Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Loge des Königs Heinrich III. auf der Grève.

Warf man einen Blick auf den Grèveplatz, so durfte man wohl sagen, daß Meister Friard recht hatte, wenn er die Zahl der Zuschauer, die sich dort zu dem grausigen Schauspiel einfinden würden, auf hunderttausend berechnete. Ganz Paris hatte sich dort eingestellt. Paris versäumt kein Fest, und Salcèdes Tod war damals ein außerordentliches Fest.

Der Zuschauer, dem es gelang, auf den Platz zu kommen, erblickte zuerst die Bogenschützen des Leutnants vom Stadtgericht Tanchon, und eine große Anzahl von Schweizern und Chevaulegers. Sie umgaben ein kleines, ungefähr vier Fuß hohes Schafott und erwarteten den Missetäter, dessen sich die Mönche seit dem Morgen bemächtigt hatten, und dem nach den Straftaten die Pferde entgegenharrten, um ihn die große Reise machen zu lassen.

Unter dem Wetterdache eines nahen Hauses stampften wirklich vier kräftige Pferde mit prallen Kreuzen, weißen Mähnen, langhaarigen Füßen ungeduldig das Pflaster und bissen einander wiehernd zum großen Schrecken der Frauen, die diesen Platz freiwillig gewählt hatten oder gewaltsam dahin gedrängt wurden.

Nächst den wiehernden Pferden und dem leeren Schafott zog die Blicke der Menge am meisten das mit rotem Samt und Gold ausgeschlagene Hauptfenster des Stadthauses an, über dessen Balkon ein mit dem königlichen Wappenschild verzierter Teppich von Samt herabhing, es war die Loge des Königs.

Es schlug halb ein Uhr, als dieses Fenster, wie der Rahmen eines Gemäldes, sich mit Personen füllte. Zuerst kam Heinrich III., bleich, beinahe kahl, obgleich er zu dieser Zeit erst vierunddreißig Jahre alt war, während das Auge in seine schwarzblaue Höhle eingesunken war, und der Mund von Nervenzuckungen zitterte.

Er erschien düster, mit starrem Blick, zugleich majestätisch und wankend, seltsam in seiner Haltung, seltsam in seinem Gang, mehr ein Schatten als ein Lebender, mehr ein Gespenst als ein König, ein für seine Untertanen stets unbegreifliches und von ihnen nicht begriffenes Geheimnis, denn wenn sie ihn erscheinen sahen, wußten sie nicht, ob sie: »Es lebe der König!« rufen oder für seine Seele beten sollten. Heinrich war in ein schwarzes Wams mit schwarzen Borten gekleidet; er hatte weder Orden noch Edelsteine; ein einziger Diamant, der als Agraffe für drei kurze, krause Federn diente, glänzte an seinem Toquet. Er trug in seiner linken Hand ein schwarzes Hündchen, das ihm seine Schwägerin, Maria Stuart, aus ihrem Gefängnis geschickt hatte, und auf dessen seidenem Fell seine feinen, weißen Finger wie alabastern glänzten.

Hinter ihm kam Katharina von Medici, schon vom Alter gekrümmt, denn die Königinmutter war damals sechsundsechzig Jahre alt; doch den Kopf trug sie noch fest und gerade; unter ihrer gewohnheitsmäßig zusammengezogenen Stirn schleuderte sie einen scharfen Blick, aber trotz dieses Blickes war ihre Erscheinung unter ihren ewigen Trauerkleidern matt und kalt wie ein Wachsbild.

Zugleich zeigte sich das schwermütige und sanfte Antlitz der Königin Luise von Lothringen, der scheinbar bedeutungslosen, in Wirklichkeit aber getreuen Gefährtin seines geräuschvollen und unglücklichen Lebens.

Katharina von Medici ging einem Triumph entgegen, die Königin wohnte einer Hinrichtung bei, König Heinrich behandelte eine Angelegenheit, wie man dies auf der hochmütigen Stirn der ersten, der ergebenen der zweiten und auf der bewölkten und gelangweilten des dritten lesen konnte.

Dahinter kamen zwei hübsche junge Leute: der eine von kaum zwanzig, der andere von höchstens fünfundzwanzig Jahren.

Sie hielten sich am Arm, trotz der Etikette, die verbietet, daß die Menschen vor den Königen aneinander zu hängen scheinen.

Sie lächelten, der jüngere mit unaussprechlicher Traurigkeit, der ältere mit bezaubernder Anmut; sie waren schön und waren Brüder.

Der jüngere hieß Henri von Joyeuse, Graf du Bouchage, der andere Herzog Anne von Joyeuse. Noch vor kurzem war er bei Hofe nur unter dem Namen d'Arques bekannt; aber der König liebte ihn über alles und hatte ihn ein Jahr zuvor, die Vicomté Joyeuse zu einem Herzogtum und zur Pairie erhebend, zum Pair gemacht.

Das Volk hegte gegen diesen Günstling keinen Haß, wie einst gegen Maugiron, Quelus, Schomberg, einen Haß, den Epernon allein geerbt. Es empfing also den Fürsten und die beiden Brüder mit bescheidenem, aber schmeichelhaftem Zurufe.

Heinrich grüßte das Volk ernst und ohne zu lächeln, dann küßte er seinen Hund auf den Kopf, wandte sich gegen die jungen Leute um und sagte zu dem ältern: »Lehnt Euch an die Tapete an, Anne; ermüdet Euch nicht dadurch, daß Ihr stehenbleibt; es wird vielleicht lange dauern.«

»Ich hoffe es,« unterbrach ihn Katharina, »lange und gut, Sire.«

»Ihr glaubt also, Salcède werde sprechen, meine Mutter?«

»Gott wird hoffentlich unseren Feinden diese Verwirrung geben. Ich sage unseren Feinden, denn es sind auch Eure Feinde, meine Tochter,« fügte sie hinzu, indem sie sich an die Königin wandte, die erbleichte und ihr sanftes Auge senkte.

Der König schüttelte den Kopf mit einer Gebärde des Zweifels. Dann wandte er sich wieder zu Joyeuse um und sagte, als er sah, daß dieser trotz seiner Aufforderung immer noch stand: »Nun, Anne, tut, was ich gesagt habe, lehnt Euch mit dem Rücken an die Wand oder stützt Euch mit den Ellenbogen auf meinen Stuhl.«

»Eure Majestät ist in der Tat zu gut, und ich werde nur von der Erlaubnis Gebrauch machen, wenn ich wirklich müde bin.«

»Mein Sohn, sehe ich nicht ein Getümmel dort an der Ecke des Kais?« fragte Katharina.

»Welch ein scharfes Gesicht, »meine Mutter! In der Tat, ich glaube, Ihr habt recht. Oh! wie schlimm sind meine Augen, und ich bin doch nicht alt.«

»Sire,« sagte Joyeuse, »dieser Tumult rührt vom Zurückdrängen des Volkes durch die Kompagnie der Bogenschützen her. Sicherlich kommt der Verurteilte.«

»Wie schmeichelhaft ist es für Könige, einen Menschen vierteilen zu sehen, der in seinen Adern einen Tropfen königlichen Blutes hat,« sagte Katharina und ließ bei diesen Worten ihren Blick auf Luise ruhen.

»Oh! Madame, verzeiht, schont mich,« versetzte die junge Königin mit einer Verzweiflung, die sie vergebens zu verbergen suchte, »nein, dieses Ungeheuer gehört nicht zu meiner Familie, und Ihr wolltet dies nicht sagen.«

»Gewiß nicht,« sagte der König, »ich bin überzeugt, daß meine Mutter dies nicht sagen wollte.«

»Ei!« erwiderte Katharina mit Bitterkeit, »er hält zu den Lothringern, und die Lothringer sind die Eurigen, Madame; ich denke wenigstens. Dieser Salcède geht Euch also an und zwar ziemlich nahe.«

»Das heißt,« unterbrach sie Joyeuse mit einer ehrenhaften Entrüstung, die der hervorstechende Zug seines Charakters war, »er geht vielleicht Herrn von Guise an, aber keineswegs die Königin von Frankreich.«

»Ah! Ihr seid da, Herr von Joyeuse,« sagte Katharina mit unbeschreiblichem Hochmut. »Ah! Ich hatte Euch nicht gesehen.«

»Ich bin da, nicht nur mit Bewilligung, sondern auf Befehl des Königs, Madame,« antwortete Joyeuse, Heinrich mit dem Blick befragend. »Es ist nicht so ergötzlich, einen Menschen vierteilen zu sehen, daß ich zu einem solchen Schauspiel kommen sollte, wenn ich nicht dazu genötigt wäre.«

»Joyeuse hat recht, Madame,« sagte Heinrich; »es handelt sich hier nicht um Lothringer, nicht um Guise und besonders nicht um die Königin; es handelt sich darum, Herrn von Salcède, einen Mörder, der meinen Bruder töten wollte, in vier Stücke zerreißen zu sehen.«

»Ich habe heute wenig Glück,« sagte Katharina, plötzlich nachgebend, was ihre geschickteste Taktik war, »ich bewirke, daß meine Tochter weint, und Gott verzeihe mir, ich glaube, ich bewirke auch, daß Herr von Joyeuse lacht.«

»Ah! Madame,« rief Luise, Katharinas Hände ergreifend, »ist es möglich, daß sich Eure Majestät so in meinem Schmerze täuscht?«

»Und in meiner tiefen Ehrfurcht?« fügte Anne von Joyeuse bei und verbeugte sich auf den Arm des königlichen Lehnstuhles.

»Es ist wahr,« versetzte Katharina, einen letzten Pfeil in das Herz ihrer Schwiegertochter abdrückend. »Ich sollte wissen, wie peinlich es Euch ist, mein liebes Kind, die Komplotte Eurer Verwandten von Lothringen enthüllt zu sehen, und obgleich Ihr nichts dafür könnt, leidet Ihr doch durch diese Verwandtschaft.«

»Oh!« rief Anne von Joyeuse, »Ihr seht wohl, daß ich mich nicht täuschte, Sire, der Missetäter erscheint auf dem Platz. Teufel! welch ein gemeines Gesicht!«

»Er hat Angst,« sagte Katharina; »er wird sprechen.«

»Wenn er die Kraft dazu hat,« entgegnete der König. »Seht doch, meine Mutter, sein Kopf wankt wie der eines Leichnams.«

»Ich wiederhole,« versetzte Joyeuse; »er ist abscheulich.«

»Wie soll ein Mensch schön sein, dessen Inneres so häßlich ist? Habe ich Euch nicht die geheimen gegenseitigen Beziehungen des Physischen und Moralischen erklärt, Anne?«

»Ich sage nicht nein, Sire, aber ich habe zuweilen gesehen, daß äußerst häßliche Menschen sehr tapfere Soldaten waren. Nicht wahr, Henri?«

Anne wandte sich nach seinem Bruder um, als wollte er dessen Beifall zu Hilfe rufen; doch Henri schaute ohne zu sehen, horchte, ohne zu hören; er war in tiefe Träumerei versunken, der König antwortete daher für ihn.

»Ei, mein Gott! mein lieber Anne,« rief er, »wer sagt, daß jener dort nicht tapfer sei? Er ist es wie ein Bär, wie ein Wolf, wie eine Schlange. Ihr wißt, er hat in seinem Hause einen normannischen Edelmann, seinen Feind, verbrannt. Er hat sich zehnmal geschlagen und drei von seinen Gegnern getötet; man hat ihn beim Falschmünzen ertappt und deshalb zum Tode verurteilt.«

»Das ist ein wohlerfülltes Dasein, das bald sein Ende erreichen wird,« sagte Joyeuse.

»Herr von Joyeuse, ich hoffe im Gegenteil, es wird so langsam wie möglich endigen,« sagte Katharina.

»Madame,« erwiderte Joyeuse, den Kopf schüttelnd, »die Pferde, die ich dort unter jenem Wetterdache sehe, kommen mir so kräftig und ungeduldig vor, daß ich nicht an einen sehr langen Widerstand der Muskeln, Nerven und Sehnen des Herrn von Salcède glaube.«

»Ja, wenn man nicht für den Fall vorhersehen würde,« versetzte Katharina mit jenem Lächeln, das nur ihr angehörte; »doch, mein Sohn ist barmherzig, er wird den Knechten Befehle geben, daß sie sacht anziehen lassen.«

»Aber, Madame,« warf die Königin schüchtern ein, »ich habe Euch diesen Morgen zu Frau von Mercoeur sagen hören, dieser Unglückliche würde nur zwei Züge auszuhalten haben.«

»Von Herzen gern, wenn er sich gut benimmt,« erwiderte Katharina; »dann wird er so rasch wie möglich abgefertigt werden; doch Ihr versteht, meine Tochter, und ich wollte, Ihr würdet es ihm sagen lassen, da Ihr Euch für ihn interessiert, er halte sich gut, das ist seine Sache.«

Während dieser Zeit hatten die Hellebardiere, die Bogenschützen und die Schweizer den Raum beträchtlich erweitert, und es herrschte nun rings um das Schafott eine Leere, die alle Blicke Salcèdes trotz der geringen Erhöhung des Blutgerüstes unterscheiden ließ.

Salcède mochte ungefähr vierunddreißig Jahre alt sein, er war stark und kräftig; seine bleichen Gesichtszüge, worauf einige Schweiß- und Blutstropfen perlten, belebten sich, wenn er umherschaute, durch einen unbeschreiblichen Ausdruck bald der Hoffnung, bald der Angst.

Gleich anfangs warf er seine Blicke nach der königlichen. Loge; aber sein Auge verweilte nicht hier, als hätte er begriffen, daß ihm von dort statt der Rettung der Tod drohte.

Er wandte sich der Menge zu; im Schoße dieses stürmischen Meeres wühlte er mit seinen glühenden Augen und mit seiner am Rande seiner Lippen zitternden Seele.

Die Menge schwieg. Salcède war kein gemeiner Mörder, er war vor allem von guter Geburt; dabei war er ein Kapitän von einigem Rufe gewesen. Nun durch einen schmählichen Strick gebunden, hatte diese Hand einst mutig das Schwert geführt; dieser bleiche Kopf, auf dem sich die Schrecknisse des Todes abmalten, Schrecknisse, die der Missetäter ohne Zweifel in der tiefsten Tiefe seiner Seele verschlossen haben würde, wenn die Hoffnung nicht zuviel Platz eingenommen hätte, dieser bleiche Kopf hatte großartige Pläne beherbergt. So war Salcède für viele Zuschauer ein Held, für viele andere ein Opfer.

Man erzählte sich in der Menge, er sei aus einem Kriegergeschlechte geboren; sein Vater habe heftig den Kardinal von Lothringen bekämpft, was ihm in der Metzelei in der Bartholomäusnacht einen glorreichen Tod eingetragen, der Sohn aber habe, diesen Tod vergessend oder vielmehr seinen Haß einem Ehrgeize opfernd, für den der große Haufe immer eine gewisse Sympathie hegt, einen Vertrag mit Spanien und mit den Guisen eingegangen, um in Flandern die wachsende Souveränität des bei den Franzosen so sehr verhaßten Herzogs von Anjou zu vernichten. – Man sprach ferner von seiner Verbindung mit Baza und Balouin, den angeblichen Urhebern des Komplotts, das den Herzog Franz, den Bruder Heinrichs III., beinahe das Leben gekostet hätte.

Salcède seinerseits hatte beständig auf Befreiung gehofft. Er hatte klüglich halbe Geständnisse gemacht, welche seine Feinde auf mehr Enthüllungen hoffen ließen und sie bewogen, ihn nicht sofort zu töten, sondern nach Paris zu bringen. Salcède hoffte im Gefängnis, Salcède hoffte auf der Folter; er hoffte auf dem Karren; er hoffte noch auf dem Schafott.

Dem König entging so wenig wie dem Volk dieser beständige Gedanke Salcèdes. Katharina studierte ängstlich jede, auch die geringste Bewegung des unglücklichen jungen Mannes; aber sie war zu weit von ihm entfernt, um der Richtung seiner Blicke zu folgen und ihr fortwährendes Spiel zu bemerken.

Der Henker fing indessen an, sich des Opfers zu bemächtigen, und band ihn mitten um den Leib auf die Mitte des Schafotts. Auf ein Zeichen Tranchons waren schon zwei Bogenschützen durch die Menge gedrungen, um die Pferde zu holen, und willig wich die Menge vor ihnen zurück.

In diesem Augenblick entstand ein Geräusch an der Tür der königlichen Loge, und den Vorhang aufhebend, meldete der Huissier Ihren Majestäten, der Präsident Brisson und vier Räte wünschten die Ehre zu haben, mit dem König über den Gegenstand der Hinrichtung eine kurze Unterredung zu pflegen.

»Das ist wunderbar,« sagte der König und fuhr, zu Katharina gewendet, fort: »Meine Mutter, Ihr werdet befriedigt werden.«

Katharina machte ein zustimmendes Zeichen mit dem Kopfe.

»Laßt die Herren eintreten,« sagte der König.

Ehe aber die Gemeldeten erschienen, bat Joyeuse den König leise, sich entfernen zu dürfen. Nach mehreren vergeblichen Einwänden gewährte Heinrich die Bitte und sagte seufzend: »Gehe, halte es nach deiner Phantasie; es ist mein Los, allein zu leben.«

Und er wandte sich mit gefalteter Stirn zu seiner Mutter, denn er fürchtete, sie könnte das Gespräch gehört haben, das zwischen ihm und seinem Günstling stattgefunden.

Joyeuse aber neigte sich an das Ohr seines Bruders und sagte zu ihm: »Geschwind, geschwind, du Bouchage, während die Räte eintreten, schlüpfe hinter ihren großen Roben hinaus und laß uns wegschleichen; der König sagt jetzt ja, in fünf Minuten wird er nein sagen.«

»Ich danke, mein Bruder, ich war wie du, es drängte mich, wegzugehen.« – »Vorwärts, die Raben erscheinen, verschwinde, zarte Nachtigall.«

Man sah in der Tat hinter den Herren Räten wie zwei rasche Schatten die zwei jungen Leute entfliehen. Hinter ihnen fiel der Vorhang mit seinen schweren Flügeln herab. Als der König den Kopf umwandte, waren sie schon verschwunden. Heinrich stieß einen Seufzer aus und küßte einen kleinen Hund.



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