Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2.

Unter der neuen Verwaltung, die Augustus Griechenland gab, blieb Athen immer eine freie, Rom verbundene Stadt mit selbständiger Gemeindeverfassung. Allein sie sank von Stufe zu Stufe, gleich allen andern hellenischen Städten, während neue römische Schöpfungen emporblühten, wie die Handelsstadt Korinth, die Kolonie Cäsars, welche der Sitz des römischen Prokonsuls von Hellas oder der Provinz Achaia wurde, und wie Paträ und Nikopolis, die Kolonien des Augustus. Ganz Griechenland war im Verfalle schon zur Zeit des Strabo. Obwohl Athen noch immer als das herrlichste Museum des Altertums und die Schule der hellenischen Wissenschaft berühmt war, nannten es doch schon Ovid und Horaz eine leere Stadt, von der nur der Name übriggeblieben sei. Diese Aussprüche bezeichnen, selbst wenn sie übertrieben waren, die geschichtslose Stille, in welche Athen zu versinken begann.»Quid Pandioniae restant nisi nomen Athenae.« Ovid, Metam. XV, 428. – »Vacuas Athenas«, Horat., Ep. II, 2. 81. Dazu Wachsmuth, Stadt Athen I, 665, Note 4, gegen die Auffassung dieser Stellen bei Ellissen, Zur Gesch. Athens nach dem Verlust seiner Selbständigkeit, Göttinger Stud. I, S. 790, u. gegen Burckhardt, Konstantin, S. 497.

Da der Handel der Stadt verfallen, ihre militärische Bedeutung dahingeschwunden und sie selbst auf ein kleines Gebiet beschränkt war, so gaben ihr fortan nur ihr Ruhm und ihre Schulen so viel Wert, daß sie, wie ehemals zur Zeit des Cicero und Mark Anton, des Brutus, Horaz und Virgil, noch immer das Pilgerziel der gebildeten Welt blieb. Wenn auch die Monarchie der fiskalischen Ausbeutung Griechenlands nicht durchaus Einhalt tun konnte, so hörte doch das Raubsystem des Verres und Piso auf. Fast alle Kaiser bis zum Ende der Antonine ehrten die Stadt, und nur wenige haben ihre Kunstschätze anzutasten gewagt.

Caligula und Nero plünderten schamlos ganz Griechenland. Den berühmten Eros des Praxiteles ließ jener aus Thespiä nach Rom bringen, und nur ein Wunder rettete den olympischen Zeus des Phidias wie die Hera des Polyklet in Argos vor dem gleichen Schicksal. Nero, welcher aus Delphi allein 500 Bronzestatuen entführen ließ, hat schwerlich Athen ganz verschont; aber es war doch ein Glück für diese Stadt, daß er, der Muttermörder, sie aus Furcht vor den rächenden Eumeniden nicht besuchte.Sein Agent Secundus Carinas (Tacit., Ann. XV, 95) entraffte von der Akropolis sicherlich Statuen, doch nicht die größten und heiligsten.

Nach Nero hörte das Fortführen griechischer Kunstwerke nach Rom auf, wenigstens verlautet davon nichts mehr.Sickler, Gesch. der Wegnahme vorzügl. Kunstwerke, Gotha 1803. Petersen, Allg. Einl. in das Studium der Archäologie, deutsch von Friedrichsen, 1829. Griechenland aber war trotz der fortgesetzten Plünderungen seit Mummius an Kunstschätzen noch so reich, daß Plinius bemerkte, Rhodos besitze noch 3000 Statuen, und für nicht geringer werde die Zahl derer in Athen, Olympia und Delphi gehalten.»Nec pauciora Athenis...«, H. N. XXXIV, c. 17.

Die Raubgier von Prokonsuln zur Zeit der römischen Republik und dann einiger Kaiser konnte den Athenern Götterbildnisse entreißen, aber schwerer fiel es dem Christentum, welches gleichzeitig mit der römischen Monarchie in das Leben der Menschheit eintrat, ihnen den Glauben an die alten olympischen Götter selbst zu nehmen. Keine Erscheinung in Athen irgendeines Sterblichen, in dem sich eine weltbewegende Idee verkörpert hat, ist merkwürdiger als die des Apostels Paulus. Dem großen Denksystem und der strahlenden Kultur des Altertums trat in der unscheinbaren Gestalt dieses Propheten die Zukunft des Menschengeschlechts gegenüber. In den Annalen der christlichen Mission gibt es keine kühnere Handlung als die Predigt des Paulus in Athen, der Akropole des Heidentums, die damals noch vom blendenden Glanz der Künste und Literatur umflossen war. Der apostolische Kundschafter, der Vergötterer Jesu, ergrimmte beim Anblick der Götterbilder, der Meisterwerke Griechenlands, welche die Stadt erfüllten, und der prangenden Tempel, zu deren Marmorhallen die Prozessionen der Priester und des Volkes emporzogen. Er forderte die Götterburg Athen zur Ergebung an Christus auf, aber er erkannte, daß sie für den evangelischen Gedanken noch nicht einnehmbar sei. Die neugierigen Stoiker und Epikureer lächelten über den Fremdling aus Tarsus, der einen neuen Heiland, die Auferstehung und das Weltgericht verkündete und mit scharfsinnigem Geist das Epigramm eines Altars auf den den Griechen noch unbekannten neuen Gott deutete. Aus dem dürftigen Bericht der Apostelgeschichte können wir nur erraten, was der begeisterte Prediger den Philosophen Athens gesagt hat: daß diese schöne Hellenenwelt unrettbar dem Tode verfallen sei, weil sie zu beschränkt und lieblos sei, auf dem Privilegium nur eines Menschenstammes, auf der Sklaverei und der hochmütigen Verachtung der Barbaren beruhe und sich zum höchsten Ideal der Menschheit und ihres Schöpfers nicht erhoben habe, vor dessen Angesicht nicht sind Grieche, Jude, Barbar, Skythe, Sklave und Freier, sondern alle gleich durch einen Geist und zu einem Leibe gemacht. Wer hätte damals zu ahnen vermocht, daß gerade die neue Religion, welche Paulus den Athenern verkündete, nach dem Verlauf vieler Jahrhunderte das einzige Palladium sein sollte, dem die Hellenen die Fortdauer ihrer Nation, ihrer Literatur und Sprache zu verdanken hatten?

Paulus wandte sich von Athen nach der kosmopolitischen Handelsstadt Korinth, wo er ein Jahr lang nachhaltiger wirken konnte. Die Legende des athenischen Ratsherrn Dionysios und der Damaris behauptet freilich, daß er doch einen Keim der christlichen Kirche am Felsen des Areopag eingepflanzt hatte, und dieser bedurfte langer Zeit, um sich lebenskräftig zu entwickeln.

Kein antikes Volk hielt an dem Dienste der Olympier hartnäckiger fest als das athenische. Die Denkmäler, der Stolz und Schmuck der Stadt, die Künste, die Wissenschaften, das gesamte Wesen, Sein und Lebensmark Athens waren durch die alte Religion bedingt, und auch in der römischen Kaiserzeit blieb die Stadt des Sokrates die große Universität des Heidentums. Ihre wissenschaftlichen Schulen blühten seit dem Sturze Neros wieder auf. Der Nachglanz des attischen Geistes unter Hadrian und den Antoninen, den philosophischen Kaisern auf dem Cäsarenthron, ist weltbekannt. Athen erlebte zum letzten Mal auch eine Renaissance monumentaler Pracht wie zur Zeit des Perikles und des Lykurg, des Sohnes des Lykophron, denn Hadrian vollendete den Riesenbau des Olympieion, gründete dort am Ilissos die Neustadt Athen, führte viele andere Tempel und schöne Gebäude auf und beschenkte die Stadtgemeinde mit den Einkünften der Insel Kephallenia. Mit ihm wetteiferte der reiche athenische Sophist Herodes Attikus.Ich verweise auf die betreffenden Abschnitte in Hertzberg, Gesch. Griechenl. unter der Herrschaft der Römer, und meines Buchs: Der Kaiser Hadrian, Gemälde der römisch-hellen. Welt zu seiner Zeit. Sodann erhoben die Antonine die Schulen der Philosophie und Beredsamkeit zu neuem Glanz, so daß Athen im 2. Jahrhundert die berühmteste griechische Hochschule des Reiches war. Flavius Philostratus hat jenem Zeitalter in seinen Biographien der athenischen Sophisten ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Mit dem Ende der hadrianischen Dynastie war Athen überhaupt an die Grenze seiner Entwicklungsfähigkeit als Stadt gelangt. Sie vereinigte jetzt die Idealschönheit des klassischen Altertums mit den prunkvollen Monumentalformen der römischen Kaiserzeit. Ihre architektonische Gestalt war unter den Antoninen vollendet worden. So sah und beschrieb sie Pausanias, und seine Schilderung lehrt, daß alle ihre berühmten antiken Bauwerke gegen das Ende des 2. Jahrhunderts unversehrt dastanden, während sich auf der Akropolis wie in der Stadt, in Tempeln, Theatern und Odeen, auf Straßen und Plätzen zahllose Werke der bildenden Künste erhalten hatten. Der Sophist Älios Aristides erhob zu derselben Zeit in seiner panathenäischen Lobrede mit schmeichelnder Übertreibung die Herrlichkeit Athens selbst über jene der schönsten Tage der Vergangenheit. Auch Lukian hat die Pracht und sogar die Volkszahl der Stadt angestaunt.Skythes, c. 9.

Dieses Lichtbild aus dem 2. Jahrhundert glänzt freilich nur auf dem düsteren Hintergrunde der allgemeinen Versunkenheit Griechenlands mit seinen verödeten Landschaften und den Trümmern seiner berühmten Städte, wie sie Pausanias verzeichnet und Plutarch beklagt hat. Das goldene Zeitalter des Friedens der Menschheit unter den Antoninen hörte mit Mark Aurel auf; barbarische Herrscher oder ehrgeizige Soldaten, den Musen abhold, bestiegen den Cäsarenthron; Bürgerkriege erschütterten das Reich, und vom Norden und Osten her warf die Völkerwanderung schon ihre ersten Wellen an die immer stiller werdenden Gestade Griechenlands. Die Zeit war vorüber, wo die edelste der Städte die Gebieter Roms und die Könige Asiens mit ihrem Zauber umstrickt hatte. Die Kaiser erweiterten und verschönerten die Weltstadt am Tiber und türmten dort ihre Paläste und Thermen auf, aber der mächtige Drang der römischen Welt nach ihrer Verbindung mit dem Geiste der Hellenen war gestillt worden; der erkältende Philhellenismus verkündete den Bruch zwischen dem Westen und Osten oder die Absonderung des griechischen Orients vom römischen Abendlande.

Früher als dieses wurde jener der Tummelplatz verwüstender Wandervölker. Ihre ersten Stürme erlitt der hellenische Osten in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Von ihren Sitzen an der Ostsee waren die gotischen Völker in die skythischen Lande am Nordrande des Pontus Euxinus eingewandert, wo sie zur Zeit des Caracalla sichtbar wurden. Von dort erstreckten sich ihre Raubzüge in das illyrische Donau- und Balkangebiet, nach Thrakien und Makedonien, zu den Inseln und Küsten Griechenlands. Sie belagerten im Jahre 253 sogar Thessalonike. Die Bedrängnis dieser festen und großen Stadt, der Metropole Makedoniens, verbreitete so tiefen Schrecken über ganz Griechenland, daß der Kaiser Valerian die im langen Frieden waffenlos gewordenen Städte aufrief, sich durch Milizen und Befestigungen zu schützen. So wurden die Isthmosmauern hergestellt und selbst die seit Sulla verfallenen und vernachlässigten Wälle Athens erneuert.Zosimos I, 29; Zonaras XII, 23. Da beim Neubau der Hadriansstadt die alte Ostmauer niedergelegt worden war, so ist es zweifelhaft, ob die valerianischen Befestigungen den ganzen damaligen Umfang der Stadt umfaßt haben.Die sogenannte valerianische Mauer bildet eine Streitfrage in der Topographie Athens. Wahrscheinlich war der Bau dieses Kaisers nur eine Wiederherstellung der alten Stadtmauern. Die Ansicht Leakes, daß sich die Mauer Valerians an die Linie der alten gehalten hat, ist von Finlay (Griechenl. unter den Römern, p. 83) bestätigt, und auch von Curtius und andern angenommen worden.

Nach dem Untergange jenes Kaisers im Perserkriege warfen sich seit 256 neue Schwärme der Goten und Slaven wiederholt auf Kleinasien, dessen hellenische Kultur sie zerstrümmerten. Die Städte dort wurden verwüstet, oder sie sanken in Asche. Trapezunt, Nikaia, Prusa, Apamea, Ilion, Nikomedia fielen, und die Brandfackel eines gotischen Herostrat vernichtete für immer das Wunderwerk des griechischen Asiens, den Artemistempel zu Ephesos.

Keiner der Einfälle dieser Barbaren hatte bisher das eigentliche Griechenland erreicht. Dies aber geschah auf dem dritten ihrer Rauhzüge zur See. Im Jahre 267 drangen Goten und Heruler auf 500 bosporanischen Schiffen durch das schwarze Meer, sich den Eingang in den Hellespont zu erzwingen. Der über sie erkämpfte glänzende Seesieg des römischen Admirals Venerianus blieb fruchtlos. Denn die Barbaren stürzten sich auf Byzanz und Chrysopolis, plünderten Kyzikos, andere Küsten Asiens und den Inselarchipel. Sodann schifften sie weiter und landeten auch in Altgriechenland.Wietersheim, Gesch. der Völkerwanderung II, welcher nebst Gibbon diese entsetzlichen Goteninvasionen am eingehendsten geschildert hat, nennt dieselben bloße Raubfahrten von Gefolgsheeren und den mißlungensten den von 267. Doch die Verheerung Griechenlands mißlang ihnen leider nicht. Die Städte Argos und Korinth wurden überfallen und ausgeraubt. Vom Piräus her warfen sich die Horden auf Athen. Dies geschah im Jahre 267, als Gallienus, der geistvolle Freund des Philosophen Plotinus, Kaiser war, einer der letzten Beschützer der Stadt Athen unter den Imperatoren, wo er selbst das Bürgerrecht erworben, die Archontenwürde empfangen und die eleusinischen Weihen genommen hatte.Trebellius Pollio, Gallienus c. 11. Zosimos setzt die Einnahme Athens in die Zeit des Gallienus; Kedrenos und Zonaras in das erste Jahr des Kaisers Claudius II.

Die wenigen Geschichtsschreiber, welche von diesem Ereignis berichten, gehen so flüchtig darüber hinweg, daß wir nicht wissen, ob die Goten nur die Unterstadt oder auch die Akropolis eroberten.Sogar die Eroberung Athens ist überhaupt, doch ohne Grund, bezweifelt worden: Hermann, Griech. Staatsaltert., 4. Aufl., S. 565. Hertzberg, Gesch. Griechenlands unter der Herrsch. der Römer III, S. 170.

Die wehrlosen Bürger, die Sophisten und ihre Schüler retteten sich durch eilige Flucht und überließen Athen dem barbarischen Feinde. Die Stadt erlitt eine gründliche Plünderung ihres beweglichen Guts, aber ihre Denkmäler wurden glücklicherweise verschont. Spätere Angaben von Zerstörungen der Tempel, der Olivenhaine und der Säulenhallen des Olympium sind als Fabeln anzusehen.Sievers, Leben des Libanius, S. 44, und Wachsmuth, Stadt Athen, S. 708, bezweifeln die Angabe des Synkellos, p. 382, welcher allein von der Verbrennung Athens, Korinths und Spartas spricht. Was Fallmerayer (Welchen Einfluß hatte die Besetzung Griechenlands durch die Slaven auf die Schicksale der Stadt Athen, S. 21) aus der sogenannten Chronik des Klosters der Anargyri entlehnte, haben bereits Finlay, L. Roß, Ellissen, Hopf abgewiesen. Hertzberg III, S. 171, läßt nur als Vermutung gelten, daß bei dieser Gelegenheit das Odeon des Herodes Attikus durch Feuer verwüstet worden sei.

Aus diesem ersten Einbruch der Barbaren in Athen haben griechische Geschichtsschreiber einen Vorfall erzählt, welcher, auch wenn er erfunden ist, das Verhältnis der Goten zur attischen Kultur treffend bezeichnet. Die Plünderer waren im Begriff, eine zusammengeschleppte Bibliothek den Flammen zu übergeben, als ein alter Hauptmann ihnen zurief: Sie sollten solche unnützen Dinge den Athenern lassen, denn die Beschäftigung mit Büchern mache diese unkriegerisch und für die Goten ungefährlich.Zonaras XII, p. 26. – Anon. bei Müller, Fragm. Hist. Graec. IV, p. 196, und bei A. Mai, Coll. V. Script. II, p. 248. Der Anon. bemerkt dazu, daß die Ansicht der Barbaren durch Römer und Griechen widerlegt wurde, welche zugleich in Krieg und Wissenschaften groß gewesen seien. Montaigne hat diese Anekdote als vollgültigen Beweis für das Unheil der gelehrten Pedanterie verwertet;Essays I, c. 24. Gibbon hat sie als rohen Einfall eines späteren Sophisten verlacht, Finlay aber aus ihr den Schluß gezogen, daß die abstrakte Wissenschaft verweichlicht, wenn sie nicht zur praktischen Tüchtigkeit und Veredlung des tätigen Lebens angewendet wird. Nun aber ist es noch nicht lange her, daß die mit jenen Goten stammverwandte Nation, die man als das Volk der Buchgelehrten und philosophischen Träumer zu verspotten pflegte, die Welt durch große Kriegstaten in Erstaunen gesetzt hat, die nur möglich waren, weil sie auch die Kriegführung zu einer Wissenschaft gemacht hatte.

Im übrigen kann die Anekdote immerhin zum Beweise dienen, daß auch damals noch die Studien in Athen in Blüte standen. Hier lehrten zu jener Zeit namhafte Männer, wie die Sophisten Genethlios und Suetorios Kallinikos, die Rhetoren Paulus und Andromachos und manche andere Hellenen.Hertzberg III, 202. Aber auch die Waffenehre Athens wurde durch einen hochgebildeten Bürger der Stadt glänzend wiederhergestellt. Dies war Publius Herennius Dexippos von der Phyle Hermon, der Sohn des Ptolemäus, als Redner in seiner Vaterstadt berühmt, wo er hohe Ämter bekleidete. Wenn je sophistische Beredsamkeit eine patriotische Tugend gewesen ist, so konnte sie es in jenen furchtbaren Tagen sein. Aus der feurigen Rede des Dexippos an seine sich ermannenden, von ihm zum Widerstande mit den Waffen gesammelten Landsleute ist uns noch ein Bruchstück erhalten. Der Fall der Stadt dürfe sie, so sagte er ihnen, nicht erschüttern, denn oft seien Städte erobert worden; die kaiserliche Flotte sei nahe heran; sie sollten zeigen, daß der Geist der Athener stärker sei als ihr Unglück.Aus den Skythika des Dexippos, ed. Bonn, I, 27. Τὸ τη̃ς πόλεως πται̃σμα... ως καὶ εν ται̃ς συμφοραι̃ς τὸ φρόνημα τω̃ν ’Αθηναίων ουχ ήττηται. Beweise für die Einnahme Athens. Siehe dazu die Einleitung Niebuhrs. Mit einer Schar von 2000 Bürgern lagerte sich Dexippos in der Nähe der Stadt und griff die Barbaren in geschickten Streifzügen an, bis diese, durch das Erscheinen der griechischen Flotte unter Kleodamos im Piräus überrascht, Attika verließen.Nur Trebellius Pollio (Gallienus c. 13) sagt: »Ab Atheniensibus duce Dexippo scriptore hor. temporum victi sunt.«

Das wahre Maß der Verdienste des edlen Atheners um die Befreiung seiner Vaterstadt können wir heute nicht mehr feststellen.Sie machte auf die byzantinischen Chronisten so wenig Eindruck, daß Zosimos, Kedrenos, der Fortsetzer des Dion, und Synkellos davon schweigen. Zonaras XII, c. 26, sagt nur, daß Kleodamos, der Athener, die Barbaren vertrieb, und er erwähnt Dexippos gar nicht. Wenn er wirklich der letzte Held war, der in der Stadt des Themistokles noch sichtbar wurde, so war er auch ihr letzter Xenophon; denn den einen Praxagoras, seinen jüngeren Zeitgenossen, ausgenommen, welcher die Geschichte Alexanders und Konstantins schrieb, hat Athen bis zu den Tagen des Laonikos Chalkokondylas im 15. Jahrhundert keinen der Nachwelt bekannten Historiographen mehr hervorgebracht.Über Praxagoras, Photios, 62. C. Müller, Fragm. Hist. Graec. IV, am Anfange. Dexippos schrieb eine Geschichte der Zeit nach Alexander, eine Weltgeschichte bis auf Claudius Goticus und ein Werk Skythika, worin er die Gotenkriege von Decius bis auf Aurelian behandelte.Die Geschichte des Dexippos setzte Eunapios aus Sardes im 4. Jh. fort: Χρονικὴ ιστορία μετὰ Δέξιππον; Bruchstücke, ediert von Becker und Niebuhr, Bonn 1829; Dindorf, Hist. Graec. min. I.

Alle seine Werke sind bis auf wenige Fragmente untergegangen. Sein Ruhm lebt nur noch in ein paar Worten des Trebellius Pollio, im Lob des Suidas, des Photios und weniger andrer Schriftsteller und endlich in den Epigrammen seiner Ehrenbildsäule fort. Ihr Postament mit Inschriften in Prosa und Versen hat sich erhalten, und diese bekunden, daß ihm seine eigenen Söhne nach Beschluß des Areopags, der Bule und des Demos von Athen das Standbild gesetzt haben und daß er wegen seiner Verdienste mit den höchsten Würden des Archon Basileus, Eponymos und Agonotheten bei den großen Panathenäen bekleidet worden sei. In sechs elegischen Distichen wird Dexippos nur als Geschichtsschreiber und gelehrter Forscher gepriesen, von seiner Befreiungstat aber nicht geredet.C. J. Att. III, 1., n. 716. Die Inschrift entdeckte Spon im Jahr 1676 in einem Brunnen.

Die sarkastische Ansicht des rohen Gotenhäuptlings von dem Wert der Gelehrsamkeit für das praktische Leben würde durch die Athener selbst ihre Bestätigung erhalten haben, wenn sich erweisen ließe, daß jene Inschrift erst nach dem Einbruch der Goten verfaßt worden ist. In diesem Falle würde sie im grellen Gegensatz zur Grabinschrift des Aischylos stehen, welche der große Tragiker selbst gedichtet hatte und worin sein Dichterruhm mit keiner Silbe Erwähnung fand, sondern nur gesagt war, daß Aischylos, der Athener, der Sohn des Euphorion, bei Marathon gegen die dunkellockigen Meder tapfer gekämpft hatte. Indes kann die Ehre der Athener des 3. Jahrhunderts n. Chr. durch die zweifellose Annahme gerettet werden, daß sie ihrem verdienten Mitbürger das Standbild schon vor dem Gotensturm errichteten.Dies erweist gegen Niebuhr (Script. Hist. Byz. I, p. XIV) W. Dittenberger, Die attische Panathenaidenära, Comment. in honor. Momms., S. 246. Er bemerkt die Ehreninschrift eines hochgebildeten eleusinischen Kultusbeamten, die durchaus auf seine rühmliche Teilnahme an der Befreiung Athens unter Dexippos zu verstehen ist (C. J. Att. III, 713)


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