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An Jakob Kneip

Flensburg, 18. 11. 14

Mein lieber Jakob Kneip – hier ist meine Hand! Hand zu Hand, und Herz zu Herz. Es gibt ja nichts besseres, als eine Freundschaft zwischen ehrlichen, wertvollen Männern. Das spüre ja selbst ich in meinem jungen Leben. Überall gibt es Enttäuschungen – kleine, die eine Zeitlang wie Nadelstiche wirken, und starke, notwendige, an denen man jahrelang wirklich krankt. Aber hier ist Festigkeit und Wille zum Guten, und brüderliche Hilfe, die nicht nötig hat, Worte zu machen – und Enttäuschung soll es nicht geben. Ich bedaure immer, daß ich das, was mir von andern erwiesen ist und wird, nicht besonders vergelten kann – da suche ich denn das auf meine kleine Weise auszugleichen, indem ich hier oder da einem armen Kinde, das Hampelmänner verkauft, einen Groschen in die Hand stecke – oder ähnliches tue. Und ich denke, daß auch solches bei dem großen Schicksalsvater in den Wolken für mich gutgeschrieben wird.

So traue ich auch jetzt meiner Bestimmung. Ich gehe seit einigen Jahren mit optimistischem Fatalismus immer so, wie mich meine Tage führen.

Vorläufig bin ich noch immer unklar und unbestimmt im Innern, und es ist (leider) nicht sehr viel, was aus mir in diese bewegte Zeit einschwingt. Mein Gefühl sträubt sich noch immer instinktiv gegen den Krieg. Wäre nicht dies Eine, daß wir aus Notwehr handelten – ich würde alles rundheraus abgelehnt haben und wäre geblieben, wo der Pfeffer wächst. Nur dies Eine! Kein Volk haßt das andere – nur gewissenlose Spekulanten, die die Macht in Händen haben, »managen« den Krieg. So auch jetzt. Aber – schließlich sind auch sie, sind alle Spitzbuben nicht Handelnde aus eigenem Willen – sondern tun auch nur, wie sie sollen. Kein Mensch macht solch einen Krieg – es ist immer die riesige, unsichtbare Hand des Schicksals, des Gottes, der Himmels- und Weltgewalt – oder wie man es sonst nennen will.

Ich erhoffe vom kommenden Kampfdienst im Felde, daß sich dies Bewußtsein, das eigentlich erst in meinem Hirn ist – auch in der Herzseele vertieft und aufglüht zu einer sicheren, ich möchte sagen: kaltblütigen Begeisterung; denn mit dem Rausch ist da, wo es um Taten geht, nicht allzuviel anzufangen.

Ich kam aus Dänemark nur, um meine Pflicht zu tun – jetzt wünsche ich, daß ich diese Pflicht im Felde mit Freude tun werde.

Es ist hier auch so vieles, was mich nicht zu einem reinen Gefühl kommen läßt. All die Borniertheit, der blöde Sinn und der Neid der Leute, die die »kompakte Majorität« ausmachen, macht sich jetzt nicht weniger breit wie sonst –. Außerdem stecke ich hier zwischen mir höchst widerwärtigen Bauern und Arbeitern aus Schleswig, die stumpfsinnig wie Tiere ihren Dienst tun, das »Kartoffeldänisch« natürlich mit Vorliebe sprechen und im übrigen »das Maul halten müssen«, wie einer sagte. Man kann ihnen aber schließlich Trägheit und Unbeteiligtsein nicht verdenken: es sind doch Dreiviertel-Dänen – und haben Frauen und Kinder. (Ich bin nämlich unter diesen Dreißig- bis Fünfunddreißigjährigen der Jüngste.)

Solche Verhältnisse sind nicht »begeisternd«.

Ich bin neugierig auf Wincklers Furor-Gedicht; schicke es mir bitte. Im übrigen bin ich ganz Deiner Meinung: die augenblickliche Kriegspoesie ist matt. Wir sitzen ja auch alle noch ganz im Wirbel drin und können natürlicherweise noch gar nicht zum Vollkommenen und zu schöpferischen Eindringlichkeiten kommen. Man kann jetzt eigentlich sofort die gewöhnlichen und die besonderen, weil bedeutenden Dichter erkennen. Die ersteren setzen die alten Phrasen, mit denen schon die Körner usw. gewirtschaftet haben, neu zusammen und »erringen« den Beifall der begeisterten deutschen kompakten Majorität; die anderen bemühen sich, den großen Ton zu finden, der eben nur diesem Kriege, dieser Zeit gerecht wird und erreichen es teilweise; nur wenige schaffen vollkommene Kunstwerke. Hierzu zähle ich: Dehmels »Lied an Alle«. So wie ich jetzt bin – verspreche ich mir für meine Produktion nicht allzuviel vom Kriege.

Überhaupt: Krieg und Kunst –

Es wird auch jetzt wohl so bleiben (trotz unsres Notwehr-Krieges, und trotz 1813): wo der Krieg dröhnt, da schweigen die Musen. Wer denkt in der Friedenszeit an Körner, Arndt, Schenkendorf – (Rückens »Eiserne Sonette« ausgenommen) jetzt sind sie allerdings wieder zu – »gebrauchen«.

Vor allem sollten die Dichter ihre Nasen aus der »Politik« lassen. Siehe: den ganz und gar verwirrten Maeterlinck. (Kriegslyrik: Jeder Dichter nimmt aus der »allgemeinen« Begeisterung die Berechtigung für sich, möglichst laut und oft mit dem poetischen Phrasenwort »dreinzuschlagen wie mit der Faust«. Sie sollten gerade jetzt ihr Maul halten.)

Doch: genug. Sela. Mit dem Fräulein H. unterhalte ich mich noch brieflich. Wenn ich erst im Felde bin, soll es auch hier heißen: entweder – oder. Ich bin unzufrieden.

Vielen Dank für die Bücher!

Gerrit

(Es ist heute: Bußtag; ich hatte daher Zeit, diesen langen Sermon zu schreiben.)


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