Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Bel-Esbat.

Es bedarf keiner Erwähnung, daß Ernauton, den Sainte-Maline so ganz verloren glaubte, im Gegenteil den unerwarteten Lauf seines aufsteigenden Glückes verfolgte.

Anfangs dachte er natürlich, die Herzogin von Montpensier müßte, sobald sie in Paris wäre, im Hotel Guise sein. Er wandte sich also zuerst dorthin.

Als er, nachdem er an die große Pforte geklopft, die ihm mit äußerster Vorsicht geöffnet wurde, die Ehre einer Zusammenkunft mit der Frau Herzogin von Montpensier verlangte, lachte man ihm zuerst ins Gesicht; da er aber auf seinem Begehren bestand, antwortete man ihm, er müsse wissen, daß Ihre Hoheit in Soissons und nicht in Paris wohne.

Ernauton war auf diese Antwort gefaßt, sie beunruhigte ihn nicht im geringsten.

Als er dann erklärte, der Brief sei vom Herzog von Mayenne, und das Schreiben vorwies, sagte der Diener hastig: »Ich weiß nicht, ob Ihr die Frau Herzogin von Montpensier in Paris oder in der Umgegend von Paris finden werdet, doch habt die Güte, Euch ohne Verzug in ein Haus des Faubourg Saint-Antoine zu begeben, das man Bel-Esbat nennt, und das der Frau Herzogin gehört; Ihr könnt es daran erkennen, daß es, wenn Ihr nach Vincennes geht, das erste linker Hand nach dem Kloster der Jakobiner ist; sicher findet Ihr dort irgendeine Person im Dienste der Frau Herzogin, die Euch sagen kann, wo sich die Frau Herzogin in diesem Augenblick befindet.«

Ernauton machte ein Zeichen mit dem Kopf und wandte sich nach dem Faubourg Saint-Antoine. Er hatte keine Mühe, das an die Priorei der Jakobiner stoßende Haus Bel-Esbat zu finden, ohne um Auskunft zu fragen.

Aber auch hier verhielt man sich mißtrauisch und abweisend, bis er Näheres von seiner Sendung mitteilte. Dann entfernte sich der Diener, offenbar um bei seiner Herrin Bescheid zu holen. Bald kam er mit einem anderen Diener zurück.

»Übergebt mir Euer Pferd, mein Herr, und folgt meinem Kameraden!«, sagte er; »Ihr werdet jemand finden, der Euch viel besser als ich antworten kann.«

Ernauton folgte dem Bedienten, wartete einen Augenblick in einem Vorzimmer, bis der Diener seine Meldung gemacht hatte, und wurde in ein kleines, anstoßendes Gemach eingeführt, wo eine ohne Prunk, wenn auch mit einer gewissen Eleganz gekleidete Dame an einer Stickerei arbeitete, die Ernauton den Rücken zuwandte.

»Das ist der Herr, der im Auftrage des Herrn von Mayenne hier erscheint, gnädige Frau,« sagte der Lakai.

Sie machte eine Bewegung. Ernauton stieß einen Schrei aus.

»Ihr, Madame,« rief er, da er zugleich seinen Pagen und seine Unbekannte von der Sänfte in dieser dritten Gestalt erkannte.

»Ihr!« rief ebenfalls die Dame, indem sie ihre Arbeit fallen ließ und Ernauton anschaute.

Dann machte sie dem Lakaien ein Zeichen und hieß ihn weggehen.

»Ihr seid vom Hause der Frau Herzogin von Montpensier?« fragte Ernauton ganz erstaunt.

»Ja,« erwiderte die Unbekannte; »doch wie kommt es, daß Ihr eine Botschaft von Herrn von Mayenne hierherbringt?« – »Durch eine Reihenfolge von Umständen, die ich nicht vorhersehen konnte, und deren Erzählung für Euch zu lange währen würde,« erwiderte Ernauton mit großer Vorsicht.

»Oh! Ihr seid diskret,« sagte lächelnd die Dame. – »Sooft es sein muß, ja, Madame.«

»Ich sehe hier keinen Anlaß zu großer Diskretion, denn wenn Ihr wirklich eine Botschaft bringt von der Person, die Ihr nennt . . .«

Ernauton machte eine Bewegung.

»Oh! keine Aufregung! Wenn Ihr wirklich eine Botschaft von der Person bringt, die Ihr nennt, so ist die Sache interessant genug, daß Ihr in Erinnerung an unsere Bekanntschaft sagt, wie die Botschaft lautet.« – »Madame, Ihr werdet mich nicht veranlassen zu sagen, was ich nicht weiß. Auch habe ich keine mündliche Mitteilung zu machen, Madame, meine ganze Sendung besteht darin, daß ich Ihrer Hoheit einen Brief übergeben soll.«

»Nun also diesen Brief!«, sagte die unbekannte Dame, die Hand ausstreckend. – »Madame, ich glaube die Ehre gehabt zu haben, Euch mitzuteilen, daß dieser Brief an die Frau Herzogin von Montpensier adressiert ist.«

»In Abwesenheit der Frau Herzogin vertrete ich sie hier,« sagte die Dame ungeduldig, »Ihr könnt also . . .« – »Ich kann nicht.«

»Ihr mißtraut mir, mein Herr!« – »Ich müßte es, Madame,« sagte der junge Mann mit einem Blick, in dessen Ausdruck man sich nicht täuschen konnte; »doch trotz der Heimlichkeit Eures Benehmens habt Ihr mir, ich gestehe es, andere Gefühle eingeflößt, als die, von denen Ihr sprecht.«

»Wahrhaftig!« rief die Dame, unter Ernautons entflammtem Blick ein wenig errötend. – Ernanton verbeugte sich.

»Seht an!«, sagte sie lächelnd, »Ihr macht mir eine Liebeserklärung, Herr Bote.« – »Jawohl, Madame,« erwiderte Ernauton, »ich weiß nicht, ob ich Euch wiedersehen werde, und die Gelegenheit ist in der Tat zu kostbar, als daß ich sie entschlüpfen lassen sollte.«

»Dann, mein Herr, begreife ich.« – »Ihr begreift, daß ich Euch liebe, Madame, das ist wahrlich leicht zu begreifen.«

»Nein, ich begreife, warum Ihr hierhergekommen seid.« – »Ah! verzeiht, Madame, nun begreife ich nicht.«

»Ja, ich begreife, daß Ihr, begierig, mich wiederzusehen, einen Vorwand genommen habt, um Euch hier einzuführen.« – »Ich, Madame, einen Vorwand! Ah! Ihr beurteilt mich schlecht; ich wußte nicht, daß ich Euch je wiedersehen sollte, und erwartete alles vom Zufall, der mich schon zweimal auf Euren Weg geworfen hat; doch einen Vorwand nehmen, ich, niemals.«

»Hoho! Ihr seid verliebt, sagt Ihr, und Ihr habt Bedenklichkeiten über die Art und Weise, die Person wiederzusehen, die Ihr liebt? Das ist sehr schön, mein Herr,« sagte die Dame mit einem gewissen spöttischen Stolz; »nun, ich vermutete schon, Ihr hättet Bedenklichkeiten.« – »Warum, Madame, bitte?«

»Ihr begegnetet mir neulich; ich saß in einer Sänfte; Ihr erkanntet mich, und dennoch seid Ihr mir nicht gefolgt.« – »Nehmt Euch in acht, Madame, Ihr gesteht, daß Ihr auf mich aufmerksam gewesen seid.«

»Ah! wahrhaftig, ein schönes Geständnis! Haben wir uns nicht unter Umständen gesehen, die mir den Kopf aus dem Schlage zu beugen gestatten, wenn Ihr vorüberreitet. Doch nein; der Herr entfernte sich im Galopp, nachdem er ein Ach! ausgestoßen, das mich im Grunde meiner Sänfte beben ließ.« – »Ich war gezwungen, mich zu entfernen.«

»Durch Eure Bedenklichkeiten?« – »Nein, Madame, durch meine Pflicht.«

»Ah! ah!« sagte lächelnd die Dame, »ich sehe, daß Ihr ein vernünftiger, umsichtiger Verliebter seid, und daß Ihr vor allem fürchtet, Euch zu kompromittieren.« – »Dürfte man sich wundern, wenn Ihr mir einiges Bedenken eingeflößt hättet? Ist es üblich, daß sich eine Frau als Mann kleidet und mit Gewalt durch die Tore dringt, um auf der Grève einen Unglücklichen vierteilen zu sehen, und zwar mit mehr als unbegreiflichen Handbewegungen?«

Die Dame erbleichte leicht und verbarg ihre Betroffenheit unter einem Lächeln.

Ernauton fuhr fort: »Ist es natürlich, daß die Dame, nachdem sie sich dieses Vergnügen gemacht hat, festgenommen zu werden fürchtet und wie eine Diebin entflieht, sie, die im Dienste von Frau von Montpensier steht, dieser mächtigen wenn auch bei Hofe übel gelittenen Fürstin?« – Diesmal lächelte die Dame aufs neue, doch mit stärker hervortretender Ironie.

»Ihr habt wenig Scharfsinn, mein Herr, obgleich Ihr ein Beobachter zu sein glaubt. War es nicht sehr natürlich, daß sich die Herzogin von Montpensier für das Schicksal Salcèdes und seine das Haus Lothringen leicht kompromittierenden Geständnisse interessierte, und daß sie eine Vertraute zur Hinrichtung entsandte? Diese Vertraute war ich. Glaubt Ihr, ich hätte nach Paris hineinkommen können, während alle Tore verschlossen waren. Glaubt Ihr, ich hätte in Frauenkleidern auf die Grève gelangen können? Glaubt Ihr endlich, ich hätte gleichgültig bei den Leiden des Verurteilten und bei den von ihm beabsichtigten Geständnissen bleiben können?« – »Ihr habt vollkommen recht, Madame, und ich schwöre Euch, ich bewundere nun ebensosehr Euren Geist und Eure Logik, wie ich vorher schon Eure Schönheit bewunderte.«

»Großen Dank, mein Herr. Doch da wir einander nun kennen, und die Dinge unter uns erklärt sind, gebt mir nun den Brief.« – »Unmöglich, Madame.«

Die Unbekannte strengte sich an, nicht in Zorn zu geraten. »Unmöglich?« wiederholte sie. – »Ja, unmöglich, denn ich habe dem Herrn Herzog von Mayenne geschworen, diesen Brief nur der Frau Herzogin von Montpensier selbst zu übergeben.«

Als die Dame darauf wieder der Ansicht Ausdruck gab, es handle sich nur um eine Finte Ernautons, und hinzufügte, nun habe er seinen Zweck erreicht, und sie seien beide quitt, reichte er der Dame den Brief, doch ohne ihn loszulassen.

Die Unbekannte schaute das Schreiben an und rief: »Seine Handschrift! Blut!«

Ohne etwas zu erwidern, steckte Ernauton seinen Brief wieder in die Tasche, verbeugte sich zum letztenmal mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit und kehrte, bleich, den Tod im Herzen, zum Eingang des Zimmers zurück. Diesmal lief man ihm nach und faßte ihn, wie Josef, am Mantel.

»Was beliebt, Madame?« sagte er. – »Habt Mitleid, mein Herr, verzeiht!«, rief die Dame, »verzeiht, sollte dem Herzog ein Unfall begegnet sein?« – »Ob ich verzeihe oder nicht verzeihe, das ist ganz einerlei,« sagte Ernauton; »was aber diesen Brief betrifft, da Ihr nun um Verzeihung bittet, um ihn zu lesen, und da Frau von Montpensier allein ihn lesen wird . . .«

»Ei! du Unglücklicher, du Wahnsinniger,« rief die Herzogin mit einer Wut voll Majestät, »erkennst du mich nicht, oder vielmehr errätst du in mir nicht deine Gebieterin, und siehst du hier die Augen einer Magd glänzen? Ich bin die Herzogin von Montpensier, übergib mir den Brief!« – »Ihr seid die Herzogin?« rief Ernauton, erschrocken zurückweichend.

»Allerdings. Vorwärts, gib, gib! Siehst du nicht, daß es mich drängt zu erfahren, was meinem Bruder begegnet ist?« – Doch statt zu gehorchen, wie es die Herzogin erwartete, kreuzte der junge Mann, der sich von seinem Erstaunen erholte, die Arme und sagte: »Wie soll ich Euren Worten glauben, da Euer Mund mir schon zweimal gelogen hat.«

Die Augen der Herzogin schleuderten zwei tödliche Blitze; doch Ernauton hielt die Flamme mutig aus.

»Ihr zweifelt noch, Ihr braucht Beweise, wenn ich versichere,« rief sie gebieterisch, indem sie ihre Spitzenmanschetten mit den Nägeln zerriß.

»Ja, Madame,« antwortete Ernauton kalt.

Die Unbekannte stürzte nach einem Glöckchen, das sie beinahe zerbrach, so heftig war der Schlag, den sie darauf tat.

Der Klang ertönte scharf durch alle Gemächer, und ehe das Schwingen aufgehört hatte, fragte der Diener: »Was will Madame?«.

Die Unbekannte stampfte wütend mit dem Fuß und rief: »Mayneville, ich will Mayneville. Ist er denn nicht hier?« – »Doch, gnädige Frau.«

»Er komme also!«

Der Bediente eilte aus dem Zimmer; eine Minute nachher trat Mayneville hastig ein.

»Zu Euren Befehlen, Madame,« sagte Mayneville.

»Madame, seit wann nennt man mich schlechtweg Madame, Herr von Mayneville?« rief die Herzogin außer sich.

»Eurer Hoheit zu Befehl!« sagte Mayneville und verbeugte sich, im höchsten Maße erstaunt.

»Es ist gut!« sagte Ernauton, »denn ich habe mir gegenüber einen Edelmann, und wenn er mich belügt, so werde ich, beim Himmel! wenigstens wissen, an wen ich mich zu halten habe.«

»Ihr glaubt also endlich?« versetzte die Herzogin.

»Ja, gnädige Frau, ich glaube, und zum Beweis übergebe ich Euch hiermit den Brief.«

Und der junge Mann verbeugte sich und überreichte Frau von Montpensier den so lange streitig gemachten Brief.



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