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An August Deppe

Grendsen, Nähe von Dünaburg, 30. Dez. 16

L. A. Hier sitz ich im Schnee, mit einer dicken Backe und Zahnschmerzen und denke, wenn nur dies kriechende graue Elend-Leben bald aufhören wollte. Man lebt ja nicht wie ein Mensch – wie ein Höhlenbewohner vor tausenden Jahren in der Steinzeit, mit anderen zusammengepfercht und zum Stumpfsinn gezwungen. Von aller Welt – selbst von Zeitungen abgeschlossen.

Weihnachten war mehr wie kärglich, primitiv – aus der Heimat habe ich weder Karte noch Brief, noch Paketchen bekommen. Jeder Tag ist hier Öde ringsum. Innerliches Selbstbesinnen oder gar Aufschwung zum Dichten (welches die Herren Kriegsdichter in der Heimat beim Ofen so glänzend und spielend besorgen), ganz unmöglich. Die einzigen Narkotika gegen die ekelerzeugende Leere sind für uns Tabak und Schlaf. Rum ist für uns gesperrt seit langem, da immer einige nicht »maßhalten können«. Man soll hier auch noch maßhalten!! Wenn man sich wenigstens einmal hin und wieder berauschen könnte – freilich nicht tierisch, sondern anständig.

Es gibt keine Freude hier draußen – monatelang nicht. Es fehlt alles, was solche hervorrufen könnte: weder Mädchenwort noch weiblich Lächeln, weder Stadt noch Straßen, weder Buch noch Zeitung, weder Speise-Abwechslung, noch Leckereien – hier gibt's nur stumpfsinniges Erdenschweigen, Postenstehen und außer dem Mittagsbrei – trocken Brot. Jeden Tag. Denn wir liegen (das ganze Regiment) jetzt dauernd vorn; ohne Ablösung nach hinten. Vielleicht kannst Du mir einmal etwas zum Lesen schicken: Zwiebelfisch, neuer Piper-Almanach, Sturm, neues Inselbücherei-Reclamverzeichnis.

G.


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