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An Bürgermeister R.

Gent, 25. 2. 15

Lieber Herr Bürgermeister in der deutschen Ferne, – ja, das ist jedesmal ein Ereignis, wenn abends (nach anstrengendem Dienst) – die Post verteilt wird! Doppelt freudig, wenn es solche Pakete regnet wie die Ihren. Vor 3 Tagen bekam ich die Hefte und jetzt eben Paket und Brief. Ich sage Ihnen und Ihrer lieben Frau Gemahlin (denn wie sollte sie nicht dabei geholfen haben) meinen herzlichsten Dank. Ich bin eben bei der Schokolade, denn das ist meine Schwäche, das andere folgt.

Daß Jakob Kneip in St. Avold ist, wußte ich noch gar nicht. Ich habe schon die ganzen Tage sehnsüchtigst auf einen Brief von ihm gewartet. Soviel ich weiß, dürfen aber Briefe an Militärpersonen nicht an deren Privatquartier adressiert werden, und seine Kasernen-Adresse ist das doch nicht in Ihrem Brief? – Ich sandte vor kurzem noch von hier 2 Blätter Don-Juan-Fortsetzung nach dem »Mühlchen«, die wird Kneip doch wohl noch bekommen? Ich denke, es ist das beste, wenn ich noch warte, bis er mir von St. Avold aus geschrieben hat.

Über Zerzers Kriegsmesse bin ich noch nicht ganz im klaren, ich konnte sie erst einmal lesen. Ich werde Kneip noch ausführlich darüber schreiben, denn dies Buch ist in der jetzigen patriotischen Worthochflut eine erste Leistung; es hat mich gefaßt und auch kritisch gestimmt. Ich habe schon immer bezweifelt, daß sich aus der jetzigen großen Kriegsperiode Ewigkeitswerte holen lassen. Vielleicht entsteht irgendwo nach hundert oder aber hundert Jahren ein Epos, breit und stark wie die alten Epen, welches unsere Drangzeit der Ewigkeit überliefert.

Ich hörte in Kneips Brief von seiner Kriegsbibel Es handelt sich um die Dichtung »Ein Deutsches Testament«. Sie erschien erst 1916 (bei Eugen Diederichs). – ist die nicht zu haben? Gent hier ist eine prächtige Stadt; aber der Dienst nimmt uns von morgens 6 bis abends 7½ in Anspruch (und wie!). Da bleibt nicht viel Zeit zum Sehen. In Architektur kann man hier schwelgen, in alter und uralter gotischer und flämischer – und auch in moderner. Hier erst ging mir das Verständnis für van de Veldes Stil, der in Deutschland fremd wirkt, ganz auf; alle diese Schnörkeleien und Zierereien, die dem streng formenden Deutschen leicht als Kitsch (schon ihrer Nutzlosigkeit wegen) erscheinen, passen hier in diese weichere feuchte Luft, es paßt hier alles zusammen: von französischer Dekadenz leicht angekränkeltes Genußleben, vorhandener französischer Kitsch in Häuserstuck, Moden und dergleichen, vollfleischiges Flamentum und die abscheulichen, ewig sich häutenden Platanenbäume in den Anlagen.

Es geht hier auf den Frühling. Nachts noch Frost, aber des Mittags Sonne und Wolkenblau und Schweiß bei uns.

Doch genug!

Wenn ich etwas wünschen darf, so ist das: Süßigkeiten, Wurst oder Käse; denn das ist hier alles unbändig teuer und in solchen Materialien herrscht hier kein Überfluß. Aber bitte: keine »warmen« Sachen – Sie hören: wir schwitzen!

Mit den allerbesten Grüßen an Sie und Ihre liebe Frau

Gerrit Engelke

Nochmals Dank!

(Es geht vielleicht in kurzer Zeit schon in den Schützengraben; meine Adresse bleibt aber trotzdem vorläufig wie bisher.)


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