Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

Justinian und das römische Reich. Auftreten und Einwanderung der Slaven in das Reichsgebiet. Die Avaren. Versinken Athens in Geschichtslosigkeit. Der Kaiser Konstans II. kommt nach Athen. Damaliger Zustand der Stadt. Feindliches Verhältnis der Kirche gegen die hellenische Wissenschaft. Der Parthenon als christliche Metropole Athens. Kirchliche Zustände. Der heilige Gislenus. Die bürgerliche und politische Verwaltung der Themen Hellas und Peloponnes.

1.

Das Zeitalter des Slaven Uprawda aus Bederiana in Illyrikum, welcher in der Geschichte als Kaiser Justinian unsterblich geworden ist, war durch zahllose Völkerstürme und menschenmordende Kriege für das ganze Reich und im besondern auch für das hellenische Land verhängnisvoll. Wiederholte Erdbeben und Seuchen verwüsteten dessen Städte furchtbarer, als Goten und Slaven es tun konnten, während die Kraft des Volks durch Flottendienst, Feldzüge, das Schwert der Barbaren und unerträgliche Steuerlast verzehrt wurde.

Der gewaltige Plan jenes Kaisers, die werdende Welt des Germanentums im Abendlande zu zerstören, den Ostgoten Italien, den Vandalen Afrika, den Westgoten Spanien zu entreißen, die Franken in Gallien und die Sachsenfürsten in England zu unterwerfen und dann vom erhabenen Throne am Bosporos das wieder geeinigte Reich der Römer als orbis terrarum unter gleichen Gesetzen zu beherrschen, kann als die letzte Renaissance des Gedankens der römischen Weltmonarchie aufgefaßt werden. Das grenzenlose Elend, welches die Kriege Justinians in ihrem Gefolge hatten, verführte Prokopios nicht als Geschichtsschreiber, sondern als Pamphletisten dazu, diese kühnen Unternehmungen dem blutgierigen Sinne des Kaisers zuzuschreiben, der auch Afrika und Italien habe verderben wollen.Hist. Arcana, c. 6. In den offiziellen Geschichtsbüchern nennt Prok. denselben Justinian οικτιστὴς τη̃ς οικουμένης (De Aed. IV, 1).

Es ist wahr, nur mit tödlicher Überspannung aller ökonomischen und militärischen Kräfte und nur zu einem kleinen Teile konnte jener riesige Plan ausgeführt werden. Das byzantinische Reich, der einzige Kulturstaat, der sich aus dem Altertum in den Formen des Cäsarismus fortsetzte, wurde durch Justinian stark entkräftet. Allein es wäre doch zuviel, dasselbe deshalb schon ein Massengrab der Völker zu nennen, welches der schwer zu begreifende Kaiser mit verschwenderischem Farbenglanz ausgeschmückt hatte. Es bleibt immer ein großartiger Trieb in dem Willen des Mannes sichtbar, von dem ein Selbstgefühl in das Reich eindrang, welches Jahrhunderte lang vorhielt. Auch steht neben dem kirchlichen und imperialen Despotismus das von ihm vollendete Werk der römischen Gesetzgebung da, und dieses diente als feste Grundlage für die Fortdauer der bürgerlichen Kultur. Die Stadt Konstantinopel selbst wurde und blieb die unvergleichliche Königin der Mittelmeer-Welt, auch nachdem die arabischen Kalifen Syrien, Ägypten und Afrika, sodann die Päpste und die Franken Westrom vom Reiche der Romäer abgelöst hatten.

Durch diese schweren Verluste erlitt dasselbe eine Schmälerung seines kosmopolitischen Charakters, aber es gewann eine Stärkung seiner nationalen Basis, welche wesentlich hellenisch war. Der Latinismus, von der griechischen Kirche und Volksgesellschaft schrittweise zurückgedrängt, konnte sich drei Jahrhunderte nach Konstantin dem Großen nicht mehr als das öffentliche Gepräge des oströmischen Reichs behaupten. Derselbe Justinian, welcher dieses durch sein in der Sprache der Römer abgefaßtes Gesetzbuch nochmals zu latinisieren schien, erbaute die Kathedrale Konstantinopels in griechisch-orientalischer Form und weihte dies Wunderwerk unter hellenischem Namen und Begriff der göttlichen Weisheit.

Aus der Zusammenschmelzung des griechischen Geistes mit dem Christentum und den römischen Staatsformen erzeugte sich seit dem 7. Jahrhundert der Byzantinismus in seinem eigenartigen orientalischen Wesen. Das oströmische Reich, seine Kirche, seine halb asiatische Kaiserdespotie, seine Gesetze, Künste und Wissenschaften und seine bewundernswürdige Verwaltungsmaschinerie entfernten sich immer weiter von dem feudal werdenden latino-germanischen Abendlande. Endlich wurde dies Reich durch die unablässig nach dem Bosporos vorstürmenden slavischen und turanischen Völkerschwärme zu einem heroischen Kampf um sein Dasein genötigt, welcher neun Jahrhunderte gedauert hat.

Die zwanzigjährigen Kriege Justinians mit den Goten um den Besitz Italiens, des Landes, auf dem die Weihe des Römerreiches lag, hatten die antike Welt in den dortigen Städten zugrunde gerichtet. Wie für Griechenland und vorzugsweise für Athen im Zeitalter Justinians das Mittelalter begann, so geschah dies auch in derselben Epoche für Rom und Italien. Die Folge von dessen Verödung durch die Gotenkriege war die Einwanderung und Kolonisation der Langobarden, welche dort germanische Staaten errichteten und die lateinische Nation allmählich durch Vermischung zur italienischen umwandelten. Der Einzug dieses germanischen Volks und seine Ausbreitung von den blühenden Ebenen des Po bis nach Rhegium in Kalabrien fällt in dieselbe Zeit, als die Slaven von der Donau nach Nordgriechenland und weiter vordrangen.

Es war das Glück des römischen Abendlandes, daß es von einer der edelsten arischen Völkerrassen überzogen wurde, welche das Lebensblut der Lateiner erneuerte und zugleich fähig war, den Kulturgedanken Roms fortzusetzen. Nach dem Untergange des römischen Bürgertums und Rechts pflanzten die Germanen in Europa das aristokratische Gesellschaftsprinzip der Feudalität ein, welches auf dem Bewußtsein der Manneskraft und den Begriffen der persönlichen Ehre und Freiheit, aber auch der Pflichttreue gegründet war, vorchristlichen, von Tacitus bewunderten Tugenden, die glücklicherweise nicht durch die Taufe ausgelöscht wurden. Die germanische Staatenbildung konnte im Verein mit dem Einheitsprinzip der christlichen Kirche der westlichen Völkerwanderung bald ein Ende gebieten, so daß unter Karl dem Großen das zweite weströmische Reich aufgerichtet wurde.

Dagegen war es das Unglück des byzantinischen Ostens, daß er die Einwanderung von slavischen, hunnischen und türkischen Steppenvölkern erlitt, und diese Völkerwogen kamen nicht zum Stillstande, sondern sie fluteten unter verheerenden Stürmen das ganze Mittelalter hindurch über den Orient hin. Das Reich der Romäer diente, auf die Westhälfte Kleinasiens, die Inseln und die südliche griechisch-illyrische Halbinsel beschränkt, für ebensolange als Schutzmauer Europas gegen die Einbrüche der Horden Sarmatiens und Hochasiens.

Die Erhaltung Konstantinopels in allen folgenden Bedrängnissen während der dunklen Jahrhunderte erscheint so gut wie jene Roms als ein historisches Gesetz. Die Großstadt am Bosporos haben die Slaven niemals zu erobern vermocht. Ihre unvergleichliche Lage an drei Meeren in Verbindung mit der von den Römern ererbten Kunst des Mauerbaues machte sie für Jahrhunderte zu der stärksten Festung, welche die Geschichte kennt. In dem dreifachen Gürtel ihrer bewundernswürdigen Wälle, die selbst jene Jerusalems und Roms in Schatten stellten, hoffte das stolze Kaiserreich unzerstörbar zu sein. Die Erfindung des griechischen Feuers, die Kunst hellenischer Maschinisten und Ingenieure, die taktische Vervollkommnung geschulter Heere, die Willensstärke und Klugheit von Staatsmännern und Kaisern, endlich die konservative Widerstandskraft des oströmischen Staatswesens retteten Byzanz aus hundert Gefahren, während die justinianischen Schanzen weder in den Thermopylen noch auf dem Isthmos die Völkerbrandung der Barbaren von Griechenland abzuhalten imstande waren.

Die allmähliche Einwanderung slavischer Stämme in die Balkanländer ist älter als die Zeit Justinians, da sie schon seit dem Ende des 3. Jahrhunderts, wo die Römer Dakien aufgaben, begonnen hatte. Doch wurde sie massenhaft und furchtbar, sobald mit dem Aufhören des Ostgotenreichs in Pannonien und dem Abzuge dieses Volks unter Theoderich nach Italien jenes Bollwerk an der Donau zusammenzufallen begann, welches den Andrang der Slaven vom Don her aufgehalten hatte.

Seit 493 brachen diese in das südliche Donauland ein. Die Anten überschritten den Haimos im Jahre 527 und machten den ersten Einfall in Hellas um 540. Nur die Wälle des Isthmos setzten ihren Raubzügen noch eine Schranke. Während des 6. Jahrhunderts ergoß sich aus dem Skythenlande vom Dnjepr und der Mäotis her und aus dem innern Sarmatien ein unerschöpflicher Strom von Völkern nach Illyrien. Slavinen, Anten und Bulgaren breiteten sich über die Provinzen Mösien, Thrakien und Epirus aus. Sie belagerten im Jahre 551 Thessalonike. Diese große und reiche Stadt, das zweite Konstantinopel für Nordgriechenland, verteidigte sich mit siegreicher Kraft, gleich den Bürgerschaften anderer starker Orte wie Epidamnion, Adrianopel, Sophia, Korinth und Patras. Die Linien der Donau und Save leisteten indes immer schwächeren Widerstand, seitdem die Avaren, die Nachfolger der Hunnen, am Ende der Regierung Justinians auf den Trümmern der Gepidenherrschaft ein Barbarenreich in Pannonien gestiftet hatten. Dies aber wurde ihnen möglich, weil die Langobarden, der letzte Nachtrupp der germanischen Völkerwanderung, aus diesem Lande nach Italien abgezogen waren und so den slavischen und türkischen Stämmen Platz machten. Von Pannonien aus machten die Avaren unter ihrem Häuptling Bajan unablässige Einfälle in das untere Mösien.

Ein ungeheures Heer slavischer Völker scheint um 578, als der edle Tiberios, ein Grieche, im vierten Jahre Cäsar und Mitregent Justinians II. war, von Thrakien aufgebrochen zu sein und die Pässe der Thermopylen erzwungen zu haben, von denen die griechischen Milizen noch im Jahre 558 den Ansturm hunnischer Horden zurückgewiesen hatten.Menandri Historia (Bonn), p. 327: 100 000 Slaven sammeln sich in Thrakien, plündern dies καὶ τὰ άλλα πολλὰ; p. 404: κεραϊζομένης τη̃ς ‛Ελλάδος υπὸ Σκλαβηνω̃ν. – Joh. von Ephesos VI, c. 30ff Tiberios, durch den Perserkrieg gehindert, Hellas zu schützen, suchte die Hilfe des mächtigen Avarenchans Bajan nach, welcher dann in die Sitze der Slaven einfiel, und das scheint auch jene Horden aus dem verwüsteten Griechenland zum Rückzuge genötigt zu haben. Ob damals versprengte Kolonien von ihnen in Hellas zurückgeblieben sind, ist völlig ungewiß und wenig wahrscheinlich.Zinkeisen glaubt, daß sich die ersten slavischen Ansiedlungen im allgemeinen von jener Zeit herschreiben; Hopf leugnet es. Fallmerayer I, S. 171, datiert von jener Zeit den Beginn der »Ausmordung« und ethnographischen Umwandlung Griechenlands.

Der Avarenchan war nur vorübergehend in freundlichem Verhältnis zum byzantinischen Reich, sooft es galt, Slavenstämme zu züchtigen, die ihm selbst den Gehorsam und Tribut zu verweigern wagten. Bajan trachtete nach der Eroberung Konstantinopels, das er wiederholt dem Verderben nahebrachte. Während er mit dem Kaiser Maurikios (582–602) um den Besitz der römischen Save- und Donaulinie, Thrakiens und der Küsten der Propontis kämpfte, stürmten auf seinen Wink slavinische Massen, wahrscheinlich mit avarischen gemischt, nach Griechenland vor. Die byzantinischen Geschichtsschreiber haben die verschiedenen Slavenstämme, welche die Länder südlich von der Donau überzogen, unter die Avaren miteinbegriffen. Bajan reizte die Slaven in den fernsten Bezirken des späteren Rußlands auf, über das griechische Reich herzufallen. So ergoß sich zwischen 588 und 591, während Maurikios gegen die Perser kämpfte, eine avaro-slavische Völkerwoge unter entsetzlichem Verheeren über Makedonien, Thessalien und die hellenischen Länder.

Evagrios aus Epiphania in Cölesyrien, der Zeitgenosse dieser schrecklichen Ereignisse, hat in einer Stelle seiner Kirchengeschichte berichtet, daß die Avaren Singidon, Anchialos und ganz Hellas und andere Städte eroberten und verwüsteten.Hist. Eccl. VI, 10 ... καὶ τὴν ‛Ελλάδα πα̃σαν. Das Zusammenwerfen von »ganz Hellas« mit einzelnen Orten hat gerechten Zweifel erweckt, entweder über die Glaubwürdigkeit des Geschichtsschreibers oder über die geographische Ausdehnung des von ihm gebrauchten Begriffes Hellas. Man hat daher diese Eroberungen Bajans auf Dardanien, Mösien, Thessalien und Thrakien beschränken wollen.Zinkeisen S. 697ff. beruft sich mit Recht darauf, daß weder Theophylakt Simokattes noch Theophanes Confessor, noch Kedrenos und Zonaras etwas von dem Eindringen der Avaren und Slaven in Hellas vor 591 wissen. Dasselbe lehnt Paparrigopulos ab in seiner gegen Fallmerayer gerichteten Schrift περὶ τη̃ς εποικήσεως Σλαβικω̃ν τινων φύλων εις τὴν Πελοπόννησον, Athen 1843. Dazu die Auseinandersetzung Hopfs, Gesch. Griechenl. I, S. 103ff.

Die Verfechter des Slaveneinbruchs in Hellas um 588 oder 589 – und er ist in jedem Falle auch für die Geschichte Athens von Bedeutung – haben ihre Ansicht durch ein gewichtiges Schriftstück zu stützen gesucht, welches erst dem 11. Jahrhundert angehört. Im Jahre l081 erließ nämlich der byzantinische Patriarch Nikolaus II. ein Synodalschreiben an Alexios Komnenos, worin er sagte, daß vom Kaiser Nikephoros I. (802–811) das Bistum Patras mit Metropolitanrechten über andere Bistümer ausgestattet worden sei, weil jene Stadt durch die wunderbare Hilfe ihres Schutzpatrons Andreas die Avaren siegreich zurückgeschlagen habe. Diese aber hätten den Peloponnes 218 Jahre lang innegehabt und vom byzantinischen Reich so vollkommen losgetrennt, daß kein Romäer dort seinen Fuß habe hinsetzen können.Johis. Leunclavii Jur. Graeco-rom. I, 278.

Da die Belagerung der Stadt Patras durch die Slaven oder Avaren im Jahre 807 stattgefunden hat, so würde der Zeitraum der Slavenherrschaft im Peloponnes von 218 Jahren mit demselben Jahre 589 begonnen haben, in welches der große Barbarensturm zu setzen ist. Der Bericht des Patriarchen, der erst am Ende des 11. Jahrhunderts geschrieben ist, enthält jedoch manche Unrichtigkeiten, denn daß während jenes Zeitraums kein Byzantiner den Peloponnes betreten hat, wird durch Tatsachen widerlegt. Die Barbaren haben niemals Korinth und Patras, Nauplion und Argos, Chalkis, Theben und Athen in Besitz gehabt. Immer behauptete sich dort die byzantinische Regierung und die griechische Nation.Fallmerayer behauptete, daß die Avaro-Slaven seit 588 Altgriechenland ausgemordet haben, und bediente sich dafür jenes Synodalschreibens. Seine Ansicht bestritt zuerst Zinkeisen (S. 702ff.); dieser wagte nicht, den Aussagen des Patriarchen jeden Glauben zu verweigern, mäßigte aber ihr Gewicht und leugnete die völlige Unterjochung von Hellas 589. Paparrigopulos, a. a. O., wies nach, daß jener Bericht aus Evagrios geflossen sei. Hopf I, 105, bezweifelt die Angaben des Synodalschreibens. Seine Meinung, daß die Slaven nur von 750 bis 807 Griechenland in Besitz gehabt, verwirft Gutschmidt (Literar. Zentralblatt 1868, S. 641ff.), da dieselben um 623 Kreta und die übrigen Inseln heimsuchten.

Was die Stadt Athen betrifft, so sind ihre Schicksale in jenem Zeitalter von so undurchdringlicher Nacht bedeckt, daß die ungeheuerliche Ansicht aufgestellt und auch geglaubt werden konnte, sie sei vom 6. bis zum 10. Jahrhundert eine unbewohnte Waldwildnis gewesen und endlich sogar von den Barbaren durch Feuer vernichtet worden.Das schauerliche Phantasiebild, zu dem sich der hochverdiente Fallmerayer (Welchen Einfluß etc.) durch die Fragmente aus dem athenischen Kloster der Anargyri, einer modernen Kompilation aus der sogenannten Stadtchronik des Anthimos (verfaßt nach 1800), verführen ließ, ist durch L. Roß (Archäol. Aufsätze, 2. Samml., S. 113f.), durch Paparrigopulos, durch Pittakis selbst (Arch. Ephim., 1853, p. 940), schließlich durch Hopf zerstört worden. Über diese Chroniken neuerdings Demetr. Kampuroglu im ersten Heft seiner ›Turkokratia‹ (Gesch. der Athener), Athen 1889. Die Beweise ihres Fortlebens auch in den finstersten Zeiten sind unumstößlich geliefert worden, aber was kann das Verschwinden Athens aus dem historischen Bewußtsein der Welt schlagender bezeichnen als die Tatsache, daß man erst solcher Beweise bedurft hat, nur um darzutun, die ruhmvollste Stadt der geschichtlichen Erde habe überhaupt noch fortgedauert? Der Strom der historischen Kunde von Athen versiegt für lange Zeit, oder er fließt nur so spärlich wie das Wasser des Ilissos in seiner Felsenrinne. Seit Dexippos fand sich entweder kein Athener und Grieche, der es der Mühe für wert gehalten hätte, der Nachwelt einen Bericht von dem Zustande der Stadt des Solon und Perikles zu hinterlassen, oder solche chronistischen Aufzeichnungen sind nicht bis zu uns gelangt. In jenen Jahrhunderten ist überhaupt die byzantinische Geschichtsschreibung höchst dürftig und mangelhaft. Athen selbst war zu einem unwichtigen Orte herabgesunken, in einem Winkel Griechenlands vom geräuschvollen Schauplatz der Völkerkämpfe an der Donau und dem Bosporos weit abgelegen. Nur ihr erlauchter Name, ihre großen Erinnerungen und ihre herrlichen Monumente hätten ihr noch für das Empfinden gebildeter Menschen einigen Wert verleihen können, wenn nicht auch das Bewußtsein von der Bedeutung jener Denkmäler im Gedächtnis barbarischer Zeitalter erloschen oder doch verdunkelt gewesen wäre.

Den byzantinischen Geschichtsschreibern bot die Stadt Athen nur selten eine Veranlassung dar, um sich mit ihren Angelegenheiten auch nur flüchtig zu beschäftigen. Dies gilt vom Lande der Hellenen überhaupt. Die griechischen Kaiser waren unablässig bemüht, Avaren und Bulgaren, Slavinen, Hunnen und Sarazenen von den Mauern Konstantinopels abzuwehren; in der Zeit, als nicht nur Makedonien ein Slavenland war, sondern auch Hellas und der Peloponnes von Barbarenschwärmen durchzogen und teilweise bevölkert wurden, konnten diese äußersten Provinzen fast als verlorene Glieder am Körper des Reichs betrachtet werden. So geschichtlos wurde Griechenland seit dem 7. Jahrhundert, daß die Namen italienischer Städte wie Ravenna, Benevent und Capua, Tarent, Bari und Syrakus von den Chronisten des Reichs öfter genannt werden als Korinth, Theben, Sparta und Athen. Nun hat aber kein einziger dieser Geschichtsschreiber von einer Eroberung oder Verwüstung Athens durch fremde Völker berichtet; ein solches Ereignis würde doch wohl irgendwo verzeichnet worden sein. Es kann daher höchstens von flüchtigen Streifzügen der Avaren und Slaven nach Attika, niemals von einer Unterjochung und Besitznahme der Stadt Athen durch sie die Rede sein.Sehr gut hat von Athen der alte Meursius gesagt (De Fortuna Athenarum, p. 109): »Ab hoc tempore (Justiniani) annis circiter septingentis, seu deliquium est historiae seu fortunae lassae quies, omnino non fecere quicquam, neque passae; certe nihil literarum monumentis consignatum invenitur.«


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