Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Dritter Reisetag.

Chicot entfloh so gemächlich, weil er sich in Etampes befand, das heißt mitten unter einer Bevölkerung und unter dem Schutz von Behörden, die auf sein erstes Ersuchen Gerechtigkeit geübt und selbst den Herzog von Guise verhaftet hätten.

Seine Gegner begriffen das sehr wohl; der Offizier verbot auch, wie wir sahen, auf die Gefahr, Chicot entfliehen zu lassen, seinen Soldaten, von Schußwaffen Gebrauch zu machen.

Chicot suchte vergebens seine Kaufleute und ihre Kommis. Dann war er so kühn, als er an der Ecke einer benachbarten Straße die Tritte von Pferden sich hatte entfernen hören, in den Gasthof zurückzukehren.

Er fand den Wirt, der sein Gleichgewicht noch nicht wiedererlangt hatte und ihn sein Pferd im Stall satteln ließ, wobei er ihn mit einem Erstaunen ansah, als ob er ein Gespenst wäre.

Chicot benutzte diese wohlwollende Verwunderung, um seine Zeche nicht zu bezahlen, die der Wirt sich seinerseits wohl hütete, von ihm zu fordern. Dann brachte er die Nacht vollends in dem großen Saale eines andern Wirtshauses mitten unter Trinkern zu, die nicht ahnten, daß der lange Unbekannte mit dem lächelnden Gesicht und der freundlichen Miene soeben zwei Männer erschlagen habe.

Der Tagesanbruch fand ihn auf der Landstraße, von einer Unruhe heimgesucht, die sich von Augenblick zu Augenblick vermehrte. Zwei Versuche waren gescheitert, ein dritter konnte unheilvoll für ihn werden.

Zuerst nahm er sich vor, sobald er in Orleans wäre, dem König einen Eilboten zu schicken und ihn zu bitten, ihm von Stadt zu Stadt ein Geleite zu geben.

Da aber die Straße bis Orleans verlassen und vollkommen sicher war, so dachte Chicot, er würde unnötigerweise feige erscheinen, weshalb er den Schritt unterließ. Doch nach Orleans fühlte Chicot seine Angst sich verdoppeln; es war bald vier Uhr und es kam daher der Abend. Die Straße war von Gebüschen begrenzt, als ob man im Walde ginge, und stieg wie eine Leiter aufwärts; der Reisende war daher wie das Schwarze in der Scheibe für jeden, der ein Verlangen gefühlt hätte, ihm eine Büchsenkugel zuzusenden.

Plötzlich hörte Chicot in der Ferne ein Geräusch, ähnlich dem Gepolter, das galoppierende Pferde auf trockenem Boden machen. Er wandte sich um und sah unten am Abhang, den er zur Hälfte hinter sich hatte, Reiter, die mit verhängten Zügeln heraufsprengten; es waren ihrer sieben, von denen vier Musketen auf der Schulter hatten.

Die Pferde dieser Reiter liefen viel schneller als Chicots Pferd. Dieser wollte sich durchaus nicht in einen Kampf der Geschwindigkeit einlassen, der ihm nur schaden konnte. Er ließ nur sein Pferd im Zickzack gehen, damit die Bogenschützen kein festes Ziel hätten.

In der Tat wurde auch Chicot in dem Augenblick, als die Reiter noch fünfzig Schritte von ihm entfernt waren, mit vier Schüssen begrüßt, von denen drei, der Richtung folgend, in der die Reiter schossen, über seinem Kopfe hingingen.

Chicot erwartete also diese vier Büchsenschüsse und hatte auch zum voraus seinen Plan gemacht. Als er die Kugeln pfeifen hörte, ließ er die Zügel los und glitt von seinem Pferde herab. Er war so vorsichtig gewesen, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, und hielt in der linken Hand einen Dolch so schneidend wie ein Rasiermesser und so spitzig wie eine Nadel.

Er fiel also, und dies so, daß seine Beine wie gebogene Federn waren, bereit, sich sofort wieder zu entspannen. Durch die Stellung, die er im Fallen genommen, war sein Kopf zugleich durch die Brust seines Pferdes geschützt.

Ein Freudenschrei erhob sich aus der Gruppe der Reiter, die Chicot für tot hielten.

»Ich sagte es Euch wohl, Dummkopf,« rief, im Galopp herbeisprengend, ein Verlarvter, »Ihr habt alles verfehlt, weil man nicht buchstäblich meinen Befehlen gehorchte. Diesmal liegt er unten. Man durchsuche ihn, mag er tot oder lebendig sein, und wenn er sich rührt, mache man ihm den Garaus.« – »Sehr wohl, gnädiger Herr,« sagte ehrfurchtsvoll einer von den Leuten.

Sie stiegen alle ab, mit Ausnahme eines Mannes, der die Zügel zusammenfaßte und die Pferde bewachte. Chicot war nicht gerade ein frommer Mann, doch in solchen Augenblicken dachte er daran, daß es einen Gott gibt, und daß der Sünder vielleicht, ehe fünf Minuten vergingen, vor seinem Richter stände. Er murmelte ein finsteres, glühendes Gebet, das sicher oben gehört wurde.

Zwei Männer näherten sich ihm; beide mit dem Schwert in der Hand.

Aus der Art, wie Chicot seufzte, sah man wohl, daß er nicht tot war. Da er sich aber nicht rührte, so beging der eifrigere von beiden die Unklugheit, sich dem Bereiche der linken Hand zu nähern; wie von einer Feder geschleudert, drang ihm sogleich der Dolch in seine Gurgel, wo sich das Stichblatt wie auf weichem Wachs eindrückte. Zugleich verschwand die Hälfte des Schwertes, das Chicot in der rechten Hand hielt, in den Lenden des zweiten Reiters, der entfliehen wollte.

»Bei Gott!« rief der Anführer, »das ist Verrat. Schlagt an, der Bursche ist noch sehr lebendig.«

»Gewiß, ich bin noch sehr lebendig,« rief Chicot, dessen Augen Blitze schleuderten, und rasch wie der Gedanke warf er sich auf den Anführer und setzte ihm die Spitze des Dolches auf die Larve.

Doch schon hielten ihn zwei Soldaten umfangen; er wandte sich um, durchschlug einen Schenkel mit einem gewaltigen Schwertstreich und war frei.

»Kinder! Kinder! Mord und Tod, greift zu den Büchsen,« rief der Anführer.

»Ehe die Büchsen fertig sind,« sagte Chicot, »habe ich dir die Eingeweide geöffnet, Schurke, und die Stricke deiner Maske durchschnitten, daß ich weiß wer du bist?«

»Haltet fest, Herr, haltet fest, und ich werde Euch beschützen,« rief eine Stimme, bei deren Klang Chicot glaubte, sie komme vom Himmel.

Es war die Stimme eines schönen jungen Mannes, der auf einem guten Rappen ritt. Er hatte zwei Pistolen in der Hand und rief Chicot zu: »Bückt Euch, bückt Euch, beim Himmel! bückt Euch doch!«

Chicot gehorchte.

Ein Pistolenschuß krachte, und ein Mann, der seinen Degen fallen ließ, wälzte sich zu den Füßen Chicots.

Indessen schlugen sich die Pferde; die drei überlebenden Reiter wollten die Steigbügel wieder erreichen, aber es gelang ihnen nicht; der junge Mann feuerte einen zweiten Pistolenschuß, der abermals einen Soldaten niederwarf.

»Zwei gegen zwei,« sagte Chicot; »edler Retter, nehmt Euren Mann, hier ist der meinige.«

Und er drang auf den verlarvten Reiter ein, der ihm indessen, zitternd vor Wut oder vor Furcht, wie ein in der Handhabung der Waffen geübter Mann standhielt.

Der junge Mann hatte seinerseits seinen Feind um den Leib gefaßt, niedergeworfen, ohne nur das Schwert in die Hand zu nehmen, und knebelte ihn mit seiner Degenkuppel wie ein Lamm auf der Schlachtbank.

Als sich Chicot einem einzigen Feinde gegenübersah, gewann er wieder seine Kaltblütigkeit und folglich seine Überlegenheit.

Er griff seinen Gegner, der ziemlich beleibt war, gewaltig an, drängte ihn an den Graben der Straße zurück und brachte ihm auf eine Sekundfinte einen Degenstich mitten in die Rippen bei. Der Mann fiel. Chicot setzte den Fuß auf das Schwert des Besiegten, daß er es nicht mehr fassen konnte, durchschnitt mit seinem Dolche die Schnüre der Larve und rief: »Herr von Mayenne! . . . Alle Wetter! ich vermutete es.«

Der Herzog antwortete nicht; er war halb durch den Blutverlust, halb durch das Gewicht des Sturzes, ohnmächtig geworden.

Chicot kratzte sich an seiner Nase, wie er es bei einer schwierigen Überlegung zu tun pflegte. Nachdem er eine halbe Minute nachgedacht, schlug er seinen Ärmel zurück, nahm seinen breiten Dolch und näherte sich dem Herzog, um ihm den Kopf abzuschneiden.

Da fühlte er aber, wie ein eiserner Arm den seinen preßte, und er hörte eine Stimme sagen: »Alles schön und gut, mein Herr, doch man tötet einen am Boden liegenden Feind nicht.«

»Junger Mann,« erwiderte Chicot, »es ist wahr. Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch von ganzem Herzen dafür; doch laßt Euch sagen: Wenn ein Mensch in drei Tagen drei Angriffe ausgehalten hat, wenn er dreimal in Lebensgefahr gewesen, wenn er noch ganz warm ist von dem Blute seiner Feinde, die, ohne irgendeine Herausforderung, vier Büchsenschüsse nach ihm abfeuerten, wie nach einem wütenden Wolf, dann, junger Mann, kann dieser Mutige, erlaubt mir, es zu sagen, kühn tun, was ich tun werde.«

Und Chicot nahm seinen Feind wieder beim Hals, um seine Operation zu vollenden. Doch auch diesmal hielt ihn der junge Mann zurück und sagte: »Ihr werdet das nicht tun, wenigstens nicht, solange ich da bin. Man vergießt nicht so Blut wie das, welches der Wunde entströmt, die Ihr schon gemacht habt.«

»Bah!« sagte Chicot erstaunt, »Ihr kennt diesen Elenden?«

»Dieser Elende ist der Herr Herzog von Mayenne, ein Fürst, an Größe vielen Königen gleich.«

»Ein Grund mehr,« sagte Chicot mit düsterem Tone . . . »Doch Ihr, wer seid Ihr?«

»Ich bin der, der Euch das Leben gerettet,« antwortete kalt der junge Mann.

»Und der mir, wenn ich mich nicht täusche, vor drei Tagen bei Charenton einen Brief vom König übergeben hat.« – »Ganz richtig.«

»Dann seid Ihr im Dienst des Königs?« – »Ich habe die Ehre.«

»Und während Ihr im Dienst des Königs seid, schont Ihr Herrn von Mayenne? Gottes Tod! Erlaubt mir, Euch zu sagen, daß dies nicht das Benehmen eines guten Dieners ist.« – »Ich glaube im Gegenteil, daß ich in diesem Augenblick der gute Diener des Königs bin.«

»Vielleicht,« erwiderte Chicot traurig; »doch es ist hier nicht der Ort und die Zeit zu philosophieren. Wie heißt Ihr?« – »Ernauton von Carmainges.«

»Nun, Herr Ernauton, was machen wir mit diesem dicken Aas, das an Größe allen Königen der Erde gleich ist? Denn ich suche das weite Feld, das sage ich Euch zum voraus.« – »Ich werde über Herrn von Mayenne wachen.«

»Und was macht Ihr mit dem Gesellen, der dort horcht?« – »Der arme Teufel hört nichts, ich habe ihn, wie mir scheint, zu fest zusammengeschnürt, er ist ohnmächtig.«

»Herr von Carmainges, Ihr habt mir das Leben gerettet, doch Ihr gefährdet es furchtbar für später.« – »Ich tue heute meine Pflicht, Gott wird für die Zukunft sorgen.« – »Es geschehe also, wie Ihr wünscht. Überdies widerstrebt es mir, diesen wehrlosen Menschen zu töten, obgleich er mein grausamster Feind ist. Gott befohlen, mein Herr.« Nach diesen Worten drückte Chicot Ernauton die Hand. »Er hat vielleicht recht,« sagte er, während er sich entfernte, um sein Pferd wieder zu besteigen. Dann kehrte er noch einmal um und sagte: »Ihr habt hier im ganzen sieben gute Pferde; ich glaube vier für meinen Anteil gewonnen zu haben; helft mir eins auswählen . . . Ihr versteht Euch darauf?« – »Nehmt das meinige,« erwiderte Ernauton, »ich weiß, was es zu leisten vermag.«

»Oh! das ist zu viel Großmut, behaltet es für Euch.« – »Nein, ich brauche nicht so schnell zu marschieren.«

Chicot ließ sich nicht bitten. Er schwang sich auf Ernautons Pferd und verschwand.



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