Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Achtes Kapitel

Erstes Auftreten der osmanischen Eroberer in Kleinasien. Bedrängnis des griechischen Kaisers. Die katalanische Bande Rogers de Flor tritt in seinen Dienst. Handelsbeziehungen Kataloniens. Taten und Schicksale der Soldbande. Die Ermordung Rogers und ihre Folgen. Verhältnis des Königs Friedrich von Sizilien zur Kompanie. Ferdinand von Mallorca. Seine und Muntaners Festnahme in Negroponte. Rocaforte und der Herzog von Athen. Der Infant von Mallorca in der Kadmeia. Tod Guidos, des letzten Herzogs von Athen aus dem Hause La Roche.

1.

Das Zeitalter der Konquistadoren war noch nicht durchaus vorüber. Derselbe nach Abenteuern verlangende Trieb und jener eine Welt voll Feinden bezwingende Heldengeist der fahrenden Ritter, welcher vor hundert Jahren das griechische Reich zu Fall gebracht hatte, lebte noch in den Lateinern fort, selbst nachdem mit dem Verlust Palästinas am Ende des 13. Jahrhunderts das Heroenalter der Kreuzzüge geschlossen war. Die ritterliche Aristokratie großen Stils hatten gerade jene Kreuzzüge massenhaft verschlungen; sie verlor mit dem Aufhören derselben den wesentlichen Schauplatz ihrer Tatenlust im Osten, während ihre Macht im Abendlande durch das erstarkte Bürgertum freier Städte und den monarchisch werdenden Staat gebrochen wurde. An die Stelle des Rittertums traten andre Erscheinungen kriegerischer Kraft, die wandernden Söldnerkompanien, die zu einem nicht geringen Teil das Proletariat der Ritterschaft waren: die schrecklichste Geißel Spaniens, Frankreichs, Italiens. Der ältesten und auch berühmtesten dieser »großen Kompanien« fiel das glänzende Los zu, in Griechenland erobernd aufzutreten, dort einen Militärstaat aufzurichten und ihren Namen in der Geschichte Athens unsterblich zu machen. Die Veranlassung zu diesem Ereignis boten die Eroberungen eines neuen Türkenstamms im byzantinischen Kleinasien dar.

Am Anfange des 13. Jahrhunderts war eine türkische Nomadenhorde, die der Wanderinstinkt der patriarchalischen Völker Asiens in die Landschaft Khorasan getrieben hatte, aus ihren dortigen Sitzen von den Mongolen des Dschingis-Khan westwärts nach Hocharmenien gedrängt worden.Zinkeisen, Gesch. des osman. Reichs in Europa I, S. 68. Suleiman führte sie nach dem Euphrat, in dessen Fluten er ertrank, worauf sein Sohn Ertogrul die Wanderung nach dem Westen fortsetzte. Wie die Heroensage der Türken berichtet, zählte sein Horde nur fünfhundert Zelte. Ertogrul wurde vom Seldschuken-Sultan Alaeddin Kaikubad bereitwillig aufgenommen und durfte sich in der Landschaft Angora niederlassen. Er diente seinem Lehnsherrn im Kriege wider die Mongolen und die Griechen Nikaias, machte den Türkennamen furchtbar, dehnte seine Herrschaft als Vasall bis zum Sangaris aus und starb als neunzigjähriger Held im Jahre 1288. Aus solchen kleinen Anfängen ging die Macht der Türken in Anatolien hervor. Ihr großer Gründer aber war Osman, des Ertogrul gewaltiger Sohn. Dieser machte sich, um 1299, als das Reich der Seldschuken unter seinem letzten Sultan Alaeddin zerfiel und sich in verschiedene Emirate oder Kleinfürstentümer auflöste, zum Herrn des Gebietes am Olymp Bithyniens. Er war es, der seinem Stamm den Namen der Osmanen gab, welcher Jahrhunderte lang der Schrecken dreier Weltteile sein sollte.

Die trostlosen Zustände Kleinasiens, dessen von dem ohnmächtigen Kaiser fast schon preisgegebene Landschaften vom Taurus bis zum Mittelmeer Horden von Türken und Tartaren verwüsteten, während die hilflosen Bewohner nach den Küsten Europas flüchteten und selbst in den Mauern Konstantinopels Schutz suchten, hat Pachymeres beredt geschildert. Die schwachen, ungelöhnten griechischen Truppen waren zersprengt oder aufgerieben. Kaum vermochte noch Andronikos' II. Sohn und Mitregent Michael die festen Städte Pergamon und Kyzikos zu halten, bis er, von den Anstrengungen übermannt, zu Pegä in eine tödliche Krankheit fiel.

In seiner Bedrängnis bot sich dem griechischen Kaiser eine Soldbande dar von Kataloniern, Aragonesen und Sizilianern, die im Dienste der Vesperkönige gestanden hatte und brotlos geworden war, nachdem Friedrich II. von Sizilien mit seinem Feinde Karl II. von Neapel am 31. August 1302 den Frieden zu Caltabellota geschlossen hatte. Dies zuchtlose, an Kampf und Raub gewöhnte Söldnervolk wollte Friedrich loswerden; er bot dasselbe sogar dem Bruder Philipps des Schönen von Frankreich an, Karl von Valois, welcher sich am 18. Januar 1301 mit Katharina von Courtenay vermählt hatte und sich rüstete, die Rechte seiner Gemahlin auf Byzanz durch einen Kriegszug nach Konstantinopel geltend zu machen. Friedrich aber hatte sich infolge jenes Vertrags verpflichtet, den Valois mit Galeeren und Truppen zu unterstützen. Das Unternehmen dieses Prinzen kam indes nicht zur Ausführung. Da geschah es, daß ein genialer Kriegsmann jenes Königs von Sizilien die verzweifelten Söldner an sich zog und in den Dienst desselben Kaisers Andronikos brachte, welchen sie unter den Fahnen des Valois hätten bekriegen sollen.

Roger de Flor, ihr Führer, war von deutscher Abkunft und in Brindisi geboren als Sohn eines Jägermeisters des großen Kaisers Friedrich II., mit Namen Richard, welcher als Ghibelline und Anhänger Konradins in der Schlacht bei Tagliacozzo tapfer gekämpft und den Tod gefunden hatte. In seinem abenteuerlichen Leben hatte sich der junge Roger als Seemann, Tempelritter, dann als Flüchtling aus dem Orden, als Korsar, endlich als Vizeadmiral des Königs von Sizilien glänzend hervorgetan. Zum Lohn für seine Dienste gegen die Anjou hatte ihn dieser nach dem Frieden zu Caltabellota mit den Einkünften von Tripi und Licata und der Insel Malta belieben. Er erinnerte in seiner bisherigen Laufbahn durchaus an den berühmten Seehelden Margaritone, der aus derselben Hafenstadt Brindisi herstammte, am Ende des 12. Jahrhunderts im Dienste der letzten Normannenherrscher Siziliens Graf von Malta geworden war und sich dann zum Herrn der ionischen Inseln aufgeworfen hatte.

Roger erkannte, daß der König Friedrich nicht imstande sei, jene trotzigen Söldner hinreichend zu belohnen, auch mochte er noch seine Auslieferung an den Großmeister des Tempels oder den Papst fürchten. Er faßte daher den Gedanken, für die brotlose Soldbande einen neuen Schauplatz im byzantinischen Reich zu finden, was der König gern unterstützte.

Als er Andronikos II. durch seine Boten die Dienste derselben antrug, ging der Kaiser bereitwillig darauf ein; denn die Bedrängnis durch die Türken stieg auf das höchste, und dieses unerwartete Anerbieten war unverdächtig, da es von Sizilien herkam, in dessen aragonischer Dynastie der griechische Kaiser seit der Vesper eine ihm sympathische und zu demselben Kampf mit dem Hause Anjou verbündete Macht gefunden hatte. Er genehmigte die Forderungen Rogers, das Kriegsvolk reichlich zu besolden; ihn selbst zum Großadmiral zu ernennen und mit einer Prinzessin seines eigenen Hauses zu vermählen. Der König Friedrich rüstete die Söldner mit Fahrzeugen, Waffen, Proviant und Geld aus; wahrscheinlich machte er auch mit Roger, seinem Lehnsmann, einen geheimen Vertrag, wodurch er sich die Oberhoheit über dieses Heer sicherte. In jedem Falle gedachte er, den Absichten des Valois im Orient Hindernisse in den Weg zu stellen.J. Delaville le Roux, La France en Orient au XIV siecle, Paris 1886, p. 43

Die Soldbande Rogers de Flor zählte 1500 geharnischte Reiter und 5000 Almugavaren, die furchtbarste Infanterie jener Zeit, die während der Vesperkriege auf den blutigen Schlachtfeldern Kalabriens und Siziliens berühmt geworden war.Almugavari, d. i. »scorridori«, ein arabisches Wort. Amari, Vespro sicil. I , 235 – Ihr Wesen hat Bernard d'Esclot geschildert. – Im franz. Heer hießen sie »bidauz«: G. Köhler, Die Entwickl. des Kriegswesens... III, 1. Abt., Breslau 1887, S. 102. Obwohl dies Kriegsvolk schon im Beginne seiner merkwürdigen Laufbahn aus verschiedenen Nationen gemischt war, so bestand es doch der Mehrzahl nach aus Katalanen und Aragoniern, und namentlich gehörten diesen die Hauptleute an. Deshalb wurde es im allgemeinen die katalanische Kompanie genannt. Tapfre Männer schlossen sich Roger an, so Fernan Ximenes d'Arenos, Fernand d'Aones, Corbaran de Lehet, Ramon Muntaner, Martino de Logran. Zwei vornehme Herren, Berengar d'Entenza, ein Schwager des großen Admirals Roger de Lauria, und Berengar de Rocaforte, wollten später nachfolgen. Im September 1302 führte Roger die Kompanie von Messina nach dem Bosporos.Die Fahrten und Taten der katalan. Kompanie sind von Ramon Muntaner selbst, dann von Francesco Moncada, Conde de Osona (Expedicion de los Catalanes y Aragones contre Turcos y Griegos, Barcelona 1653, Madrid 1805) beschrieben worden. – F. W. Barthold, Geschichte des Templers von Brindisi Rogers de Flor, Berlin 1840 (in A. v. Reumonts Italia). Finlay, Hist. of Greece, III, p. 388ff. – Epaminond. Stamatiadis von Samos, οι Καταλανοὶ εν τη̃ ’Ανατολη̃, Athen 1869. – Bozzo, Note storiche del sec. XIV, Palermo 1883, c. III. A. Rubio y Lluch, La expedicion y dominacion de los Catalanes en Oriente juzgadas por los Griegos, Barcelona 1883.

Die Katalanen waren keine Fremdlinge mehr im byzantinischen Reich. Nachdem der Graf von Barcelona, Berengar IV., im Jahre 1162 Aragonien mit Katalonien vereinigt und der gewaltige Jayme I. zwischen 1229 und 1238 Valencia, Mallorca und Minorca den Mauren entrissen hatte, strebten die spanischen Seestädte mächtig auf. Katalanische Korsaren schwärmten in den Meeren, und Handelsschiffe besuchten die Küsten Afrikas und der Levante. Schon im Jahre 1268 hatte Jayme I. von Aragon der von ihm auf jede Weise begünstigten Kaufmannschaft Barcelonas das Recht erteilt, eigene Konsuln in den Häfen Romanias zu ernennen.Capmany, Memor. hist. sobre la Marina de Barcelona II, p. 34. Aus dieser reichen Handelsstadt ging der erste Kodex der merkantilen Gesetze hervor, welche im Mittelmeer zur Geltung kamen, selbst von Venedig, Pisa und Genua angenommen wurden und die Grundlage der konsularen Gerichtsbarkeit wurden.Capmany I, 6, I, 2, p. 70. Romanin, Stor. docum. di Venezia, II, p. 185. Bereits vor 1290 gab es eine katalanische Kolonie mit einem Konsul in Konstantinopel. Denn die erbitterten Kriege des Hauses Aragon gegen die Anjou Neapels, die Prätendenten des byzantinischen Throns, hatten die Folge, daß die Palaiologoi die Freundschaft der Spanier und Sizilianer zu gewinnen suchten; sie nahmen katalanische Kaufleute bereitwillig in ihrem Reiche auf. Zur Zeit, als Roger seine Soldbande nach Byzanz führte, befanden sich katalanische Kaufleute nicht nur dort, sondern in Zypern und Rhodos, in Alexandria, in Beirut und Damaskus, und Händler von Barcelona, Valencia und Tortosa besuchten die Märkte in Syrien und Kleinarmenien, selbst in Tana am Pontus Euxinus.Schon Benjamin von Tudela weiß von aragon. Kaufleuten in Alexandria. Über den katalan. Handel in der Levante passim bei W. Heyd, Gesch. des Levantehandels. – Katalanen in Famagusta auf Zypern im Jahre 1300: Archives de l'Orient latin, II, 1884, p. I, 89ff.

Die Katalanen wurden die gefürchteten Nebenbuhler der Italiener im Mittelmeer. Ihre Seeleute konnten es mit ihnen in nautischer Erfahrung aufnehmen. Schon vor 1286 besaßen sie Landkarten; sie wetteiferten darin mit den Genuesen, deren Kosmograph Pietro Visconte im Jahre 1318 einen berühmten Portolan verfertigte. Die Schule der katalanischen Kosmographen erlangte mit der Zeit solchen Ruf, daß Karl V. von Frankreich in Jahre 1375 von ihr eine Karte machen ließ, die als das katalanische Weltgemälde bekannt geworden ist und einen Fortschritt über die arabischen Karten des Edrisi und die venezianischen des Marin Sanudo darstellt.J. Lelewel, Geogr. du Moyen-âge, Breslau 1852, Carte Catalane II, p. 37ff. Buchon, Notice sur un atlas en langue catalan de l'an 1374. Facsimile del Planisferio del mondo conosciuto in lingua catalana del XV sec. illustr. da Teobaldo Fischer. Vened. 1881, n. XIII der Racolta di mappamondi e carte nautiche del XIII. al XVI. sec.

Der Vorgänger Rogers de Flor in den griechischen Meeren war übrigens der berühmte Admiral Roger Loria gewesen, welcher im Jahre 1292 mit katalanischem Kriegsvolk auf 30 Galeeren einen Raubzug gegen die Staaten der Anjou in Morea unternommen und unter diesem Vorwande die Küsten und Inseln Griechenlands geplündert hatte.Amari, Vespro Sicil. II, p. 243.


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