Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Der Brief des Herrn von Mayenne.

Die Herzogin bemächtigte sich des Briefes, öffnete ihn und las gierig, ohne daß sie nur die Eindrücke zu verbergen suchte, die sich auf ihrem Antlitz wie Wolken auf dem Grunde eines stürmischen Himmels folgten.

Als sie geendigt hatte, reichte sie Mayneville, der ebenso unruhig war wie sie, den Brief; und er las folgendes:

»Meine Schwester, ich wollte selbst das Geschäft eines Leutnants oder eines Fechtmeisters besorgen und bin dafür bestraft worden.

»Ich habe einen guten Degenstich von dem bewußten Burschen bekommen, mit dem ich schon so lange in Rechnung stehe. Das schlimmste ist, daß er mir fünf von meinen Leuten getötet hat, worunter Boularon und Desnoises, d. h. zwei von meinen Besten; wonach er entflohen ist.

»Ich muß sagen, daß er bei diesem Siege bedeutend von dem Überbringer des Gegenwärtigen unterstützt worden ist, einem reizenden jungen Mann, wie Ihr sehen könnt; ich empfehle ihn Euch; er ist die Diskretion selbst.

»Ein Verdienst, das er, wie ich annehme, bei Euch, meiner vielgeliebten Schwester, haben wird, besteht darin, daß er den Sieger abgehalten, mir den Kopf abzuschneiden; dieser hatte große Lust dazu, da er mir, während ich in Ohnmacht lag, die Larve abriß und mich erkannte.

»Meine Schwester, ich ersuche Euch, den Namen und die Stellung des so diskreten Kavaliers zu entdecken; er ist mir verdächtig, während er mich zugleich interessiert. Auf alle meine Dienstanerbietungen begnügte er sich zu erwidern, der Herr, dem er diene, lasse es ihm an nichts fehlen.

»Ich kann Euch nicht mehr über ihn sagen, denn ich sage Euch alles, was ich weiß; er behauptet, er kenne mich nicht. Beachtet dies wohl!

»Ich leide sehr, doch ich glaube ohne Lebensgefahr. Schickt mir schnell einen Wundarzt; ich liege wie ein Pferd auf Stroh. Der Überbringer wird Euch den Ort nennen.

Euer wohlgewogener
Mayenne.«    

Sobald die Herzogin und Mayneville diesen Brief gelesen hatten, schauten sie einander gleich erstaunt an.

Die Herzogin brach zuerst das Schweigen, das am Ende von Ernauton übelgedeutet worden wäre.

»Wem haben wir den ausgezeichneten Dienst zu verdanken, den Ihr uns geleistet, mein Herr?« fragte die Herzogin. – »Einem Manne, der, sooft er kann, dem Schwächeren gegen den Stärkeren beisteht, Madame.«

»Wollt Ihr mir Näheres erzählen?«

Ernauton erzählte alles, was er wußte, und bezeichnete den Ort, wo sich der Herzog aufhielt. Frau von Montpensier und Mayneville hörten ihm mit leicht begreiflichem Interesse zu.

Als er geendigt hatte, fragte die Prinzessin: »Darf ich hoffen, mein Herr, daß Ihr das so gut Begonnene fortsetzen und Euch unserem Hause anschließen werdet?«

Mit dem anmutreichen Tone ausgesprochen, dessen sich die Herzogin bei Gelegenheit so gut zu bedienen wußte, enthielten die Worte nach dem Geständnis, das Ernauton der Ehrendame der Herzogin getan hatte, einen sehr schmeichelhaften Sinn; doch der junge Mann ließ alle Eitelkeit beiseite und führte die Worte auf ihre Bedeutung als den Ausdruck reiner Neugierde zurück.

»Madame,« sagte Ernauton endlich nach einem schweren Kampfe zwischen Liebe und Ehre, »ich habe schon die Ehre gehabt, Herrn von Mayenne zu sagen, mein Herr sei ein guter Herr und überhebe mich durch die Art, wie er mich behandle, der Mühe, einen bessern zu suchen.«

»Mein Bruder sagt mir in seinem Briefe, Ihr hättet ihn nicht zu erkennen geschienen. Warum habt Ihr Euch, da Ihr ihn dort nicht gekannt, hier seines Namens bedient, ihn zu mir zu bringen?« – »Herr von Mayenne schien unerkannt sein zu wollen, Madame, und es wäre auch wirklich nicht angezeigt, daß die Bauern, bei denen er wohnt, wüßten, wem sie Gastfreundschaft gewährten. Hier aber lag dieser Grund nicht mehr vor; der Name des Herrn von Mayenne konnte mir einen Weg zu Euch öffnen, und ich bediente mich seiner; in beiden Fällen glaube ich recht gehandelt zu haben.«

Mayneville schaute die Herzogin an, als wollte er sagen: »Das ist ein kecker Geist, Madame.«

Die Herzogin aber sagte lächelnd zu Ernauton: »Niemand wüßte sich besser mit einer schlimmen Frage abzufinden, und Ihr seid, ich muß es gestehen, ein Mann von Geist.« – »Ich sehe keinen Geist in dem, was ich Euch zu sagen die Ehre gehabt hatte, Madame,« erwiderte Ernauton.

»Nun,« sagte die Herzogin ungeduldig, »was ich am klarsten hierbei sehe, ist, daß Ihr nichts sagen wollt. Ihr überlegt vielleicht nicht genug, daß die Dankbarkeit eine schwere Bürde für jeden ist, der meinen Namen führt, daß ich eine Frau bin, daß Ihr mir zweimal einen Dienst geleistet habt, daß ich, wenn ich Euren Namen oder vielmehr, was Ihr seid, erfahren wollte . . .« – »Sehr wohl, Madame, ich weiß, daß Ihr dies leicht erfahren werdet, doch Ihr werdet es von einem anderen als von mir erfahren, und ich habe dann nichts gesagt.«

»Er hat immer recht,« sagte die Herzogin, indem sie auf Ernauton einen Blick heftete, der, wenn er in seinem ganzen Ausdruck aufgefaßt wurde, dem jungen Mann mehr Vergnügen machen mußte, als ihm je ein Blick gemacht hatte.

Ernauton verlangte auch nicht mehr und, dem Weinkenner ähnlich, der vom Tische aufsteht, sobald er den besten Wein des Mahles getrunken zu haben glaubt, verbeugte er sich und bat um seine Entlassung.

»Das ist alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte die Herzogin. – »Ich habe meinen Auftrag erfüllt,« sagte der junge Mann; »es bleibt mir nun nichts mehr zu tun, als Eurer Hoheit meine untertänigste Huldigung darzubringen.«

Die Herzogin folgte ihm mit den Augen, ohne seinen Gruß zu erwidern, dann rief sie, als sich die Tür hinter ihm geschlossen, mit dem Fuße stampfend: »Mayneville, laßt diesem Jungen folgen!« – »Unmöglich, Hoheit, alle unsere Leute sind auf den Beinen; ich selbst erwarte das Ereignis; das ist ein schlimmer Tag, um etwas anderes zu tun, als was wir beschlossen haben.«

»Ihr habt recht, Mayneville, in der Tat, ich bin toll; doch später . . .« – »Oh! später, das ist etwas anderes; nach Eurem Gefallen, Madame.«

»Ja, denn er ist mir verdächtig, wie meinem Bruder.« – »Verdächtig oder nicht, es ist ein tapferer Bursche, und die tapferen Leute sind in diesem Augenblick selten. Man muß gestehen, wir haben Glück; ein Unbekannter, ein Fremder, fällt uns vom Himmel zu, um uns einen solchen Dienst zu leisten.«

»Gleichviel, gleichviel, Mayneville, wenn wir ihn auch im Augenblick sich selbst überlassen müssen, so überwacht ihn wenigstens später.« – »Ei, Madame, später werden wir hoffentlich nicht mehr nötig haben, irgend jemand zu bewachen.«

»Dann weiß ich offenbar heute nicht, was ich sage; Ihr habt recht, Mayneville, ich verliere den Kopf.« – »Es ist einem General, wie Ihr seid, Madame, erlaubt, am Vorabend eines entscheidenden Treffens für nichts anderes Sinn zu haben.«

»Das ist wahr. Nun ist es Nacht, Mayneville, und der Valois kehrt in der Nacht von Vincennes zurück.« – »Oh! wir haben noch Zeit vor uns; es ist nicht acht Uhr, Madame, und unsere Leute sind überdies noch nicht eingetroffen.«

»Nicht wahr, sie haben das Losungswort?« – »Alle.«

»Es sind sichere Leute?« – »Erprobte, Madame.«

»Wie kommen sie?« – »Einzeln als Spaziergänger.«

»Wieviel erwartet Ihr?« – »Fünfzig; das sind mehr als Ihr braucht; bedenkt auch, daß wir außer diesen Fünfzig zweihundert Mönche haben, die mindestens so viel wert sind, wie eine gleiche Anzahl Soldaten.«

»Sobald unsere Leute angekommen sind, laßt Eure Mönche sich auf der Straße aufstellen!« – »Sie sind schon benachrichtigt, Madame, sie werden den Weg absperren, die Unsrigen treiben den Wagen gegen sie, die Pforte des Klosters wird geöffnet und braucht sich nur noch hinter dem Wagen zu schließen.«

»Wir wollen zu Abend essen, Mayneville, das wird uns die Zeit vertreiben. Ich bin so ungeduldig, daß ich gern den Zeiger der Pendeluhr vorwärts treiben möchte.« – »Seid unbesorgt, die Stunde wird kommen.«

»Doch unsere Leute, unsere Leute?« – »Sie werden zur geeigneten Stunde hier sein; es hat kaum acht Uhr geschlagen und es ist noch keine Zeit verloren.«

»Mayneville, Mayneville, mein armer Bruder verlangt von mir seinen Wundarzt; der beste Wundarzt, das beste Heilmittel für die Wunde Mayennes wäre ein Schopf von den Haaren des römisch geschorenen Valois. Noch ein Wort, Mayneville,« sagte die Herzogin, indem sie auf der Türschwelle stehen blieb: »Sind unsere Freunde in Paris benachrichtigt?« – »Welche Freunde?«

»Unsere Ligisten?« – »Gott behüte mich, Madame, einen Bürger benachrichtigen, heißt die große Glocke von Notre-Dame läuten. Bedenkt, daß wir, wenn der Schlag getan ist, ehe jemand etwas erfährt, fünfzig Eilboten abzufertigen haben, und dann wird der Gefangene im Kloster in Sicherheit sein; hernach können wir uns gegen eine Armee verteidigen. Wir werden nichts mehr wagen und können von den Dächern des Klosters herabschreien: Der Valois ist in unserer Gewalt!«

»Gut, gut, Ihr seid ein geschickter und kluger Mann, Mayneville, und der Béarner hat recht, wenn er Euch den Ligenführer nennt . . . Wißt Ihr, daß meine Verantwortlichkeit groß ist, Mayneville, und daß nie und in keiner Zeit eine Frau ein Werk, dem ähnlich, das ich träume, unternommen und vollbracht hat?« – »Ich weiß es wohl, Madame, und rate Euch auch nur zitternd.«

»Laßt zuerst die großen Einfaltspinsel töten,« fuhr die Herzogin fort, »die wir an den Wagenschlägen haben reiten sehen; wir können sodann das Ereignis so erzählen, wie es für unsere Interessen vorteilhafter sein wird.« – »Diese armen Teufel töten,« sagte Mayneville, »Ihr glaubt, es sei nötig, sie zu töten, Madame?«

»Loignac? Das ist ein schöner Verlust!« – »Er ist ein braver Soldat.«

»Ein abscheulicher Glücksritter, gerade wie der andere Gaudieb, der rechts am Wagen ritt, mit seinen Glutaugen und seiner schwarzen Haut.«

»Ah! bei diesem würde es mir nicht widerstreben, ich kenne ihn nicht; überdies bin ich Eurer Meinung, Madame, er besitzt eine abscheuliche Miene.«

»Ihr überlaßt ihn mir also?« sagte die Herzogin lachend. – »Oh! von ganzem Herzen, Madame.«

»In der Tat, großen Dank. Ihr werdet übrigens bei dieser ganzen Angelegenheit keine Schuld haben; sie verteidigten den Valois und sind bei dieser Verteidigung getötet worden. Was ich Euch empfehle, ist der junge Mann, der eben hier war. Seht, ob er wirklich weggegangen, und ob es nicht ein von unseren Feinden abgesandter Spion ist.«

»Madame, ich bin zu Euren Befehlen.« Mayneville ging auf den Balkon, öffnete die Läden, streckte den Kopf hinaus und suchte zu sehen. »Oh! wie finster ist die Nacht!« sagte er.

»Eine gute, vortreffliche Nacht,« versetzte die Herzogin; »je finsterer, desto besser; Mut gefaßt also, mein Kapitän.« – »Ja, aber wir werden nichts sehen, Madame, und es ist für Euch doch wichtig zu sehen.«

»Gott, dessen Interessen wir verteidigen, sieht für uns, Mayneville. Seht Ihr Leute vorübergehen?« fragte die Herzogin sodann, indem sie aus Vorsicht die Lichter auslöschte. – »Nein, aber ich höre Pferdegetrappel.«

»Vorwärts, vorwärts! Sie sind es, Mayneville. Alles geht gut.«

Und die Herzogin schaute, ob sie an ihrem Gürtel die berühmte goldene Scheere noch habe, die eine so große Rolle in der Geschichte spielen sollte.



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