Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2.

Den allgemeinen Eindruck, den Athen bei seinem ersten Besuche auf ihn machte, sprach Cyriacus in diesen Worten aus: »Am 7. April kam ich nach Athen. Hier erblickte ich zuerst die ungeheuren, überall vom Alter zerfallenen Mauern und in der Stadt wie auf den Feldern unglaubliche Marmorbauten, Häuser und heilige Tempel, vielerlei Bildwerke von Dingen, durch bewundernswerte Kunst ausgezeichnet, aber all dies zu großen Trümmermassen zerstört. Das Merkwürdigste ist oben auf der Stadtburg der großartige, staunenswürdige Marmortempel der Göttin Pallas, das göttliche Werk des Phidias mit 58 herrlichen Säulen so groß, daß sie 7 Palm im Durchmesser haben. Er ist überall mit den edelsten Skulpturen geschmückt, welche die höchste Kunst des Bildhauers auf beiden Giebeln, den Wänden, den Gesimsen und Epistilien ausgemeißelt hat.«Epigr. rep., p. XXXVII. Leider ist Cyriacus nicht der Pausanias des zertrümmerten Athen im 15. Jahrhundert geworden. Er hat keine Periegese der damaligen Stadt zusammengetragen noch seine dortigen Beobachtungen und Erlebnisse aufgezeichnet.Andre seiner Briefe haben schon etwas von der Art des modernen Touristen: so die von Tozzetti mitgeteilten: z. B. der über Sardes, p. 451.

Sein Zweck war, Monumente zu betrachten und vor allem Epigramme abzuschreiben. So wurde er der Vorläufer des Spon und Wheler, des Chandler, Stuart und Fourmont. Seine Sammlung athenischer Inschriften ist als erste dieser Art eine bewundernswürdige Leistung. Wenn diese Abschriften auch hie und da nicht vollkommen korrekt sind, so ist doch ihre Treue im ganzen von den Nachfolgern bestätigt worden.Sie sind dem Corp. I. Gr. einverleibt. Sooft er Inschriften in sein Notizbuch eintrug, versah er sie mit den Angaben des Orts und Monuments und fügte bisweilen noch kurze Reisedaten hinzu. Doch lassen diese Notizen manche Lokale dunkel. Wenn Cyriacus mehrmals notiert: »am Tor der neuen Stadt«, oder »neben den neuen Stadtmauern«, so darf man daraus schließen, sowohl daß ein neuer Mauerbau, und wahrscheinlich von den Acciajoli, aufgeführt worden war, als daß ein Bezirk die »Neustadt« genannt wurde. Allein es bleibt ungewiß, wo dieser lag, ob damit der Umfang der sogenannten valerianischen Mauer oder das Gebiet des Olympieion bezeichnet wurde.Epigr. reperta n. 91, 110, 117: »ad nova moenia«; n. 124: »ad portam novae civitatis«. Die Stadtmauern Athens beschrieben einen kleinen Umfang, da der Theseustempel »in agro Athenarum« lag (n. 96). »Moenia Athenar. antiquissima magnis condita lapidibus« (n. 74). Von Toren der Stadt Athen sind bezeichnet das westliche (n. 75), das nördliche (n. 92) und die »porta novae civitatis« (n. 114). Das westliche kann nur das piräische gewesen sein wie zur Zeit Spons.

Kein anderer Ort in Athen konnte dem Sammler von Inschriften wie dem Zeichner von Monumenten eine größere Ausbeute geben als die Akropolis. Cyriacus schrieb von ihrem Tor eine Inschrift ab und eine andere von dem Vorhof, in welchen man aus jenem eintrat.N. 108: »ad portam arcis«. Nicht korrekte Kopie der Inschrift, welche besagt, daß Flavius Sept. Marcellinus Pylonen errichtet habe. Dazu die Erklärung in C. I. Gr., n. 521, und Wachsmuth, Stadt Athen, S. 704. N. 113: »ad vestibulum arcis«. Allein die Zahl der von ihm aus der Stadtburg entnommenen Epigramme ist keineswegs beträchtlich.

Er kopierte ein paar Inschriften aus der nächsten Nähe des Parthenon oder in diesem selbst. Im Vestibulum, dem östlichen Eingange der Marienkirche, von welcher als solcher er übrigens nicht die geringste Notiz nahm, schrieb er die Inschrift des Architravs des Tempels der Roma und des Augustus ab.»Ad praefatae Palladis Templi vestibulum« (n. 72). Eine andre fand er an einer Säule, die in der Kirche neu errichtet war, also wohl dem Zweck einer Restauration diente.N. 73: »ad columnam in praefata Palladis aede noviter positam...« Zwei andere Inschriften: n. 47: »ad urnam in Palladis aede marmoream«; n. 105: »in alio lapide ante magnam Palladis aedem«.

Auch die vom Südabhange der Burg entnommenen Epigramme sind sehr spärlich; darunter befinden sich diejenigen der choregischen Denkmäler des Thrasyllos und seines Sohnes Thrasykles vor der Grotte der Panagia Chrysospeliotissa.N. 69: »ad statuam Gorgonis sub arce ad marmoream et ornatissimam scenam prope incisam rupem et mira ope fabrefactum specus«. Das Haupt der Gorgo an der südlichen Akropolismauer über dem Theater (Pausanias I, 21), welches ein König Antiochos als Apotropaion dort hatte befestigen lassen, beschäftigte vielleicht noch die Phantasie der Antiquare, und die Gorgosage lebte im Namen Gorgopiko fort, welchen die alte Metropolis führte. Die Notiz des Cyriacus aber zwingt, eine wirkliche, Gorgo getaufte Statue anzunehmen. Cyriacus scheint dies Denkmal für einen Theatersitz gehalten zu haben, wie auch das Monument des Lysikrates.N. 76: »ad ornatissimas scenarum marmoreas cathedras«. Im übrigen konnte die Tradition vom Theater des Dionysos nicht erloschen sein, wenn auch dasselbe, gleich den von den Christen des 5. Jahrhunderts zerstörten Heiligtümern des Asklepios, größtenteils vom Schutte bedeckt war; denn ohne dies würde Cyriacus wohl einige Inschriften von dort, namentlich von den Marmorsesseln, abgeschrieben haben.Manche Trümmer scheinen als Theater gegolten zu haben; so bezeichnet der Pariser Anonymus (abgedruckt von Wachsmuth, Stadt Athen, S. 742) an der Kallirrhoe eine Szene des Aristophanes. Auch die große Weihinschrift der Basis der Statue des Kaisers Hadrian, welche die Phylen Athens diesem Wohltäter der Stadt im Theater aufgerichtet hatten, ist ihm unsichtbar gewesen.

Andre von Cyriacus gesammelte Inschriften zu Ehren Hadrians bilden einen so unverhältnismäßig bedeutenden Teil seiner athenischen Sylloge, daß sie allein hinreichen würden, darzutun, wie groß die Liebe des Kaisers zu Athen gewesen ist. Es ist merkwürdig, daß Cyriacus in den Trümmern des Olympieion, von dem damals noch 21 Säulen mit ihrem Gebälke übriggeblieben waren, noch eine Reihe von Postamenten vorfand, auf denen einst im Peribolos des Heiligtums die Statuen standen, welche griechische Städte dem Olympier Hadrian bei Gelegenheit der Einweihung des von ihm vollendeten Prachttempels errichtet hatten. Er schrieb von manchen die Weihinschriften ab.So von Pompejopolis, Anemurion, Keramos, Sebastopolis, Pales, Dia, Sestos, Milet und ein paar von Privatpersonen. Auch an anderen Orten fand er solche vom Olympieion verschleppte Basen. Die vom Hadrianskoloß ist nicht bemerkt. Später fanden Spon, Chandler und Fourmont noch andre hadrianische Weihinschriften in Athen auf. – Cyriacus kopierte vom Propylaion der neuen Agora das Edikt Hadrians wegen des Ölverkaufs, die Inschrift vom Portal der hadrianischen Wasserleitung, das berühmte Epigramm vom Bogen des Eingangs zum Olympieion. Alle auf Hadrian bezüglichen Epigramme umfassen die Nummern 78 bis 93.

Die Aufzeichnungen des Reisenden von Ancona haben für die Geschichte der Stadt Athen nur soweit Bedeutung, als sie eine Übersicht über die damals noch vorhandenen antiken Denkmäler derselben möglich machen. Wenn wir zu den genannten inschriftlich durch ihn beglaubigten Monumenten noch andere von ihm gesehene hinzufügen, wie den Areopag, den noch mit seinen 30 Säulen wohlerhaltenen Theseus-Tempel, welchen er nach Mars benannte, die Agora (Forum), die von ihm als Tempel des Äolus bezeichnete Sonnenuhr des Andronikos Kyrrhestes, das Philopappos-Denkmal und ungenannte Gymnasien: so stellt dies ein monumentales Inventarium der Stadt dar, welches zwar geringer ist als das unsrige der Gegenwart, aber doch alles Wesentliche der heutigen Ruinenwelt Athens umfaßt.

Leider sind die Bemerkungen des Cyriacus sehr flüchtig; von seinem zweiten Besuche Athens zumal sind keine Notizen vorhanden als der aus Chios am 29. März 1447 geschriebene Brief, worin er mit etwas mehr Ausführlichkeit von den Wunderwerken der Akropolis, doch nicht von allen, gesprochen hat. Er sah die Stadtburg, elf Jahre bevor sie die Türken besetzten; eine Schilderung ihres damaligen Zustandes würde demnach heute von unschätzbarem Werte sein. In jenem Briefe sagt er kein Wort über die Mauern und Befestigungen der Akropolis, über den Aufgang zu ihr, über die auf der Fläche verteilten Häusergruppen, noch beschreibt er den herzoglichen Palast.

Er hat nur zwei antike Bauwerke dort hervorgehoben, die Propyläen und den Parthenontempel. Die ersteren hat er nicht mit ihrem Namen genannt, und ebensowenig findet sich in seinen Aufzeichnungen derjenige des Erechtheion und des Niketempels; aber da Leonardo Aretino in einem Briefe an ihn von seiner Zeichnung der »Propyläen« spricht, so muß auch Cyriacus diesen antiken Begriff gekannt haben. Er selbst nannte das große Bauwerk des Mnesikles »Aula« und beschrieb dasselbe als eine prachtvolle Halle, aus welcher zunächst ein viersäuliger Portikus hervortrat, während in ihr selbst zwei Reihen von sechs Säulen das glänzende antike Marmorgetäfel der Decke trugen. Der Verlust seiner Abbildung der Propyläen ist bedauerlich, weil dieses Blatt eine wenn auch entstellte Ansicht des Schlosses der Acciajoli enthalten mußte.»Cum... et Athenarum Propylaea descripsisses nobis. (Leon. Aretinus, Ep. V, lib. IX, ed. Mehus, II, p. 149). Im übrigen verschmähte Cyriacus falsche antiquarische Bezeichnungen, wie Arsenal des Lykurg und Kanzlei.Der Wiener Anon., n. 10, sagt: πρὸς δὲ τὸ βόρειον κλει̃τος υπη̃ρχεν πα̃σα καγγελαρία εκ μαρμάρου καὶ κιόνων πεποιημένη λευκω̃ν. Wachsmuth, Stadt Athen, S. 738, glaubt deshalb, daß im nördlichen Flügel der Propyläen (Pinakothek) die Kanzlei der Herzöge von Athen eingerichtet war, und dieser Ansicht hat sich auch A. Bötticher angeschlossen. Allein das geht aus der Stelle doch nicht hervor. Der Schreiber dachte hier offenbar an das Altertum und fabelte von irgendeiner antiken Kanzlei. Obwohl er nicht mit baren Worten sagt, daß jene Aula ein Teil des herzoglichen Palasts geworden war, muß doch dieser darunter verstanden werden.Er bemerkt, daß er Nerio »in Acropoli summa civitatis arce« gefunden habe und fährt fort: »cum ejusdem praecellentis aulae nobilissimum opus diligentius adspexissem.« Hier könnte das »ejusdem« syntaktisch auch auf die »arx« bezogen werden, doch ist es richtiger, das Wort auf Nerius selbst zu beziehen. So nennt Cyriacus auch das Schloß auf der Kadmeia einmal »aula« mit dem Zusatz »regia«.

Daß die Marienkirche auf der Burg der alte Tempel der Parthenos, die »aedes Palladis«, war, wußte Cyriacus so gut wie jedes Kind in Athen. Für ihn aber, den Altertumsforscher im Zeitalter der heidnischen Renaissance, hatten die dortigen Reliquien und Gemälde keinen Wert mehr. Er erwähnte mit keinem Wort der Kirche, sondern bewunderte nur den edelsten Tempel der göttlichen Pallas, »von dem Aristoteles dem Könige Alexander, unser Plinius und viele andere vornehme Autoren bezeugt haben, daß er das marmorne Wunderwerk des Phidias sei«.

Er zählte die 58 Säulen des Tempels, 12 in jeder Fronte und je 17 auf den Seiten; er bemerkte flüchtig die Skulpturen der Metopen und Giebelfelder und hielt diejenigen des Cellafrieses für eine Darstellung der Siege Athens zur Zeit des Perikles. Seinen Brief schloß er mit der Bemerkung, daß er die Gestalt des herrlichen Bauwerkes in den Kommentaren zu seiner griechischen Reise niedergelegt habe.Diese Abbildungen sind phantastisch und unbrauchbar. Der Tempel hat Kuppelform: Kopie aus dem Skizzenbuche des San Gallo in Laborde, Athènes I, p. 33. Faksimile (aus der Sammlung des Herzogs von Hamilton, im Berliner Museum) von Michaelis, Parthenonzeichnungen des Cyriacus, Arch. Zeit. 1882, S. 367ff.

Diese Kommentare sind nicht auf uns gekommen. Nach dem Zeugnis des Petrus Rassanus, eines Freundes des Cyriacus, hatte dieser seine Notizen, Zeichnungen und Inschriften in drei großen Bänden vereinigt.Leandro Alberti, Descriptio totius Italiae, Colon. 1567, p. 432. Sie sind nach seinem Tode verlorengegangen oder nur in Bruchstücken erhalten.Die wichtigste Ausgabe der ›Inscriptiones« ließ der Kardinal Francesco Barberini von Carolus Moronus machen; dann die römische Edition von 1747: ›Inscriptiones seu epigrammata graeca et lat. reperta per Illyricum a Cyriaco Anconitano...‹ Nur diese Sammlung enthält die Athen betreffenden Inschriften und Notizen. In den Commentariorum Cyr. Anc. nova fragmenta notis illus., ed. Hannibal de Abatibus Oliverius, Pisauri 1763, befindet sich nichts von Athen außer der Inschrift vom Bogen Hadrians. Auch aus dem Leben des Cyriacus von Scalamontius erfahren wir sowenig etwas von Athen wie im Itinerarium des Mehus. Solche Schätze erregten das Erstaunen der Humanisten Italiens, denn nie zuvor war von ihnen Ähnliches gesehen worden.

Ein Skizzenbuch des römischen Architekten San Gallo des Älteren aus dem Jahre 1465 enthält, nach Zeichnungen des Cyriacus, eine Reihe willkürlicher Abbilder von Denkmälern, wie des Turms der Winde, des Monuments des Thrasyllos, des Philopappos, des Portals der Wasserleitung Hadrians, eine Ansicht des Piräus mit den Löwen und zwei Rundtürmen und des Parthenon.Bibl. Barberini. L. Roß, Das Zeichenbuch des röm. Architekten Giuliano da S. Gallo, Hellenika I, 1 , p. 72, hat zuerst die Herkunft dieser Kopien von Cyriacus dargetan. Siehe auch Michaelis, Parthenon, S. 54, 95, 187. Wachsmuth, Stadt Athen I, S. 10ff.

Selbst nach Deutschland verloren sich Bruchstücke der Tagebücher des großen Reisenden. Dürer erhielt Zeichnungen athenischer Bauwerke durch Vermittlung des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel, welcher solche aus einem Exemplar der Kommentare in Padua kopierte.De Rossi entdeckte die Kopien Schedels in dessen Münchner Handschrift. – O. Jahn, Popul. Aufsätze aus der Altertumswissensch., S. 344ff. – Bullettino dell' Inst. Arch. 1861.


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