Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3.

Der junge Herzog von Athen konnte sein Lehnsverhältnis zu Achaia als drückend empfinden, soweit es ihn nötigte, sich durch Hilfstruppen an den fortgesetzten Kriegen zu beteiligen, welche der dortige Fürst mit den Griechen im Peloponnes zu führen hatte; jedoch die Stütze, die ihm das damals noch mächtige Haus Anjou bot, war nicht zu verachten, und außerdem durfte er in voller Unabhängigkeit sein Land regieren und seinen Machteinfluß ungehindert nach dem Norden ausdehnen. Durch seine Mutter Helena war er in nahe Verbindung mit dem Dynastenhause der Angeloi in Neopaträ gekommen. Er besaß in Thessalien Zeitun und andere Städte, von denen er Gardiki, das alte Larissa-Kremaste, die fabelhafte Burg des Achill, seinem Freunde Bonifatius von Verona zu Lehen gegeben hatte. Nun aber machte ihn ein Zufall zum Gebieter über das ganze fruchtbare thessalische Land.

Der damals in Neopaträ herrschende Sebastokrator Konstantin Angelos Dukas, der Bruder Helenas, starb im Jahre 1303. In seinem Testament hatte er den Herzog von Athen zum Vormunde seines Sohnes Johannes II. Angelos und zum Regenten Thessaliens eingesetzt, voraussehend, daß seine Feinde und Nachbarn, zumal die Angeloi von Epiros, sich Gelegenheit nehmen würden, über die Länder des Unmündigen herzufallen. Thessalische Archonten gingen deshalb mit dem Testament nach Theben und luden Guido ein, den Willen seines Oheims auszuführen. Der Herzog versammelte seine Vasallen, Thomas von Salona, Bonifatius von Verona und andere Barone, sogar aus Euböa, zog mit diesem Heerbann erst nach Zeitun, wo ihm die Großen Thessaliens huldigten, und dann zum jungen Fürsten nach Neopaträ. Hier ordnete er auf fränkische Weise die Regierung des Landes, indem er den Städten Befehlshaber gab, einen Marschall Großwlachiens ernannte und als seinen Bail den Ritter Anton le Flamenc, Herrn von Karditsa in Böotien, einsetzte. Hierauf kehrte er nach Theben zurück.Liv. d. l. Cq.-, p. 405ff. Die nahen Beziehungen, in welche schon seine Mutter Thessalien zu Athen gebracht hatte, wurden jetzt so lebhaft, daß jenes Land sich zu romanisieren begann. Französische Sprache und Sitten drangen in dasselbe ein; es schien sich von seinem alten Zusammenhange mit Byzanz abzulösen.Während seiner Regentschaft ließ Guido in Neopaträ Tournoisen schlagen mit dem Namen seines Mündels und mit lateinischer Legende. ANGELVS SAB' C. (Sebastokrator Comnenus) NEOPATRIE. Varianten: DELLA PATRIA oder PATRIA. Schlumberger, p. 382.

Die Furcht der Thessalier vor den Absichten der Dynasten von Epiros waren nicht grundlos. Nach dem Tode des Despoten Nikephoros I. im Jahre 1296 regierte dort dessen Witwe, die Despina Anna, die Schwiegermutter Philipps von Tarent, für ihren kleinen Sohn Thomas, ein ruheloses Weib, voll Ehrgeiz und, wie es scheint, auch mit kräftigem Geist begabt. Es lebte in ihr der hellenische Patriotismus der Angeloi fort, trotz ihrer Familienverbindung mit den Anjou, die sich bald genug in Feindschaft und Haß verwandelte. Anna erhob sich alsbald gegen die Einmischung des Herzogs von Athen in die Angelegenheiten Thessaliens. Nachdem sie im Jahre 1304 die dortigen Kastelle Pindos und Phanarion durch ihre Truppen hatte besetzen lassen, entschloß sich deshalb Guido zum Kriege mit ihr. Die Streitmacht, die er zusammenbrachte, bewies, daß er kein verächtlicher Gegner war. Sie zählte 900 auserwählte Ritter, alle Lateiner, wie die französische Chronik von Morea sagt, dazu mehr als 6000 trefflich berittene Thessalioten und bulgarische Söldner, außerdem eine Menge von Kriegsvolk zu Fuß. Wider das ausdrückliche Verbot des Fürsten Philipp von Savoyen folgte den Fahnen des Herzogs auch Nikolaus III. von St. Omer. Dieser mächtige Feudalherr war Erbmarschall Achaias, da schon sein Vater Jean dies hohe Amt von den Neuilly durch seine Heirat mit Margarete von Passava geerbt hatte, aber als Baron von halb Theben war er zugleich Lehnsmann Guidos und ihm zum Kriegsdienst mit acht Ritterbannern verpflichtet. Als er sich mit dem Herzoge vereinigte, führte er ihm 89 wohlgerüstete Herren von Adel zu, unter ihnen 13 Ritter.

Guido ernannte den Marschall zum Oberbefehlshaber des Heeres, rückte in Epiros ein und gelangte bis Joannina, ohne daß ihm der Feind standzuhalten wagte; vielmehr eilte die Despina, um Frieden zu bitten und die ihr gestellten Bedingungen anzunehmen. Der Zweck des Kriegszuges war demnach erreicht, da aber eine so stattliche Kriegsmacht einmal beisammen war, so schien es den kampflustigen Edlen schmachvoll, tatenlos heimzukehren. Auch Guido wurde durch ritterlichen Mut dazu verführt, das Gebiet Thessalonikes anzugreifen, obwohl er mit dem byzantinischen Kaiser im Frieden lebte. In dieser Stadt befand sich damals als freiwillig Verbannte Irene von Montferrat, die Gemahlin Andronikos' II., welche sich mit diesem entzweit hatte, weil sie ihre Stiefkinder, den Mitkaiser Michael und den Despoten Konstantin, haßte und für ihre drei eigenen Söhne die Augustuswürde und andere maßlose Forderungen nicht erlangt hatte.Nik. Gregoras VII, p. 5. Von ihren drei Söhnen Johannes, Theodor und Demetrius erbte der zweite die Markgrafschaft Montferrat, wohin er im Nov. 1310 ging. Dies Palaiologenhaus dauerte daselbst bis 1533. Du Cange, Fam. Aug. Byz., p. 202. Die erschreckte Kaiserin ließ dem heranziehenden Herzog durch ihre Boten sagen, daß es unredlich sei, den Frieden zu brechen, und unritterlich, eine wehrlose Dame zu bekriegen, worauf Guido sie voll Artigkeit begrüßen ließ, sein Heer zurückzog und seine Vasallen verabschiedete.Liv. d. l. Cq., p. 420ff.

Sein erfolgreicher Zug nach Epiros und seine gebietende Stellung in Thessalien steigerten das Ansehen des Herzogs von Athen in ganz Griechenland. Die Chronik von Morea nennt ihn deshalb sogar Großherr der Hellenen.Μέγαν κυρὴν τὸν έλεγαν, τὸ επίκλην τω̃ν ‛Ελλήνων, v. 6712. Kein innerer Zwist störte seinen wohlgeordneten Staat. Seine Lehnsvasallen leisteten ihm ohne Widerspruch ihre Dienste. Der Herr von Salona vom Hause Stromoncourt, welcher mehrmals unter seinen Fahnen erscheint, anerkannte seine Oberherrlichkeit.Es ist zweifelhaft, ob die französischen Herren Salonas den Grafentitel führten; in einer Liste der fränkischen Dynasten Romanias (Arch. Venedig, Pacta lib. III, fol. 79 ) heißt es nur: »Thomas de la Sola dominus Salone«. Von diesem letzten seines Hauses gibt es eine Münze: THOMAS R.) DEL: LA SOLA. Schlumberger, p. 349. Willig fügte sich derselbe in kirchlichen Angelegenheiten in die Gebote des Erzbischofs von Athen. Als später einmal Minoriten von der strengen Observanz Cölestins, vor den Verfolgungen der anderen Franziskaner flüchtig, von Thomas von Salona eine kleine Insel zum Aufenthaltsort erhielten, mußte dieser sie austreiben, weil der athenische Erzbischof das verlangte.Wadding, Annal. Minor. ad a. 1302, n. 7

Weniger klar ist das Verhältnis des Markgrafen von Bodonitsa zu Athen. Dieser Dynast, in dessen Hauptstadt der Bischof von Thermopylä seinen Sitz hatte, stand wie der Herzog selbst unter der Oberhoheit des Fürsten Achaias, dessen Pair er war. Da er bei den Kriegszügen Guidos gegen Epiros nicht unter dessen Fahnen erscheint, so ist es zweifelhaft, ob er in wirklichem Lehnsverbande zu Athen stand.Münzen der Markgrafen von Bodonitsa sind unbekannt.

Mit Euböa verbanden den Herzog persönliche Verhältnisse. Der bedeutendste Mann dort, Bonifatius von Verona, welcher den Ruhm des Hauses dalle Carceri auf seiner Herrschaft in Karystos erneuerte, war sein Freund und sein Vasall. Nicht minder treue Dienste leistete ihm Nikolaus III. von St. Omer, der im Herzogtum Athen wie im Fürstentum Achaia gleich großes Ansehen genoß. Es ist auffallend, daß während der ganzen Dauer der Herrschaft der La Roche niemals von einem Zwist zwischen diesen und den St. Omer gehört wird, die mit halb Theben beliehen waren und dort ein prachtvolles Schloß besaßen, während sich der Herzog, ihr Lehnsherr, neben ihnen mit einer bescheidenen Residenz begnügt zu haben scheint, wenn er nicht, was immerhin möglich ist, einen Teil desselben Schlosses bewohnte. Denn auch Guido residierte nicht in Athen, sondern meist in Theben, der volkreicheren Stadt, deren gerühmte Seidenfabriken noch immer in solcher Blüte waren, daß der Herzog dort einmal zwanzig samtene Gewänder verfertigen ließ, um sie dem Papst Bonifatius VIII. zu schenken.

Die Lage der griechischen Frankenstaaten konnte überhaupt im Beginne des 14. Jahrhunderts eine günstige genannt werden. Auf die Siege des ersten Palaiologen Michael waren in Konstantinopel eine Erschöpfung der Kraft und ein Stillstand des nationalen Fortschrittes eingetreten. Euböa und andere Eilande hatten die Byzantiner an die Lateiner wieder verloren. Die Republik Venedig gebot von Kreta aufwärts fast über das ganze Inselmeer. Die Macht des Hauses Anjou, welches Korfu, Teile von Epiros und Albanien, endlich Morea besaß, war durch die Vesperkriege erschüttert worden, aber noch keineswegs gebrochen. Unter seinem Schutz behauptete sich noch immer die westliche Hälfte des Peloponnes, das eigentliche Morea, gegen die fortgesetzten Angriffe der Byzantiner von Lakonien her. So schienen sich die Lateiner in Griechenland noch einmal ganz sicher zu fühlen; sie entfalteten dort sogar ein glänzendes Ritterleben. Ein Zeugnis davon ist das große Parlament, welches Philipp von Savoyen im Mai 1305 nach der Stadt Korinth entbot. Mit reichem Gefolge erschienen daselbst die Pairs dieses Fürsten, der Herzog von Athen, der Markgraf von Bodonitsa, die Herren von Euböa, der Herzog von Naxos, der Graf von Kephallenia, der Marschall von St. Omer und andere Feudalherren Achaias. Auf dem Isthmos, wo im Altertum an den heiligen Fichtenhainen die Spiele zu Ehren des Poseidon gehalten wurden, brachen jetzt Ritter zu Ehren schöner Frauen ihre Lanzen. Guido von Athen versuchte sich mit Guillaume Brouchart, der für den besten Kämpfer aus dem Abendlande galt; doch unterlag er, da sich in die Brust seines Rosses der stahlbewehrte Kopf des Pferdes seines Gegners einbohrte, so daß er niederstürzte. Mehr als tausend Edle kämpften auf dem Plan, und das geräuschvolle Fest dauerte zwanzig Tage lang.»Car il y ot plus de mil a jouster à ceaux dedens.« Mit diesen Worten bricht die franz. Chronik von Morea ab; ihre Quelle versiegt für uns, soweit sie eben geschichtlichen Wert hat. Ehrgeiz und Ruhmsucht, sodann die Absicht, die Barone in ganz Griechenland sich zu verpflichten und auf den Hof in Neapel Eindruck zu machen, waren die Beweggründe, welche den Grafen von Savoyen zur Versammlung dieses Parlaments veranlaßt hatten. Es sollte das letzte großartige Schauspiel feudaler Herrlichkeit der Franken in Griechenland sein.

Die Tage Philipps von Savoyen selbst waren dort gezählt. Zwar ein tatkräftiger Mann, aber aus Mittellosigkeit habsüchtig, hatte er sich durch Erpressungen viele Barone verfeindet, während seine auf Unabhängigkeit gerichteten Absichten den König von Neapel mißtrauisch machten. Bald nach jenem Fest in Korinth begab er sich mit seiner Gemahlin an den Hof Karls II., diesen für sich zu stimmen und die erbliche Belehnung mit Achaia zu erlangen, doch er täuschte sich. Karl warf ihm unter anderen Vergehen auch dieses vor, daß er im Kriege gegen Anna von Epiros seine Lehnspflicht nicht erfüllt hatte. Die Despina nämlich war in Zwiespalt mit ihrem Schwiegersohne Philipp von Tarent geraten, suchte die Anjou aus ihren epirotischen Besitzungen zu vertreiben und schloß ein Bündnis mit dem griechischen Kaiser, was einen wiederholten Krieg zwischen ihr und Neapel zur Folge hatte. Der König entsetzte endlich am 5. Juni 1306 den Grafen von Savoyen von der Regierung des Fürstentums Achaia und übertrug dieselbe seinem Sohne Philipp von Tarent, der in seiner Person die Ansprüche des Hauses Anjou auf Byzanz vereinigte. Philipp rüstete jetzt ein Heer aus, sowohl um von Morea Besitz zu nehmen als die Despina Anna zu unterwerfen. Der Graf von Savoyen und Isabella fügten sich in die Notwendigkeit. Sie traten am 11. Mai 1307 ihre Rechte auf Morea dem Könige Karl oder seinem Sohne für immer ab und erhielten zur Entschädigung dafür die marsische Grafschaft Alba am Fucinersee als ein Fürstentum.Du Cange, Hist. de Cp. II, p. 124ff

Nun landete der Fürst von Tarent im Jahre 1307 in Clarenza, worauf ihm die moreotischen Barone und auch Guido von Athen den Huldigungseid leisteten. Er blieb indes nicht lange in Griechenland, denn nach einem durchaus erfolglosen Kriegszuge gegen seine Schwiegermutter Anna von Epiros, bei welchem ihn der Herzog von Athen mit Truppen unterstützt hatte, kehrte er nach Neapel zurück. Es war keine geringe Auszeichnung für Guido, daß ihn Philipp zum Bail Moreas einsetzte. So wurde der Herzog von Athen nochmals Regent dieses Landes, welches eben erst den fruchtlosen Versuch gemacht hatte, seine Autonomie durch den dritten Gemahl der Tochter Villehardouins herzustellen. Guido regierte dasselbe von Kalamata aus, wo er abwechselnd seinen Sitz nahm. Seinem Hof, dem Mittelpunkt für die Angelegenheiten Griechenlands, konnte seine junge Gemahlin jetzt als wirkliche Herzogin mehr Glanz und Leben verleihen. Denn die Tochter Isabellas und des Florenz d'Avesnes war am 30. November 1305 zwölf Jahre alt und demnach mündig geworden. Mit prächtigen Festen war dies Ereignis gefeiert worden. Damals befand sich Mathildes Tante Margarete von Mategriffon in Theben, als Witwe ihres zweiten Gemahls, des im Jahre 1304 gestorbenen Grafen Richard von Kephallenia.Am 5. Dez. 1305 erklären zu Theben Erre (Heinrich), Erzb. von Athen, Margarete, Dame von Mategriffon, Nikolaus von St. Omer, Großmarschall von Achaia, Engelbert von Lüdekerke, Großkonnetabel von Achaia, daß Mahaut, die Herzogin von Athen, am Tage St. Andreas (30. Nov.) zwölf Jahre erreicht habe. Akt aus dem Archiv Mons bei St. Genois, Droits primitifs, p. 336. – An demselben Tage bevollmächtigen Mathilde und Guido die Ritter Jean Sausset und Jean de Chyvigni, in ihrem Namen dem Grafen Wilhelm von Hainaut für die flandrischen Güter zu huldigen, die sie von Florenz besaßen. Unter den Zeugen: Erre, Erzbischof von Athen, Nichole, Erzbischof von Theben, Thomas, Bischof von Davalia, die Barone Thomas von Salona, Engelbert von Lüdekerke, Bonifatius von Verona, Herr von Karystos und Gardiki. Wie schnell das Glück seines Hauses erbleichen sollte, konnte Guido nicht ahnen, obwohl schon ein dunkles Gewölk im Osten heraufstieg und immer näher heranzog.


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