Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2.

Sein Stiefvater Hugo von Brienne, in seine Grafschaft Lecce zurückgekehrt, um dem Könige von Neapel im Kriege mit Aragon zu dienen, fand in jenem Jahre das Schicksal der meisten seiner heldenhaften Ahnen, den Tod in der Schlacht. Bald darauf, am 23. Januar 1297, starb auch, zum Unglücke für Achaia, Florenz d'Avesnes in Andravida.

Zum zweiten Mal verwitwet, blieb Isabella Villehardouin als Regentin des Fürstentums zurück. Aus ihrer Ehe mit Florenz hatte sie eine Tochter Mahaut oder Mathilde, die am 30. November 1293 geboren war und als Erbin ihres Vaters dessen Güter im Hennegau, als Erbin der Mutter aber die Rechte des Hauses Villehardouin auf Achaia besaß. Sie Großen des Landes drangen in Isabella, schon jetzt den künftigen Gatten für dies Kind zu suchen, und Nikolaus III. von St. Omer, der Marschall Achaias, schlug ihr dazu seinen Vetter, den Herzog von Athen, vor. Die Fürstin stimmte dieser Wahl um so lieber bei, als durch sie der Streit über das Lehnsverhältnis Athens zu Achaia endgültig beigelegt werden konnte.

Boten gingen nach Theben, dem jungen Herzog die Hand des Kindes anzutragen, und Guido folgte bereitwillig ihrer Einladung. Er entbot Thomas von Stromoncourt, »den ehrenwertesten Mann in ganz Romanien«, nebst seinen andern Vasallen und machte sich nach Morea auf, wo er (im Frühjahr 1299) die Fürstin Isabella mit ihrem Hofe in Vlisiri fand. Es erregte damals nirgends Anstoß, wenn Prinzessinnen im kindlichen Alter aus Staatsgründen vermählt wurden. Seine sechsjährige Tochter Simonis verhandelte der Kaiser Andronikos II., der Zeitgenosse Guidos, in die Sklaverei einer barbarischen Ehe mit dem fünfundvierzig Jahre alten Serbenkral Milutin, und der Bischof von Achrida segnete ohne Sträuben dessen Vermählung mit dem unglücklichen Kinde ein.Pachymeres II, lib. IV, p. 285. Der Kral behandelte das Kind zu frühe als Gattin, weshalb die Ehe unfruchtbar blieb. Nikephor. Gregoras VII, 5, p. 243. Die fünfjährige Prinzessin Mathilde wurde dem jungen Herzog von Athen durch den Bischof von Olenos angetraut. Man feierte glänzende Hochzeitsfeste, worauf Guido seine kindliche Gemahlin nach Theben mit sich führte.

Sie brachte ihm als Mitgift Kalamata, die alte Familienbaronie der Villehardouin, und außerdem die Aussicht auf den möglichen Erwerb Achaias, denn immerhin konnten sich mit der Zeit die politischen Verhältnisse so gestalten, daß ihm diese Verbindung dazu verhalf. Seit dem Vertrage zu Viterbo nahm übrigens der Herzog von Athen die erste Stelle unter den feudalen Pairs jenes Fürstentums ein. Diese aber waren neben ihm: der Herzog von Naxos oder des Archipels, der Herzog von Leukadia, der Markgraf von Bodonitsa, der Graf von Kephallenia, die Herren von Salona, von Arkadia, die Terzieri von Negroponte, der Herr von Chalandritza, der Baron von Patras.Akt vom Jahre 1301, bei Guichenon, Preuves IV, p. 127. Buchon, Einleit, zum Liv. d. l. Cq., p. 70.

Zur Verbindung Guidos mit Mathilde war weder der Dispens des Papsts noch die Zustimmung des Königs von Neapel eingeholt worden, obwohl Karl II. bei der Belehnung Isabellas und ihres Gemahles Florenz mit Achaia auch diese Bedingung gestellt hatte, daß, im Falle aus ihrer Ehe eine Tochter erwüchse, dieselbe als die rechtmäßige Erbin des Fürstentums nur mit der Einwilligung der Krone Neapels zu verheiraten sei. Demgemäß richtete der König am 3. Juli 1299 ein heftiges Schreiben an den Herzog Guido, worin er ihm befahl, drei Tage nach dem Empfange des Briefes die kleine Prinzessin, mit welcher er außerdem im dritten Grade verwandt sei, der Mutter zurückzugeben; sobald Mathilde das heiratsfähige Alter erreicht habe, werde mit seiner Genehmigung für ihre passende Vermählung gesorgt werden.Reg. Ang., n. 98, 1299, B. fol. 161. – N. 96,1299, A. fol. 120 , »Guidoni de Rocca, duci Athenarum, Neapoli 3. Julii XII. Ind.... nobisque inconsultis per principissam ipsam predicta filia cum adhuc in annis agat infantie... tibi assignata est et in tua nutritur custodia. Es folgten lange Unterhandlungen, bis sich der König Karl doch eines anderen besann und am 18. April 1300 die Ehe genehmigte, wozu auch der Papst Bonifatius VIII. den von ihm erbetenen Dispens erteilte.Reg. Ang., n. 97, 1299, B. fol. 121. – N. 101, 1299–1300, C. fol. 256, an die Fürstin Isabella. – An den Herzog Guido, 20. April, XIII, Ind. n. 97, 1299, B. fol. 221.

Der heimatlichen Umgebung entrissen, auch von ihrer Mutter entfernt, fand sich das zarte Kind an einen fremden Mann gekettet, als dessen Gemahlin es geehrt und noch erzogen wurde. Welche Frauen ihr zur Seite standen, ist unbekannt. Vielleicht hatte sie ihre Tante Marguerite, die Schwester ihrer Mutter, begleitet. Denn diese Dame von Mategriffon war im Jahre 1297, mit dreiundzwanzig Jahren, Witwe des Grafen von Ariano, Isnard de Sabran, geworden und wahrscheinlich aus Apulien nach Achaia zurückgekehrt. Der Hof von Theben blieb leer von edlen Frauen der Verwandtschaft Guidos, welcher keine Schwestern hatte, während von seinen Muhmen, den Schwestern seines Vaters Wilhelm, Isabella de la Roche bereits gestorben war, Alix von Beirut und Katharina von Lagonessa außerhalb Griechenlands lebten. Auch Mathildes künftige Schwiegermutter, die verwitwete Herzogin Helena, scheint mit ihrer jungen Tochter Jeannette von Brienne damals vom Hofe entfernt gewesen zu sein; sie prozessierte sogar vor der Kurie Karls von Neapel mit ihrem Sohne wegen ihres Witwensitzes in der Abtei Stiri und wegen anderer Güter.Hopf I, S. 350.

Die Mutter Mathildes selbst verließ im Jahre 1300 Griechenland, um zunächst nach Rom zu gehen, nachdem sie auf Befehl Karls II. mit dem byzantinischen Kaiser Frieden geschlossen und den Großmarschall Nikolaus III. von St. Omer zu ihrem Bail eingesetzt hatte.

Nach Rom führte diese Fürstin nicht ausschließlich das fromme Verlangen, dort während des großen, vom Papst Bonifatius VIII. ausgeschriebenen Jubiläums den Ablaß zu nehmen, sondern auch ein minder heiliger Zweck. Denn sie war im Begriffe, einem dritten Gemahl ihre Hand zu reichen. Dazu hatte sie den ältesten Sohn des Grafen Thomas von Savoyen, Philipp von Piemont, ausersehen, welcher gleichfalls nach Rom gekommen war, um diese wichtige Verbindung abzuschließen.Über Philipp von Savoyen: Datta, Storia dei Principi di Savoia del ramo d'Acaja; Stammtafel I, XV.

Der König von Neapel hatte eben erst gegen die Ehe der Tochter Protest eingelegt, jetzt tat er das gleiche in bezug auf die ihm nicht genehme Heirat der Mutter. Der zweite Fall war sogar noch bedenklicher, weil hier die Rechte seines Sohnes Philipp von Tarent geschädigt wurden. Denn diesen hatte er im Jahre 1294 mit Thamar, der Tochter des Despoten Nikephoros I. von Epiros, verbunden, welche ihm Ätolien als Mitgift brachte, so daß er sich Despot Romaniens nannte. Einem Vertrage mit Katharina von Courtenay gemäß, belieh er ihn auch mit den Rechten auf Byzanz und Achaia. Allein der König wurde auch diesmal umgestimmt. Unter Verwahrung der Oberlehnshoheit seines Sohnes genehmigte er das Ehebündnis zwischen Isabella und dem Grafen von Savoyen. Dasselbe wurde am 12. Februar 1301 in seiner Gegenwart zu Rom vollzogen.Datta I, p. 33ff. Saraceno, Regesto dei Principi di casa d'Acaja (Miscell. di Stor. Italiana, Turin 1882, p. 428). Es hat sich sogar der Küchenzettel des Hochzeitsmahls erhalten, Journal de la depense de l'Hôtel du prince Philippe de Savoye, faitte par clerc Guichart, abgedr. bei Hopf, Chron. Gréco-Rom., p. 231. Am 23. belieh Karl im Namen seines Sohnes den Grafen Philipp als Fürsten Achaias mit dem Erbe der Villehardouin.Guichenon I, p. 317 und Preuves IV, 1, p. 103. Isabella schenkte ihrem Gemahl die Kastellanie Korinth, und er selbst verpflichtete sich als Lehnsmann Philipps von Tarent, mit einem Heer nach Griechenland zu gehen, um den Byzantinern die von ihnen besetzten Teile Moreas wieder zu entreißen. Aber erst im folgenden Jahre konnte er sich mit seiner Gemahlin und einer Schar piemontesischer Ritter nach Morea einschiffen, wo ihn die Großen als Fürsten Achaias anerkannten. Auch Guido von Athen folgte seiner Einladung nach Vostitza und huldigte ihm als Pair des Fürstentums.»Tan pour son douchame quant pour la chastellaine de Calamate et pour la cité d'Argues et le noble chastel de Naples (Nauplion).« (Liv. d. l. Cq., p. 405). – Am Ende 1302 gebar Isabella im Schlosse Beauvoir ihre zweite Tochter, Margarete. Mas Latrie, Princes de Morée, p. 11.


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