Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Der Herzog von Athen war seit einiger Zeit zur katalanischen Kompanie in Beziehung gekommen, da ihr Waffengewicht einen moralischen Druck selbst bis nach Attika hin ausübte. Einer ihrer Kapitäne, Fernan Ximenes d'Arenos, war mit einer Schar seiner Krieger schon im Frühling 1304 in seinen Dienst getreten, dann aber zu seinen Landsleuten zurückgekehrt.Muntaner, c. 222: »Era sen andat al duch d'Atenes, que li feu molta donor.« Pachymeres II, p. 399, weiß von dieser Trennung des Ximenes, ohne seines Verhältnisses zum Herzog zu erwähnen. Endlich hatte Rocaforte mit Guido selbst wichtige Unterhandlungen angeknüpft. Dieser gewaltige Krieger war nach der Ermordung Entenzas unter rastlosen Kämpfen nach Makedonien abgezogen und hatte zu seinem Hauptquartier Kassandreia gemacht, das alte Potidäa, einst die größte Stadt des makedonischen Königreichs seit ihrem Wiederaufbau durch Kassander, die aber damals, nach dem Zeugnis des Nikephoros, in Ruinen verödet lag. Von dort aus brandschatzte Rocaforte die Landschaften und plünderte selbst die Athosklöster. Mit dem kühnen Plan beschäftigt, für sich ein Königreich Thessalonike aufzurichten, Großwlachien zu gewinnen und seine Herrschaft weiter südwärts auszudehnen, suchte er eine Verschwägerung mit dem kinderlosen letzten La Roche anzuknüpfen. Er bewarb sich um die Hand der Jeannette von Brienne, der Tochter Hugos und Helenas und Stiefschwester Guidos II. Diese junge Dame hatte die Kaiserin Irene zur Gemahlin ihres Sohnes Theodor begehrt, wobei sie dem Herzog von Athen den Vorschlag machte, ihr Thessalien erobern zu helfen, welches Land sodann Theodor als selbständiges Fürstentum erhalten sollte.Nikephor. Greg. VII, 5,p. 237, welcher Jeannette nicht mit Namen nennt.

Ein unheilbarem Siechtum verfallener Mann, wie der Herzog von Athen war, konnte schwerlich den Plan fassen, sich mit Rocaforte zu verbinden und mit seiner Hilfe Nordgriechenland oder gar Achaia zu erobern, weil er der Gemahl Mathildes war.Griech. Chron. von Morea, v. 5935ff. Arag. Chr., n. 536. Vielmehr mußte er sich sagen, daß der katalanische Marschall die Verschwägerung mit dem Hause La Roche-Brienne suchte, um daraus später Rechte auf Athen abzuleiten. Doch so drohend war die Macht Rocafortes, daß Guido seine Werbung nicht zurückzuweisen wagte, sondern die Miene machte, sie anzunehmen, dessen sicher, daß weder Venedig noch Karl von Valois diese Heirat zulassen konnte. Auch Cepoy gab sich, um Rocaforte in dem Dienste seines Gebieters festzuhalten, den Anschein, seinen Wunsch beim Herzoge zu unterstützen. Boten gingen hin und her zwischen Kassandreia und Athen; zwei herzogliche Minstrels, die »wegen dieser Heirat zu ihm kamen«, beschenkte Cepoy.»A deux minestreus du duc d'Athènes qui vindrent pour le mariage de Roquefort... Extraits d'un rouleau de la chambre des comptes de Paris« (1309). Bei Du Cange, Hist. de Cp. Recueil, II, p. 355. Ebendaselbst werden Ausgaben Cepoys notiert für katalan. Kapitäne und andre Boten an den Herzog von Athen, um Pferde und Getreide für die Kompanie zu haben.

Während der Infant in der Kadmeia eingeschlossen saß, schickte der französische Admiral die gefangenen Katalanen Ramon Muntaner und Garcia Gomes Palacin von Negroponte nach Kassandreia zu Rocaforte, um diesem durch die Auslieferung seiner von ihm abtrünnig gewordenen Gefährten einen besonderen Dienst zu erweisen. Garcia wurde sofort, noch auf dem Schiff enthauptet, Muntaner aber mit Freudebezeugungen von seinen Kriegsgenossen bewillkommnet und dann ehrenvoll entlassen. Der Geschichtsschreiber der Katalanen konnte auf einer venezianischen Galeere nach Negroponte zurückkehren und von dort nach Theben eilen, um seinen eingekerkerten Herrn zu sehen und zu trösten. Er hat seinen Besuch selbst geschildert. »Ich fand«, so erzählt er, »den Herzog krank; er empfing mich voll Güte, bedauerte meinen Verlust und versprach, mir nach Kräften förderlich zu sein. Ich dankte ihm und erwiderte, daß die größte Wohltat, die er mir erweisen könnte, die ehrenvolle Behandlung des Infanten sein würde. Er entgegnete, daß der Prinz diese genieße und daß er selbst die Lage bedaure, in der sich derselbe befinde. Als ich ihn um Erlaubnis bat, ihn sehen zu dürfen, erklärte er mir, daß ich ihm Gesellschaft leisten solle; solange ich hier sei, dürfe jeder Mann Zutritt zu ihm haben, und ihm selbst stehe es frei auszureiten. Alsbald ließ er die Pforten des Kastells St. Omer, wo der Infant gefangen saß, aufschließen, und ich ging, ihn zu sehen.Nach Ramon Muntaner war also der Infant in der Burg St. Omer eingeschlossen. Hier scheint demnach auch der Herzog gewohnt zu haben. Des eigentlichen Besitzers derselben, Nikolaus' III., wird bei dieser Gelegenheit nicht gedacht. Der Begriff »Kastell St. Omer« konnte freilich auf die ganze Kadmeia übergegangen sein. Fragt mich nicht, welchen Schmerz ich empfand, als ich ihn in der Gewalt fremder Menschen erblickte. Aber in seiner Güte sprach er mir noch Trost zu. Zwei Tage blieb ich bei ihm. Auf meine Frage, ob ich den Herzog von Athen um die Erlaubnis bitten solle, bei ihm zu bleiben, hielt er das nicht für nötig, sondern sagte mir, daß ich nach Sizilien zurückkehren müsse. Er wolle mir Briefe an den König mitgeben, sonst aber an niemand. Darauf ließ er das Schreiben ausfertigen und gab mir an, welche Botschaft ich überbringen solle; denn er wußte wohl, daß niemand besser als ich die von ihm in Romanien erlebten Schicksale kannte.«

Muntaner, vom Herzog ehrenvoll entlassen und mit Kleinodien beschenkt, verabschiedete sich vom Infanten, ließ dessen Koch schwören, ihm nichts Schädliches in die Speisen zu mischen, und reiste nach Messina ab. Da er dort beim Könige Friedrich gegen die Venezianer Klage erhob, wandte sich dieser an den Dogen Pietro Gradenigo, die Republik beschuldigend, daß sie den Infanten treulos überfallen und sein und Muntaners Gut geraubt habe.Arch. Venedig, Commem., I, 128 . Der Doge rechtfertigte sich bei ihm und dem Könige von Mallorca, indem er erklärte, daß Cepoy, der Vikar Karls und Befehlshaber jener venezianischen Galeeren, allein für das Vorgefallene verantwortlich sei.»Sed vir nob. Tibaldus de Cepoi vicar, dni Karoli qui erat dominus et rector galearum, cum quibus dictam detentionem exercuit, ipsum Infantem invitis nostris Venetiis penitus voluit facere detineri.« Brief an Pedro de Pulcro Castro, Leutnant Mallorcas, dat. Mai (1309, da vorher Ind. VII bezeichnet ist). Muntaner führte einen langen Prozeß wegen des Schadenersatzes, und erst nach seinem Tode erhielten seine Erben von Venedig Entschädigung.

Die Beschwerden der Aragonen machten indes auf Karl von Valois so viel Eindruck, daß er den gefangenen Infanten aus Theben nach Neapel bringen ließ. Hier blieb derselbe noch ein Jahr lang in Haft, welche schon deshalb milde und rücksichtsvoll sein mußte, weil seine eigene Schwester Sancia die Gemahlin Roberts von Kalabrien war. Der König Friedrich schickte alsbald Muntaner nach Neapel ab, um die Freiheit des Gefangenen zu erwirken, allein der alte Katalanenführer wurde dort voll Argwohn und als Feind behandelt.Nicol. Specialis, Hist. Sicil. VII, p. 22. Erst auf die Verwendung des Königs von Frankreich erhielt der Infant von Mallorca die Freiheit, nachdem Robert im August den Thron Neapels bestiegen hatte.

Muntaner hatte zu jener Zeit, als er von Theben heimkehrte, den Herzog von Athen krank verlassen. Kein Arzt vermochte ihn zu heilen, auch nicht der in der medizinischen Wissenschaft wohl erfahrene Patriarch Athanasios von Alexandrien. Dieser Mann, ein heftiger Gegner des gleichnamigen byzantinischen Patriarchen, war vom Kaiser aus Konstantinopel ausgewiesen worden; auf seiner Fahrt nach Alexandria wurde er nach Euböa verschlagen und hier von den fanatischen Minoriten sogar mit dem Feuertode bedroht. Er flüchtete nach Theben, wo ihn Guido festnahm und von ihm ein Lösegeld von 2000 Byzantinern verlangte. Statt dessen gab ihm der Erzbischof ein Rezept, und dann durfte er sich ungehindert nach Halmyros einschiffen.Pachymeres II, S. 579, 595. Die Zeit ist nicht angegeben. Am 5. Oktober 1308 starb der Herzog, und zwar in Athen; denn schon am folgenden Tage wurde seine Leiche im Kloster Daphni bei dieser Stadt beigesetzt.Todesdatum und Begräbnis am 6. Okt. in »Dalphinet der Abtei vom Orden der Zisterzienser in der Diözese Athen« beglaubigt ein Totenschein für »Guillaume Comte de Hainaut«, dessen Schutz für die Witwe angerufen wird. Die Aussteller des Aktes sind Eris, Erzbischof von Athen, Dekan Petros, Kantor Gille, Laurent, Schatzmeister der Kirche Athen, Jacques, Abt von Dalfinet, Andre Gefors (der ehemalige furchtbare Pirat, der jetzt in Athen lebte), Ritter Nikol. de Lille, Guill. de Vaites und Ysambert de Plaisance; Athen, 30. Okt. 1308. Aus dem Archiv Mons, von St. Genois (Mon. anciens, droit primitif des anciennes terres de Haynaut, Paris 1782, p. 338) leider nicht mit lat. Wortlaut wiedergegeben. Buchon, Rech. Hist., I, p. 473. – Den Tod des Herzogs am 5. Okt. meldeten die Räte des Bailo von Negroponte, Andrea Dandolo und Enrico Morosini, dem Dogen am 13. Okt.: »Dn. dux Atheniensis die veneris V. octubris de hoc mundo migravit ad Christum, et propter hoc nulle novitates fiunt nec fieri credimus«. (Arch. Venedig, Commem. I, fol. 135) Mit Guido II. endete das ruhmvolle Haus La Roche, welches hundert Jahre lang ohne Unterbrechung über Athen geherrscht hatte.Seine Münzen bei Schlumberger, p. 339. Die ersten sind namenlos während der Regentschaft Helenas: DVX ACTENAR. TEBAR. CIVIS – DVX ATENES. THEBE CIVIS – GVIOT. DVX ATH'. THEBE CIVIS. Dies nach P. Lambros in Sallets Zeitschr. für Numism. I, 1874, p. 190ff., und Taf. VI. Nach 1294 GVI. DVX ATENES. TEBE CIVIS. Die Münzen Guidos II. sind die letzten beglaubigten der Herzöge Athens, die wir besitzen.

Seine Gemahlin Mathilde war erst fünfzehn Jahre alt, als sie Witwe wurde. Wenn sie beim Tode des Herzogs in Athen gegenwärtig gewesen war, was sehr wahrscheinlich ist, so kehrte sie alsbald nach Theben zurück. Denn hier stellte sie am 22. Oktober eine französische Urkunde aus, worin sie als Herzogin von Athen und Dame von Kalamata erklärte, daß sie ihrer Mutter Isabella, der Fürstin von Achaia, die Verwaltung ihrer Güter in Hainaut auf Lebenszeit übertragen habe.St. Genois, a.a.O. Dieser Akt wiederholt oder bestätigt die von Guido und Mahaut am 10. Mai 1308 erteilte Vollmacht. Ibid. Sie blieb vereinsamt auf ihrem Witwensitz in Theben, während dem Testamente Guidos gemäß der beste Freund des Verstorbenen, Bonifatius von Verona, als Bail die Regierung des Herzogtums für so lange übernahm, bis der rechtmäßige Erbe erschienen war.Die griech. Chronik von Morea (v. 6714) macht die dunkle, sonst nirgends bestätigte Bemerkung, daß Gott dem Herzog Guido keine Erben gab, weil er in Lasterhaftigkeit (πονηρία) verfallen war.


 << zurück weiter >>