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An Frau R.

Vanderwoude Ferme, Yser, 25. 7. 15

Sehr werte Frau R.!

Nach langer Zeit bekommen Sie wieder etwas von mir zu hören. Die beiden Bücher, von denen ich das erste »Das deutsche Volkstum« mit Interesse gelesen habe, haben mir recht die Zeit vertrieben; beim »Buddhismus« habe ich angefangen, ich war erstaunt über die wundervoll reine Ethik und Ruhe dieser Religion.

Der jetzt von uns besetzte Abschnitt ist etwas kriegerischer als der vorige. Gestern ziemliches Granatfeuer, aber nur ein Leichtverwundeter.

Da ich jetzt zur ständigen Patrouille gehöre, habe ich immer mit den andern, nach dem verschlafenen Vormittag, den Nachmittag frei; frei von Postenstehen und Arbeitsdienst. Wir kriechen des Nachts los. Gestern nachmittag unternahm ich »einen Spaziergang« schützengrabenlängs, um die Knochen, die im Graben vom ewigen Liegen im Unterstand immer steifer werden, etwas in Bewegung zu setzen. Gleich beim nächsten Bataillon links von uns gingen doppelte und dreifache Granatladungen auf den Graben und einen Sappengang herunter, so daß ich erst eine halbe Stunde unfreiwilligerweise Aufenthalt in einem Unterstand nehmen mußte; dann wanderte ich schwitzend eine Stunde weiter bis – schließlich der Schützengraben dicht vor dem gut zu sehenden Dixmuiden (mit zerschossenen Häusern und Kirche) zu Ende war. Durch die Schießscharte sieht man hier den belgischen Graben in nur 30 m Entfernung sich quer über den Kanal ziehen. Ein verfluchtes Gefühl, wenn man solche Nähe längere Zeit nicht mehr gewohnt ist und weiß, daß der Feind genau wie wir auch Fernzielbüchsen (mit angeschraubten Gläsern) in der Hand guter Scharfschützen hinter den Schutzschildern stecken hat. Außerdem steht hier, da die beiderseitige Artillerie der kurzen Entfernung zwischen den Gräben wegen nicht schießen kann, das Minenwerfen auf der Tagesordnung. Man hat solche flaschenähnlichen Dinger im Gewicht von 5-300 Pfund. Und die Hauptsache: am Ende des Grabens ist eine Sappe bis fast unter den feindlichen Graben getrieben. Ich kroch neugierig hinein; es war heiß, eng und dunkel darin; am Ende saß ein Lauschposten, der zu horchen hat, ob der Feind nicht auch solch eine angenehme Sache in's Werk setzt. Nach 2 ½stündiger Wanderung kehrte ich in unsere ruhigere Stellung zurück.

Nun viele Grüße an Sie und Ihren Gemahl!

G. E.


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