Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel

Das Testament Nerios. Er vermacht Athen der Parthenonkirche und ernennt die Republik Venedig zur Beschützerin des Herzogtums. Carlo Tocco. Die griechische Nationalpartei in Athen. Die Türken besetzen die Stadt. Die Venezianer zwingen sie zum Abzuge. Die Signorie übernimmt die Regierung Athens. Kriegszug der Türken. Neopaträ und Salona. Schlacht bei Nikopolis. Fall von Argos. Verzweifelte Lage des Despoten Theodor. Antonio Acciajoli bemächtigt sich Athens.

1.

Obwohl das Herzogtum Athen kraft der Bestimmung des Königs Ladislaus an Donato Acciajoli und dessen Haus fallen sollte, hatte doch Nerio erkannt, daß dies auszuführen nicht möglich sei, und danach sein Testament eingerichtet.Text in italien. Sprache, bei Buchon, N. R. II, p. 254ff. »Nui Nerio Acciaioli, signor di Corinto et del ducato d'Athene... Datum Corinto, a. D. 1394, die 17. m. Sept. Ind. 3.« Exekutoren: die Duchessa Francesca, Gismonda Acciajoli, eine Schwester Nerios, der Bischof von Argos, Monte Acciajoli, Albizzi, Matteo de Mentona, Kastellan von Athen, Girardo de Viso. Er verfügte über alle seine Besitzungen zugunsten seiner Familie, empfahl aber das ganze Land dem Schutze der Republik Venedig.Deshalb sagt Chalkokond. L. IV, p. 213, daß Nerio die Stadt Athen den Venezianern überlassen habe.

Seine Geliebte, Maria Rendi, war eine Tochter des berühmten Notars Demetrios; da er in seinem Testament befahl, daß sie frei sein und alle ihre Güter behalten sollte, so war diese Frau von dem Frankenrecht ihres Vaters ausgeschlossen. Nerio hatte von ihr einen Bastard Antonio. Er vermachte diesem das Kastell Levadia und die Regierung Thebens. Seine älteste Tochter Bartolommea, die Gemahlin des Despoten Theodor, erachtete er als hinreichend versorgt und fand sie mit einer Schuldforderung von 9700 Dukaten ab. Francesca, die Gemahlin des Carlo Tocco, setzte er zu seiner Universalerbin ein. Sie sollte Megara und Basilika nebst allen andern ihm gehörigen Ländern erhalten, soweit dieselben nicht schon testamentarisch vergabt waren, und zwar im Falle sie einen Erben erhielt oder auch ohnedies innerhalb drei Jahren. Korinth aber sollte sie an den damaligen Großseneschall Siziliens vom Hause Acciajoli zurückgeben, wenn dieser die schuldige Pfandsumme auszahlen wolle. Denn rechtmäßiger Herr und Palatin dieser Kastellanei war, nach dem Tode des Angelo Acciajoli im Jahre 1391, dessen Sohn Giacomo, ein geistesschwacher Mann, während sein Bruder Robert, Graf von Malta und Melfi und Großseneschall Siziliens, durch die Bürgerkriege und Thronstreitigkeiten Neapels verhindert wurde, Korinth einzulösen.Robert starb kinderlos 1420. Mit ihm und seinen Geschwistern erlosch der Stamm des Niccolo Acciajoli.

Nerio stiftete Legate für andere Verwandte, setzte Summen zum Zweck frommer Stiftungen aus, gab solche Kirchen, die zum Fiskus gekommen waren, ihren Kapiteln zurück und bedachte vor allem mit überschwenglicher Pietät die Parthenonkirche (Santa Maria von Athen), wo er selbst begraben sein wollte. Er vermachte ihr ein Kapital zur Unterhaltung von zwanzig Priestern, welche Messen für sein Seelenheil lesen sollten. Er wies ihr seinen reichlich versehenen Marstall zu.Der Marstall der Acciajoli muß sehr ansehnlich gewesen sein. Am 6. Nov. 1425 erlaubte Venedig dem damaligen Herzog Antonio seine Rassepferde (ratias equorum) in Zeiten der Gefahr nach Euböa zu schicken (Sathas, Mon. Hist. Hell. I, p. 171). Alle Geräte und Kleinodien, die ihr zu seinem Notbedarf, d. h. zum Zweck seiner Befreiung aus der Gefangenschaft der Navarresen, genommen waren, sollten ihr zurückgegeben, ihre Eingangspforten neu versilbert, ihre Erhaltung und Herstellung überhaupt aus Renten der Stadt Athen bestritten werden. Ja, diese Stadt selbst vermachte er der Parthenonkirche als Eigentum, indem er alle derselben verliehenen Rechte unter den Schutz der Republik Venedig stellte.»Item lassamo all' ecclesia di S. Maria di Athene la città di Athene con tutte le sue pertinentie e razioni.«

Wenn Nerio den ungeheuerlichen Gedanken fassen konnte, die Stadt Athen in ein Besitztum der lateinischen Priester des Parthenon zu verwandeln, so darf man daraus schließen, daß sie damals weder groß noch reich, noch eine selbständige Gemeinde gewesen ist. Als der sterbende Herzog die Jungfrau Maria zur Eigentümerin der erlauchtesten Stadt der geschichtlichen Erde machte, erinnerte er sich kaum daran, daß einst die Parthenos desselben Tempels auf der Akropolis die Herrin Athens gewesen war. Die Stadt des Theseus trat wiederum in ein Schutzverhältnis zu einer göttlichen Jungfrau, und immerhin war es für sie ehrenvoller, einer von der ganzen christlichen Welt vergötterten Heiligen des Himmels zu eigen zu sein, welche schon seit acht Jahrhunderten ihre heidnische Vorgängerin Pallas Athene aus dem Parthenon verdrängt hatte, als, wie es später geschah, die Domäne des Kislar Aga oder Oberhaupts der schwarzen Eunuchen im Serail zu Stambul zu werden.

Nach dem Wortlaute der Schenkung Nerios hätte demnach die Stadt Athen in ein Verhältnis zum Erzbischof und dem Domkapitel der Parthenonkirche treten müssen, wie es etwa die Stadt Rom zum Papst und zu Sankt Petrus besaß. Sie sollte fortan als ein eximiertes Kirchengut zu einer geistlichen Baronie werden, was damals Patras, die Metropole Achaias,. wirklich war.Finlay, Hist. of Greece, IV, p. 159, behauptet ganz widersinnig, daß Athen durch diese Schenkung Nerios nach 14 Jahrhunderten der Sklaverei für einen Moment einen Schein von Freiheit unter dem Schatten des päpstlichen Einflusses erhalten habe. Da jedoch der Herzog nicht nur die neuen Rechte des Mariendoms, sondern sein ganzes Land dem Schutze Venedigs testamentarisch empfohlen hatte und diese sehr wichtige Bestimmung nebst allen andern praktischen Beziehungen die Ausführung der Schenkung des athenischen Pipin unmöglich machen mußte, so hat das Testament Nerios nur eine psychologische Bedeutung als rätselhafter Vorgang im Kopfe eines wahrscheinlich von vieler Sündenschuld bedrückten und zum frommen Manne gewordenen Abenteurers. Der Undank, welchen er vom griechischen Erzbischof erfahren hatte, konnte leicht seinen Entschluß beeinflußt haben. Aber die Zumutung an die Griechen Athens, ihr städtisches Vermögen durch ihnen verhaßte lateinische Priester verwalten zu lassen und fortan vom katholischen Erzbischof ihre Rektoren und Richter und die Kastellane der Akropolis zu empfangen, war so ungeheuerlich, daß sie auch ein schwaches Volk zum Aufstande hätte treiben müssen, wenn das Domkapitel den Willen des Herzogs durchzuführen unternehmen sollte.

Der Doge Antonio Venier schickte am 4. Dezember 1394 eine Abschrift des Testaments an die Signorie der Stadt Florenz. Hier aber ließ sich Donato, der rechtmäßige Nachfolger seines Bruders auf dem Herzogsthron Athens, nicht herbei, diesen zu beanspruchen, entweder weil er es vorzog, Gonfaloniere der Florentiner zu sein, oder weil unvorhergesehene Ereignisse ihn hinderten, seine Rechte auf das ferne Land wahrzunehmen. Denn die Willensbestimmung Nerios wurde alsbald der Gegenstand des Haders der Nächstberechtigten. Drei Prätendenten standen bereit, diese zu ihren Gunsten auszulegen oder gar umzustoßen: der kluge Bastard Antonio, wirklicher Herr Böotiens, der mächtige Herzog und Pfalzgraf Carlo Tocco, der dem Willen seines Schwiegervaters eine sehr weite Ausdehnung geben konnte, endlich die Republik Venedig, welcher der Schutz des ganzen Landes Nerios übertragen war und deren Bailo in dem nahen Negroponte die Dinge beobachtete.Im Testament heißt es: »Item volemo... ehe nostro paese sia in recommissione et in recomandatione dell' eccelsa et illustre ducale signoria di Venetia, et che li essecutori nostri... debbiano et possano ricorrere alla detta signoria per ajuto et favore.«

Tocco besetzte zuerst Megara, kam im November 1394 nach Korinth und verlangte von den Exekutoren des Testaments die Auslieferung dieser Stadt, welche ihm Nerio als Mitgift seiner Tochter versprochen hatte. Sie willigten darein, nachdem der Pfalzgraf eine schriftliche Erklärung gegeben hatte, die Bestimmungen Nerios genau ausführen zu wollen. Er ging von dort mit jenen nach Kephallenia, und hier verlangte er sein Schriftstück zurück. Als sie erklärten, daß sie dasselbe nach Florenz an Donato geschickt hätten, zwang er sie unter Todesdrohungen, ihm urkundlich zu bestätigen, daß er das Testament ausgeführt habe. Die Exekutoren eilten nach Venedig und Florenz, wo sie gegen die erlittene Gewalt protestierten.Protest der Gismonda, des Donato Albizzi, Gerardo de Davicis im Beisein des Erzb. von Athen zu Venedig 1. Sept. 1395 (Buchon, N. R. II, n. LI, p. 264). – Protest in Florenz 16. Sept. 1395 (n. LII, p. 266). Lami Deliciae Eruditor., Flor. 1738, Band, enthaltend Nicetas Heracleensis In Ep. I ad Corinth. (p. CXXI ff.). Als Exekutoren werden genannt Ludovicus de Prato, Erzb. Athens, Stefanus de Roma, erwählter Bisch. von Modon, Gismonda Acciajoli von Florenz und Donatus Albizi de Acciajolis von ebendaselbst.

Unterdes sah sich Venedig genötigt, sein ihm verbrieftes Schutzrecht über Athen geltend zu machen und der steigenden Verwirrung im attischen Lande Einhalt zu tun, welches die Beute der Türken zu werden drohte. Denn Nerio selbst war Vasall des Sultans gewesen, dem er sich zu jährlichem Tribut verpflichtet hatte. Die ganze östliche Welt der Hellenen anerkannte den schrecklichen Bajasid als ihren Schiedsrichter. Nichts konnte mehr ohne seine Genehmigung geschehen; jeder Dynast stand, gleich dem byzantinischen Kaiser selbst, im Vasallenverhältnis zu ihm; jeder erkaufte seine Gunst durch Tribut und rief zu seiner Selbsterhaltung oder Vergrößerung die Intervention der Osmanen an. Der türkische Großherr hatte jetzt den Griechen und Lateinern in der Levante gegenüber die Stellung der alten römischen Imperatoren erlangt. Die griechischen Fürsten drängten sich an seinen Hof in Adrianopel; unter seinen Fahnen dienten sogar die Söhne des Kaisers. Seine furchtbare Janitscharenlegion bildete er aus ehemaligen Christenknaben, welche, der Heimat entrissen, mohammedanisch erzogen wurden. Die Kühnheit und Großartigkeit dieses werdenden Weltmonarchen und seine Staatskünste nötigten der ganzen erschreckten Christenheit Achtung und Bewunderung ab.

Im Bunde mit den Türken war selbst Carlo Tocco, welcher nach dem Besitz der unlängst venezianisch gewordenen Argolis strebte und dorthin kriegerische Streifzüge unternahm, während er sich von seinem Schwager Theodor überreden ließ, ihm Korinth abzutreten. Dort zog griechische Besatzung ein, und so wurde der Isthmos nach fast zwei Jahrhunderten mit dem Peloponnes wieder vereinigt.


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