Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Heinrich erhält Kunde aus dem Norden.

Ganz außer sich, vermochte der König kaum den Brief zu lesen, den ihm Chicot gegeben hatte.

Während er das Lateinische des Béarners mit Zuckungen der Ungeduld, die den Boden zittern ließen, entzifferte, bewunderte Chicot vor einem großen, venezianischen Spiegel seine Haltung und den unendlichen Liebreiz, den seine Person unter dem militärischen Kleide angenommen hatte.

Unendlich war das rechte Wort, denn Chicot hatte nie so großartig ausgesehen; auf seinem etwas kahlen Haupte saß eine kegelförmige Pickelhaube nach der Art der deutschen Sturmhauben; und er war im Augenblick damit beschäftigt, daß er seinen, durch die Reibung der Waffen befleckten, büffelledernen Koller, den er, um zu frühstücken, abgelegt hatte, wieder befestigte; während er darauf seinen Panzer zuschnallte, ließ er überdies auf dem Boden Sporen klirren, die mehr geeignet waren, einem Pferde den Bauch aufzuschlitzen, als es anzutreiben.

»Oh! ich bin verraten!« rief Heinrich, als er zu Ende gelesen hatte, »der Béarner hatte einen Plan, und ich ahnte nichts davon.«

»Mein Sohn,« erwiderte Chicot, »du kennst das Sprichwort: Stille Wasser sind tief.«

»Geh zum Teufel mit deinen Sprichwörtern!«

Chicot ging auf die Tür zu, als wollte er gehorchen.

»Nein, bleibe!«

Chicot blieb stehen.

»Cahors genommen!« fuhr Heinrich fort. – »Und zwar auf eine ganz artige Weise.«

»Er hat also Generäle, Ingenieure?« – »Keineswegs, der Béarner ist zu arm hierzu; wie sollte er sie bezahlen? Nein, er tut alles selbst.«

»Und . . . er schlägt sich?« sagte Heinrich mit einer gewissen Verachtung. – »Ich wage nicht zu behaupten, daß er es von vornherein mit großer Begeisterung getan hat, aber dann stürzte er sich köpflings in das Treffen und schwamm im geschmolzenen Blei und im Feuer wie ein Salamander.«

»Teufel, Teufel!« machte Heinrich. – »Und ich versichere dir, Heinrich, es wurde dort warm gestritten.«

Der König stand hastig auf und ging mit großen Schritten im Saal auf und ab.

»Das ist eine Niederlage für mich!« rief er; »man wird über mich lachen, man wird Verse über mich machen. Diese Spitzbuben von Gaskognern sind Spottvögel, und ich höre schon, wie sie ihre Zähne wetzen, und sehe sie zu den furchtbaren Melodien ihrer Sackpfeifen lächeln. Gottes Tod! zum Glück habe ich den Gedanken gehabt, Franz die so dringend verlangte Hilfe zu schicken; Antwerpen wird mich für Cahors entschädigen, der Norden wird die Fehler des Südens tilgen.«

»Amen,« sagte Chicot, indem er zart, um seinen Nachtisch zu vollenden, die Finger in die Konfektbüchsen und Kompottschalen des Königs tauchte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Huissier meldete: »Der Herr Graf du Bouchage!«

»Oh!« rief Heinrich, »ich sagte es dir, Chicot, hier erhalte ich Nachricht. Tretet ein, Graf, tretet ein.«

Der Huissier hob den Vorhang auf, und man sah im Rahmen der Tür den jungen Mann, einem Porträt von Holbein oder Titian ähnlich, erscheinen. Er schritt langsam vor und beugte das Knie mitten auf dem Teppich des Zimmers.

»Immer bleich,« rief der König, »immer traurig. Höre, mein Freund, nimm für einen Augenblick dein Festgesicht an und sage mir nicht Gutes mit einer schlimmen Miene; sprich geschwind, du Bouchage, denn mich dürstet nach deiner Erzählung. Du kommst von Flandern?« – »Ja, Sire.«

»Und rasch, wie ich sehe.« – »Sire, so schnell, wie es ein Mensch auf Erden zu tun vermag.«

»Sei willkommen. Antwerpen, wie steht es mit Antwerpen?« – »Antwerpen gehört dem Prinzen von Oranien, Sire.«

»Dem Prinzen von Oranien, was soll das heißen? Marschierte mein Bruder nicht nach Antwerpen?« – »Ja, Sire, doch nun marschiert er nicht mehr nach Antwerpen, sondern nach Château-Thierry.«

»Er hat das Heer verlassen?« – »Er hat kein Heer mehr, Sire.«

»Oh!« machte der König, auf seinen Knien wankend und in seinen Lehnstuhl zurückfallend; »aber Joyeuse?« – »Sire, mein Bruder hat, nachdem er mit seinen Seeleuten Wunder der Tapferkeit verrichtet, nachdem er den ganzen Rückzug gehalten, die wenigen Leute, die dem Unglück entkamen, gesammelt und mit ihnen ein Geleit für den Herrn Herzog von Anjou gebildet.«

»Eine Niederlage,« murmelte der König. Doch plötzlich rief er, mit einem seltsamen Blitz im Auge: »Die Flamländer sind also für meinen Bruder verloren?« – »Durchaus, Sire.«

»Ohne Wiederkehr?« – »Ich fürchte es.«

Die Stirn des Fürsten klärte sich allmählich wie unter dem Lichte eines inneren Gedankens auf.

»Der arme Franz,« sagte er lachend, »er hat Unglück mit den Kronen. Er hat die von Navarra verfehlt; er hat die Hand nach der von England ausgestreckt; er hat die von Flandern berührt; wetten wir, du Bouchage, daß er nie regieren wird, der arme Bruder, er, der doch so große Lust danach trägt.«

»Ei, mein Gott! es ist immer so, wenn man nach etwas Lust hat!« sagte Chicot mit feierlichem Tone.

»Und wieviel Gefangene?« – »Ungefähr zweitausend.«

»Wieviel Tote?« – »Wenigstens ebensoviel. Herr von Saint-Aignan ist darunter.«

»Wie! er ist tot, der arme Saint-Aignan?« – »Ertrunken.«

»Ertrunken! Ihr habt euch also in die Schelde gestürzt?« – »Nein, die Schelde hat sich auf uns gestürzt.«

Der Graf gab nun dem König eine genaue Erzählung von der Schlacht und der Überschwemmung. Heinrich hörte ihn von Anfang bis Ende mit einer Haltung, einem Stillschweigen und einer Miene an, denen es nicht an Majestät gebrach.

Dann kniete er vor seinem Betpult im Nebenzimmer nieder, verrichtete sein Gebet und kehrte einen Augenblick nachher mit einem vollkommen erheiterten Gesicht zurück.

»Ich hoffe, ich nehme die Dinge wie ein König hin,« sagte er. »Ein vom Herrn unterstützter König ist wirklich kein Mensch mehr. Auf, Graf, ahme mir nach, und da dein Bruder gerettet ist, wie, Gott sei Dank, der meinige, nun, so wollen wir uns fassen!« – »Ich bin zu Euren Befehlen, Sire.«

»Was verlangst du als Lohn für deine Dienste, du Bouchage?« – »Sire,« erwiderte der junge Mann, den Kopf schüttelnd, »ich habe keinen Dienst geleistet.«

»Ich bezweifle es; aber jedenfalls hat dein Bruder Dienste geleistet.« – »Ungeheure, Sire.«

»Er hat die Armee gerettet, sagst du, oder vielmehr die Trümmer der Armee?« – »Bei dem, was davon übrig ist, findet sich kein Mann, der nicht sagen wird, er verdanke meinem Bruder das Leben.«

»Nun, du Bouchage, es ist mein Wille, meine Wohltat auf euch beide auszudehnen, und ich ahme hierin dem Allmächtigen nach, der euch so sichtbar begünstigt, indem er euch beide gleich, das heißt, reich, tapfer und schön gemacht hat. Sprich, du Bouchage, was willst du, was verlangst du?« – »Da Eure Majestät mir die Ehre erweist, so liebevoll zu mir zu reden, so wage ich es, ihr Wohlwollen zu benutzen. Ich bin des Lebens müde, Sire, und dennoch widerstrebt es mir, mein Leben abzukürzen, da es Gott verbietet; alle Ausflüchte, die ein Mann von Ehre in einem solchen Falle anwendet, sind Todsünden; ich verzichte also darauf, vor dem Ziele zu sterben, das Gott meinem Leben gesteckt hat; doch die Welt stößt mich ab, und ich werde sie verlassen.«

»Mein Freund!« rief der König.

Chicot schlug die Augen auf und schaute voll Teilnahme den schönen, mutigen, reichen, jungen Mann an, der so verzweifelt redete.

»Sire,« fuhr der Graf mit dem Ausdruck der Entschlossenheit fort; »alles, was mir seit einiger Zeit begegnet, bestärkt mich in diesem meinen Verlangen; ich will mich in die Arme Gottes werfen, der der höchste Tröster der Betrübten ist, wie er zugleich der unumschränkte Herr der Glücklichen dieser Erde ist; habt also die Gnade, Sire, mir die Mittel zu erleichtern, alsbald in einen geistlichen Orden einzutreten, denn mein Herz ist, wie der Prophet sagt, traurig wie der Tod.«

Chicot, der Spötter, unterbrach einen Augenblick die stete Gymnastik seiner Arme und seiner Gesichtsmuskeln, um auf diesen majestätischen Schmerz zu horchen, der so edel, so aufrichtig aus der sanftesten, überzeugendsten Stimme sprach, die Gott je der Jugend und der Schönheit gegeben.

Sein glänzendes Auge erlosch im Schein des trostlosen Blickes des Jünglings, sein ganzer Körper sank voll Mitgefühl mit dieser Entmutigung zusammen, die jede Fiber im Körper des Grafen nicht abgespannt, sondern durchschnitten zu haben schien.

Auch der König fühlte, wie sein Herz beim Anhören dieses schmerzlichen Gesuches schmolz, und er sagte: »Ah! ich verstehe, Freund, du willst in einen geistlichen Orden eintreten, doch du fühlst dich noch Mensch und fürchtest dich vor den Prüfungen?« – »Ich fürchte nicht die strengen Proben, Sire, sondern die Zeit, die sie der Unentschlossenheit lassen; nein, nein, nicht um die Prüfungen zu mildern, die man mir auferlegen wird, denn ich gedenke meinem Körper nichts von den physischen Leiden, meinem Geist nichts von den moralischen Entbehrungen zu schenken, sondern um dem einen oder dem andern jeden Vorwand, zur Vergangenheit zurückzukehren, zu benehmen, mit einem Wort, um aus der Erde jenes Gitter hervorspringen zu lassen, das mich für immer von der Welt trennen soll, und das nach den gewöhnlichen kirchlichen Regeln langsam wächst wie eine Dornhecke.«

»Armer Junge,« sagte der König, »ich glaube, er wird ein guter Prediger werden, nicht wahr, Chicot?«

Chicot antwortete nicht. Du Bouchage fuhr fort: »Ihr begreift, Sire, daß sich in meiner Familie selbst der Kampf entspinnen wird; daß ich bei meinen nächsten Verwandten den heftigsten Widerstand finden werde; mein Bruder, der Kardinal, der zugleich so gut und so weltlich ist, wird tausend Gründe suchen, um mich von meinem Willen abzubringen, und wenn es ihm nicht gelingt, mich zu überreden, wie ich dessen sicher bin, so wird er mit Rom kommen, das Fristen zwischen jeden Grad der Orden stellt, und hier ist Eure Majestät allmächtig, hier werde ich die Kraft des Armes erkennen, den Eure Majestät über meinem Haupte auszustrecken die Gnade hat. Ihr habt mich gefragt, was ich wünsche, Sire; Ihr habt mir versprochen, meinem Wunsche zu entsprechen; mein Wunsch, wie Ihr seht, ist ganz in Gott; erlangt von Rom, daß ich vom Noviziat entbunden werde.«

Der König erhob sich lächelnd aus seiner Träumerei, nahm den Grafen bei der Hand und sagte: »Ich werde tun, was du von mir verlangst, mein Sohn, du willst Gott gehören, und du hast recht, er ist ein besserer Herr als ich. Du sollst nach deinen Wünschen ordiniert werden, lieber Graf, ich verspreche es dir.« – »Eure Majestät erfüllt mich mit Freude!« rief der junge Mann und küßte Heinrich die Hand mit einem Entzücken, als ob er zum Herzog, zum Pair oder zum Marschall von Frankreich ernannt worden wäre. »Es ist also abgemacht.«

»Bei meinem Königswort, bei meiner adligen Ehre.«

Du Bouchages Antlitz verklärte sich; etwas wie ein Lächeln der Verzückung zog über seine Lippen hin; er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem König und verschwand.

»Das ist ein glücklicher, ein sehr glücklicher junger Mann!« rief Heinrich.

»Gut!« versetzte Chicot, »mir scheint, du hast ihn um nichts zu beneiden, er ist nicht kläglicher als du, Sire.«

»Aber, begreifst du denn, Chicot, er wird Mönch werden, er wird sich dem Himmel ergeben.«

»Ei! wer zum Teufel hindert dich denn, dasselbe zu tun? Er verlangt vergeblich Dispense von seinem Bruder, dem Kardinal; doch ich kenne einen Kardinal, der dir alle notwendigen Dispense gibt; dieser steht noch besser mit Rom als du; du kennst ihn nicht? Es ist der Kardinal von Guise.«

»Chicot!«

»Und wenn dich die Tonsur beunruhigt, nun, die schönste Schere der Rue de la Coutellerie, eine goldene Schere, meiner Treu, und die schönsten Hände der Welt werden dir dieses kostbare Symbol geben, das dann die Zahl der Kronen, die du getragen hast, auf drei bringen wird.«

»Schöne Hände, sagst du?« – »Nun! willst du etwa Übles von den Händen der Frau Herzogin von Montpensier sagen, nachdem du so von ihren Schultern gesprochen hast? Welch ein König bist du, und wie streng zeigst du dich in Beziehung auf deine Untertaninnen.«

Der König faltete die Stirn und fuhr über seine Schläfe mit einer Hand hin, die so weiß war, wie die, von denen man sprach, aber sicher mehr zitterte.

»Gut, gut,« sagte Chicot, »lassen wir dies, denn ich sehe, daß dich dieses Gespräch langweilt, und kehren wir zu den Dingen zurück, die mich persönlich interessieren.«

Chicot vollendete eben diese Worte, als der Huissier Nambu von der Türschwelle aus rief: »Ein Bote des Herrn Herzogs von Guise für Seine Majestät.«

»Ist es ein Kurier oder ein Edelmann?« fragte der König. – »Es ist ein Kapitän, Sire.«

»Laßt ihn eintreten, er sei willkommen.«

Zu gleicher Zeit trat ein Gendarmenkapitän in der Felduniform ein und machte die gewöhnliche Verbeugung.



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