Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Verhängnis.

Am andern Tag gegen neun Uhr streute eine schöne Sonne Gold über die sandigen Alleen von Château-Thierry. Zahlreiche, am Tage vorher bestellte Arbeiter hatten mit Tagesanbruch die Ausschmückung des Parkes und der für den Empfang des Königs bestimmten Gemächer begonnen. Nichts rührte sich noch in dem Pavillon, wo der Herzog ruhte, denn er hatte am Abend seinen zwei alten Dienern verboten ihn zu wecken. Sie sollten warten, bis er riefe.

Gegen neun Uhr sprengten zwei Kuriere mit verhängten Zügeln in die Stadt und verkündeten die nahe bevorstehende Ankunft Seiner Majestät. Die Schöppen, der Gouverneur und die Garnison stellten sich auf, um auf dem Weg, auf dem der Zug kommen sollte, Spalier zu machen.

Um zehn erschien der König unten am Hügel. Er ritt seit dem letzten Pferdewechsel. Es war dies eine Gelegenheit, die er stets und hauptsächlich bei seinem Einzug in die Städte ergriff, da er sich mit Recht für einen schönen Reiter halten durfte. Die Königin Mutter folgte ihm in einer Sänfte; fünfzig Edelleute bildeten, gut beritten und reich gekleidet, ihr Geleit.

Eine Kompanie Leibwachen, befehligt von Crillon selbst, hundertundzwanzig Schweizer, ebensoviel Schotten, unter der Anführung Larchants, Maultiere und Bedientenvolk aller Art bildeten ein Heer, dessen Reihen den Krümmungen der Landstraße folgten, die vom Fuß zum Gipfel des Hügels aufsteigt. Endlich kam der Zug in die Stadt unter dem Läuten der Glocken, dem Donner der Kanonen und dem Klange von Musik aller Art.

Der Jubel der Einwohner war groß; der König war in jener Zeit so selten, daß er, von nahem gesehen, noch einen Schimmer von Gottheit zu haben schien.

Vergebens suchte der König, während er durch die Menge ritt, seinen Bruder. Er fand nur Henri du Bouchage am Gitter des Schlosses.

Sobald Heinrich III. im Innern war, erkundigte er sich nach der Gesundheit des Herzogs von Anjou bei dem Offizier, der es übernommen hatte, Seine Majestät zu empfangen.

»Sire,« antwortete dieser, »Seine Hoheit bewohnt seit einiger Zeit den Pavillon im Park, und wir haben sie diesen Morgen noch nicht gesehen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß sie sich wohl befindet, da sie sich gestern wohl befunden hat.«

»Das ist ein sehr abgelegener Ort, dieser Pavillon im Park, wie es scheint, da man dort nicht einmal die Kanonenschüsse hört?« fragte Heinrich unzufrieden.

»Sire,« wagte einer von den Dienern des Herzogs zu bemerken, »Seine Hoheit erwartete vielleicht Eure Majestät nicht so bald.«

»Alter Narr,« brummte Heinrich, »glaubst du denn, ein König komme nur so zu den Leuten, ohne sie zuvor zu benachrichtigen? Der Herr Herzog von Anjou weiß meine Ankunft seit gestern.«

Um aber dann nicht alle durch eine sorgliche Miene traurig zu machen, rief Heinrich, der auf Kosten seines Bruders sanft und gut erscheinen wollte: »Da er uns nicht entgegenkommt, gehen wir ihm entgegen.«

»Zeigt uns den Weg,« sagte Katharina aus ihrer Sänfte heraus.

Die ganze Eskorte schlug den Weg nach dem alten Parke ein.

In dem Augenblick, wo die ersten Leibwachen zu den Hagebuchen gelangten, durchdrang ein düsterer, herzzerreißender Schrei die Lüfte.

»Was ist das?« fragte, der König, sich gegen seine Mutter umwendend.

»Mein Gott!« flüsterte Katharina, die auf allen Gesichtern zu lesen suchte, »das ist ein Schrei der Angst oder der Verzweiflung.«

»Mein Prinz! mein armer Herzog!« rief der andere alte Diener des Herzogs von Anjou, der mit allen Zeichen des heftigsten Schmerzes an einem Fenster erschien.

Alle eilten nach dem Pavillon, der König von den anderen fortgerissen. Er kam in dem Augenblick dahin, wo man den Körper des Herzogs von Anjou aufhob, den sein Kammerdiener auf dem Boden seines Schlafzimmers gefunden hatte, als er ohne Befehl eingetreten war, um die Ankunft des Königs zu melden. Der Prinz war kalt, steif und gab kein anderes Lebenszeichen von sich, als eine seltsame Bewegung der Augenlider und ein verzerrendes Zusammenziehen der Lippen.

Der König blieb auf der Schwelle stehen und alle hinter ihm.

»Das ist ein abscheuliches Vorzeichen!« murmelte er.

»Ich bitte, entfernt Euch, mein Sohn,« sagte Katharina zu ihm.

»Der arme Franz!« sagte Heinrich, glücklich, entlassen zu sein und auf diese Art das Schauspiel des Todeskampfes zu vermeiden.

Alles Volk strömte dem König nach.

»Seltsam! seltsam!« murmelte Katharina, die allein mit den beiden Dienern bei dem Prinzen oder vielmehr bei dem Leichnam kniete; und während man in der ganzen Stadt umherlief, um den Arzt des Prinzen zu finden, und ein Kurier nach Paris eilte, um die Ankunft der Ärzte des Königs zu beschleunigen, die in Meaux bei der Königin geblieben waren, untersuchte sie, allerdings mit weniger Wissenschaft, aber nicht mit weniger Scharfsinn, als es Miron selbst hätte tun können, die Anzeichen dieser seltsamen Krankheit, der ihr Sohn unterlag.

Sie hatte Erfahrung, die Florentinerin; sie befragte auch vor allem, kalt und ohne sie in Verwirrung zu bringen, die Diener, die sich in ihrer Verzweiflung die Haare ausrauften und das Gesicht zerschlugen. Beide antworteten, der Prinz sei in der Nacht nach Hause gekommen, nachdem ihn zu sehr ungelegener Zeit Herr Henri du Bouchage, der im Auftrag des Königs erschienen, gestört habe. Dann fügten sie hinzu, nach dieser im großen Schlosse erteilten Audienz habe der Prinz ein kostbares Abendessen bestellt, befohlen, daß sich niemand, ohne gerufen zu werden, im Pavillon einfinden solle, und endlich auf das bestimmteste eingeschärft, daß ihn am Morgen niemand wecken, und daß niemand bei ihm eintreten dürfe, ehe er ein Zeichen dazu gegeben habe.

»Er erwartete ohne Zweifel irgendeine Geliebte?« – »Wir glauben das, Madame,« antworteten demütig die Diener, »doch die Diskretion hat uns abgehalten, uns Gewißheit hierüber zu verschaffen.«

»Beim Abtragen mußtet Ihr doch bemerken, ob mein Sohn allein zu Nacht gespeist hat?« – »Wir haben noch nicht abgetragen, Madame, da Monseigneur ausdrücklich befahl, daß niemand in den Pavillon eintreten dürfe.«

»Gut,« sagte Katharina, »es ist also niemand hierher gekommen?« – »Niemand, Madame.«

»Entfernt euch!«

Diesmal blieb Katharina allein.

Sie ließ den Prinzen auf dem Bett, wie man ihn gelegt hatte, und begann eine ängstliche Untersuchung jedes der Symptome oder jeder der Spuren, die sich ihren Augen als Ergebnis ihres Argwohns oder ihrer Befürchtungen zeigten.

Sie sah die Stirn von einer schwarzbraunen Farbe überzogen, seine Augen blutig und blau umkreist und erblickte auf seinen Lippen eine Furche, der ähnlich, die brennender Schwefel auf lebendigem Fleisch hervorbringt. Sie beobachtete dasselbe Zeichen an den Nasenlöchern und auf den Nasenflügeln.

»Wir wollen doch sehen,« sagte sie, rings umherschauend.

Und das erste, was sie erblickte, war der Leuchter, in dem sich die ganze, am Abend vorher von Rémy angezündete Kerze verzehrt hatte.

»Diese Kerze hat lange gebrannt,« sagte sie, »Franz war also lange in diesem Zimmer. Ah! hier ist ein Strauß auf dem Boden.«

Katharina griff hastig danach und murmelte, als sie bemerkte, daß alle diese Blumen, mit Ausnahme einer einzigen, die geschwärzt und vertrocknet, noch frisch waren: »Was ist das? Was hat man auf die Blätter dieser Blume gegossen! . . . Mir scheint, ich kenne eine Flüssigkeit, welche die Rosen so vertrocknen läßt.«

Schauernd warf sie den Strauß von sich.

»Das würde mir das Aussehen der Nasenlöcher und die Auflösung des Fleisches auf der Stirn erklären; doch die Lippen?«

Katharina lief in den Speisesaal, die Bedienten hatten nicht gelogen, nichts war seit dem Ende des Mahles berührt worden.

Die am Rande der Tafel liegende Hälfte einer Pfirsich, der ein Halbkreis von Zähnen eingedrückt war, fesselte besonders Katharinas Aufmerksamkeit.

Diese Frucht, so frischrot im Herzen, war geschwärzt wie die Rose und hatte im Innern marmorartig violette und braune Flecken. Die zerfressende Tätigkeit zeichnete sich besonders an dem Schnitte an der Stelle aus, wo das Messer hatte durchkommen müssen.

»Das ist für die Lippen,« sagte sie; »doch Franz hat nur einen Biß in diese Frucht getan. Er hatte diesen Strauß, dessen Blumen noch frisch sind, nicht lange in seiner Hand gehalten, das Übel ist nicht ohne Gegenmittel, das Gift kann nicht tief eingedrungen sein.

»Doch wenn es nur oberflächlich gewirkt hat, warum diese völlige Lähmung und diese vorgeschrittene Zersetzung? Ich muß nicht alles gesehen haben.«

Während Katharina diese Worte sprach, ließ sie ihre Augen abermals umherlaufen und sah an seinem Stabe von Rosenholz, durch seine goldene Kette gehalten, den rot und blau gefärbten Lieblingspapagei des Prinzen hängen. Der Vogel war tot, steif, seine Flügel waren gesträubt.

Katharina schaute ängstlich nach dem Licht zurück, mit dem sie sich schon einmal beschäftigt hatte, um aus dessen gänzlichem Verbrennen zu erkennen, daß der Prinz früh in sein Gemach zurückgekehrt war.

»Der Rauch!« sagte Katharina zu sich selbst, »der Rauch! Der Docht der Kerze war vergiftet, mein Sohn ist tot.«

Sogleich rief sie. Das Zimmer füllte sich mit Dienern und Offizieren.

»Miron! Miron!« sagten die einen.

»Einen Priester!« sagten die andern.

Doch während dieser Zeit hielt die Königinmutter an die Lippen des Toten ein Fläschchen, das sie beständig in ihrer Tasche trug, und beobachtete die Züge, um die Wirkung des Gegengiftes zu beurteilen. Der Herzog öffnete noch einmal die Augen und den Mund, doch in seinen Augen glänzte kein Blick mehr, in seine Kehle stieg die Stimme nicht mehr empor.

Düster und stumm entfernte sich Katharina aus dem Zimmer, wobei sie den beiden Dienern ein Zeichen machte, daß sie ihr folgten, ehe sie mit irgend jemand gesprochen hätten. Sie führte sie sodann in einen andern Pavillon, wo sie sich, beide unter ihrem Blicke haltend, niedersetzte.

»Der Herr Herzog von Anjou,« sagte sie, »ist beim Abendessen vergiftet worden; Ihr habt ihm dieses Abendessen gereicht.«

Bei diesen Worten sah man das Gesicht der Männer Todesblässe überziehen.

»Man foltere uns,« sagten sie, »man töte uns, aber man beschuldige uns nicht.«

»Ihr seid Dummköpfe; glaubt ihr, wenn ich einen Verdacht gegen euch hätte, die Sache wäre nicht schon abgemacht? Ich weiß wohl, Ihr habt euren Herrn nicht ermordet, doch andere haben es getan, und ich muß die Mörder kennen. Wer ist in den Pavillon gekommen?«

»Ein elend gekleideter alter Mann, den der Herzog seit zwei Tagen empfing.«

»Aber . . . die Frau?«

»Wir haben sie nicht gesehen . . . Welche Frau meint Eure Majestät?«

»Es ist eine Frau dagewesen, die einen Strauß gemacht hat.«

Die Diener schauten sich mit solcher Einfalt an, daß Katharina mit einem einzigen Blicke ihre Unschuld erkannte.

»Man hole mir den Gouverneur der Stadt und den Gouverneur des Schlosses,« sagte sie.

Die Diener stürzten nach der Tür.

»Wartet einen Augenblick!« rief Katharina, die sie mit diesem einzigen Wort wie auf die Schwelle nagelte. »Nur ihr allein und ich, nur wir wissen, was ich euch gesagt habe; ich werde es niemand weiter sagen; wenn es jemand erfährt, so erfährt er es durch einen von euch; an diesem Tage sterbt ihr beide. Geht!«

Katharina befragte die Gouverneure weniger offen. Sie sagte ihnen nur, der Herzog habe von einer gewissen Person eine schlimme Kunde erhalten, die ihn tief ergriffen, dies sei die Ursache seines Übels, wenn man die Personen abermals befragte, würde sich der Herzog vielleicht von seiner Erschütterung erholen. Die Gouverneure ließen die Stadt, den Park, die Umgegend durchforschen, niemand wußte, was aus Rémy und Diana geworden. Henri allein kannte das Geheimnis, doch es war keine Gefahr, daß er es enthüllte.

Gedeutet, übertrieben, verstümmelt, durchlief die gräßliche Nachricht den ganzen Tag Château-Thierry und die Provinz; jeder erklärte nach seinem Charakter und seinem Verständnis den Unfall, der dem Herzog widerfahren war. Doch niemand, mit Ausnahme Katharinas und du Bouchages, glaubte, daß der Herzog ein toter Mann sei.

Der unglückliche Prinz erlangte weder die Stimme noch das Gefühl wieder; er gab vielmehr kein Zeichen des Bewußtseins mehr von sich.

Von finsteren Eindrücken heimgesucht, was er am meisten in der Welt fürchtete, wäre der König gern nach Paris zurückgekehrt; doch die Königin-Mutter widersetzte sich seiner Abreise, und der Hof war genötigt, im Schloß zu bleiben.

Die Ärzte kamen in Menge herbei; Miron allein erriet die Ursache des Übels und erkannte seine verhängnisvolle Bedeutung; doch er war zu sehr Höfling, um nicht die Wahrheit zu verschweigen, besonders nachdem er sich mit Katharinas Blicken beraten hatte. Man befragte ihn von allen Seiten, und er antwortete, sicher habe der Herzog großen Kummer und heftige Schläge erlitten. Er kompromittierte sich also nicht, was sehr schwierig in solchen Fällen ist. Als ihn Heinrich III. ersuchte, er möge bejahend oder verneinend die Frage: »Wird der Herzog leben?« beantworten; da antwortete er: »In drei Tagen werde ich es Eurer Majestät sagen.«

»Und was werdet Ihr mir sagen?« fragte Katharina mit leiser Stimme. – »Euch, Madame, das ist etwas anderes; ich werde ohne Zögern antworten.«

»Was?« – »Eure Majestät befrage mich.«

»An welchem Tage wird mein Sohn tot sein, Miron?« – »Morgen abend, Madame.«

»So bald!« – »Ah! Madame,« flüsterte der Arzt, »die Dosis war auch gar zu stark.«

Katharina legte einen Finger auf ihre Lippen, schaute den Sterbenden an und wiederholte ganz leise ihr unheilvolles Wort: »Verhängnis!«



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