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An Frau R.

Ost-Nieuwkerke, 18. 4. 15

Sehr werte Frau R.!

Ihr letzter Brief hat mich ziemlich erregt. Obgleich es mir einigen Seelenschweiß kostet und ich auch solchen kraft meiner altbewährten Faulheit ungern vergieße –, sehe ich, es geht nicht anders; ich muß meinen innern Menschen zusammennehmen und schreiben. (Immer schreiben!)

1. Die fehlenden Don-Juan-Seiten.

2. Ihre Meinung, ob meine Zukunft nicht in der Zeichnerei liege. –

3. Die Nüchternheit, mit der ich Fatalist in meine nächste Zukunft sehe. (Programm!)

Das ist eine ganz verfluchte Sache mit den Seiten! Kaum denke ich, mit dem Don-Juan-Beinklotz endlich zum Absägen zu kommen, da muß nun noch diese gemeine Unterbrechung sein. Ich muß die Seiten M-O unbedingt an Kneip geschickt haben! (Ich schrieb ihm schon, weiß aber nicht, ob er es erhält, denn ich habe lange aus D. nichts von ihm gehört.)

Daß mir meine »paar« Seiten Don Juan mehr vor der Seele stehen ( augenblicklich muß ich zufügen) wie das »gewaltige Völkerringen« – hat folgenden Grund: Wenn schon ich mir selbst jetzt vor der unvollendeten Arbeit sage (vielleicht irrig) – daß sie später einmal wohl nur als Talentstück aus meiner unreifen Jugend angesehen werden wird –, habe ich doch den festen Eigensinn, das Ding möglichst bald unter Dach zu bringen. Es hat mir schon soviel Mühe gemacht, hat sich so zähe in mir verwurzelt, daß ich es mir nun mal in den Kopf gesetzt habe, den Don Juan fertig zu machen. Man soll auch Schularbeiten nicht halb liegen lassen. Ich will, und nun muß es!

Punkt 2.

19. 4. 15

Eben vom ersten Schwimmbad in diesem Jahre, draußen im Teich, zurückkehrend, fahre ich fort im Federstrich. Da das Wachslicht in unserer Scheune ausging, mußte ich den Brief gestern abend unterbrechen. In der Nacht, um 12 wurden wir alarmiert. Die ganze Nacht hindurch marschierten wir, nahmen Stellung gegen Sicht hinter einer Hecke und fingen an, uns einzugraben. Wir lagen da als letzte Reserve unseres Regiments vor Langemarck; uns wurde gesagt, daß ein großer Angriff, eingeleitet durch einen mächtigen Feuerüberfall unserer 42, 38, 21-cm-Geschütze (von denen bis jetzt niemand weiß, daß sie hier stehen) auf Langemarck zu stattfinden sollte. Beim Morgengrauen wurden wir aber wieder zurückgeschickt. Es wurde noch nichts; aus verschiedenen Anzeichen und Gesprächen entnehme ich aber, daß es nur ein Scheinmanöver war. Die feindlichen Flieger sollten uns, bis gegen Mittag hinter der Frontlinie herum marschierenden Truppen entdecken und dadurch veranlassen, daß der Feind keine weitern Reserven von hier an seine südlichen Offensivstellen zieht.

Doch nun komme ich wieder zu meinem Programm. »Punkt 2.«

Ich kann nicht recht verstehen, daß überhaupt jemand fragen kann, ob meine Zukunft nicht in der Zeichnerei liege. Spüren nicht auch Sie (wie alle andern) den himmelweiten Kraft- und Wertunterschied zwischen meinen Dichtungen und diesen Zeichnungen? Ich kann sehr wohl verstehen, daß solche Zeichnungen Ihrem weiblichen Empfinden näher liegen als die kraftbewußten Gedichte, die vielleicht dem Manne überhaupt mehr entsprechen. Trotzdem ich hin und wieder zum Zeichenstift greife, schätze ich die Ornamenterei seit langem ziemlich gering ein, ich betrachte sie eigentlich nur als erste künstlerische Äußerungen, als Vorstufe zu meiner Dichtung. Daß ich noch immer weiterzeichne (die 5 Zeichnungen bei Ihnen machte ich ja noch im Sommer in Dänemark), hat seine Ursache darin (und damit zerstöre ich platterdings Ihre schön schnörkelnden Worte von »den verschlungenen Seelenstimmungen, aus denen sie entstanden sein mögen –«), daß ich mich entweder aus orientalisch beschaulicher Langeweile zum Zeichnen hinsetze, oder wenn ich fühle, künstlerisch etwas tun zu müssen und zugleich spüre, daß die Gefühlsstimmung nicht für ein Gedicht ausreicht, oder sich nicht dazu entwickeln will. Meistens habe ich aus Langeweile gezeichnet. Doch habe ich mich gefreut, daß solche Zeichnungen Sie »mächtig gepackt« haben; ich glaubte vorher nicht, daß sie eine solche starke Wirkung auf einen Menschen ausüben könnten. Und dann haben sie doch wohl eine gewisse Berechtigung, mitgezählt zu werden, denn sie zeigen das Bild des Künstlers, der ja Femininum und Maskulinum in einem ist, vollständiger. Die Zeichnungen sind weiblich-weichlich (was mich oft mißstimmte) – die Gedichte aber sind männlich-blutstark. Sie allein haben (nach meiner Meinung) die Zukunft; denn sie wurzeln nicht wie die Zeichnungen in stillstehender Erinnerung (Vergangenheit), sondern entspringen aus der Gegenwart, aus fortschreitender Wirklichkeit und blicken damit auch in die Zukunft.

Die Zeichnungen »Mapa« und »Muschel« schenke ich Ihnen gern, und wenn Ihnen die andern gefallen, auch die. Nur eins: lassen Sie sie hübsch einrahmen (etwa breiter weißer Kartonrand, darum eine schmale schwarze Leiste); denn ich mag nicht sehen, daß Zeichnungen, die ja für Augen geschaffen sind, in Schränken vermodern und verstauben. Das ist auch mein Ärger, daß etwa 70 meiner Zeichnungen (darunter bessere wie die Ihrigen), die ich nur, um sie in sicherer Hand gesammelt in meiner Vaterstadt zu wissen, für ein Butterbrot an das Hannoversche Kestner-Museum verkaufte, aus Platzmangel dort in Schränken unsichtbar liegen müssen und nicht mal aufgezogen! Aber wenn ich später erst einmal ein berühmter Mann geworden bin, dann besinnt sich der Herr Direktor wohl darauf, sie (wie es mein sehnlichster Wunsch ist) in einem besondern kleinen Kabinett aufzuhängen. Die 1914 vom Kestner-Museum erworbenen Zeichnungen und Aquarelle Engelkes sind leider sämtlich im letzten Kriege vernichtet worden..

Punkt 3.

Jetzt setze ich mich zum drittenmal hin, um diesen Brief endlich zum Schluß zu bringen. Da es mir, bei meinen in der letzten Zeit recht angestrengten Nerven, zuviel Mühe macht, meine Erörterungen zu Punkt 3 in System zu bringen, so gebe ich sie einfach, wie sie mir ungeordnet in den Sinn kommen.

Nüchternheit (ich nenne es: Gefaßtheit, und die ist blutnotwendig). Ich habe soviel Kriegstatsächliches und Gedankliches an Freunde mitgeteilt und tue es noch, und spreche auch hier mit den Kameraden gerade oft genug, daß ich wirklich froh bin, mit Ihnen hauptsächlich von andern Dingen reden zu können. Ich war heilfroh, als ich kürzlich im Graben von Freund Deppe »Briefe Friedrichs des Großen« bekam. Doch mal endlich nichts vom Krieg! –

Jetzt helfen die »großen Gedanken« nicht, jetzt hat nur der Körper zu arbeiten, zähe durchzuhalten! Sie kennen ja sicher auch zur Genüge die vielen Worte vom »Krieg zur Befreiung des deutschen Geistes«, vom »Schicksalskrieg« usw. usw. – Jetzt noch über den Krieg, über dies Menschheitsringen zu reden, kann nur als Rederei, als Phrase wirken. Man hat genug im deutschen Geist getan. Jetzt existiert nur die Tat; wenigstens vorläufig. Darum kann auch nicht von meinem direkten Eingreifen die Rede sein. Man fühlt sich hier nur als Rädchen im großen Getriebe, fühlt sich als Unscheinbarster, Untergeordneter (einem Ziele Untergeordneter) und lebt und denkt als solcher und verlernt auch das hier nutzlose ideale Darüberhinausschweifen. Glauben Sie, daß ein Mensch in diesem aufreibenden Schützengrabenkampf sich ewig mit großen Betrachtungen, gedanklichem Streben tragen kann? Die Hochspannung kann unmöglich einer aushalten, er müßte verrückt werden.

Fatalist. Ich lebe seit Jahren in einem gewissen Fatalismus, doch in einem andern Sinne, als ihn dies Wort gemeinhin bedeutet; ich lebe durchaus in einem glaubensvollen optimistischen Fatalismus. Da, wo ich mich befinde (so auch jetzt hier), lebe ich so gut wie möglich mit dem augenblicklichen Dasein wirtschaftend, zuversichtlich in die Zukunft blickend. Ich weiß, daß ich hier wohl kein Held sein werde, dazu fehlt mir das rücksichtslose, sich selbst vergessende Draufgängertum und im andern die pathetische Gebärde – aber das weiß ich, daß ich da, wo ich bin, meinen Mann, so gut ich kann, stehen werde! Mein zuversichtliches inneres Gleichgewicht hat sich auch jetzt im Granatfeuer bewährt; ich bin froh darüber; denn es gibt nichts, was diesen aus ergebenem Glauben genährten Halt ersetzen könnte. Ich weiß, daß mir nichts Ernstliches zustoßen wird. Sollte es, wider meinen ruhigen Glauben, anders kommen, so hat das Schicksal mich zu leicht befunden; denn nur die allerbesten Kräfte sind wert, der Zukunft erhalten zu werden; alles andere kann vergehen und Humuserde für das neue Dasein bilden. Doch hieran denke ich nicht, ich glaube es nicht. Nun leben Sie wohl!

Gerrit Engelke

Sonnabend müssen wir, wenn nicht, durch Unvorhergesehenes veranlaßt, schon eher – wieder für 8 Tage zum Graben. Mein letztes Gedicht werden Sie erhalten haben. Hier ist noch ein neues.

Es ist nun doch still und ernst, fast traurig in mir geworden, seitdem ich hier in den frischgestürmten Schützengräben, die wir als nachfolgende Reserve durchzogen, den Greuel der Verwüstung gesehen habe. Ich denke nun immer wieder nur das Eine: Herrgott, laß endlich Frieden werden!

Es waren schwerbewegte Tage.

Hiermit erhalten Sie auch das vorläufig Letzte des Don Juan.

G. E.
(bei Langemarck, 27. 4. 15)


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