Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Bruder Borromée.

Als Chicot, den ehrwürdigen Prior unterstützend, in den Hof der Priorei kam, war der Anblick genau der einer ungeheuren Kaserne in voller Tätigkeit. In zwei Haufen, jede von hundert Mann, geteilt, warteten die Mönche, die Hellebarde, die Pike oder die Muskete bei Fuß, wie Soldaten auf das Erscheinen ihres Kommandanten.

Fünfzig ungefähr hatten ihre Köpfe mit Helmen oder Pickelhauben bedeckt; ein Gürtel befestigte an ihren Hüften ein langes Schwert. Andere brüsteten sich stolz in gewölbten Panzern, worauf sie mit Vergnügen einen eisernen Handschuh klirren ließen. Wieder andere übten sich, in Armschienen und Beinschienen eingeschlossen, ihre durch diese teilweise Umschalung der Elastizität beraubten Gelenke zu biegen.

Bruder Borromée nahm einen Helm aus den Händen eines Novizen und setzte ihn sich auf den Kopf, mit einer Bewegung, so rasch und so regelmäßig, als es nur ein Reiter oder ein Lanzknecht hätte tun können.

Während er das Sturmband befestigte, konnte Chicot nicht umhin, den Helm anzuschauen, und während er ihn anschaute, lächelte sein Mund, und während er lächelte, drehte er sich rings um Borromée, als wollte er ihn von allen Seiten bewundern.

Er tat noch mehr, er näherte sich dem Säckelmeister und fuhr mit der Hand über eine von den Ungleichheiten des Helmes.

»Ihr habt da eine schöne Sturmhaube, Bruder Borromée,« sagte er; »wo habt Ihr sie gekauft, mein lieber Prior?«

Gorenflot konnte nicht antworten, weil man ihm in diesem Augenblick einen Panzer umband, der, obwohl geräumig genug, um einen Farnesischen Herkules aufzunehmen, doch die üppigen Wogungen des Priorlichen Fleisches schmerzlich drückte.

»Gottes Tod! bindet nicht so fest,« rief Gorenflot; »preßt nicht so gewaltig, ich würde ersticken, ich hätte keine Stimme mehr. Genug! genug!«

»Ihr fragtet, glaube ich, den ehrwürdigen Prior, wo er meinen Helm gekauft habe?« sagte Borromée.

»Ich fragte den ehrwürdigen Prior danach und nicht Euch,« erwiderte Chicot, »denn ich nehme an, daß in diesem Kloster, wie in den anderen, alles nur auf den Befehl des Superiors geschieht.«

»Allerdings geschieht hier nichts ohne meinen Befehl,« sagte Gorenflot; »was fragt Ihr, lieber Herr Briquet?«

»Ich frage den Bruder Borromée, ob er wisse, woher dieser Helm komme.«

»Er gehörte zu einer Anzahl Rüstungen, die der ehrwürdige Prior gestern kaufte, um das Kloster zu bewaffnen.«

»Ich?« versetzte Gorenflot.

»Eure Herrlichkeit hat befohlen, sie erinnert sich dessen, daß man mehrere Helme und verschiedene Panzer hierher bringe, und man hat die Befehle Eurer Herrlichkeit vollzogen.«

»Es ist wahr, es ist wahr,« rief Gorenflot.

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »mein Helm war also sehr anhänglich an seinen Herrn, daß er mich, nachdem er mich in das Hotel Guise geführt, nun wie ein verlorener Hund in der Priorei der Jakobiner aufsucht.«

In diesem Augenblick bildeten sich auf ein Zeichen Bruder Borromées regelmäßige Linien, und es trat Stille in den Reihen ein.

Chicot setzte sich auf seine Bank, um nach seiner Bequemlichkeit den Übungen beizuwohnen.

Gorenflot blieb stehen und hielt das Gleichgewicht auf seinen zwei Beinen wie auf zwei Pfosten.

»Habt acht!« sagte ganz leise Bruder Borromée.

Dom Modeste zog einen riesigen Säbel aus seiner eisernen Scheide, schwang ihn in der Luft und schrie mit seiner Stentorstimme: »Habt acht!«

»Eure Ehrwürden würde sich vielleicht mit dem Kommandieren ermüden,« sagte nun Bruder Borromée mit sanfter Zuvorkommenheit; »Eure Ehrwürden war diesen Morgen leidend; wenn es ihr gefiele, ihre kostbare Gesundheit zu schonen, so würde ich heute bei der Übung kommandieren.«

»Ich will es,« erwiderte Dom Modeste; »in der Tat, ich bin leidend, ich ersticke, geht.«

Borromée verbeugte sich und stellte sich wie ein Mensch, der daran gewöhnt ist, vor die Front der Truppe.

»Welch ein gefälliger Diener,« sagte Chicot; »dieser Bursche ist eine wahre Perle.« – »Er ist entzückend, ich sagte es dir wohl.«

»Ich bin überzeugt, daß er dir alle Tage dasselbe tut.« – »Oh! alle Tage . . . er ist unterwürfig wie ein Sklave; ich mache ihm nur seine Zuvorkommenheit zum Vorwurf. Die Demut besteht nicht in der Knechterei.«

»So daß du wahrhaftig nichts hier zu tun hast und auf beiden Ohren schlafen kannst; Bruder Borromée wacht für dich!« – »Oh! mein Gott, ja.«

»Das wollte ich wissen,« sagte Chicot, der seine Aufmerksamkeit Borromée allein zuwandte.

Es war, wunderbar anzuschauen, wie der Säckelmeister, einem Schlachtroß ähnlich, sich unter dem Harnisch aufrichtete.

Sein erweitertes Auge schleuderte Flammen, sein kräftiger Arm verlieh dem Schwerte so geschickte Bewegungen, daß man hätte glauben sollen, ein Meister in den Waffen fechte vor einem Zug Soldaten. Sooft Bruder Borromée eine Erläuterung machte, wiederholte sie Gorenflot und fügte hinzu: »Borromée hat recht; aber ich habe es Euch schon gesagt; erinnert Euch doch meiner gestrigen Lektion. Nehmt das Gewehr von einer Hand in die andere . . . haltet die Pike aufrecht, haltet sie aufrecht, das Eisen in der Höhe des Auges . . . Haltung, beim heiligen Georg! mit den Knien nicht gewankt; halb links um ist gerade dasselbe wie halb rechts um, nur ganz das Gegenteil.«

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »du bist ein geschickter Demonstrator.«

»Ja, ja,« machte Gorenflot, sein dreifaches Kinn streichelnd, »ich verstehe die Übung ziemlich gut.«

»Und du hast an Borromée einen vortrefflichen Zögling« – »Er begreift mich, er ist äußerst einsichtsvoll.«

Die Mönche führten den militärischen Lauf, eine damals sehr beliebte Übung, die Angriffe mit dem Schwert, mit der Pike und die Übungen im Feuer aus. Als man bei den letzteren war, sagte der Prior zu Chicot: »Du wirst meinen kleinen Jacques sehen.«

»Wer ist dein kleiner Jacques?« – »Ein artiger Junge, den ich mir beigesellen wollte, weil er ein ruhiges Äußeres und eine kräftige Hand besitzt und bei dem allen die Lebhaftigkeit des Salpeters hat.«

»Ah! wahrhaftig? Und wo ist er denn, der reizende Junge?« – »Warte, warte, ich will ihn dir zeigen, dort, siehst du, der eine Muskete in der Hand hält und zuerst zu feuern sich anschickt.«

»Und er schießt gut?« – »Auf hundert Schritte fehlt er einen Rosenobel nicht.«

»Das ist ein Bursche, der vortrefflich bei der Messe dienen muß; doch warte auch du!« – »Was denn?«

»Ja, ja, nein, nein.« – »Du kennst meinen kleinen Jacques?«

»Nicht im geringsten.« – »Aber du glaubtest ihn anfangs zu kennen?«

»Ja, es kam mir vor, als hätte ich ihn in einer gewissen Kirche gesehen, an einem Tage oder vielmehr in einer Nacht, wo ich in einem Beichtstuhl eingeschlossen war . . . Doch nein, ich täuschte mich, er ist es nicht.«

Diesmal, wir müssen es gestehen, standen die Worte Chicots nicht ganz mit der Wahrheit im Einklang. Chicot war ein zu guter Physiognomiker, als daß er ein Gesicht, das er einmal gesehen, je wieder vergessen hätte.

Während er, ohne es zu vermuten, der Gegenstand der Aufmerksamkeit des Priors und seines Freundes war, lud der kleine Jacques, wie ihn Gorenflot nannte, eine schwere Muskete, die so lang war, als er; nachdem er sie geladen, stellte er sich stolz hundert Schritte vom Ziel auf und schlug an. Der Schuß ging los, und die Kugel traf zum großen Beifall der Mönche mitten ins Ziel.

»Alle Wetter! das ist gut gezielt,« sagte Chicot, »und bei meinem Wort, es ist ein hübscher Junge.«

»Ich danke, mein Herr,« erwiderte Jacques, dessen bleiche Wangen sich mit der Röte des Vergnügens färbten.

»Du handhabst die Waffen geschickt, mein Kind,« versetzte Chicot.

»Ich will's lernen,« sagte Jacques.

Bei diesen Worten legte er seine Muskete beiseite, nahm eine Pike aus den Händen seines Nachbars und machte damit eine Radschwingung, die Chicot vortrefflich ausgeführt fand.

Chicot erneuerte seine Komplimente.

»Mit dem Degen zeichnet er sich besonders aus,« sagte Dom Modeste. »Die Kenner halten ihn für sehr stark; es ist wahr, der Junge hat eiserne Kniebeugen, stählerne Faustgelenke und spielt vom Morgen bis zum Abend mit dem Schwerte.«

»Ah! laßt das sehen,« versetzte Chicot.

»Wollt Ihr seine Stärke versuchen?« fragte Borromée.

»Ich möchte wohl einen Beweis davon haben,« erwiderte Chicot.

»Oh!« sagte Borromée, »außer mir ist vielleicht niemand hier, der mit ihm zu fechten imstande wäre; wie steht's, mit Euch, mein Herr?«

»Ich bin nur ein armer Bürger,« entgegnete Chicot, den Kopf schüttelnd; »früher habe ich meinen Raufdegen geführt, aber heute zittern meine Beine, wackelt mein Arm, und mein Kopf ist nicht mehr sehr gegenwärtig,«

»Doch Ihr übt es immer noch?« sagte Borromée.

»Ein wenig,« antwortete Chicot, indem er Gorenflot, der lächelte, einen Blick zuwarf, der diesem den Namen Nicolas David entriß.

Doch Borromée sah das Lächeln und hörte den Namen nicht und befahl mit einer Miene voll Ruhe, Rapiere und Fechtmasken zu bringen. Funkelnd vor Freude unter seiner kalten, düsteren Hülle hob Jacques seinen Rock bis zum Knie auf und stellte seine Sandalen mit einem Appell auf dem Sande fest. Chicot aber sagte: »Da ich weder Mönch noch Soldat bin, so habe ich mich seit langer Zeit nicht mehr in den Waffen geübt; wollt Ihr, ich bitte Euch, Ihr, Bruder Borromée, der Ihr nichts als Muskeln und Sehnen seid, dem Bruder Jacques die Sektion geben? Willigt Ihr ein, lieber Prior?«

»Ich befehle es!« deklamierte der Prior, stets entzückt, dies Wort anzubringen.

Borromée nahm seinen Helm ab; Chicot streckte eiligst seine Hände aus, und der in seine Hände gelegte Helm erlaubte seinem ehemaligen Herrn abermals, seine Identität zu erkennen; während unser Bürger diese Prüfung vornahm, befestigte der Säckelmeister seinen Rock an seinem Gürtel und machte sich bereit.

Sämtliche Mönche bildeten einen Kreis um den Zögling und den Lehrer.

Gorenflot neigte sich an das Ohr seines Freundes und sagte naiv: »Nicht wahr, es ist auch belustigend, Vesper zu singen?«

»Das sagen die Chevaulegers,« antwortete Chicot mit derselben Naivität.

Die Kämpfenden legten sich aus; spröde und nervig, hatte Borromée den Vorteil des Wuchses, er hatte auch den, den Aplomb und Erfahrung verleihen. Das Feuer stieg in lebendigen Lichtern in Jacques' Augen und färbte seine Wangen mit einer fieberhaften Röte.

Man sah, wie Borromée die religiöse Maske fallen ließ und sich in einen Fechtmeister verwandelte; er fügte zu jedem Stoß eine Ermahnung, einen Rat, einen Vorwurf; aber oft siegten die Kraft, die Behendigkeit, das Ungestüm des Zöglings über die guten Eigenschaften seines Lehrers, und Bruder Borromée empfing einen tüchtigen Stoß auf die volle Brust. Chicot verschlang dieses Schauspiel mit den Augen und zählte die treffenden Stöße.

Als der Kampf beendigt war, oder vielmehr als die Fechtenden eine erste Pause machten, hatte Jacques sechsmal, Borromée neunmal getroffen, das ist hübsch für den Schüler, aber nicht genug für den Lehrer.

Ein Blitz, der, mit Ausnahme Chicots für alle unbemerkt blieb, zuckte in Borromées Augen und enthüllte einen neuen Zug seines Charakters.

»Gut,« dachte Chicot, »er ist stolz.«

»Mein Herr,« sagte Borromée mit einer Stimme, die er nur mit großer Mühe süßlich zu machen imstande war, »die Waffenübung ist hart für jeden und besonders für arme Mönche, wie wir sind.«

»Gleichviel,« erwiderte Chicot, entschlossen, Bruder Borromée bis in seine letzten Verschanzungen zu treiben, »der Lehrer darf nicht weniger als die Hälfte Vorteil über seinen Zögling haben.«

»Ah! Herr Briquet,« versetzte Borromée, der ganz bleich wurde und sich auf die Lippen biß, »Ihr seid sehr absolut, wie mir scheint.«

»Gut, er ist zornmütig,« dachte Chicot, »zwei Todsünden; man sagt, eine genüge, um einen Menschen ins Verderben zu stürzen; ich habe ein schönes Spiel!«

Dann fuhr er laut fort: »Und hätte Jacques mehr Ruhe, so bin ich sicher, daß die Partie gleichstände.«

»Ich glaube nicht,« entgegnete Borromée.

»Nun, ich bin dessen sicher.«

»Herr Briquet, der das Fechten kennt,« sagte Borromée mit bitterem Tone, »sollte selbst Jacques' Stärke versuchen; er könnte sich dann besser Rechenschaft darüber geben.«

»Oh! ich bin alt,« sagte Chicot.

»Ja, aber Kenner,« entgegnete Borromée.

»Ah! du spottest,« dachte Briquet; »warte, warte. Aber,« fuhr er fort, »es gibt einen Umstand, der meiner Bemerkung ihren Wert benimmt.«

»Welchen Umstand?«

»Daß Bruder Borromée als würdiger Lehrer, davon bin ich überzeugt, Jacques aus Gefälligkeit hat treffen lassen.«

»Ah! ah!« machte Jacques, ebenfalls die Stirn faltend.

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Borromée, an sich haltend, im .Grunde aber im höchsten Maße erbost; »ich liebe Jacques sicherlich, aber ich verderbe ihn nicht durch solche Gefälligkeiten.«

»Das ist zum Erstaunen,« versetzte Chicot, »entschuldigt mich, ich hatte es geglaubt.«

»Aber Ihr, der Ihr sprecht versucht es doch einmal,« sagte Borromée.

»Oh! schüchtert mich nicht ein!«

»Seid unbesorgt, man wird Nachsicht mit Euch haben. Man kennt die Gesetze der Kirche.«

»Heide!« murmelte Chicot.

»Nun, Herr Briquet, nur einen Gang.«

»Versuche es,« sagte Gorenflot, »versuche es.«

»Ich werde Euch nicht wehe tun,« sagte Jacques, der nun ebenfalls die Partie seines Lehrmeisters nahm und seinerseits ein wenig zu beißen wünschte; »ich habe eine sehr sanfte Hand.«

»Ein liebes Kind,« murmelte Chicot, indem er auf den jungen Mönch einen unbeschreiblichen Blick heftete, der in einem stillen Lächeln endigte.

»Nun denn,« sagte er, »da es alle wollen . . .«

»Ah! bravo!« riefen die Beteiligten, den Triumph vorwegnehmend.

»Nur sage ich Euch zum voraus, daß ich nicht mehr als drei Gänge annehme,« sagte Chicot.

»Wie es Euch beliebt,« erwiderte Jacques.

Langsam erhob sich Chicot von der Bank, auf die er sich wieder niedergesetzt hatte, schloß sein Wams, zog seinen Fechthandschuh an und befestigte seine Maske mit der Schnelligkeit einer Schildkröte, die nach Fliegen schnappt.

»Wenn dieser auf deine geraden Stöße zur Parade kommt,« flüsterte Borromée Jacques zu, »so tue ich keinen Gang mehr mit dir, das sage ich dir.«

Jacques machte ein Zeichen mit dem Kopf, begleitet von einem Lächeln, das bedeutete: »Seid unbesorgt, Meister.«

Chicot nahm stets mit derselben Langsamkeit und Umsicht seine Stellung und streckte seine langen Arme und Beine aus, die er durch ein Wunder von Genauigkeit so richtete, daß er ihre ungeheure Federkraft und unberechenbare Entwicklung verbarg.



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