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An Frau Dettmer

29. Juni 17

Liebe Frau Dettmer!

Heute endlich komme ich meiner Pflicht des Antwortens nach. Wochenlange Unlust hielt mich ab; denn wir liegen schon 5 Wochen in Stellung und sehen noch immer nichts von der erhofften Ablösung. Und daß ständiges Artilleriefeuer selbst die besten Nerven mürbe macht, werden Sie verstehen. Außerdem wird man als Meldegänger (der ich hier bin) genügend hin und her gehetzt, tags und nachts.

Ich habe mich sehr gefreut, als ich von Ihren Pinsel-Taten hörte; Karlchen F. war ja schon immer chronisch arbeitsdienstuntauglich. Trotzdem weiß er ja seine vollbärtliche Würde stattlich zu tragen. Die Frau E. gehört nun also auch zu den Leidtragenden – mit wie vielen anderen – und der alte Herr Klarinettenbläser Fr. ist auch tot. Es waren beide sehr nette Leute – schöne friedliche Zeit damals, als ich noch im Kittel im Hause Ifflandstraße 14 auf und ab stieg. Eigenes Gefühl, wenn ich denke, daß im lieben Hannover die Marktkirche noch immer so altersgrau steht, die Leute ruhig über die Goseriede an Höltys Grabmal vorüberwandeln – die Iffland- und benachbarten Straßen so gemächlich wie sonst schlafen, und hier – schießt uns der Franzmann immer mehr den Pinon-Wald (Aisne-Oise-Kanal) zusammen. Respekt bekommt man schon, wenn man sieht, wie 100jährige Eichen glatt abbrechen unter der aufschlagenden Granate. Schüttelt der Regenwind hin und wieder den Wald, so hört man immer wieder Knacken, Brechen und dann plötzliches Hinstürzen verwundeter Bäume, die sich mit Mühe noch grün und gerade gehalten. Dann: Meldegänger springe, klettere über Zweig- und Stammhindernisse auf den schmalen Pfaden. Sie haben wohl in den Heeresberichten (vom 21.-25. Juni) von den Gefechten bei Vauxaillon gelesen. Das ist unsere Gegend nämlich. Wenn unsere Kompanie auch nicht mitstürmte, haben wir doch Verwundete genug. Mich erfüllt wie immer ruhige Zuversicht. Wie könnte es anders sein? Es sieht ja jetzt ganz gewiß nicht nach Frieden aus, man hat aber doch die unbestimmte Hoffnung, daß es bis zum Herbst ein Ende geben müßte; sollten unsere Feinde nicht doch mal zur Vernunft kommen? Zeit wird es für sie – und die ganze europäische Menschheit. Von meinem dichterischen Einwohner ist wohl manches, doch nicht eigentlich Bedeutendes zu melden – auch diese Arbeit harrt des dafür unbedingt notwendigen Friedens und der Sammlung.

Und nun, daß ich's nicht vergesse: Hallo! Fuhrmann, Fahrer, »wohlbestallter« und uniformierter – wie doch ein Tabakkaufmann sich unerwartet schnell zum königlich preußischen Rosselenker auf wirft! Schneiderberg – die Trainzentrale – man denkt gleich wieder an das wunderbare, vertraute Herrenhausen – Berggarten im Sommer mit Rhododendron-Büschen – überhaupt mit Blüten, Blüten – Herrenhäuser Allee mit den bunt dahinwandelnden Menschlichkeiten: Alte Herren mit Rente, noch ältere mit Großvaterbärten, Kindermädchen und Kinder in allen Schattierungen ... Nun, wer weiß, ob ich nicht das Glück habe, im August-September meine beurlaubten Füße dorthin lenken zu können. Daß ich's möchte – versteht sich. Mit Freude las ich von Ihrer artigen Tabaksendung; leider ist von dem schönen Qualmstoff, der hier seltener ist als Kupfer und Eisen, noch nichts gekommen. Doch ich tröste mich, denn in der alten guten Postkutschenzeit wär's auch nicht anders gewesen.

Leben Sie wohl

und seien Sie und Ihre liebe Tochter recht gegrüßt von Ihrem

Gerrit Engelke


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