jener Zeit überhaupt, gibt es nach Helena, der Witwe des edlen Königs Manfred, keine Frauengestalt, deren tragische Schicksale eine gleich große Teilnahme einflößen können. Diese unselige Fürstin war seit ihrer Kindheit das Opfer der in ihrer Person verkörperten Rechte des Hauses Villehardouin, welche sie zum willenlosen Gegenstande fürstlicher Spekulation und der Dynastenpolitik machten. Nachdem ihr Gemahl Louis von Burgund gestorben war, wollte der König Robert diese Rechte für immer an das Haus Anjou bringen; er befahl daher Mathilde, sich nach Neapel zu begeben, wo er über ihre Hand verfügen wollte. Er schickte im Mai 1317 seine Bevollmächtigten mit Briefen an die Vasallen Moreas nach Andravida;Nämlich Berengar Spinula von Genua und Poncius de Cabanel: »Cum pro reformatione regionis principatus Achayae, tum pro honore egregie mulieris Mathildis principisse dicti principatus.« (Reg. Ang., 1317, 1318 A. n. 214, fol. 127). worauf sein Minister Spinula die Fürstin mit Gewalt von Clarenza nach Neapel brachte.»Violenter cum quibusdam galeis duxerunt eam ad dictam civitatem Neapolitanam« (Extrait d'un Mémoire... 1316, bei Du Cange, Hist. de Cp. II, p. 375). Aragon. Chronik v. Morea, p. 138. Im Dez. 1317 war sie noch nicht in Neapel (Reg. Ang., 1317–1318, A. n. 214, fol. 109).

Zum Gemahl hatte ihr der König seinen Bruder Johann, den Grafen von Gravina, bestimmt. Die Unterhandlungen, auch mit dem willigen Papst, wegen dieser Ehe waren schon vor der Ankunft Mathildes in Neapel im Gange, da Robert am 19. Mai 1317 dem Ritter Ricardo de Menania eine jährliche Pension auswarf, um den Eifer zu belohnen, mit welchem er diese Angelegenheit betrieben hatte.Reg. Ang., n. 208, 1316, B. fol. 56. Johann XXII. erteilte den Dispens.Raynald 1318, n. 34, wo statt Isabella Mathilde zu lesen ist. Mathilde wurde sodann dem Grafen von Gravina gewaltsam angetraut und gezwungen, ihm und dem Könige das Fürstentum Achaia abzutreten. Sie protestierte gegen diese Ehe, welche sie nie vollziehen wollte, bei der Signorie Venedigs und dem Papst.A. 26. Okt. 1318 ermahnt sie der Papst, die Ehe zu vollziehen. Mas Latrie, Les Princes de Morée, p. 15. 1319 wird von einem Pakt zwischen ihr und dem Könige Robert geredet, Riccio, Studj stor. su fasc. ang., p. 1. Infolgedessen hatte sie ihre Rechte auf Achaia dem Könige abgetreten. Reg. Ang., n. 233, 1320. 21. A. fol. 140 ; Erlaß seines Sohnes Karl, Capua 18. Juni 1321. Schon 18. März 1318 nannte sich Johannes »princeps Achaye...« (Brief an den Dogen, Commem. II, fol. 25). Hierauf führte sie Robert im Jahre 1322 nach Avignon vor das päpstliche Tribunal, und Mathilde erklärte dort, daß sie keine neue Ehe eingehen dürfe, weil sie bereits mit dem burgundischen Ritter Hugo de la Palisse heimlich vermählt sei. Nichts konnte dem Könige willkommener sein als das Geständnis einer solchen Verbindung, die ihm früheren Verträgen gemäß erlaubte, die Fürstin ihrer Rechte auf Achaia für verlustig zu erklären. Voll Arglist wurde sie sogar der Mitwisserschaft eines Mordplanes beschuldigt, welchen Palisse gegen den König Robert gefaßt haben sollte.Giov. Villani IX, c. 173. Dann brachte man sie von Avignon nach Neapel, wo sie im Kastell dell' Ovo ihr tragisches Leben als Staatsgefangene jenes herzlosen Tyrannen beschließen mußte, welchen der eitle Petrarca mit einer falschen Glorie bekleidet hat. Die ehemalige Herzogin von Athen erlitt das Schicksal der Witwe Manfreds, die im Kerker zu Nocera hatte sterben müssen, und der Kinder desselben Königs. Denn Manfreds Tochter Beatrice hatte in jenem Kastell dell' Ovo bis zum Jahre 1289 geschmachtet, wo der siegreiche Seeheld Roger de Lauria ihre Auslieferung erzwang. Ihre Brüder aber waren nach langen Kerkerqualen im Kastell dell' Monte im Jahre 1299 nach derselben Burg Neapels gebracht worden und hier im Elend gestorben.

Die Inselscholle, auf welcher dies berühmte Schloß stand, war damals größer als heute; sie enthielt sogar Lustgärten. Denn das Kastell dell' Ovo diente nicht bloß zum Kerker für Staatsgefangene hohen Ranges, sondern es war auch ein beliebter Sitz der Anjou. Als Isabella, die junge Erbtochter Villehardouins, nach Neapel kam, um sich mit dem Prinzen Philipp zu verbinden, wurde ihr dort eine fürstliche Wohnung angewiesen. Eine elementare Revolution soll im Jahre 1343 den Umfang der Insel verringert haben.Syllab. membr. ad. Reg. Sicl. pertin., Neapel 1832, I, p. 35. Die Inselscholle hieß im Altertum Megaris, im Mittelalter St. Salvator von einem Kloster. Ich besichtigte das Innere des Kastells dell' Ovo im Frühjahr 1886 und fand ein Labyrinth von finstern Galerien und Kammern, unter denen sich eine Kapelle wie eine Lästerung der Gottheit ausnimmt.

Die Fürstin Achaias erhielt zu ihrem und ihrer Dienerinnen Unterhalt die monatliche Summe von drei Unzen, welche unter den Anjou der gewöhnliche Betrag zur Verpflegung erlauchter Staatsgefangener war. Denn auch die Königin Helena hatte jährlich 40 Unzen erhalten.»Domne Mathilde de Agnonia (Haynaut) Principisse Achaie detentae de mandato regio in Castro Ovi un. tres per mensem pro expensis suis et familie sue.« Reg. Ang., 1326, A. n. 262, fol. 245 (C. Minieri Riccio, Stud. stor. sopra 84 registri Angionini, p. 31). Eine Unze ist gleich 5 Goldfloren.

Für die Befreiung Mathildes bemühten sich fruchtlos der Graf von Hennegau, ihr Verwandter, und der Kardinal Napoleon Orsini.»Procuration et promisse pour la délivrance de noble dame Mahaut de Hainaut, Princesse d'Achaye, Valenciennes a. 1323, Avignon a. 1324.« (St. Genois, a.a.O., p. 340). Da ihr nicht gestattet wurde, ihren Willen in einem gerichtlichen Testament niederzulegen, so erklärte sie mündlich vor mehreren Personen, daß sie alle ihre Rechte in Griechenland auf den König Jayme von Mallorca, den Sohn des Infanten Ferdinand, übertrage. Sie schien damit den Untergang sühnen zu wollen, welchen dieser einst durch ihre und ihres Gemahls Louis von Burgund Waffen bei Clarenza gefunden hatte. Sie selbst war kinderlos geblieben.Du Cange II, p. 376. Die Ansicht Buchons (Einl. zum Liv. d. l. Cq., p. XLI), daß Mathilde den Titel des Herzogs von Clarence ihrer Verwandten Philippine de Hainault, der Mutter des englischen Prinzen Lionel vermacht habe, widerlegt Leake, Peloponnesiaca, p. 212. Nach ihm erhielt Lionel den Titel 1362 als Erbe Gilberts, des Earl von Clare in Suffolk. Sie starb im Kastell dell' Ovo im Jahre 1331.Nicht in Aversa, wie Hopf glaubt; richtig gibt Bozzo (p. 435) Neapel an. Daß sie im Kastell dell' Ovo starb, sagt das ›Mémoire‹ bei Du Cange und geht auch aus den Exequien hervor. Es war nur ein Hohn, wenn sie der König feierlich im Dom Neapels in der Kapelle seiner Familie bestatten ließ. Wir lesen noch die Rechnung der königlichen Kammer über die Kosten dieser Exequien.Einem Apotheker für 1503 Pfund Wachskerzen »pro exequiis quond. Mathilde de Annonia olim Principisse Achaie ac quond. filie Despine Romanie neptis nostre, unc. 31. tar 7. gr. 16.« Einem Zimmermann für den hölzernen Katafalk »3 (?) tari«. Für einen Marmorsarg »1 unc. tar. 12 (?)«. 4 Unzen für ein Tuch von Goldbrokat; für das Läuten der Glocken »16 tari«. C. M. Riccio, wie oben, p. 29.


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