Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3.

Bald nach der glücklichen Rückkehr in sein Land ging Johann eine verwandtschaftliche Verbindung mit dem französisch-apulischen Hause der Brienne ein, und dieses sollte in der Geschichte Athens eine verhängnisvolle Stelle einnehmen.

Die Brienne gehörten zu den erlauchtesten Pairsgeschlechtern Frankreichs; sie stammten aus derselben Champagne, woher die Eroberer Griechenlands gekommen waren. Der berühmte Johann, ein Sohn des Grafen Erhard und der Agnes von Montbeliard, König von Jerusalem, war Vormund Balduins II. und gekrönter Kaiser in Konstantinopel gewesen. Sein älterer Bruder Walter hatte als Gemahl Albirias, der Tochter des letzten sizilischen Normannenkönigs Tancred, die Grafschaft Lecce in Apulien erworben und im Jahre 1205 im Kampfe mit den deutschen Feudalherren Süditaliens seinen Tod gefunden. Sein Sohn Walter IV. glänzte im Orient durch Waffentaten, gewann mit der Hand Marias von Lusignan reiche Güter in Zypern und endete qualvoll in türkischer Gefangenschaft im Jahre 1251.Anselme, Hist. généalog. et chronolog. de la maison royale de France, Paris 1730, I, p. 129. Der Erbe des Hasses gegen das Hohenstaufengeschlecht, der Waffengefährte Karls von Anjou auf den blutgetränkten Schlachtfeldern bei Benevent und Tagliacozzo, war Walters Sohn Hugo von Brienne. Nach dem Untergange Manfreds gab ihm der siegreiche König die Grafschaft Lecce zurück, womit er die Ansprüche beseitigte, welche die Brienne als Erben der Normannen vielleicht erheben konnten.Über die Brienne, deren Geschichte noch fehlt: Arbois de Jubainville, Catalogue d'actes des Comtes de Brienne, 950–1356, in: Bibl. de l'école des chartes XXIII, 1872. Carl Hopf, Walther VI. von Brienne, Herzog von Athen und Graf von Lecce (Raumers Hist. Taschenb., 1854). Ferdin. de Sassenay, Les Brienne de Lecce et d'Athènes, Paris 1869. Reumont, Der Herzog von Athen (Histor. Zeitschr., 1871, XXV, mit einer Stammtafel).

Es war dieser Hugo, welcher sich mit den La Roche verschwägerte. Im Jahre 1276 oder 1277 kam er mit einem stattlichen Gefolge aus Lecce nach Andravida an den Hof des ihm befreundeten Fürsten Villehardouin.Ein Reskript des Königs Karl an Symon de Bellovidere, St. Erasmus 11. April, ohne Jahresdatum, erlaubt Hugo aus dem Königreich 150 Pferde und Maultiere zu ziehen, da er sich nach Achaia begebe. Der Regestenband im Archiv Neapel trägt die Ziffer 1277. Es schwebte damals ein Streit um die Baronie Skorta oder Karytena, da der alte Held Gottfried von Bruyeres kinderlos gestorben war. Villehardouin, welcher diesem das große, durch Felonie verwirkte Lehen nur persönlich zurückgegeben hatte, zog nach dem Tode jenes Edlen die Hälfte der Baronie ein und überließ die andre der Witwe Gottfrieds, Isabella de la Roche, der Tochter Guidos I. von Athen und Schwester des Herzogs Johann. Mit ihr aber vermählte sich Hugo, und zwar auf den Wunsch Johanns. Die Hochzeit wurde in Andravida gefeiert, worauf Brienne mit seiner Gemahlin nach Lecce zurückkehrte.Griech. Chronik von Morea, p. 260ff. Livre de la Conq., p. 237ff., wo der Herzog von Athen irrig Guido genannt wird. Aragon. Chronik von Morea, p. 97. Während Hopf in der genannten Abhandlung, gleich Buchon, die Vermählung ins Jahr 1280 setzt, gibt er in seiner Gesch. Griechenl. I, S. 294, dafür 1277 an.

Bald darauf am 1. Mai 1278, starb zu Kalamata der Fürst Wilhelm II., der letzte vom Mannesstamm der Eroberer des Peloponnes. Mit ihm endete das fränkische Heldenepos Moreas. Die Geschichte der Halbinsel bietet seither nur das widerwärtige Schauspiel endloser Verwirrungen dar, da die Ansprüche auf das Erbe der Villehardouin durch Wilhelms Tochter Isabella erst an das Haus Anjou übergingen, dann von Weibern zu Weibern, von Prinzen zu Prinzen weiter fortwanderten. Frauen haben oft genug Gewebe dynastischer Politik gesponnen und die Schicksale von Völkern und Ländern durch ihre eigenen bestimmt und verkettet, aber selten sind sie anderswo von solchem Einfluß gewesen als im fränkischen Griechenland, wo das salische Gesetz nicht Geltung hatte, demnach Stammgüter und politische Rechte auf Erbtöchter übergingen.

Weil Philipp von Anjou im Jahre 1277 gestorben war, seine junge Gattin aber, Isabella Villehardouin, ihr Erbland nicht selbst verwalten konnte, sondern am Hofe Neapels zurückblieb, so übernahm jetzt der König Karl die Regierung des ihm zugefallenen Morea. Er schickte dorthin als seinen Bail Galeran d'Ivry, den Seneschall Siziliens, welchem auch die moreotischen Barone, die Dreiherren Euböas, die Markgräfin von Bodonitsa und der Herzog von Athen für den König als Lehnsvasallen huldigten.

Johann de la Roche selbst starb nicht lange nach Villehardouin, wahrscheinlich im Jahre 1279.Pachymeres V, p. 413. Marin Sanudo, p. 136. Das Todesdatum 1275 bei Buchon und Finlay IV, p. 141, ist irrig; Hopf I, S. 307, hat dafür 1280 angenommen. Münzen Johanns sind bis jetzt unbekannt geblieben. Schlumberger, p. 337.

Sein Bruder Wilhelm, Baron von Levadia, bestieg als vierter Herrscher seines Hauses den Herzogsthron. Geduldig fügte er sich in die Lehnshoheit des Königs Karl, welchen er bat, ihm sein persönliches Erscheinen zur Huldigung in Neapel zu erlassen. So waren die glücklichen Zeiten vorüber, wo die burgundischen Herren Athens unter den schwachen Frankenkaisern Konstantinopels eine fast vollkommene politische Unabhängigkeit genossen hatten. Wie jeden andern Lehnsmann nannte Karl von Anjou auch den Herzog von Athen seinen geliebten Ritter und Getreuen.»Dilectus miles et familiaris noster.« Reskript aus Melfi an die Portulane Apuliens, dem »nob. vir Guillelmus de Rocca dux Athenarum« zu erlauben, daß er 50 Pferde aus dem Königreich ausführe (Archiv Neapel, Reg. Ang., 35, 1279, B. fol. 22 ).

Als Gemahl der Griechin Helena Angela, die ihm einen Sohn Guido geboren hatte, war Wilhelm mit dem Herrscher von Neopaträ und dem Despoten von Epiros verwandt und befreundet, so daß die Nordgrenze seines Landes geschützt blieb. Er stand in den besten Beziehungen zu Venedig. Nur an den fortgesetzten Kriegen, welche die königlichen Statthalter Moreas wider die Byzantiner und Griechen von Lakonien führten, mußte er sich mit Hilfstruppen beteiligen. Den Friedensvertrag seines Bruders mit dem Kaiser Michael sah er als erzwungen und durch den Tod Johanns erloschen an, so wollte es der König Karl. Böotien und Attika wurden daher durch die Raubzüge Licarios von neuem heimgesucht. Gerade jetzt hatte Karl seine diplomatischen Verbindungen und seine Kriegsmittel weit genug gefördert, um den lange geplanten Zug nach dem Orient auszuführen. Auch der Herzog von Athen sollte dazu bemannte Galeeren stellen. Das Ziel des großen Unternehmens, die Eroberung Konstantinopels und die Wiederaufrichtung des lateinischen Kaisertums unter dem Zepter des Anjou schien durch das Bündnis gesichert, welches der König am 3. Juli 1281 in Orvieto mit dem Papst Martin IV. und auch mit der Republik Venedig geschlossen hatte. Da trat das folgenschwere Ereignis der sizilianischen Vesper ein.

Michael VIII., der zu dieser Umwälzung seine Hand geboten hatte, sah sich von der drohenden Gefahr plötzlich befreit. Die Revolution Siziliens vernichtete mit einem Schlage die großen Entwürfe Karls; sie brach die Macht des Hauses Anjou von ihrem Gipfel ab und übte auch auf die Verhältnisse Griechenlands eine tiefe Wirkung aus. Denn sie raubte den dortigen Frankenstaaten ihre kräftigste Stütze und trug deshalb viel zu ihrem Verfalle bei.Eine richtige Bemerkung des Konsuls Fauvel in Athen, bei Pouqueville, Voyage dans la Grèce IV, p. 90.

Die Erhebung des aragonischen Königs Pedro, des Schwiegersohnes Manfreds, auf den Thron in Palermo und ihre Folge, der erbitterte Krieg der beiden Häuser Anjou und Aragon um den Besitz Siziliens, würde den Byzantinern schon damals die Eroberung Griechenlands möglich gemacht haben, wenn Andronikos II., der Sohn und Nachfolger des im Jahre 1282 gestorbenen Kaisers Michael VIII., statt seiner pedantischen Gelehrsamkeit und seines Aberglaubens die Willenskraft und Klugheit des Vaters besessen hätte.

Unter den fränkischen Feudalstaaten befand sich zu jener Zeit das Herzogtum Athen noch immer in der glücklichsten Lage. Während das Haus Villehardouin, wie manches andere Geschlecht der Konquistadoren Moreas, hingeschwunden und die Regierung dieses Fürstentums an wechselnde neapolitanische Vizekönige gekommen war, erhielten sich die La Roche noch ungeschwächt in ihrem legitimen und ererbten Familienbesitz. Gerade das Erlöschen des Fürstenhauses von Achaia mußte das Ansehen des Herzogs von Athen erhöhen, des einzigen größeren Frankenherrschers in Griechenland, der noch dem Stamme der Helden der Eroberung angehörte. Jetzt war dort Wilhelm II. der mächtigste und geehrteste Mann; sein herzoglicher Hof zu Theben oder Athen ersetzte jenen in Andravida. Sein gebietender Einfluß erstreckte sich über Bodonitsa und die Thermopylen bis nach Thessalien hinein. In dem zerrütteten Morea waren sein Rat und seine Stimme von entscheidendem Gewicht. Wie hoch auch der König Karl den Adel des Hauses La Roche hielt, zeigte er dadurch, daß er den Vetter des Herzogs, Jakob von Veligosti, seinen moreotischen Lehnsmann, als einen seiner Kämpen nach Bordo mit sich nahm, wo sein verabredeter Zweikampf mit Peter von Aragon stattfinden sollte.Marin Sanudo, p. 152. In den Krieg mit den Sizilianern und dem Hause Aragon verwickelt, gab Karl seine orientalische Unternehmung völlig auf, zumal auch Venedig ihn im Stiche ließ. Denn infolge der durch die sizilianische Vesper völlig veränderten Weltlage machte diese Republik einen zehnjährigen Waffenstillstand mit dem byzantinischen Kaiser. Sie verlangte ausdrücklich von Andronikos, daß auch der Herzog von Athen darin eingeschlossen werde.»Quod egregius vir Guillelmus della Rocca et insula Negropontis sint in dicta treugua«. (Arch. Venedig, Maggior Consil., Luna. fol. 100. 20. Juni 1284) – Zehnjährige Treugua zwischen dem Kaiser Andronikos und dem Dogen Giov. Dandolo, Konstantinopel 15. Juni 1285 (Tafel u. Thomas III, n. 378).

Karl von Anjou, überwunden und verzweifelnd, starb im Januar 1285. Sein Sohn Karl II. befand sich noch in der Gefangenschaft Aragons, und für ihn war Reichsverweser der Graf von Artois. Dieser aber ernannte den Herzog Wilhelm zum Bail des Fürstentums Achaia, weil die dortigen Großen das verlangten: ein glänzendes Zeugnis des Vertrauens und Ansehns, welches der Herzog von Athen genoß. Er regierte das Land mit Kraft, schützte es gegen die Angriffe der Byzantiner und erbaute in Arkadien eine starke Festung Dimatra. Von allen Franken betrauert, starb der tüchtige Mann schon im Jahre 1287.Griech. Chronik von Morea, v. 6617ff. »De quoy fu grans domages, pour ce que il fu vaillans homes, et maintenoit bien son pays.« (Liv. d. l. Cq., p. 268). Ich folge der Chronologie Hopfs. Die Münzen Wilhelms: DVX ATENES und THEBE CIVIS mit den Varianten: TEBES, TEBANI CIVIS, bei Schlumberger, p. 338.


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