Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Zurück in Paris.

Beide jungen Leute stellten sich an das Fenster ihrer kleinen Wohnung, um die Rückkehr des Königs zu erwarten.

Jeder stand hier mit sehr verschiedenen Gedanken. Sainte-Maline ganz von seinem Haß, ganz von seiner Scham, ganz von seinem Ehrgeiz erfüllt, die Stirn gerunzelt, das Herz glühend, Ernauton, das, was vorgefallen, schon wieder vergessend und nur mit einem beschäftigt, nämlich, wer die Frau sein könnte, die er in der Kleidung eines Pagen in Paris eingeführt und nun in einer so reichen Sänfte wiedergefunden hatte.

Hierin lag Stoff genug zum Nachdenken für ein Herz, das mehr zu Liebesabenteuern, als zu ehrgeizigen Plänen geneigt war. Ernauton versenkte sich allmählich in seine Betrachtungen, und zwar so tief, daß er erst, als er den Kopf wieder erhob, bemerkte, daß Sainte-Maline nicht mehr da war.

Ein Blitz durchzuckte seinen Geist. Minder in Anspruch genommen als er, hatte Sainte-Maline auf die Rückkehr des Königs gelauert, der König war zurückgekehrt, und Sainte-Maline befand sich bei ihm.

Er erhob sich rasch, durchschritt die Galerie und kam zu der Tür des Königs gerade in dem Augenblick, wo Sainte-Maline heraustrat.

»Seht,« sagte dieser strahlend, »das hat mir der König gegeben.«

Und er zeigte ihm eine goldene Kette.

»Ich mache Euch mein Kompliment,« erwiderte Ernauton, ohne daß seine Stimme die geringste Aufregung verriet. Und er trat ebenfalls beim König ein.

Sainte-Maline hatte sich auf eine Kundgebung der Eifersucht gefaßt gemacht. Er war daher ganz erstaunt über diese Ruhe und wartete, bis Ernauton wieder herauskam. Die zehn Minuten waren Jahrhunderte für ihn.

Endlich trat Ernauton heraus. Sainte-Maline war noch an derselben Stelle; mit einem raschen Blicke überschaute er seinen Gefährten; dann erweiterte sich sein Herz; Ernauton brachte nichts zurück, wenigstens nichts Sichtbares.

»Und Euch?« fragte Sainte-Maline, seinen Gedanken verfolgend, »was hat Euch der König gegeben?« – »Seine Hand zu küssen,« antwortete Ernauton lächelnd.

Sainte-Maline quetschte seine Kette dergestalt in seinen Händen, daß er einen Ring zerbrach.

Beide gingen schweigend nach der Wohnung der Fünfundvierzig zurück.

In dem Augenblick, wo sie in den Saal eintraten, erscholl die Trompete; bei diesem Signal kamen die Fünfundvierzig, jeder aus seiner Abteilung, hervor, wie die Bienen aus ihren Zellen.

Herr von Loignac versammelte sie, um ein Strafgericht zu halten. Er wies die jetzt stattlich herausgeputzten Gaskogner, die bang seinen scharfen Worten lauschten, auf die Ehre und den Nutzen des königlichen Dienstes hin, aber dieser Dienst erfordere treue Ausführung und Geheimhaltung der erhaltenen Befehle. Nun hatten aber zwei der Fünfundvierzig auf offener Straße den von ihnen insgeheim erfahrenen Namen eines eben angekommenen Feindes Seiner Majestät offen ausgesprochen und bekanntgegeben und damit die Pläne des Königs vereitelt.

Die beiden Schuldigen, Pertinax von Montcrabeau und Perdicas von Pincorney, wurden kreidebleich. Auf ihre gestammelten Entschuldigungen erließ ihnen Herr von Loignac die angekündigte härteste Strafe und legte ihnen nur je eine Buße von hundert Livres auf, die Pincorney in Ermangelung baren Geldes durch Verkauf seiner Kette herbeischaffen sollte. Im übrigen kündigte er für Verrat die Todesstrafe, für geringere Vergehen schwere Gefängnisstrafe an. Schließlich gab Loignac den Fünfundvierzig für den Abend den Befehl, ein Drittel von ihnen sollte am Fuße der Treppe zu den Gemächern Sr. Majestät sich aufstellen, ein Drittel sich draußen unauffällig unter das Gefolge der erscheinenden Personen mengen, der Rest endlich in der Wohnung bleiben. Alle gingen hierauf hinaus, nur Ernauton von Carmainges blieb zurück.

»Ihr wünscht etwas, mein Herr?« fragte Loignac. – »Ja,« antwortete Ernauton, sich verbeugend; »mir scheint, Ihr habt vergessen, genau anzugeben, was wir zu tun haben werden. Im Dienste des Königs sein, ist allerdings ein glorreiches Wort; aber ich hätte zu erfahren gewünscht, wie weit dieser Dienst führt.«

»Mein Herr,« erwiderte Loignac, »das ist eine Frage zarter Natur, auf die ich nicht ohne weiteres zu antworten wüßte.« – »Dürfte ich wohl von Euch hören, warum?«

Dies alles wurde mit so ausnehmender Höflichkeit gesprochen, daß Herr von Loignac, gegen seine Gewohnheit, vergebens eine strenge Antwort suchte.

»Weil ich selbst zuweilen am Morgen nicht weiß, was ich am Abend zu tun haben werde.« – »Mein Herr, Ihr seid im Verhältnis zu uns so hoch gestellt, daß Ihr viele Dinge wissen müßt, die wir nicht wissen.«

»Macht es wie ich, Herr von Carmainges; lernt diese Dinge, ohne daß man sie Euch sagt; ich hindere Euch nicht.« – »Ich wende mich an Eure Erleuchtung, weil ich, der ich ohne Haß und ohne Freundschaft an den Hof gekommen bin und von keiner Leidenschaft geleitet werde, Euch, ohne mehr wert zu sein, doch nützlicher werden kann, als ein anderer.«

»Ihr habt weder Haß noch Freundschaft?« – »Nein.«

»Ihr liebt aber doch den König, setze ich voraus?« –. »Ich muß es und will es, Herr von Loignac, als Diener, wie als Untertan und als Edelmann.«

»Nun wohl! Das ist ein Hauptpunkt, nach dem Ihr Euch richten müßt; seid Ihr ein geschickter Mann, so werdet Ihr damit leicht den entgegengesetzten Gesichtspunkt finden.« – »Sehr gut, mein Herr,« sagte Ernauton, sich verbeugend, »ich habe nun meine Richtung. Es bleibt indessen noch ein Punkt, der mich ungemein beunruhigt.«

»Welcher, mein Herr?« – »Der leidende Gehorsam.«

»Das ist die erste Bedingung.« – »Ich habe dies wohl verstanden, Herr von Loignac, doch der leidende Gehorsam ist zuweilen schwierig für Männer, die im Punkte der Ehre zart fühlen.«

»Das geht mich nichts an, Herr von Carmainges.«

»Wenn Euch jedoch ein Befehl mißfällt?« – »Ich lese die Unterschrift des Herrn von Epernon, und das tröstet mich.«

»Und Herr von Epernon?« – »Herr von Epernon liest die Unterschrift Seiner Majestät und tröstet sich wie ich.«

»Ihr habt recht, und ich bin Euer ergebenster Diener,« sagte Ernauton.

Hierauf machte er einen Schritt, um sich zu entfernen; Loignac hielt ihn zurück.

»Ihr habt gewisse Gedanken in mir erweckt,« sagte er, »und ich werde Euch Dinge sagen, die ich anderen nicht sagen würde, weil diese anderen weder den Mut noch den Anstand hatten, mit mir zu reden, wie Ihr es getan.«

Ernauton verbeugte sich.

»Mein Herr,« fuhr Loignac fort, indem er sich dem jungen Mann näherte, »vielleicht wird diesen Abend irgendein Großer kommen. Verliert ihn nicht aus dem Blick und folgt ihm überallhin, wohin er gehen wird, wenn er den Louvre verläßt.«

»Herr von Loignac, erlaubt mir, Euch zu bemerken, mir scheint, das heißt spionieren?«

»Spionieren! Glaubt Ihr?« versetzte Loignac mit kaltem Tone, »es ist möglich, doch seht . . .«

Er zog ein Papier aus seiner Brust und reichte es Carmainges; dieser entfaltete es und las: »Laßt diesen Abend Herrn von Mayenne, wenn er es wagt, sich im Louvre einzufinden, jemand folgen.«

»Unterzeichnet?« fragte Loignac. – »Unterzeichnet von Epernon,« las Carmainges.

»Nun, mein Herr?« – »Es ist richtig,« erwiderte Ernauton, sich tief verbeugend, »ich werde Herrn von Mayenne folgen.« Und er entfernte sich.



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