Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die vier Winde.

Chicot ritt auf seinem kleinen Pferde, das ein sehr starkes Pferd sein mußte, um eine so große Person zu tragen, nach Fontainebleau, wo er über Nacht blieb, und machte am anderen Morgen eine Wendung nach rechts, einem kleinen Dorfe namens Orgeval zu. Er hätte gern an diesem Tage noch einige Meilen zurückgelegt, denn es schien ihn zu drängen, sich von Paris zu entfernen, aber sein Roß fing an, so häufig zu stolpern, daß er glaubte anhalten zu müssen.

Überdies hatten seine sonst so geübten Augen den ganzen Weg entlang nichts bemerkt. Menschen, Wagen, Barrieren waren ihm völlig harmlos vorgekommen.

Doch obgleich scheinbar sicher, lebte Chicot nicht in Sicherheit; niemand, unsere Leser müssen dies wissen, glaubte und traute weniger dem Anschein als Chicot.

Ehe er sich niederlegte und sein Pferd rasten ließ, untersuchte er mit der größten Sorgfalt das ganze Haus. Man zeigte ihm sehr hübsche Zimmer mit drei oder vier Eingängen, doch nach Chicots Ansicht hatten diese Zimmer nicht nur zu viele Türen, sondern die Türen schlossen auch nicht gut genug.

Der Wirt hatte ein großes Kabinett ausbessern lassen, mit einer einzigen Tür, die auf die Treppe ging und im Innern mit furchtbaren Riegeln versehen war.

In diesem Kabinett ließ er sich ein Bett aufschlagen. Er ließ die Riegel in ihren Schließkappen spielen, bestellte das Abendessen in sein Kabinett, speiste, verbot den Tisch wegzunehmen unter dem Vorwand, es befalle ihn oft in der Nacht ein Heißhunger, entkleidete sich sodann, legte seine Kleider auf einen Stuhl und ging zu Bette.

Doch ehe er zu Bette ging, zog er zu größerer Sicherheit seine Börse oder vielmehr den Sack mit Talern aus seinen Kleidern und legte ihn mit seinem guten Schwerte unter sein Kopfkissen. Dann wiederholte er dreimal in seinem Geiste den Brief.

Der Tisch bildete für ihn ein zweites Fort, und dennoch dünkte ihm dieser Wall nicht stark genug; er stand auf, nahm einen Schrank in seine Arme und stellte ihn vor den Ausgang, den er dadurch hermetisch verschloß. Er hatte also zwischen sich und jedem möglichen Angriffe eine Tür, einen Schrank und einen Tisch.

Das Wirtshaus hatte Chicot beinahe unbewohnt geschienen. Der Wirt hatte ein ehrliches Gesicht; es ging an diesem Abend ein Wind, um den Ochsen die Hörner auszureißen, und man hörte in den benachbarten Bäumen das furchtbare Krachen, das ein so süßes, so gastliches Geräusch für den wohlbewahrten, in einem guten Bett ausgestreckten Reisenden ist.

Nachdem Chicot alle seine Verteidigungsanstalten getroffen hatte, versenkte er sich behaglich in sein Lager. Es ist nicht zu leugnen, das Bett war weich und so eingerichtet, daß es einen Mann vor jeder Beunruhigung bewahrte, käme sie von Menschen oder Dingen.

Als Mann von Geist nahm Chicot noch ein neu erschienenes Buch eines Maire von Bordeaux, den man Montagne oder Montaigne nannte, vor. Es geschah indessen, daß er, während er sein achtes Kapitel las, entschlief. Die Lampe brannte noch; die Tür war, durch den Schrank und den Tisch befestigt, geschlossen; das Schwert lag mit den Talern unter dem Kopfkissen. Der Erzengel Michael würde geschlafen haben wie Chicot, ohne an Satan zu denken, selbst wenn er den brüllenden Löwen jenseits der Tür gehabt hätte . . .

Während er jedoch schlief, kam es Chicot vor, als ob der Sturm heftiger würde, und besonders, als ob er auf eine ungewöhnliche Weise näherkäme. Plötzlich erschüttert ein Windstoß von unbesiegbarer Kraft die Tür, sprengt Schließkappen und Riegel und schlägt an den Schrank, der sein Gleichgewicht verliert, auf die Lampe fällt, die erlischt, und den Tisch umstürzt.

Es war Chicot gegeben, während er gut schlief, leicht und rasch und mit aller Geistesgegenwart zu erwachen; diese Geistesgegenwart deutete ihm an, lieber in den Gang hinter dem Bett zu schlüpfen, als vorn hinauszusteigen. Während er nun in den Bettgang schlüpfte, fuhren seine raschen, geübten Hände links nach dem Geldsack und rechts nach dem Griffe des Schwertes.

Chicot riß die Augen weit auf. Es war tiefe Nacht. Chicot öffnete die Ohren, und es schien ihm, als ob diese Nacht buchstäblich durch den Kampf der vier Winde zerrissen würde, die sich das ganze Zimmer streitig machten . . . von dem Schrank, den der Tisch immer mehr zerdrückte, bis zu den Stühlen, die rollten und sich stießen, während sie sich an die anderen Gerätschaften anhingen.

Bei diesem ganzen Lärm kam es Chicot vor, als wären die vier Windgötter in Fleisch und Knochen bei ihm eingetreten, und als hätte er es mit Eurus, Notus, Aquilo und Boreas mit ihren dicken Backen und besonders mit ihren dicken Füßen zu tun.

Chicot fügte sich, weil er begriff, daß er gegen diese Götter nichts zu tun vermochte, und kauerte sich in die Ecke seines Bettganges. Nur hielt er die Spitze seines Schwertes vorgestreckt gegen den Wind oder vielmehr gegen die Winde. Nach einigen Minuten des abscheulichsten Gepolters, das je ein menschliches Ohr zerrissen, benutzte Chicot jedoch einen Augenblick der Rast und schrie: »Zu Hilfe!«

Kurz, Chicot machte ganz allein so viel Lärm, daß die Elemente sich besänftigten, und nach sechs oder acht Minuten, während deren Eurus, Notus, Boreas und Aquilo sich fechtend zurückzugehen schienen, kam der Wirt mit einer Laterne und beleuchtete das Drama.

Die Szene, auf der es gespielt hatte, bot einen kläglichen Anblick und glich sehr einem Schlachtfelde. Der große Schrank entblößte, auf den zermalmten Tisch gestürzt, die angellose Tür, die, nur noch von einem Riegel gehalten, hin und her schwankte wie das Segel eines Schiffes; die drei oder vier Stühle des Kabinetts hatten den Rücken umgedreht und die Füße in der Luft. Das Geschirr, das auf dem Tisch gestanden hatte, lag, in tausend Stücke zerbrochen, auf dem Boden.

»Ist denn hier die Hölle los!« rief Chicot, als er den Wirt beim Scheine der Laterne erkannte.

»Ah! mein Herr,« rief der Wirt, da er den furchtbaren Schaden bemerkte, der angerichtet war; »oh! mein Herr, was ist denn geschehen?«

Und er hob die Hände und folglich auch seine Laterne zum Himmel.

»Sprecht, mein Freund, wieviel Teufel wohnen bei Euch?« brüllte Chicot.

»Oh! Jesus! Welch ein Wetter!« erwiderte der Wirt mit derselben pathetischen Gebärde.

»Eure Riegel halten also nicht?« fuhr Chicot fort, »Euer Haus ist ein Kartenhaus? Ich will lieber von hier weggehen, ich ziehe das freie Feld vor.«

Und Chicot erhob sich aus seinem Bettgange und erschien, das Schwert in der Hand, in dem Raum, der zwischen dem Fuße des Bettes und der Wand freigeblieben war.

»Oh! Meine armen Möbel!« seufzte der Wirt.

»Und meine Kleider!« rief Chicot. »Wo sind sie, meine Kleider, die auf diesem Stuhle lagen?« – »Eure Kleider,« erwiderte der Wirt mit großer Naivität, »wenn sie hier waren, so müssen sie noch hier sein.«

»Wie . . . wenn sie hier waren, glaubt Ihr denn etwa, ich sei gestern in dem Kostüm gekommen, in dem Ihr mich jetzt seht?« Hierbei suchte sich Chicot vergebens in sein leichtes Hemd zu hüllen. – »Mein Gott!« sagte der Wirt, verlegen, was er auf ein solches Argument antworten sollte, »ich weiß wohl, daß Ihr angekleidet wart.«

»Es ist ein Glück, daß Ihr dies zugesteht.« – »Aber . . .«

»Was aber?« – »Der Wind hat alles geöffnet, alles zerstreut.«

»Ah! das ist ein Grund.« – »Ihr seht wohl,« rief der Wirt lebhaft.

»Wenn der Wind irgendwo hereinkommt, so kommt er doch aber von außen.« – »Ganz gewiß.«

»Wohl! der Wind mußte also, da er hier hereinkam, die Kleider von anderen in mein Zimmer bringen, statt die meinigen, ich weiß nicht wohin, fortzutragen.« – »Oh! bei Gott, ja, das scheint mir so. Indessen ist der Beweis vom Gegenteil vorhanden, oder er scheint vorhanden zu sein.«

»Gevatter,« sagte Chicot, der mit seinem forschenden Auge den Boden untersucht hatte, »Gevatter, welchen Weg hat der Wind genommen, um mich hier aufzufinden?« – »Wie beliebt?«

»Ich frage, woher der Wind komme.« – »Von Norden, mein Herr, von Norden.«

»Er ist im Kot marschiert, denn hier sind Eindrücke seiner Schuh« auf dem Boden.« Chicot bezeichnete wirklich auf den Platten die frische Spur einer kotigen Fußbekleidung. – Der Wirt erbleichte.

»Soll ich Euch nun einen guten Rat geben,« sagte Chicot, »so ist es der, daß Ihr solche Winde gut bewacht, die in die Wirtshäuser kommen, die Türen sprengen, in die Zimmer eindringen und, wenn sie sich entfernen, die Kleider der Reisenden stehlen.«

Der Wirt wich zwei Schritte zurück, um sich von all dem umgeworfenen Gerät freizumachen und dem Hausflur nahezukommen. Dann sagte er: »Warum nennt Ihr mich einen Dieb?«

»Ei! was habt Ihr denn mit Eurem ehrlichen, gutmütigen Gesicht gemacht?« fragte Chicot; »ich finde Euch ganz verändert.« – »Ich verändere mich, weil Ihr mich beleidigt.«

»Ich?« – »Allerdings,« versetzte der Wirt mit einem noch stärkeren Tone, der beinahe einer Drohung glich.

»Ich nenne Euch einen Dieb, weil Ihr für meine Sachen verantwortlich seid, wie mir scheint, und weil man mir meine Sachen gestohlen hat; Ihr werdet das nicht leugnen?« Und nun war es Chicot, der eine Gebärde der Drohung machte.

»Holla!« rief der Wirt, »holla! herbei, ihr Leute!«

Auf diesen Ruf erschienen vier mit Stöcken bewaffnete Männer auf der Treppe.

»Alle Wetter! Hier kommen Eurus, Notus, Aquilo und Boreas!« rief Chicot. »Da sich die Gelegenheit bietet, so will ich die Erde des Nordwinds berauben; ich leiste der Menschheit dadurch einen Dienst; es wird ein ewiger Frühling sein.«

Und er führte einen so gewaltigen Streich in der Richtung des nächsten Angreifers, daß dieser, hätte er nicht mit der Leichtigkeit eines wahren Windgottes einen Sprung rückwärts gemacht, tot niedergestreckt worden wäre.

Da er jedoch dabei Chicot anschaute und folglich nicht rückwärts sehen könnte, so fiel er auf den Rand der letzten Stufe der Treppe, die er, unfähig, seinen Schwerpunkt zu behaupten, hinunterrollte. Das war ein Signal für die drei anderen, welche durch die vor ihnen oder vielmehr hinter ihnen geöffnete Mündung mit der Geschwindigkeit von Gespenstern verschwanden, die sich in eine Falltür stürzen.

Der letzte, der verschwand, fand indessen, während seine Gefährten hinabeilten, Zeit, dem Wirte einige Worte ins Ohr zu sagen.

»Es ist gut, es ist gut!« brummte dieser, »man wird Eure Kleider wiederfinden.«

»Das ist alles, was ich verlange.« – »Und man wird sie Euch bringen.«

»Gut, gut! nicht nackt zu gehen, ist, wie mir scheint, ein billiger Wunsch.«

Man brachte wirklich die Kleider.

»Oh! oh!« rief Chicot. »Ich muß Euch eine Ehrenklärung geben! Wie konnte ich Euch im Verdacht haben! Ihr seht so ehrlich aus!«

Der Wirt lächelte gar lieblich und erwiderte: »Und nun werdet Ihr wohl wieder schlafen, denke ich?« – »Nein, ich danke, ich habe genug geschlafen.«

»Was wollt Ihr denn tun?« – »Ihr leiht mir Eure Laterne, wenn's beliebt, und ich lese,« antwortete Chicot mit derselben Freundlichkeit.

Der Wirt sagte nichts, er reichte nur Chicot die Laterne und entfernte sich. Chicot richtete den Schrank wieder an der Tür auf und steckte sich in sein Bett.

Die Nacht war ruhig; der Wind hatte sich gelegt, als wäre Chicots Schwert in den Schlauch gedrungen, der ihn enthielt.

Bei Tagesanbruch verlangte der Gesandte sein Pferd, bezahlte seine Rechnung und sagte, als er wegritt: »Wir werden heute abend sehen.«



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