Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

Hellas und der Bilderstreit. Die Hellenen empören sich gegen den Kaiser Leon III. Ihre Niederlage vor Konstantinopel. Prozeß der Slavisierung Griechenlands. Slavische Stämme im Peloponnes. Die Slavenfrage. In Altgriechenland entsteht kein slavisches Reich. Keine slavischen Kolonien in Attika. Die Athenerin Irene als griechische Kaiserin. Unterwerfung der Slavenstämme in Griechenland. Die Akropolis Athens als Staatsgefängnis. Niederlage der Slaven bei Patras. Die Athenerin Theophano als griechische Kaiserin.

1.

Nach der flüchtigen Erscheinung des Kaisers Konstans verschwindet Athen für uns wiederum in geschichtslose Nacht. Kein Lichtschimmer fällt während geraumer Zeit auf die vergessene Stadt. Es ist erst infolge des berühmten Bilderstreits unter Leon III., dem Gründer der isaurischen Dynastie, daß Hellas überhaupt für Augenblicke zu eigenem Leben aufgeregt und deshalb wieder sichtbar wird.

In der Geschichte des oströmischen Imperium ist seit der Einführung der christlichen Religion keine Bewegung der Geister an Wichtigkeit jener des Bilderstreits zu vergleichen, welcher länger als ein Jahrhundert den Staat, die Kirche und die Gesellschaft der Byzantiner in Aufruhr hielt. Dieser verzweifelte Kampf der aufgeklärten Despotie mit dem kirchlichen Aberglauben brachte andere Wirkungen hervor, als die Isaurier ahnten; denn mit ihm standen große Umwälzungen Europas im Kausalzusammenhange: die Losreißung des Westens von Byzanz, die Gründung der weltlichen Herrschaft des Papstes und die Schöpfung des neuen Kaiserreichs durch den Frankenkönig Karl.

Wenn der kühne Versuch der isaurischen Kaiser und ihrer Verbündeten in einem Teile des hohen Klerus und im Heer, die Idolatrie aus der Kirche zu entfernen, das Volk auf eine höhere Stufe der Sittlichkeit und des Denkens zu erheben und den Staat von den Polypenarmen des ihn aussaugenden Mönchtums loszumachen, durchgeführt worden wäre, so würde die christliche Republik schon im 8. Jahrhundert eine Reformation erfahren haben, deren Einfluß auf die Völker der gesamten Entwicklung unseres Weltteils eine andere Gestalt hätte geben müssen. Der Kampf des Reformgedankens wider den Paganismus in seiner kirchlichen Gestalt ging übrigens von Kleinasien und Syrien aus, woher die Isaurier stammten. Es ist das geistig regsamere orientalische Hellenentum gewesen, welches ihn erhob, während sich das unphilosophisch gewordene Altgriechenland auf die Seite der orthodoxen Gegner der Reform stellte.Paparrigopulos, Hist. de la civilisation hellénique, Paris 1878, c. IV, hat diese Gegensätze hervorgehoben.

Die Bilderverehrung war die christliche Metamorphose des plastischen und malerischen Götterkultus der Heiden; es ist daher begreiflich, daß gerade die Hellenen mit Hartnäckigkeit an jenem Dienste festhielten, in welchem ihr angebotenes Gefühl für künstlerische Form Befriedigung fand. Die Kirche ersetzte ihnen, was ehemals den Glanz der heidnischen Gesellschaft ausgemacht hatte, Feste, Theater, Musik, Künste und Mysterien. Wenn auch der byzantinische Stil der Bildnisse des Heilandes, der Jungfrau, der Engel und Heiligen von dem tiefen Verfalle der Kunst in die Barbarei Zeugnis gab, so war eben der Geschmack der Griechen gleich tief gesunken. Die Athener des 8. Jahrhunderts betrachteten das musivische Bild der Atheniotissa im Parthenon sicherlich mit derselben Andacht, wie ihre Vorfahren dort das Kunstwerk der Pallas von Phidias betrachtet hatten. Die athenische Kirche war gleich den andern in Altgriechenland strenggläubig orthodox.Bei Sathas, Bibl. graeca M. Aevi, IV, p. XXVII, eine darauf bezügliche Bemerkung aus einer Schrift des Michael Psellos, wie es scheint des Älteren. Sie setzte den kaiserlichen Edikten Widerstand entgegen. Während andere Provinzen sich diesen unterwarfen, trieb das Verbot der heiligen Bildnisse die Hellenen schon im Jahre 727 zur Empörung gegen den Kaiser Leon. Es ist möglich, daß sie außerdem durch schwere Mißhandlungen gereizt waren, die ihre von Byzanz vernachlässigten Städte durch die Regierung habsüchtiger Satrapen erduldeten. Seit Justinian verschärfte sich überhaupt der Gegensatz zwischen den Hellenen und den Byzantinern. Diese hatten schon vor dem 8. Jahrhundert das Römertum und den Latinismus abgestreift, und ihre gesamte kirchliche und politische Gesellschaft war griechisch; allein sie wollten nicht als Hellenen, sondern als Römer gelten. Nichts zeigt vielleicht deutlicher, wie tief das alte Rom seine Gesetze und seinen Staatsgedanken der Welt eingeprägt hatte als die Jahrhunderte hindurch von den Byzantinern festgehaltene Erdichtung, Römer zu sein. Dieser weltgeschichtliche Begriff konnte für sie keine nationale, sondern nur eine politische Bedeutung haben. Er drückte die legitime Fortpflanzung des römischen Imperium in Konstantinopel aus, der neuen Roma, wohin der Sitz der Reichsgewalt aus der alten Cäsarenstadt durch Konstantin übertragen worden war. Nach dem Falle der Ostgoten hatte Byzanz Italien und Rom als Provinzen des unteilbaren Römerreichs regiert, und noch später, nach der Erneuerung des abendländischen Kaisertums durch Karl, fuhren die byzantinischen Herrscher fort, sich als die einzig legitimen Kaiser Roms zu betrachten. Das morgenländische Reich blieb daher das Römerreich, die Romania, und seine Untertanen wurden gesetzmäßig Römer genannt.Ρωμαι̃οι. Zum Unterschiede von dem abendländischen Reich des Mittelalters hat man das byzantinische willkürlich das Romäerreich, seine Untertanen nicht Römer, sondern »Romäer« genannt. Der Name »Romania« (italien. Romagna) wanderte von Byzanz selbst nach dem Exarchat von Ravenna, um dies den griechischen Kaisern übriggebliebene Land Italiens von den langobardischen Provinzen dort zu unterscheiden. Auch bei den Franken kam für Griechenland die Bezeichnung »Romania« auf. Die Türken nannten das byzantinische Reich das der »Rûm«, und sie hielten den Begriff »Rumeli« fest. Für alle byzantinischen Geschichtsschreiber waren die Griechen überhaupt »Römer«. Erst im 15. Jahrhundert nannte sie Laonicus Chalkokondylas, ein Athener von Geburt, wieder Hellenen. In einer bemerkenswerten Stelle hat sich dieser Historiograph über die Übertragung des Römernamens auf Griechenland ausgesprochen: »Nachdem die Römer die Weltherrschaft erlangt hatten, überließen sie die Verwaltung Roms ihrem Oberpriester; sie selbst führte der Kaiser (Konstantin) nach Thrakien hinüber; dort machten sie, in der unmittelbaren Nähe Asiens, die hellenische Stadt Byzanz zu ihrer Metropole, und sie unternahmen den Kampf mit den sie hart bedrängenden Persern. Die Griechen vermischten sich mit den Römern, bewahrten jedoch, weil sie in der Mehrzahl blieben, ihre Sprache und Volksart; nur ihren nationalen Namen veränderten sie; denn die Kaiser von Byzanz wollten aus Ehrfurcht Kaiser der Römer und nicht der Griechen genannt sein.«Chalkokond., De reb. Turcicis, ed. Bonn, L. I, p. 6.

Als seit dem Ende des 7. Jahrhunderts und entschiedener mit der isaurischen Dynastie jener kirchliche, staatliche und soziale Prozeß zum Durchbruch kam, in welchem sich der romäische Byzantinismus mit dem jede andere Autonomie aufsaugenden Mittelpunkt Konstantinopel herausbildete, mußte sich der Widerspruch Griechenlands dagegen noch mehr vertiefen.

Es ist sehr merkwürdig, daß in derselben Zeit, wo der vorsichtige Papst Gregor II. die von den Verboten des Bilderkultus aufgeregten byzantinischen Provinzen Italiens davon zurückhielt, Leon III. für abgesetzt zu erklären und einen neuen Kaiser orthodoxen Glaubens aufzustellen, die Ausführung dieses rebellischen Plans von den mißachteten Hellenen wirklich gewagt wurde. Diese waren die Legitimisten im byzantinischen Reich; vom Bewußtsein des alten Adels ihrer Abkunft erfüllt, haßten sie die Byzantiner als ein Bastardgeschlecht von Emporkömmlingen mit einem Kaiser, der selbst ein isaurischer Barbar war. Ohne Zweifel standen sie auch mit Rom in geheimere Verbindung, und nichts konnte dem Papst erwünschter sein als der Sturz seines kaiserlichen Feindes durch die Griechen selbst. Seine Jurisdiktion erstreckte sich noch immer über die Bistümer in Makedonien und Illyrikum mit der Metropole Thessalonike und über das eigentliche Griechenland mit der Hauptstadt Korinth. Erst infolge seines heftigen Widerspruchs gegen die bilderstürmenden Kaiser erlosch die geistliche Oberhoheit Roms in den griechischen Provinzen des Reichs.Der Papst Bonifatius setzte 422 den Bischof von Thessalonike ein. Leo I. ernannte denselben zu seinem Vikar und gebot allen Metropoliten Illyrikums, ihm zu gehorchen. Gregor I. richtete Befehle an die Bischöfe Illyriens und Achaias. Martin I. exkommunizierte 649 den Bischof von Thessalonike. Jaffé, Reg. Pontif.

Die Vorgänge jener Empörung der Hellenen gegen Leon III. sind uns nicht genau überliefert worden. Nur so viel wissen wir, daß sich die Helladiken, wie die Griechen des Festlandes von den Byzantinern genannt wurden, und die Bewohner der Kykladen zu offenem Widerstande mit den Waffen in der Hand vereinigten.Theopan. I, p. 623: ‛Ελλαδικοί τε καὶ τω̃ν Κυκλάδων νήσων, und der pfäffische Chronist sagt, daß diese Rebellen von göttlichem Eifer, nämlich der Bilderverehrung, erfüllt waren. Kedrenos I, p. 796. Sie rüsteten eine Flotte aus, stellten an ihre Spitze Stephanos und den Turmarchen Agellianos und segelten nach Konstantinopel, mit sich führend einen ehrgeizigen Mann, Kosmas, sicherlich einen Nationalhellenen, welchen sie dort zum orthodoxen Kaiser erheben wollten. Allein in einer Seeschlacht vor den Mauern der Hauptstadt, am 18. April 727, wurde, die Rebellenflotte durch das griechische Feuer vernichtet. Agellianos stürzte sich verzweifelt ins Meer, und die Häupter des Kosmas und Stephanos fielen unter dem Henkerschwert.

Die byzantinischen Geschichtsschreiber haben nicht bemerkt, welche Folgen die Niederwerfung des nationalen Aufstandes für Altgriechenland gehabt hat. Da als eine seiner Ursachen das kaiserliche Verbot des Bilderdienstes angesehen werden muß, und nach der Vernichtung der Empörer Leon III. und dann sein leidenschaftlicher Sohn Konstantin überall im Reiche ihre Edikte unter schweren Verfolgungen des widerspenstigen Klerus in Kraft zu setzen suchten, so wird auch Griechenland mit Trümmern des christlichen Götzendienstes bedeckt worden sein. Man hat daher geglaubt, daß in diesen Bilderstürmen auch die letzten Reste der antiken Kunstwerke in Hellas zugrunde gegangen sind. Doch konnte sich die Zerstörungswut der Ikonoklasten nicht gegen die längst unschädlich gewordenen Kultusbilder der Heiden richten, welche als öffentlicher Schmuck Konstantinopel und andere Städte des Reiches zierten und sich dort noch Jahrhunderte lang erhielten. Wenn Kodinos erzählt, daß Leon, der Isaurier, viele alte Bildwerke (θεάματα αρχαι̃α) vernichten ließ, so hat er darunter christliche verstanden, denn er bemerkt unter anderm, daß der Kaiser eine von Konstantin dem Großen in der Chalke errichtete Figur des Heilandes umstürzen ließ, welche später die Kaiserin Irene durch ein Musiv ersetzte.De Signis, p. 61. De Aedificiis Cp., p. 77. Wo es in Kirchen und Klöstern plastische Bildwerke von Heiligen aus Holz, Stein und Metall gab, wurden sie zerstört, allein ihre Zahl mußte gering sein im Verhältnis zu den gemalten Bildnissen, mit denen die Mönche aus ihren Werkstätten und Fabriken die Kirchen versorgten. Der Zorn der Ikonoklasten traf daher wesentlich die genannten Heiligenbilder, und selbst die Mosaiken und Wandgemälde in den Kirchen wurden mit Kalk übertüncht.

Weil die Bibliotheken und Schulen im engsten Zusammenhange mit den Klöstern standen, werden deren manche im Bildersturm vernichtet worden sein. Trotzdem ist es irrig, den Ikonoklasten zum Vorwurf zu machen, daß sie die Künste und Wissenschaften der Byzantiner in Barbarei untergehen ließen. Die Isaurier waren keineswegs rohe und unwissende Männer. Die Kunst erlosch nicht in Byzanz, und aus der geistigen Erschütterung des Bildersturms entstand schon im 9. Jahrhundert eine Wiedergeburt der Wissenschaften in Konstantinopel, als ein musenfreundlicher Mäzen, der Cäsar Bardas, eine neue Akademie im Palast Magnaura stiftete, deren Haupt der Erzbischof Leon von Thessalonike wurde und aus welcher der gelehrte Photios hervorging.

Wieweit sich die Stadt Athen an jener Empörung der Hellenen beteiligt hatte, ist uns unbekannt. Der merkwürdige Aufstand des Jahres 727 erscheint aber wie ein plötzliches Erwachen des altgriechischen Nationalbewußtseins. Er kann zugleich zum Beweise dafür dienen, daß die Hellenen des Festlandes wie der um Samos gruppierten Inseln zu einer verhältnismäßig großen Kraft emporgekommen waren. Denn im ersten Drittel des 8. Jahrhunderts gab es noch griechische Städte, volkreich und wohlhabend genug, um eine Kriegsflotte mit eigenen Mitteln auszurüsten und eine politische Revolution zu unternehmen. Die Slaven konnten demnach in jener Zeit noch nicht das nationale Griechentum zur Ohnmacht herabgebracht oder gar verschlungen haben.


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