Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Sainte-Malines Eindringen und dessen Folgen.

Es war Ernautons erste Sorge, als er die Tür des Vorzimmers unter Streichen Sainte-Malines sich spalten sah, daß er die Kerze ausblies, die das Türmchen erhellte.

Diese Vorsicht diente jedoch nur für den Augenblick und beruhigte keineswegs die Herzogin, als plötzlich die Wirtin, die alle Quellen ihres Geistes erschöpft hatte, zu einem letzten Mittel Zuflucht nahm und dem Gaskogner zurief: »Herr von Sainte-Maline, ich sage Euch, daß die Personen, die Ihr beunruhigt, zu Euren Freunden gehören; die Notwendigkeit zwingt mich, es Euch zu gestehen.«

»Das ist ein Grund mehr, daß wir ihnen unser Kompliment machen,« sagte Perducas von Pincorney mit einer weingrünen Stimme und hinter Sainte-Maline auf der letzten Stufe der Treppe stolpernd.

»Und wer sind diese Freunde, sprecht?«

»Ja, wir wollen sie sehen,« rief Eustache von Miradoux.

In der Hoffnung, einem Streite zuvorzukommen, trat die gute Wirtin mitten unter die gedrängten Reihen der Edelleute und flüsterte dem Angreifer ganz leise den Namen Ernauton ins Ohr.

»Ernauton!« wiederholte mit lauter Stimme Sainte-Maline, bei dem diese Offenbarung Öl statt Wasser ins Feuer goß; »Ernauton! das ist nicht möglich.«

»Und warum?«

»Ja, warum?« wiederholten mehrere Stimmen.

»Ei! bei Gott, weil Ernauton ein Muster der Keuschheit, ein Beispiel der Enthaltsamkeit, eine Sammlung aller Tugenden ist. Nein, nein, Ihr täuscht Euch, Frau Fournichon, Herr von Carmainges ist nicht hier drin.«

Und er näherte sich der zweiten Tür, um hier dasselbe zu tun, was er bei der ersten getan hatte; da öffnete sich plötzlich diese Tür, und Ernauton erschien auf der Schwelle mit einem Gesicht, das keineswegs verkündigte, die Geduld sei eine von seinen Tugenden.

»Mit welchem Rechte hat Herr von Sainte-Maline diese erste Tür zerschmettert?« fragte er, »und mit welchem Rechte will er nun auch die zweite zerschmettern?«

»Ei! er ist es wirklich, es ist Herr Ernauton!« rief Sainte-Maline; »ich erkenne seine Stimme, denn was seine Person betrifft, so soll mich der Teufel holen, wenn ich in der Dunkelheit zu sagen vermöchte, von welcher Farbe sie ist.«

»Ihr antwortet nicht auf meine Frage,« sagte Ernauton.

Sainte-Maline brach in ein geräuschvolles Gelächter aus, was die von den Fünfundvierzig tröstete, die bei Ernautons drohender Stimme es für klug erachtet hatten, auf jeden Fall zwei Stufen hinabzusteigen.

»Mit Euch spreche ich, Herr von Sainte-Maline, hört Ihr mich?« rief Ernauton. – »Ja, mein Herr, vollkommen.«

»Was habt Ihr dann zu sagen?« – »Ich habe zu sagen, mein teurer Kamerad, daß wir wissen wollten, ob Ihr diesen Gasthof der Liebschaften aufsucht?«

»Wohl, mein Herr; doch nun, da Ihr Euch versichern konntet, daß ich es bin, da ich mit Euch spreche und Euch zur Not berühren könnte, laßt mich in Ruhe!« – »Cap de Biou, Ihr seid doch nicht Eremit geworden und seid hier nicht allein?«

»Was das betrifft, mein Herr, erlaubt mir, Euch im Zweifel zu lassen.« – »Ah! bah!« fuhr Sainte-Maline fort, während er in das Türmchen zu dringen trachtete, »solltet Ihr wirklich allein sein? Ah! Ihr seid ohne Licht, bravo!«

»Hört, meine Herren,« sagte Ernauton stolz, »ich will glauben, daß Ihr trunken seid, und ich verzeihe Euch; doch es gibt auch ein Ziel für die Geduld, die man Menschen schuldig ist, die ihrer Sinne beraubt sind; es war Spaßes genug, nicht wahr? Macht mir also das Vergnügen, Euch zu entfernen.«

Zum Unglück hatte Sainte-Maline gerade einen von seinen Anfällen neidischer Bosheit.

»Oh! oh! uns entfernen,« rief er, »wie Ihr uns das sagt, Herr Ernauton!«

»Ich sage Euch das so, daß Ihr Euch nicht in meinem Wunsche täuscht, Herr von Sainte-Maline, und ich wiederhole, wenn es sein muß: Entfernt Euch, meine Herren, ich bitte Euch.« – »Oh! nicht eher, als bis Ihr uns die Ehre gegönnt habt, die Person zu begrüßen, der zu Liebe Ihr unsere Gesellschaft flieht.«

Bei dieser Beharrlichkeit Sainte-Malines bildete sich der Kreis wieder um ihn, der sich eben zu lösen im Begriffe war.

»Herr von Montcrabeau,« sagte Sainte-Maline, »geht hinab und kommt mit einer Kerze herauf!«

»Herr von Montcrabeau,« rief Ernauton, »wenn Ihr das tut, so erinnert Euch, daß Ihr mich persönlich beleidigt.«

Montcrabeau zögerte, so viel Drohung lag in der Stimme des jungen Mannes.

»Gut,« versetzte Sainte-Maline, »wir haben unsern Schwur, und Herr von Carmainges ist so gewissenhaft in der Mannszucht, daß er ihn nicht wird verletzen wollen; wir dürfen den Degen nicht gegeneinander ziehen; leuchtet, Montcrabeau, leuchtet!«

Montcrabeau ging hinab und kam fünf Minuten nachher mit einer Kerze zurück, die er Sainte-Maline übergeben wollte.

»Nein, nein,« sagte dieser, »behaltet sie, ich werde vielleicht meine Hände nötig haben.«

Und er machte einen Schritt vorwärts, um in das Türmchen zu dringen.

»Ich nehme Euch alle zum Zeugen,« sagte Ernauton, »daß man mich unwürdig beleidigt und mir ohne Grund Gewalt antut, und daß ich folglich (er zog rasch seinen Degen) diesen Degen dem ersten in die Brust stoße, der noch einen Schritt vorwärts tut.«

Wütend wollte Sainte-Maline auch den Degen in die Hand nehmen, doch er hatte noch nicht zur Hälfte vom Leder gezogen, als er auf seiner Brust die Degenspitze Ernautons glänzen sah.

Da nun Sainte-Maline in diesem Augenblick einen Schritt vorwärts machte, so fühlte er, ohne daß Herr von Carmainges ausgefallen war oder mit dem Arm zu stoßen nötig gehabt hätte, die Kälte des Eisens aus der Brust und wich wahnsinnig wie ein verwundeter Stier zurück. Ernauton machte denselben Schritt vorwärts, den Sainte-Maline rückwärts gemacht hatte, und der Degen fand sich abermals drohend auf der Brust des letzteren. Sainte-Maline erbleichte; wenn Ernauton ausgefallen wäre, hätte er ihn an die Wand gespießt. Er schob langsam seinen Degen in die Scheide.

»Ihr verdientet tausend Tode für Eure Unverschämtheit,« sagte Ernauton; »doch der Schwur, von dem Ihr spracht, bindet mich, und ich werde Euch nicht mehr berühren; laßt mir den Weg frei!«

Er machte einen Schritt rückwärts, um zu sehen, ob man ihm gehorchte, und sagte dann mit majestätischer Gebärde: »Gebt Raum, meine Herren; kommt, Madame, ich stehe für alles.«

Man sah sodann auf der Schwelle des Türmchens eine Frau erscheinen, deren Kopf mit einem Kapuchon bedeckt, deren Gesicht mit einem Schleier verhüllt war, und die ganz zitternd Ernautons Arm nahm. Dann steckte der junge Mann seinen Degen in die Scheide, und als wäre er sicher, daß er nichts mehr zu fürchten habe, durchschritt er stolz das von seinen unruhigen und doch neugierigen Kameraden erfüllte Vorzimmer.

Sainte-Maline, dessen Brust das Eisen leicht gestreift hatte, war, beinahe erstickend an der Schmach, die er vor seinen Kameraden und vor der unbekannten Dame erlitten hatte, bis auf den Ruheplatz der Treppe zurückgewichen. Er begriff, daß er alles gegen sich hatte, Lacher und ernsthafte Menschen, wenn die Dinge blieben, wie sie waren, und diese Überzeugung trieb ihn zum Äußersten an.

Er zog seinen Dolch in dem Augenblick, als Carmainges an ihm vorüberging. Hatte er die Absicht, ihm einen Stoß zu versetzen, oder beabsichtigte er nur zu tun, was er tat? Das ließe sich unmöglich aufklären, ohne in dem finstern Geiste dieses Menschen gelesen zu haben, worin er selbst vielleicht in seinen Augenblicken des Zornes nicht lesen konnte.

So viel ist gewiß, daß sein Arm auf das Paar niedersank und, statt Ernautons Brust zu verletzen, die seidene Haube der Herzogin schlitzte und eine von den Schnüren der Maske durchschnitt, so daß diese zu Boden fiel.

Die Bewegung Sainte-Malines war so rasch gewesen, daß im Schatten niemand sich davon hatte Rechenschaft geben oder widersetzen können. Die Herzogin stieß einen Schrei aus. Ihre Maske fiel, und sie hatte ihren Hals entlang den runden Rücken der Klinge gleiten gefühlt, doch ohne daß sie verwundet worden war.

Sainte-Maline hatte also, während sich Ernauton über den von der Herzogin ausgestoßenen Schrei beunruhigte, Zeit, die Maske aufzuheben und sie ihr zurückzugeben, so daß er bei dem Scheine der Kerze Montcrabeaus das unbedeckte Gesicht der jungen Frau sehen konnte.

»Ah! ah!« sagte er mit seinem höhnischen, frechen Tone, »es ist die schöne Dame der Sänfte; ich mache Euch mein Kompliment, Ernauton, Ihr seid rasch vorwärts gekommen.«

Ernauton blieb stehen und hatte schon seinen Degen wieder halb aus seiner Scheide gezogen, als die Herzogin ihn die Stufen hinabzog und ihm zuflüsterte: »Kommt, kommt, ich bitte Euch, Herr von Carmainges.«

»Ich werde Euch wiedersehen, Herr von Sainte-Maline,« sagte Ernauton, sich entfernend, »und seid unbesorgt, Ihr sollt mir diese Feigheit mit anderen bezahlen.«

»Gut, gut!« erwiderte Sainte-Maline, »haltet Eure Rechnung, ich halte die meinige; wir werden sie eines Tages ordnen.«

Carmainges hörte, wandte sich aber nicht um, denn er konnte die Herzogin nicht im Stich lassen. Als er unten an die Treppe kam, stellte sich ihm niemand in den Weg; die von den Fünfundvierzig, die nicht mit die Treppe hinaufgestiegen waren, tadelten ohne Zweifel im Innern die Gewalttat ihrer Kameraden.

Ernauton führte die Herzogin an ihre von zwei Dienern bewachte Sänfte. Sobald sie sich hier befand und sich in Sicherheit fühlte, drückte sie Carmainges die Hand und sagte: »Herr Ernauton, nach dem, was vorgefallen ist, nach der Beleidigung, vor der Ihr mich trotz Eures Mutes nicht beschützen konntet, und die sich unfehlbar erneuern würde, können wir nicht mehr hierherkommen; ich bitte Euch, sucht in der Umgegend ein Haus, das zu verkaufen oder ganz zu mieten ist; seid unbesorgt, binnen kurzem werdet Ihr Nachricht von mir erhalten.«

»Muß ich von Euch Abschied nehmen, Madame?« sagte Ernauton, indem er sich zum Zeichen des Gehorsams gegen die für seine Eitelkeit so schmeichelhaften Befehle verbeugte.

Die Herzogin reichte Ernauton ihre Hand zum Kuß und entfernte sich sodann.

»Das ist in der Tat seltsam,« sagte der junge Mann, als er wieder zurückkehrte, »diese Frau findet Geschmack an mir, daran kann ich nicht zweifeln, und sie fragt nicht im geringsten danach, ob ich von diesem Strauchdieb Sainte-Maline getötet werde.«

Eine leichte Bewegung seiner Schultern bewies, daß der junge Mann diese Gleichgültigkeit zu ihrem wahren Werte anschlug. Dann kam er auf jenes erste Gefühl zurück, das für seine Eitelkeit durchaus nichts Schmeichelhaftes hatte, und fuhr fort: »Oh! sie war sehr beunruhigt, die arme Frau, und die Furcht kompromittiert zu werden, ist bei Prinzessinnen das stärkste von allen Gefühlen.«

»Denn,« fügte er, sich selbst zulächelnd, hinzu, »sie ist Prinzessin.«

Und da dieses letzte Gefühl für ihn das schmeichelhafteste war, so trug es auch den Sieg davon.

Doch es konnte die Erinnerung an die Beleidigung nicht verwischen, die ihm angetan worden war; er kehrte daher geradenwegs in das Wirtshaus zurück, damit niemand das Recht hätte zu vermuten, er habe Furcht vor den Folgen gehabt, die diese Sache nach sich ziehen könnte.

Er war natürlich entschlossen, alle Befehle und alle Eide zu übertreten und mit Sainte-Maline bei dem ersten Worte, das er sagen, oder bei der ersten Gebärde, die er sich erlauben würde, zu Ende zu kommen.

Durch einen Schlag verletzt, verliehen ihm die Liebe und die Eitelkeit wütenden Mut, der ihm sicher in dem Zustande der Erregung, in dem er sich befand, mit zehn Männern zu kämpfen erlaubt hätte. Dieser Entschluß funkelte in seinen Augen, als er die Schwelle des Gasthofes »Zum kühnen Ritter« berührte.

Frau Fournichon stand ganz zitternd auf der Schwelle.

Bei Ernautons Anblick trocknete sie sich die Tränen ab, als ob sie reichlich geweint hätte, schlang ihre Arme um den Hals des jungen Mannes und bat ihn um Verzeihung, trotz aller Einwendungen ihres Gatten, der behauptete, da sie kein Unrecht getan, so brauche seine Frau auch nicht um Verzeihung zu bitten.

Währenddessen saßen alle wieder bei Tische, und man sprach sehr warm von dem Ereignis, das ohne Widerspruch den Höhepunkt des Abends bildete.

Bei Ernautons Anblick, der wie eine Erscheinung wirkte, fühlte jeder einen Schauer durch seinen ganzen Körper laufen, Ernauton ging gerade auf Sainte-Maline zu, ohne eine wirkliche Herausforderung, aber mit einer Festigkeit, die mehr als ein Herz zittern ließ.

Als man dies sah, rief man von allen Seiten Herrn von Carmainges zu: »Kommt hierher, Carmainges; kommt daher, Ernauton, es ist ein Platz bei mir.«

»Ich danke,« antwortete der junge Mann, »ich will mich zu Herrn von Sainte-Maline setzen.«

Sainte-Maline stand auf; aller Augen waren auf ihn gerichtet. Noch während er aufstand, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes völlig, und er sagte ohne Zorn: »Ich will Euch den Platz einräumen, den Ihr zu haben wünscht, und indem ich Euch Platz mache, spreche ich meine offenherzige und aufrichtige Entschuldigung wegen des albernen Angriffs aus, den ich mir vorhin gegen Euch habe zuschulden kommen lassen; ich war trunken, Ihr habt es selbst gesagt, verzeiht mir!«

Diese unter dem tiefsten Stillschweigen vorgebrachte Erklärung befriedigte Ernauton durchaus nicht, obgleich offenbar nicht eine Silbe für die dreiundvierzig Gäste verloren gegangen war, die voll Angst warteten, wie diese Szene endigen wurde.

Doch bei Sainte-Malines letzten Worten zeigten Ernauton die Freudenrufe seiner Kameraden, daß er befriedigt sein müsse, und daß er vollkommen gerächt sei. Sein gesunder Verstand nötigte ihn also zu schweigen. Zugleich zeigte ihm aber ein Blick, den er auf Sainte-Maline warf, daß er ihm mehr als je mißtrauen müsse.

»Der Elende hat doch Mut,« sagte Ernauton zu sich selbst, »und wenn er in diesem Augenblick nachgibt, so geschieht es infolge einer abscheulichen Absicht, die ihm mehr einleuchtet.«

Sainte-Malines Glas war voll, er füllte Ernautons.

»Ruhe, Friede, Friede!« riefen alle Stimmen, »auf die Versöhnung von Carmainges und Sainte-Maline!«

Carmainges benutzte das Zusammenstoßen der Gläser, und den Lärm aller Stimmen, neigte sich gegen Sainte-Maline und sagte zu ihm, ein Lächeln auf den Lippen, damit niemand den Sinn der Worte, die er an ihn richtete, erraten könnte: »Herr von Sainte-Maline, das ist das zweitemal, daß Ihr mich beleidigt, ohne mir Genugtuung zu geben, nehmt Euch in acht, bei der dritten Beleidigung schlage ich Euch tot wie einen Hund.«

»Tut das, wenn Ihr es recht findet,« erwiderte Sainte-Maline, »denn so wahr ich ein Edelmann bin, ich würde dasselbe tun.«

Und die beiden Todfeinde stießen die Gläser zusammen, wie es nur die besten Freunde hätten tun können.



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