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An Jakob Kneip

Nähe von Höhe 60, 4.5.15

Mein lieber Jakob, es geht hier mit Gott und dem Teufel vorwärts!

Gestern abend erhielt ich 2 Briefe und 1 Karte von Dir. Mißverständnis: Du hast einiges an das Landwehr-Reg. 3 gesandt; Reserve-Ers.-Reg. 3 ist meins.

Wir haben seit mehreren Tagen kaum Schlaf und Essen gehabt, immer eingraben, vormarschieren und wieder eingraben, wie die Büffel. Ich freue mich, daß Du in besserer Verfassung bist. Dehmel? – ich höre von R. und von Dir über ihn; ich weiß nicht, was ich sagen soll – er ist gleichgültiger geworden.

Ich korrespondiere eifrig und ganz gern mit Frau R. Sie bewundert meine Zeichnungen. Auch was wert!

Von einigen Augenblicken des Zweifels im Kugelregen (denn auch wir Reserve kriegen ja mal was ab), abgesehen – festet sich in mir der Glaube, daß ich ruhig in die Zukunft sehen kann, daß mir nichts Ernstliches zustoßen wird. Ich befinde mich trotz Strapazen und Widrigkeiten in der optimistischsten Verfassung. Daß die letzten Generalstabsberichte ihr Teil dazu tun, kannst Du Dir denken. Ich habe seit Oktober etwa 8 Pfund zugenommen.

Wenn ich allerdings an meine dichterische Produktion der letzten Monate denke, bin ich höchst unzufrieden mit mir. Und dann hör mal: Du singst mir die höchsten Töne mitunter – und ich weiß, besonders wenn ich in die letzte Zeit blicke, nicht recht weshalb. Weniger Lob bitte.

Jetzt bin ich fast auch über die schlimmsten Dinge hinweg; tagelang war ich trübe und traurig, als ich in den frischgestürmten Schützengräben über Langemarck hinaus all die Greuel des Mordens gesehen hatte. Leichen und Leichen in Gestank. Wenn meine Kameraden hier und da im Schlaf lagen, kam mir immer wieder der verrückte Gedanke: so müssen sie aussehen, wenn sie tot sind, in diesen regellosen gelösten und verkrampften Lagen. Jetzt ist's vorbei. Man muß ja auch darüber hinweg.

Nun, in allerherzlichster Freundschaft, wie Du ja weißt – Grüße von Deinem

Gerrit


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