Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

Theodor von Epiros erobert Thessalonike. Der Bulgarenzar Johann Asen II. Johann von Brienne, Regent für Balduin II. Villehardouin, verteidigt Byzanz gegen Johann Asen und Batatzes. Der lateinische Feudaladel in Griechenland. Die Barone in Achaia. Theben, Residenz des Herrn von Athen. Ansiedlung der Genuesen in Theben und Athen. Wilhelm Villehardouin, Fürst Achaias. Er erobert Lakonien und erbaut die Burg Misithra. Verhältnisse Euböas. Die Dreiherren vom Hause dalle Carceri. Venedig erlangt Hoheitsrechte über dieselben. Villehardouin beansprucht Euböa und die Hoheit über Athen. Bund der Venezianer, der Euböoten und der Barone in Hellas gegen diesen Fürsten.

1.

Noch ehe der Megaskyr Griechenland verlassen hatte, waren jenseits der Thermopylen Ereignisse eingetreten, welche auch für den Staat Athen wichtige Folgen herbeiführten. Das lombardische Königreich Thessalonike, dessen junger Fürst Demetrios, der Sohn Bonifatius', sich mit einer Nichte Ottos de la Roche vermählt hatte, war durch den Despoten von Epiros, Theodor Angelos, im Jahre 1222 vernichtet worden. Damit schwand auch der letzte Schein der Lehensabhängigkeit des athenischen Staats von jenem Königreich. Der Fall Thessalonikes erschreckte die Franken, aber vergebens rief der im Abendlande abwesende Demetrios die Hilfe des Papsts auf.Der Papst erließ am 12. Febr. 1225 eine Ermahnung an die gesamte Geistlichkeit Romaniens: »Ne capta Thessalonica desperent.« Pitra, Analecta novissima, I, p. 230. Sein Halbbruder Wilhelm IV., der Markgraf von Montferrat, war entweder zu verständig oder zu machtlos, um sich auf ein überseeisches Abenteuer einzulassen. Er verzichtete auf Thessalonike, das ehemalige Reich seines Vaters, weshalb ihm ein Troubadour zornig zurief, daß er nicht dem Sohne Robert Guiscards gleiche, welcher Antiochia und Mongizart erobert habe, sondern ein Bastard zu sein scheine, würdig, Abt von Citeaux zu werden.Elias Cairel, Mahn, die Werke der Troubadours III, 1. Lief., S. 93. Diez, Leben u. Werke der Tr., p. 559. Der Dichter hält die Eroberung Thessalonikes für so leicht, daß der Markgraf dazu nicht Steinschleuder noch Wurfgeschoß brauche.

Nachdem Theodor in Thessalonike den Kaisertitel angenommen hatte, schien sich unter seinem Zepter ein nationales Hellenenreich wieder aufzurichten, denn die Herrschaft der Angeloi erstreckte sich jetzt von Durazzo bis nach den Küsten Thessaliens. Dies Reich Epiros unterbrach die Verbindung der Lateiner in Konstantinopel mit den fränkischen Lehnsstaaten in Hellas; wenn dasselbe Bestand behielt, so konnte es auch diese erdrücken. Allein die Gefahr wurde dadurch entfernt, daß der Schwerpunkt aller im Balkanlande sich bildenden slavischen und griechischen Staaten nicht in Hellas, sondern am Bosporos lag, daß ihr Ziel weder Athen noch Korinth, sondern die Weltstadt Konstantinopel war. Auf dasselbe Ziel richtete sich das Streben des Kaisers in Nikaia, wo nach dem Tode des ruhmvollen Laskaris im Jahre 1222 dessen gleich tatkräftiger Schwiegersohn Johannes Batatzes den Thron bestiegen hatte.

Drei Kaiser standen demnach in jener Zeit auf den Trümmern des alten Reichs der Komnenen: der schwache lateinische am Bosporos und seine zwei starken Gegner, die griechischen Herrscher in Thessalonike und in Nikaia, von denen ein jeder der legitime Erbe Konstantinopels zu werden hoffte. Wenn diese beiden einander zu einem aufrichtigen Bunde die Hände gereicht hätten, so würden sie wohl das Lateinerreich vernichtet haben. Doch Eifersucht trennte sie als Nebenbuhler. Es gab außerdem eine vierte Macht, mit der zu rechnen war. Seit 1218 saß auf dem Bulgarenthron in Trnovo ein großartiger Mann, Johann Asen II., mit kühnen Plänen der Gründung eines illyrischen Reichs beschäftigt, dessen Hauptstadt Konstantinopel sein sollte. Ihr Besitz war der Traum der Slavenfürsten, schon Jahrhunderte vor Peter dem Großen.

Mit gewaltigen Schlägen zertrümmerte der Bulgarenzar Epiros im Jahre 1230. Dem gefangenen und geblendeten Theodor erlaubte er später, den Kaisertitel in Thessalonike fortzuführen, da er selbst sich in dessen Tochter Irene verliebte und sie zum Weibe nahm. Der Kaiser von Nikaia stand jetzt dem Bulgarenherrscher als einem Prätendenten des Reichs gegenüber, aber diese Fürsten verständigten sich doch miteinander zu dem Unternehmen, mit vereinigten Kräften die Lateiner aus Konstantinopel zu verjagen. Dort regierte für Balduin II., den unwürdigen Sohn und Erben des im Jahre 1228 gestorbenen Robert von Courtenay, ein mehr als achtzigjähriger Held, Johann von Brienne, der Titularkönig Jerusalems, Schwiegervater des Hohenstaufen Friedrich II. und zugleich sein Gegner im Dienste des Papsts. Die fränkischen Barone hatten ihn aus Italien zum Vormunde des jungen Prinzen berufen, und Johann von Brienne war im Jahre 1231 nach Konstantinopel gekommen und in der Sophienkirche zum Kaiser gekrönt worden.

Mit Mühe erwehrte er sich der Angriffe seiner starken Feinde, und zwar mehr durch geschickte Unterhandlungen als durch die geringen Streitkräfte des zusammengeschmolzenen Lateinerreichs. Von den Bullen des Papsts unterstützt, rief er alle seine Lehnsmannen zur Verteidigung der bedrängten Hauptstadt auf. Unter diesen war damals sowohl der mächtigste als der bereitwilligste der Fürst von Achaia, Gottfried II. Villehardouin. Er verpflichtete sich zu jährlichen Subsidien von 22 000 Goldstücken und rüstete ein Heer. Die Kirchen im Lande des Megaskyr zahlten Kriegszehnten, gemäß dem Gebote des Papsts. Als nun die Scharen des Bulgarenzars und des Kaisers Batatzes im Jahre 1236 Konstantinopel wirklich zu Wasser und zu Lande belagerten, war es der Fürst von Achaia, der die Stadt rettete. Mit seiner Flotte, zu der sich venezianische Galeeren gesellten, drang er in das goldene Horn ein, zerstreute die feindlichen Schiffe und zwang die Belagerer zum Abzuge. Es verlautet nichts davon, daß auch Guido von Athen sich an dieser Waffentat beteiligte.

So war dem wankenden Lateinerreich nochmals eine kleine Lebensfrist gegeben. Nach dem Tode Johanns von Brienne im Jahre 1237 konnte Balduin II., aus dem Abendlande heimkehrend, wohin er sich als Schutzflehender begeben hatte, den byzantinischen Thron besteigen. Zum Glück für ihn löste sich das Bündnis seiner Feinde auf. Johann Asen II. starb im Jahre 1241, und mit seinem Nachfolger Koloman schloß Balduin einen Waffenstillstand, welchem auch Johannes Batatzes beitrat. Die Macht des Bulgarenreichs zerfiel alsbald, und so bewiesen auch unter den Asaniden die Balkanslaven ihre Unfähigkeit, einen dauernden Staat zu bilden. Nur barbarische Impulse, von einzelnen kühnen Männern ausgehend, haben jene Völker stoßweise in Bewegung gesetzt, und eine Zeit lang kriegsgewaltig und furchtbar gemacht. Zu einer festen politischen Gestalt sind sie niemals vorgeschritten.

Die Frankenstaaten im eigentlichen Griechenland hatten demnach, mit den Venezianern vereinigt, durch die Tat gezeigt, daß sie die Erhaltung des lateinischen Kaisertums in Byzanz als eine Pflicht, wenn nicht ihres Lehnsverbandes mit ihm, so doch ihres Vorteils erkannten. Im Grunde aber war ihr eigenes Dasein nicht mehr von dem Schicksale Konstantinopels abhängig; denn von diesem hatten sie sich bereits zu selbständigem politischem Leben abgetrennt. Das lateinische Feudalwesen und die ritterliche Gesellschaft des 13. Jahrhunderts wurzelten sich in den Ländern südlich vom Öta ein, deren Oberfläche ein französisches Gepräge erhielt. Ein neues Frankreich entstand, wie der Papst Honorius III. sagte, an den Ufern des Peneios, Alphios, Eurotas und Ilissos. Diese abendländische Kolonisation war entwicklungsfähig, obwohl sie mitten unter den Griechen eigenartig und abgeschlossen blieb. Wenn die Franzosen und Italiener in Griechenland nicht, wie ehemals die Goten und Langobarden in Italien oder die Franken in Gallien, in dem fremden Volkselement aufgingen, so geschah es nur, weil sie eine stärkere und selbstbewußte Individualität hatten und weiter in der Gesittung vorgeschritten waren als Goten und Langobarden, endlich weil sich ihre Rasse durch den Zufluß von Landsleuten erhielt, während die große lateinische Kirche sie für immer von den Griechen trennte.

Es gab zwischen dem hellenischen Orient und dem Abendlande keine Wahlverwandtschaft und deshalb auch keine Verschmelzung. Die Griechen konnten niemals latinisiert, ihre Sprache, Religion und Bildung konnten niemals ausgetilgt werden. Zu derselben Zeit, als Franzosen und Italiener ihre Staaten in Griechenland aufrichteten, entstand seit 1230 im Nordosten Europas eine Kolonie des deutschen Ritterordens. Auch dieser hatte in Hellas und namentlich in Morea Ländereien erworben. Im Jahre 1209, wo zu Andravida die Lehen der Ritterschaft und des Klerus ausgeteilt wurden, erhielten die deutschen Brüder vier Gebiete in der Kastellanie Kalamata mit Mostenitsa, wo der Komtur von Romania residierte.Hopf, Veneto-Byzantin. Analekten, S. 7. Glücklicher als die Johanniter und Templer rettete sich der deutsche Orden von dem Zusammensturz der griechischen Frankenstaaten aus dem Orient nach Preußen. Die Marienburg wurde dort, was Andravida im Peloponnes und Athen in Attika waren. In den Wildnissen Preußens und Litauens gelang es diesem Ritterorden, was den Franken im griechischen Kulturlande nicht gelingen konnte, eine politische Schöpfung auszubilden von solcher Lebenskraft, daß sie nach mehr als einem halben Jahrtausend zu einem der wichtigsten Faktoren der Neugestaltung des deutschen Nationalreichs geworden ist.

Die Franken herrschten in Hellas, ohne dasselbe umzubilden, und sie gingen am Ende vorüber, ohne eine bleibende Marke in seiner Kultur zurückzulassen. Wenn auch die Sonne Griechenlands die Sitten dieser Eroberer gemildert hatte, so besaßen sie doch kaum ein Bewußtsein davon, daß sie durch ein ungeheures Schicksal zu Gebietern desjenigen Landes geworden waren, welches glänzendere Werke und Ideen erzeugt hatte als alle anderen Völker der Erde. Dies griechische Blatt der Weltgeschichte war für sie nicht geschrieben oder doch für immer umgeschlagen. Athen, Sparta, Theben und Korinth weckten in ihnen um so weniger ideale Empfindungen, als diese Städte selbst seit lange verfallen und von einem gesunkenen Geschlecht bewohnt waren, welches zum großen Teil seine eigene Vergangenheit vergessen hatte und die klassischen Trümmer Griechenlands aus einem Zeitalter der »Riesen« ableitete.

Es gab nie Menschen, die auf antikem Boden so modern blieben wie die Franken in Hellas. Selbst die rohesten Kriegsknechte unter den Kreuzfahrern in Syrien begriffen die Bedeutung Jerusalems für die Menschheit als Christen, aber für Athen und Sparta besaßen nicht einmal die La Roche und Villehardouin den Schlüssel des Verständnisses. Um solchen zu haben, hätten sie erst begreifen müssen, was Kunstschönheit und Wissenschaft, was die griechische Sprache sei, was die Namen Homer, Phidias, Sophokles, Pindar und Plato bedeuten. Es mußten erst Jahrhunderte vergehen, Konstantinopel mußte erst türkisch geworden, das Dasein Athens im Abendlande verschollen und dann gleichsam neu entdeckt sein, bis die Urenkel jener Lateiner des 13. Jahrhunderts wieder in Hellas erschienen, um mit schwärmerischer Andacht jeder verschütteten Spur der alten Griechenwelt nachzuforschen und zugleich die Geschichte der dortigen Frankenherrschaft ans Licht zu ziehen, die bis auf ein paar Namen von Städten und Burgen gleichfalls vergessen war.

Die Ruinen vieler Feudalschlösser, zumal im Peloponnes, geben heute allein Zeugnis von der eisernen Tatkraft und dem ritterlichen Prunk des lateinischen Adels. Die Alemann in Paträ, die Rozieres zu Akova oder Mategriffon in Mesarea (Arkadien), die Bruyeres zu Karytena in der alten Gortys (Skorta) ebendaselbst, die Tournay zu Kalavrita in Arkadien, die Charpigny in Vostitsa, die belgischen Valaincourt zu Veligosti und Damala in der Argolis, die Neuilly in Passava erfüllten als Pairs des Fürsten Achaias Burgen mit geräuschvollem Leben.Buchon und Hopf haben diese Baronien zusammengestellt, und sogar eine Dame hat dies neuerdings versucht: Diane de Guldencrone, L'Achaïe féodale, Paris 1886. – Siehe auch Ch. A. Leving, La Principauté d'Achaïe et de Morée, Brüssel 1879. Der Fürstenhof Gottfrieds II. Villehardouin, welchem 700 bis 1000 Ritter dienten, galt selbst im Abendlande als Schule feinster Sitte. Andravida in Elis, von mächtigen gotischen Schlössern verteidigt, war Sitz des Herrschers Achaias, nebst dem nahen Hafen Clarenza am Vorgebirge Chelonatas, Zante gegenüber. Auf diesem Kap stand das von Gottfried II. zum Schutze des Hafens erbaute gewaltige Schloß Chlemutsi oder Clermont, auch Kastell Tornese genannt, weil in ihm seit 1250 die »deniers tournois« geschlagen wurden, die überall in Griechenland verbreitete Scheidemünze Achaias.Schlumberger, Numismatique de l'Orient latin, Paris 1878, p. 130. Leake, Peloponnesiaca, p. 210. Auf den Ruinen des alten Elis erhob sich die neue Burg Pontikos oder Belvedere, von wo der Blick die Küsten Ätoliens, die Inseln Zakynthos, Kephallenia und Ithaka und landwärts die grünen Fluren des Peneios übersieht bis zum erymanthischen Bergwalde im Nordosten und zu den Höhenzügen, an denen der Ladon nördlich von Olympia herabfließt.

Minder glänzend als die Residenzen der Villehardouin waren diejenigen des Megaskyr in Theben und Athen. Da Attika ein dürftiges Land und seine Hauptstadt ein abgelegener und nicht zentraler Ort war, so nahm Guido I. seinen Sitz vorzugsweise in Theben.Die Chroniken von Morea bezeichnen mehrmals Theben als seine Residenz. Die Stadt des Kadmos in dem fruchtbaren Böotien bot eine bessere Verbindung mit den Frankenstaaten Euböas, des nördlichen Hellas wie des Fürstentums Achaia dar. Sie war durch ihre Luft gesund und sehr wasserreich, von den viel besungenen Bächen der Dirke und Arethusa, der Epikrene und des Ismenos umströmt. Schon der erste Megaskyr hatte seinem Neffen Guido de la Roche die Hälfte Thebens zu Lehen gegeben, die andere aber hatte er seiner eigenen Schwester Bonne geschenkt, und diese brachte dieselbe als Mitgift ihrem Gemahle Bela, einem Sohne des Jacques von St. Omer, zu. Dies flandrische Geschlecht setzte sich demnach in Theben fest und erhielt die Hälfte der dortigen Herrschaft mit acht Ritterlehen.Moland, Saint-Omer dans la Morée, p. 81.

Das Schloß auf der Kadmeia, welches früher, wie man mit Sicherheit behaupten darf, der byzantinische Stratege bewohnt hatte, konnte leicht zur Residenz des Megaskyr eingerichtet werden. Dort lagen die alten Tempel des Zeus Hypsistos, der Tyche, der Aphrodite, der Demeter längst in Ruinen, und ihr Material hatte den Byzantinern zum Aufbau neuer Wohnungen und Befestigungen gedient. Nur mußten im 13. Jahrhundert noch mehr Teile der kolossalen alten Burgmauern erhalten sein als am heutigen Tage. Vielleicht waren noch die sieben Tore in der untern Ringmauer kenntlich. Pausanias hatte sie noch gesehen, aber schon zu seiner Zeit war die Unterstadt Theben verlassen und nur die langgestreckte Hügelreihe der Kadmeia bewohnt, unter welcher sich gegen den Kopaissee hin jene fruchtbare Ebene ausdehnt, wo ein rötlicher Felsenberg die Erinnerung an die Sphinx bewahrt.Dodwell, Reise durch Griechenl., übersetzt von Sickler, I, 2. Ab., S. 35 ff. Bursian, Geogr. Griech., I, 225.

Theben genoß noch immer Ruf in der Handelswelt durch seine Linnen- und Seidenfabriken, für deren Betrieb der Wasserreichtum der Bäche Ismenos und Dirke eine wesentliche Bedingung war.Dies sagt Tzetzes (ed. Kiesling), Histor. Var. chil. X, v. 389 ff.

Φύσει τω̃ν σφω̃ν υδάτων
Διαύγειαν καὶ στίλψιν δὲ καὶ γε πολὺ τὸ λει̃ον
Δωρου̃νται τοι̃ς υφάσμασι τοι̃ς εν Θηβω̃ν τη̃ χώρα.
Diese schöne Industrie wurde dort auch nach der normannischen Plünderung eifrig fortgesetzt. Denn noch im Jahre 1195 forderte der seldschukische Sultan von Ikonion, bei Gelegenheit eines Friedensvertrages mit Alexios III., von diesem als besonders erwünschte Geschenke vierzig seidene Gewänder, wie solche für den Kaiser selbst in Theben gewebt wurden.Niketas, De Alexio, p. 609: άπερ εκ Θηβω̃ν επταπύλων βασιλει̃ κεχορήγηται. Man darf daraus schließen, daß, wie in Konstantinopel, so auch in Theben dem Fiskus solche Fabriken zu eigen waren. Die thebanische Judengemeinde fand auch unter den La Roche vollkommene Duldung. Sie war hauptsächlich im Besitze jener Industrie, zählte aber auch, wie die in Rom zu derselben Zeit, zu ihren Mitgliedern talmudische Gelehrte und Dichter.Der jüdische Makamendichter Charisi aus Andalusien, welcher um 1218 Theben besuchte, hat den dortigen hebräischen Dichtern freilich kein günstiges Zeugnis ausgestellt. Hopf I, S. 164.

Genuesische Kaufleute hatten sich in Theben und Athen niedergelassen und die Venezianer vom dortigen Markt zu verdrängen gesucht. Die Handelsbeziehungen Genuas namentlich zu Theben waren auch älter als die fränkische Eroberung.Um 1169 wird in einer Instruktion für den genuesischen Gesandten an den byz. Kaiser gesagt, daß er von diesem Handelsfreiheit im ganzen Reiche solle zu erlangen suchen und im besondern die Erlaubnis des Seidengeschäfts »apud Stivam sicut Veneti soliti erant«; Giornale Ligustico di Arch., Stor. etc., Genua 1874, I, p. 156. Guido begünstigte sie. Denn am 24. Dezember 1240 gewährte er den Genuesen sichern Aufenthalt in seinen Staaten und sowohl in Theben als in Athen Handelsprivilegien, Abgabenfreiheit, ausgenommen den Ausfuhrzoll für im Lande des Megaskyr gewebte Seidenstoffe, und endlich eine eigene Zivilgerichtsbarkeit. Dieser Freibrief beweist, daß die Genuesen schon vor 1240 Niederlassungen mit einem Konsul im Staat Athen besaßen.Urkunde n. DCCLVII im Liber jurium Rep. Genuensis, Turin 1854; Datum Thebis 23 die Dec. 1240. Als genuesischer Konsul präsidiert Riccius de Sancto Donato. Seit dieser Zeit erhielten sie sich in der Stadt; selbst noch nach zwei Jahrhunderten sind solche in Athen sichtbar.Auf der siebenten Säule des Theseustempels hat man die Grabinschrift gefunden: Vit. Conzadus Spinula 1453 die 20 yanuazyo. Konst. Zesios (Deltion der hist. u. ethnol. Gesell. II, 1885, p. 23) hat wohl zweimal z für r gelesen und hält Spinula irrig für einen Spanier. Ihre Ansiedlung schloß freilich nicht diejenige anderer Handelsleute des Abendlandes und der Levante aus. Obwohl wir keine Kunde von dem Dasein einer venezianischen Kolonie in Athen haben, so erscheinen doch später Anzeichen davon.I 278 reklamiert die Republik Venedig Schadenersatz für Georgio Delfino, welcher vom byzant. Admiral ausgeraubt worden war, als er mit seiner Barke von Athen nach Negroponte fuhr. Dieser Venezianer aber wird bezeichnet als »habitator Setine« (Athen). Tafel und Thomas III, p. 178.

Ein ungestörter Frieden in seinem Lande, wo sich die griechische Bevölkerung in ihr Schicksal gefügt hatte, machte es dem Megaskyr Guido möglich, für die Entwicklung des Handels und Ackerbaues in Böotien und Attika Sorge zu tragen. Er hatte sich nur an Kriegszügen zu beteiligen, welche der rastlose Fürst Achaias unternehmen mußte, da die Eroberung des Peloponnes noch nicht ganz vollendet war. Dort war nach dem Tode Gottfrieds II. im Jahre 1245 dessen Bruder Wilhelm zur Herrschaft gelangt, ein Mann von ritterlichem Sinne und großer Willenskraft. Mit ihm setzte Guido die Waffenbrüderschaft fort, die ihn dem Hause Villehardouin verband, und er selbst vermählte sich mit einer Nichte des Fürsten.Nach Marin Sanudo Torsello, Istoria del Regno di Romania, p. 101, ließ Wilhelm drei Nichten aus der Champagne zu sich kommen; ihre Männer wurden Guido von Athen, Thomas II. von Salona und Gulielmo da Verona, Terziere Euböas. Nicht nur als Freund, sondern als sein Lehnsmann für Argos und Nauplia unterstützte er ihn in seiner Unternehmung gegen Monembasia. Diese freie, für uneinnehmbar geltende Griechenstadt, das Gibraltar des Peloponnes, ergab sich endlich nach langer Belagerung im Jahre 1248, und erst jetzt konnte der Fürst Achaias sich Herr der ganzen Halbinsel nennen. Denn alsbald unterwarfen sich ihm auch die Slavenstämme am Taygetos.τὰ Σκλαβικά, griech. Chron. von Morea, p. 113. Wilhelm II. baute auf dem Gebiet des alten Sparta, drei Meilen von dessen Trümmern entfernt, die große Burg Misithra, deren Name griechisch und nicht slavisch zu sein scheint.Kopitar, Jahrb. der Lit. Wien, 1830, p. 118. Der griechische Name ist Μιζιθρα̃ (griech. Chron. v. Morea). Die frühere byzantinische Metropole Lakedaimon wurde seither ein Suffraganbistum Korinths.

So große Erfolge entflammten den Ehrgeiz des Fürsten, welcher seine Herrschaft über das gesamte Griechenland auszudehnen suchte in einer Zeit, wo das Königreich Thessalonike erloschen und das lateinische Kaisertum in Konstantinopel zur äußersten Ohnmacht herabgesunken war. Was Bonifatius von Montferrat nicht hatte ausführen können, wollte er jetzt vollbringen. Seine hochstrebenden Ideen hatten dann zwischen ihm und dem Herrn Athens einen Bruch zur Folge, und dieser nahm von den Verhältnissen Euböas seinen Anlaß.


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