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An Frau R.

Im Schützengraben vor Ypern, 29. 5. 15

Sehr werte und liebe Frau R.!

Ihre Kästchen, Zeitungen haben mir richtige Freude gemacht. Nach 10 sogenannten Ruhetagen (in der einen Nacht haben wir allein von abends 7 bis morgens 7 Arbeitsdienst beim Graben gemacht) in Roulers sind wir jetzt wieder im Schützengraben gelandet. Und zwar in einem anscheinend ruhigen Stück des neuen Grabens. – Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr Urteil über meine Gedichte. Nach einer solchen »neutralen« Meinung war ich schon lang begierig. Sie hat in mir den Wunsch erweckt, in der fernen friedlichen Zukunft »von neuem« anzufangen – (»so ihr nicht werdet wie ein Kindlein ...«). Außerdem werde ich das Zeichnen und Malen, das ich ebenso, wie ich nach Ihrer Meinung das Weiche überhaupt aus meinem forciert männlichen Empfinden heraus in meinen Gedichten gewollt vermieden habe, zugunsten meines Dichtens unterdrückt hatte – wieder aufnehmen. Das »vermiedene Weiche«: ich habe vielleicht etwas zuviel harte Musik gemacht in den Gedichten, aber wer hätte nicht Scheu davor, sich weich, sich menschlich-schwach zu zeigen. – Es hat mich immer Überwindung gekostet, so ein kleines Gedichtchen, das noch immer unsichtbar mit dem ehemaligen, ureigensten Herzschmerz verbunden ist, dem Leser oder Hörer preiszugeben. Dichten ist: die eigene Seele nackt bloßzustellen. Nun verstehen Sie vielleicht, warum viel forciert Männliches in den Gedichten ist und warum soviel nur Weiches in den Zeichnungen.

Sie und Ihren Gemahl herzlich grüßend, bin ich Ihr

G. E.


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