Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel

Guido unter der Vormundschaft seiner Mutter Helena. Die St. Omer. Florenz von Avesnes, mit Isabella Villehardouin vermählt, Lehnfürst von Achaia. Helena vermählt sich mit Hugo von Brienne. Streit um die athenische Lehnshoheit. Regierungsantritt Guidos. Bonifatius von Verona. Die Insel Ägina. Tod Hugos von Brienne und des Florenz d'Avesnes. Guido vermählt sich mit dessen Tochter Mathilde; deren Mutter Isabella mit Philipp von Savoyen, Lehnfürst Achaias. Guido wird Regent von Neopaträ. Sein Kriegszug nach Epiros. Bodonitsa und Salona. Parlament in Korinth. Entsetzung Philipps von Savoyen. Guido, Bail Moreas.

1.

Guido, der einzige Sohn Wilhelms, befand sich noch im Alter der Unmündigkeit, weshalb seine Mutter Helena Angela Komnena die Regentschaft übernahm. So stand an der Spitze des fränkischen Herzogtums Athen zum ersten Mal eine Griechin. Da auch das Amt des Bail Achaias vom Grafen von Artois Nikolaus II. von St. Omer, dem Herrn von halb Theben, verliehen wurde, so blieb Athen auch jetzt der führende Staat in Griechenland.Georg Konstantinides, ‛Ιστορία τω̃ν ’Αθηνω̃ν, p. 367.

Die drei Brüder vom Hause St. Omer, die Söhne Belas, Nikolaus II., Otto und Jean, standen damals im höchsten Ansehen; sie besaßen Güter und Ehren nicht nur im Herzogtum Athen, sondern in Euböa und Morea. Jean war dort sogar Marschall, da er Margarete, die Erbin des Hauses Neuilly von Passava, geheiratet hatte. Nikolaus II. hatte sich, nach dem Tode seiner reichen Gemahlin Maria von Antiochia, der Tochter Boemunds VI., im Jahre 1280 mit Anna Angela, der Witwe des letzten Villehardouin, vermählt, wodurch er in den Besitz von Kalamata und anderer Lehnsgüter Achaias kam. Als Herr von halb Theben baute er sich auf der Kadmeia ein so prachtvolles Schloß, daß nach dem Urteil der griechischen Chronik von Morea ein Kaiser mit seinem ganzen Hofe darin Raum gehabt hätte. Er führte, obwohl er keine Leibeserben hatte, Burgen auch in Achaia auf, und seine Stellung dort war so einflußreich, daß ihn der König von Neapel nach dem Tode des Herzogs von Athen zum Bail Moreas ernannte.

Die moreotischen Barone duldeten indes nur widerwillig das Regiment von Statthaltern, welche die Krone Neapels einsetzte; sie wünschten die Zeiten zurück, wo ihr Land eine starke, einheimische Regierung besessen hatte. Seitdem Familienverbindungen das Haus Anjou zum Mittelpunkt der griechischen Angelegenheiten gemacht hatten, hingen diese durchaus von dem Hofe in Neapel ab. Dort lebten die Erben des Kaisers Balduin II. Sein Sohn, der Titularkaiser Philipp von Courtenay, war daselbst im Jahre 1285 gestorben, und auf Katharina, seine Tochter aus der Ehe mit Beatrix von Anjou, waren die Prätendentenrechte nebst dem byzantinischen Kaisertitel übergegangen. Das junge Mädchen wurde deshalb der Gegenstand für viele dynastische Spekulationen. Selbst Andronikos II. hatte ihre Hand für seinen Sohn Michael begehrt, um so die Ansprüche der Erben Balduins auf Konstantinopel zu beseitigen, allein dies glückte ihm ebensowenig, als seinem Vater der Plan geglückt war, durch die Hand der Isabella Villehardouin Morea mit seiner Krone zu vereinigen. An demselben Hofe lebte die Erbin ihres Hauses, die junge Witwe Philipps von Anjou, während das Land ihrer Ahnen durch neapolitanische Vizekönige verwaltet wurde. Ein Zufall führte sie als regierende Fürstin dorthin zurück.

Im Jahre 1287 erschien in Neapel Florenz d'Avesnes, der fünfte Bruder des Grafen Jean d'Avesnes von Hennegau, um seinen Degen dem ihm verwandten Hause Anjou darzubieten.Über die Grafen von Hainaut aus dem Hause Avesnes, Anselme, Hist. généal. et chronol. de la maison royale de France, II, p. 778. Der junge Ritter, mit dem mäßigen Besitz von Braine und Hal ausgestattet, suchte ein besseres Glück zu gewinnen; er leistete im Kriege mit Aragon so gute Dienste, daß ihn der König Karl II. zum Konnetabel Siziliens machte und zu noch höheren Ehren erhob. Denn er gestattete ihm, sich mit der verwitweten »Dame von Morea«, seiner Schwägerin Isabella, zu vermählen, dem ausdrücklichen Wunsche der Barone Achaias willfahrend, namentlich des Großkonnetabel Jean Chaudron und des Geoffroi de Tournay, Herrn von Kalavryta. Auch erkannte er, daß die Angelegenheiten jenes Landes durch eine feste Hand zu ordnen seien. An dem Hochzeitstage, dem 16. September 1289, belieh Karl Florenz d'Avesnes und seine Gemahlin mit dem Fürstentum Achaia, indem er Isabella verpflichtete, im Falle sie Witwe wurde, keine neue Ehe ohne seinen Willen einzugehen; tat sie das, so sollte sie jenes Fürstentums verlustig sein. Die Vermählten schifften von Brindisi nach Clarenza mit hundert Rittern und einigem Kriegsvolk, nahmen Besitz vom moreotischen Lande und belebten wieder das Schloß Andravida mit einem Schimmer vom alten Glanz der Villehardouin. Die Barone Moreas leisteten mit Freuden den Treueid ihrem neuen ritterlichen Herrn, der mit frischer Kraft zu regieren begann. Helena, die Regentin Athens und Vormund ihres Sohnes Guido, huldigte ihm.

Auch diese Fürstin suchte eine Stütze an einem zweiten Gemahl. Sie ersah dazu ihren Schwager Hugo von Brienne, der durch den Tod der Isabella de la Roche zum Witwer geworden war, und ihre Wahl konnte nicht glücklicher sein. Der Graf von Lecce war Lehnsmann der Krone Neapel, Baron der halben Baronie Skorta oder Karytena, ein in Frankreich, Italien und Griechenland hochangesehener Mann. Er kam nach Theben und vermählte sich mit Helena, wie es scheint am Ende des Jahres 1291.Karl II. spricht in einem Schreiben an Nikolaus von St. Omer, Tarascon, 14. Sept. Ind. V, von der Heirat Hugos als einer erst zu schließenden; »ut cum ipse cum nobili muliere Elena Athenarum ducissa de ipsa in uxorem ducenda noviter duxerit contrahendum...« (Reg. Ang. vol. 57, 1291, 1292. A. fol. 1). Da er ihr die Hälfte jener moreotischen Baronie als Witwensitz verschrieben hatte, nannte sich Helena seither Dame de Karytena.Als solcher schreibt ihr P. Lambros eine Münze zu: HELENA DI GRA CARICIA S F (Semis Feudi); Rev. Num. T. XIV, 192. Hugo, welcher aus der Ehe mit seiner ersten Gattin einen Sohn, Walter genannt, mit sich brachte, wurde jetzt Vormund seines Stiefsohnes Guido de la Roche und als solcher Regent des Herzogtums Athen.

Der ahnenstolze Brienne fand Florenz d'Avesnes als Regenten Achaias für seine Gemahlin Isabella und weigerte sich, ihm für Athen zu huldigen, weil er nach dem Lehnsrechte nur dem Könige Karl als seinem Souverän den Eid der Treue zu leisten habe. Derselbe gefährliche Streit über den feudalen Verband zwischen dem Fürstentum Achaia und dem Staate Athen, welcher ehedem das Haus La Roche mit den Villehardouin entzweit hatte, brach jetzt von neuem aus, ohne glücklicherweise zu einem Kriege zu führen, weil der gemeinsame Lehnsherr beider Parteien dies zu verhindern imstande war. Aber eine lange Zeit hindurch wurde der Prozeß an der Kurie Karls und durch Gesandte fortgesetzt, da keiner der Streitenden zu den vom Könige ausgeschriebenen Terminen sich persönlich stellen mochte. Karl verwarf übrigens die Rechtsgründe Hugos, indem er ihnen den Wortlaut der für Florenz und Isabella ausgefertigten Belehnungsurkunde entgegenhielt, durch welche er diesen das Homagium des Herzogtums Athen ausdrücklich übertragen hatte.»Revolventes quod prefate concessionis tempore nostre intensionis extitit dicti ducis homagium et servicia nostre curie debita pro dicto ducatu simul cum juribus aliis principatus ejusd. dictis principisse et principi fuisse concesse.« Dat. Sulmone, 25. Julii, VII. Ind. (1294) R. N. a. X. – Reg. Ang, n. 70, 1294. M. fol. 65 . Er betrachtete die Gewalt Hugos von Brienne und Helenas über das Herzogtum nur als eine ihnen während der Minderjährigkeit Guidos zugestandene Ballei oder Statthalterschaft; demnach forderte er sie auf, dem Fürsten und der Fürstin Achaias gemäß den Gewohnheiten des Reichs Romania zu huldigen, wenn anders sie jene Vormundschaft noch weiter fortführen wollten.»Ut si ducatus Athenarum intendunt ulterius gere Baliatum...« Sulmona, 25. Juli 1294. Ibid., n. 69, 1294, J. fol. 220 . Im gleichen Sinne dem eben mündig gewordenen »nobili viro Guidotto de Rocca duci Athenar.«, fol. 261. Dieser Streit blieb noch einige Zeit unentschieden.

Unterdes trat der Sohn Helenas in das Alter der Mündigkeit, so daß er zum regierenden Herzog erklärt wurde. Dies Ereignis wurde am Tage St. Johann des Jahres 1294 mit glänzenden Festen in Theben gefeiert, wozu der junge Guido II. alle Edlen seines Landes und selbst Thessaliens eingeladen hatte. Die Schilderung der ritterlichen Feierlichkeiten ist eine der anziehendsten Stellen in der berühmten katalanischen Chronik des Zeitgenossen Ramon Muntaner, welcher versichert, daß der Herzog von Athen nächst den Königen der angesehenste und reichste Herr in ganz Romania war.Cap. 244 (Ausgabe von Lanz, Stuttg. 1844): »Veritat es quel duch de Tenes era hu dels nobles homens qui sien en limperi de Romania apres rey, e dels pus richs.« Er nennt Athen »Tenes« und Theben »Destives«. Es wäre nach seinem Urteil selbst für einen Kaiser eine Ehre gewesen, ihm den Ritterschlag zu erteilen, als er diesen in der Kathedrale Thebens nehmen wollte.

Die hohe Auszeichnung, den Herzog von Athen zum Ritter zu machen, hätte vor allen andern Baronen einem der Mitherren Thebens vom Hause St. Omer gebührt. Der berühmte Nikolaus II., der Bail Achaias, war in demselben Jahre 1294 vor dem Fest gestorben, doch mußte sein Neffe Nikolaus III., der Marschall Moreas, bei dieser Feierlichkeit gegenwärtig sein. Zum Erstaunen des in der Kirche Thebens versammelten Adels übertrug Guido jene Ehre einem noch unberühmten und unbemittelten Ritter in seinem Dienst, welcher alles aufgeboten hatte, um bei dieser festlichen Gelegenheit in prächtigem Aufzuge zu erscheinen. Dieser Günstling des letzten La Roche war Bonifatius von Verona aus dem euböotischen Hause dalle Carceri, Enkel des glänzenden Guglielmo I. und Sohn des Francesco von Verona, eines in der Geschichte Euböas berühmt gewordenen Mannes, der mit dem Vater Guidos befreundet und durch Lehnsverhältnisse verbunden war. Als jüngster von drei Brüdern mit geringem Besitze ausgestattet, hatte Bonifatius schon am Hofe des Vaters Guidos II. sein Glück gesucht, und er fand jetzt ein größeres bei diesem. Denn seinen Ritterschlag belohnte der junge Herzog nicht nur mit einer ansehnlichen jährlichen Rente, mit Gütern in Attika und der Phthiotis, wie Gardiki und Seliziri, sondern auch mit der Hand einer reichen Erbin auf Euböa. Dies war Agnes, die Dame von Karystos, aus dem mit den La Roche verwandten Hause der Cicons, welches die Herrschaft über jene euböotische Burg und die Insel Ägina erlangt hatte. Während die Dreiherren und die Venezianer die Burgen Euböas allmählich den Byzantinern wieder entrissen hatten, befand sich Karystos freilich noch in deren Gewalt. Allein der tapfre Bonifatius eroberte dieses Lehen im Jahre 1296, und seither war er Herr von Karystos, Gardiki, Seliziri und Ägina.»Dominator Caristi et Gardichie et Selizerii et Egne«: Arch. Ven., Pacta III, fol. 79 . – Hopf, Geschichtl. Überblick über Karystos, p. 567, und die vermehrte italien. Übersetzung dieser Schrift von Sardagna, p. 35. Gardiki (später Gardaki), schon von Benjamin von Tudela so genannt und als »Castrum Cardicense« und Bischofssitz in Briefen Innozenz' III. erwähnt, lag bei Zeitun. Wo aber Seliziri?

Es ist erst um diese Zeit, daß die Äakideninsel Ägina aus einem langen Dunkel wieder hervortritt. Einst die Nebenbuhlerin Athens, reich und blühend durch den Mittelmeerhandel und ausgezeichnet durch ihre Bildhauerschule und Kunstindustrie, war sie und ihre mit Prachtbauten geschmückte Hafenstadt im Laufe der Jahrhunderte geschichtslos geworden. Seit sie ein Lehen Bonifatius' von Verona wurde, erscheint sie wieder in Verbindung mit Athen.

Der neue Herzog hatte sich an den König von Neapel mit dem Gesuche gewandt, ihm Boten zu schicken, in deren Hände er ihm den Huldigungseid schwören wolle, und Karl II. sandte deshalb einen Bischof und Ritter nach Athen.Reg. Ang., n. 69, 1294, J. fol. 257 , Dat. Melphie IX. Julii VII, Ind. Allein er befahl den Lehnsleuten Guidos nicht diesem, sondern zuerst dem Fürsten von Achaia zu huldigen. Als Vasallen des Herzogs von Athen werden in diesem Reskript ausdrücklich genannt Thomas von Salona und Francesco von Verona.Befehl an diese, 25. Juli 1294. Reg. Ang., n. 63, A. fol. 195 . – N. 68, 1294, F. fol. 98 . Erst im Jahre 1296 gehorchte Guido dem Gebote des Königs, indem er den Prokuratoren des Fürsten von Achaia für diesen den Huldigungseid leistete.


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