Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An Jakob Kneip

30. Juni 17

Mein lieber Jakob,

Regenwetter heute. Schweigsame Artillerie – und auch ich (Meldegänger) habe einigermaßen Ruhe. Sie war ebenso erwünscht wie notwendig nach dem Gefechtsbetrieb vom 20.–25. Juni. (Wovon Du vielleicht unter dem Namen Vauxaillon im Heeresbericht gelesen.) Habe sogar in unserm feuchten Erdloch (versteht sich: auf Daunen schlafend) geträumt! O Sentimentalität! Und zwar 1. vom lieben, lieben, sonnefreundlichen Faaborg-Dänemark, 2. von lauter Feinbrot mit draufgekleckerter Schlagsahne (beiläufiges Zungenschnalzen!) 3. von verflucht riesigen nächtlichen Sturzwogen, in denen ich mich frierend bei Ostende befand. Du siehst: die Phantasie arbeitet wie ein Grammophon.

Ich habe leider immer noch nichts wieder von meinen dänischen Bekannten gehört. Es bekümmert mich immerhin, daß Menschen, mit denen man in vier Monaten menschlich zusammengewachsen, sich so gänzlich als Pause zeigen. Wie wenig klare Güte muß unter den Menschen, oder wie selten muß sie doch sein. Engelke, du bist mitunter zu naiv und vielleicht auch zu harmlos-aufdringlich. Wo ich mich bemühe, zum Kern des Menschen zu dringen, sehen andere vielleicht nur unerwünschte Einmischung in ihre Angelegenheiten. Von ihrer Seite haben sie schließlich recht – aber was kann ich dazu, daß ich ein Lyrifax bin. Und Du, schnellflüssigere Seele, südlichere Seele, die sich mit manchen von meiner nord-nördlicheren mitunter abgestoßen fühlen wird – glaub dem E. nicht immer, wie er sich von außen zeigt. Mich selbst erkennend hör ich hin und wieder des Sören Kierkegaard Wort in den Ohren: Mein Innerstes habe ich immer für mich allein gehabt. Es ist die eingekapselte männliche Scham des Nordens. Wie Hebbel sagt: Eh'r zeigt sich dir das Mädchen nackt, eh dieser Jüngling dir die Seel' entblößt. Warum schreibt der Heuss nicht über mich? Wenn Du das letzte Sommergedicht gut findest (ich zweifle), dann möcht ich's wohl zum »März« haben. Schade, daß Lerschs Plan Luft geworden. Siehe Brief an J. Kneip vom 15.4.17.

Es grüßt Dich recht, Jakobus, Dein

Gt.


 << zurück weiter >>