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Gegen die Mitte des dritten Tages kam Ernauton in Paris an. Um drei Uhr nachmittags erschien er im Louvre bei den Fünfundvierzig.
Als ihn die Gaskogner sahen, stießen sie ein Geschrei des Erstaunens aus. Herr von Loignac trat auf dieses Geschrei ein und nahm, als er Ernauton erblickte, das verdrießlichste Gesicht an, was Ernauton nicht abhielt, gerade auf ihn zuzugehen.
Herr von Loignac hieß den jungen Mann durch ein Zeichen in ein Kabinett kommen, das am Ende des Schlafsaales lag.
»Benimmt man sich so, mein Herr?« sagte er sogleich; »Ihr seid nun, wenn ich richtig zähle, fünf Tage und fünf Nächte abwesend, und Ihr, den ich für einen der Vernünftigsten hielt, gebt das Beispiel einer solchen Übertretung?« – »Mein Herr,« entgegnete Ernauton, sich verbeugend, »ich habe getan, was man mich tun hieß.«
»Und was hat man Euch tun heißen?« – »Man hat mir befohlen, Herrn von Mayenne zu folgen, und ich bin ihm gefolgt.«
»Fünf Tage und fünf Nächte hindurch?« – »Fünf Tage und fünf Nächte hindurch.«
»Der Herzog hat also Paris verlassen?« – »An demselben Abend, und das kam mir verdächtig vor.«
»Ihr hattet recht . . . sodann?«
Ernauton erzählte gedrängt, aber mit der Wärme und Energie eines Mannes von Herz das Abenteuer auf dem Wege und die Folgen, die dieses Abenteuer gehabt hatte. Je weiter er in seiner Erzählung vorrückte, desto mehr strahlte Loignacs bewegliches Gesicht alle Eindrücke wider, die der Redende in seiner Seele hervorbrachte.
Als aber Ernauton auf den Brief zu sprechen kam, den ihm Herr von Mayenne anvertraut hatte, rief Herr von Loignac: »Ihr habt diesen Brief?« – »Ja.«
»Teufel! das verdient einige Aufmerksamkeit,« sagte der Kapitän; »erwartet mich oder vielmehr kommt mit mir, ich bitte Euch.«
Ernauton ließ sich führen und gelangte hinter Loignac in den Pferdehof des Louvre, wo alles zu einer Ausfahrt des Königs vorbereitet war. Herr von Epernon sah zu, wie man zwei neue Pferde probierte, die als Geschenk Elisabeths an Heinrich III. aus England gekommen waren.
Während Ernauton am Eingang des Hofes blieb, näherte sich Loignac Herrn von Epernon und berührte ihn unten an seinem Mantel.
»Neuigkeiten, Herr Herzog,« sagte er, »große Neuigkeiten.«
Der Herzog verließ die Gruppe, bei der er stand, und ging zu der Treppe, auf der der König herabkommen mußte.
»Sprecht, Herr von Loignac, sprecht!« – »Herr von Carmainges kommt von jenseits Orleans; Herr von Mayenne liegt in einem Dorfe gefährlich verwundet.«
Der Herzog ließ einen Ausruf vernehmen und wiederholte: »Verwundet!« – »Mehr noch,« fuhr Loignac fort, »er hat an Frau von Montpensier einen Brief geschrieben, den Herr von Carmainges in seiner Tasche trägt.«
»Oh! oh!« machte Epernon. »Parfandious! Laßt Herrn von Carmainges kommen, damit ich selbst mit ihm sprechen kann.«
Loignac holte Ernauton herbei, »Herr Herzog,« sagte er, »hier ist unser Reisender.«
»Gut, mein Herr, Ihr habt, wie« es scheint, einen Brief vom Herrn Herzog von Mayenne?« fragte Epernon. – »Ja, gnädigster Herr.«
»Geschrieben in einem kleinen Dorfe bei Orleans?« – »Ja, gnädigster Herr.«
»Und adressiert an Frau von Montpensier?« – »Ja, gnädigster Herr.«
»Habt die Güte, mir diesen Brief zu geben.«
Der Herzog streckte die Hand mit der ruhigen Nachlässigkeit eines Mannes aus, der nur seinen Willen ausdrücken zu dürfen glaubt, wie er auch lauten mag, daß diesem Willen entsprochen werde.
»Verzeiht, Monseigneur,« sagte Carmainges, »habt Ihr mir nicht gesagt, ich soll Euch den Brief von Herrn von Mayenne an seine Schwester geben?« – »Allerdings.«
»Der Herr Herzog weiß nicht, daß dieser Brief mir anvertraut worden ist.« – »Was liegt daran?«
»Es liegt viel daran, gnädigster Herr; ich habe dem Herrn Herzog mein Ehrenwort gegeben, daß dieser Brief der Herzogin selbst zugestellt werde.«
»Seid Ihr im Dienste des Königs oder in dem des Herrn von Mayenne?« – »In dem des Königs, Monseigneur.«
»Nun wohl! Der König will diesen Brief sehen.« – »Gnädigster Herr, Ihr seid nicht der König.«
»Ich glaube in der Tat, Ihr vergeßt, mit wem Ihr sprecht, Herr von Carmainges?« sagte Epernon, vor Zorn erbleichend.
Aber Ernauton blieb bei aller Erregung und Empörung des Herzogs völlig kühl, was seinen Vorgesetzten schließlich so in Wut versetzte, daß er brüllte:
»Ins Gefängnis, und man nehme ihm seinen Brief ab!«
»Niemand soll ihn berühren,« rief Ernauton, indem er einen Sprung rückwärts machte und Mayennes Schreiben aus der Brust zog; »ich zerreiße den Brief in Stücke, da ich ihn nur um diesen Preis retten kann. Und wenn ich dies tue, wird Herr von Mayenne mein Benehmen billigen, und Seine Majestät wird mir verzeihen.«
Schon war der junge Mann im Begriff, den kostbaren Brief in zwei Stücke zu zerreißen, als eine Hand sanft seinen Arm zurückhielt.
Wäre der Druck heftig gewesen, so würde Ernauton ohne Zweifel den Brief sofort vernichtet haben; als er aber sah, daß man schonend zu Werke ging, hielt er inne und wandte den Kopf um.
»Der König!« sagte er.
Der König hatte wirklich, die Treppe des Louvre herabsteigend, einen Augenblick stillgestanden, er hatte das Ende des Streites mit angehört, und sein königlicher Arm hielt Carmainges' Arm zurück.
»Was gibt es denn, meine Herren?« fragte er mit jenem Tone, dem er, wenn er wollte, eine so gebieterische Macht zu verleihen wußte.
»Sire,« rief Epernon, ohne daß er sich die Mühe gab, seinen Zorn zu verbergen, »dieser Mensch, einer von Euren Fünfundvierzig, zu denen er übrigens nicht mehr gehören wird, dieser Mensch, den ich in Eurem Namen beauftragte, Herrn von Mayenne während seines Aufenthalts in Paris zu überwachen, ist diesem bis jenseits Orleans gefolgt und hat dort von ihm einen an Frau von Montpensier adressierten Brief erhalten.«
»Ihr habt von Herrn von Mayenne einen an Frau von Montpensier adressierten Brief erhalten?« fragte der König. – »Ja, Sire,« antwortete Ernauton; »doch der Herzog von Epernon sagt Euch nicht, unter welchen Umständen.«
»Nun, wo ist dieser Brief?« – »Das ist gerade die Ursache des Streites, Sire; Herr von Carmainges weigert sich durchaus, ihn mir zu geben, und will ihn an seine Adresse überbringen. Eine Weigerung ist meiner Ansicht nach die Sache eines schlechten Dieners.«
Der König schaute Carmainges an.
Der junge Mann setzte ein Knie auf die Erde und sagte: »Sire, ich bin ein armer Edelmann, ein Mann von Ehre und nichts anderes. Ich habe Eurem Boten, den Herr von Mayenne und fünf von seinen Anhängern ermorden wollten, das Leben gerettet, denn ich kam gerade zu rechter Zeit an, um dem Kampfe eine Wendung zu seinen Gunsten zu geben.«
»Und während dieses Kampfes ist Herrn von Mayenne nichts begegnet?« fragte der König. – »Doch, Sire, er wurde verwundet, und zwar schwer verwundet.«
»Gut,« sagte der König, »hernach?«
»Euer Bote, der besondere Gründe des Hasses gegen Herrn von Mayenne zu haben scheint . . .,« der König lächelte, »wollte seinem Feind den Garaus machen; vielleicht hatte er das Recht dazu; doch ich dachte, in meiner Gegenwart, in Gegenwart eines Mannes, dessen Schwert Eurer Majestät gehört, würde diese Rache ein politischer Mord, und . . .« Ernauton zögerte.
»Vollendet!« sagte der König.
»Und ich beschützte Herrn von Mayenne vor Eurem Boten, wie ich Euren Boten vor Herrn von Mayenne beschützt hatte.«
Epernon zuckte die Achseln, Loignac biß sich auf seinen langen Schnurrbart, der König blieb kalt.
»Fahrt fort!« sagte er.
»Auf einen einzigen Gefährten angewiesen – die anderen waren getötet –, hat sich Herr von Mayenne, der sich nicht von diesem Gefährten trennen wollte und nicht wußte, daß ich in Euren Diensten stehe, mir anvertraut und mich ersucht, seiner Schwester einen Brief zu überbringen. Ich habe diesen Brief hier; ich biete ihn Eurer Majestät an, damit sie darüber verfüge, wie sie über mich verfügen würde. Meine Ehre ist mir teuer, Sire, doch sobald ich, um meinem Gewissen zu begegnen, die Gewährschaft des königlichen Willens habe, verleugne ich meine Ehre, denn sie ist in guten Händen.«
Immer noch auf den Knien, reichte Ernauton dem König den Brief.
Der König schob ihn sanft mit der Hand zurück und sagte: »Was sagtet Ihr denn, Epernon? Herr von Carmainges ist ein Ehrenmann und ein treuer Diener.«
»Ich, Sire,« versetzte Epernon, »Eure Majestät fragt, was ich sagte?«
»Ja, hörte ich denn nicht, als ich die Treppe herabging, das Wort Gefängnis aussprechen? Gottes Tod! Ganz im Gegenteil. Der Brief gehört immer dem, der ihn trägt, Herzog, oder dem, dem man ihn bringt.«
Epernon verbeugte sich brummend.
»Ihr werdet Euren Brief an die Adresse abgeben, Herr von Carmainges.«
»Aber, Sire, bedenkt, was er enthalten kann,« sagte Epernon. »Wir wollen nicht den Zarten spielen, wenn es sich um das Leben Eurer Majestät handelt.«
»Ihr werdet Euren Brief abgeben, Herr von Carmainges,« wiederholte der König, ohne seinem Günstling zu antworten.
»Ich danke, Sire,« sagte Carmainges, indem er sich zurückzog.
»Wohin tragt Ihr ihn?«
»Zu der Frau Herzogin von Montpensier. Ich glaubte die Ehre gehabt zu haben, es Eurer Majestät zu sagen.«
»Ich drücke mich schlecht aus. An welche Adresse, wollte ich sagen. In das Hotel Guise, in das Hotel Saint-Denis oder nach Bel . . .«
Ein Blick Epernons hielt den König zurück.
»Ich habe in dieser Hinsicht keine besondere Instruktion von Herrn von Mayenne, Sire; ich werde den Brief in das Hotel Guise tragen und dort erfahren, wo Frau von Montpensier ist.«
»Ihr sucht also die Herzogin auf?« – »Ja, Sire.«
»Und wenn Ihr sie gefunden habt?« – »Übergebe ich ihr meine Botschaft.«
»Ganz gut. Sagt nun, Herr von Carmainges . . .« und der König schaute den jungen Mann fest an. – »Sire?«
»Habt Ihr Herrn von Mayenne etwas anderes versprochen, als diesen Brief eigenhändig seiner Schwester zu übergeben?« – »Nein, Sire.«
»Ihr habt nicht etwa Geheimhaltung des Ortes versprochen, wo Ihr die Herzogin treffen könntet?« – »Nein, Sire, ich habe nichts dergleichen versprochen.«
»Ich werde Euch eine einzige Bedingung stellen.« – »Sire, ich bin der Sklave Eurer Majestät.«
»Ihr übergebt diesen Brief an Frau von Montpensier, und sobald er übergeben ist, kommt Ihr zu mir nach Vincennes, wo ich diesen Abend sein werde.« – »Ja, Sire.«
»Und Ihr legt mir sodann getreulich Rechenschaft ab, wo Ihr die Herzogin gefunden habt.« – »Sire, Eure Majestät kann darauf zählen.«
»Ohne eine andere Erklärung oder ein anderes Bekenntnis, versteht Ihr?« – »Sire, ich verspreche es.«
»Welche Unklugheit! oh! Sire!« sagte der Herzog von Epernon.
»Ihr versteht Euch nicht auf die Menschen, Herzog, oder wenigstens nicht auf gewisse Menschen. Dieser ist redlich gegen Mayenne, folglich wird er auch redlich gegen mich sein.«
»Gegen Euch, Sire, werde ich mehr als redlich, ich werde treu ergeben sein,« rief Ernauton.
»Nun, keinen Streit mehr hier, Epernon,« sagte der König, »Ihr werdet auf der Stelle diesem braven Diener vergeben, was Ihr als einen Mangel an Ergebenheit betrachtet, und was ich als einen Beweis von Rechtschaffenheit ansehe.«
»Sire,« sagte Carmainges, »der Herr Herzog von Epernon ist ein zu erhabener Mann, um nicht bei meinem Ungehorsam gegen seine Befehle, worüber ich ihm mein Bedauern ausdrücke, gesehen zu haben, wie sehr ich ihn achte und liebe; ich habe nur vor allem getan, was ich für eine Pflicht hielt.«
»Parfandious!« rief der Herzog, indem er die Physiognomie mit derselben Schnelligkeit veränderte, wie ein Mensch, der eine Maske aufsetzt oder ablegt, »das ist eine Prüfung, die Euch Ehre macht, und Ihr seid in der Tat ein hübscher Junge, nicht wahr, Loignac? Wir haben ihm schön angst gemacht.« Und der Herzog schlug ein Gelächter auf.
Loignac drehte sich auf den Absätzen, um nicht zu antworten; obgleich Gaskogner, fühlte er sich nicht stark genug, mit derselben Unverschämtheit zu lügen, wie sein erhabener Chef.
»Nun, da alles abgemacht ist, brechen wir auf, meine Herren,« sagte der König.
Epernon verbeugte sich.
»Ihr kommt mit mir, Herzog!«
»Was heißt, ich begleite Eure Majestät zu Pferde; so lautet, glaube ich, der Befehl, den sie gegeben hat?« – »Ja . . . Wer wird am anderen Kutschenschlag sein?«
»Ein ergebener Diener Eurer Majestät, Herr von Sainte-Maline,« antwortete Epernon und schaute dabei Ernauton an, um zu sehen, welche Wirkung dies bei ihm hervorbrächte.
Ernauton blieb unempfindlich.
»Loignac,« fügte er hinzu, »ruft Herrn von Sainte-Maline!«
»Herr von Carmainges,« sagte der König, der die Absicht des Herzogs von Epernon begriff, »Ihr werdet Euren Auftrag besorgen, nicht wahr, und Ihr kommt dann sogleich nach Vincennes?« – »Ja, Sire.«
Trotz aller Philosophie war Ernauton doch froh, nicht dem Triumphe beizuwohnen, der das ehrgeizige Herz Sainte-Malines so sehr ergötzen mußte.