Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Wie eine vornehme Dame im Jahre der Gnade 1586 liebte.

Das dreimalige Pfeifen, das in gleichmäßigen Zwischenräumen die Luft durchdrungen hatte, sollte wohl dem glückseligen Ernauton als Signal dienen.

Als der junge Mann dem Hause nahekam, fand er Frau Fournichon unter der Tür, wo sie die Kunden mit einem Lächeln erwartete, das sie einer flämischen Göttin ähnlich machte.

Sie hielt noch in ihren fetten, weißen Händen einen Goldtaler, den eine andere Hand ebenso weiß, aber zarter als die ihrige im Vorübergehen dareingelegt hatte. Sie schaute Ernauton an, füllte, ihre Hände auf die Hüften legend, den Raum der Tür so aus, daß jeder Durchgang unmöglich war, und ließ ihn erst durch, nachdem der Gaskogner sein Ehrenwort gegeben hatte, das Pfeifen habe ihm gegolten.

Freudig erregt, endlich eine Kundschaft zu haben, wie sie sie sich schon lange glühend für den unglücklichen Rosenstock Amors wünschte, der durch den »Kühnen Ritter« entthront worden war, ließ die Wirtin Ernauton auf der Schneckentreppe hinaufsteigen, die zu dem geschmücktesten und diskretesten der Türmchen führte.

Frau Fournichon folgte dem jungen Manne Schritt für Schritt, sie trieb ihn von der Treppe ins Vorzimmer und vom Vorzimmer in das Türmchen, mit Augen, die durch verliebtes Blinzeln ganz klein wurden; dann zog sie sich zurück.

Ernauton blieb, die rechte Hand am Türvorhang, die linke auf der Klinke und zum Gruß halb gebückt, stehen.

Er hatte in dem wollüstigen Dämmerlicht des nur durch eine einzige Kerze von rosenfarbenem Wachs erleuchteten Türmchens eine zierliche, weibliche Gestalt erblickt, die stets, wenn nicht Liebe, doch wenigstens Aufmerksamkeit oder gar Verlangen heischt. Auf Kissen zurückgelehnt, ganz in Samt und Seide gehüllt, war diese Dame, deren kleiner Fuß über das Ende des Ruhebettes herabging, beschäftigt, an der Kerze den Rest eines kleinen Aloëzweiges zu verbrennen, dessen Rauch sie zuweilen, um ihn einzuatmen, ihrem Gesichte näher brachte, wobei sie auch mit diesem Rauch die Falten ihres Kapuchon und ihre Haare füllte, als wollte sie sich ganz von dem berauschenden Dampfe durchdringen lassen.

An der Art und Weise, wie sie den Rest des Zweiges ins Feuer warf, wie sie ihr Kleid auf ihren Fuß hinabzog und ihre Kopfbedeckung auf ihr verlarvtes Gesicht fallen ließ, erkannte Ernauton, daß sie ihn hatte eintreten hören und in ihrer Nähe wußte. Sie hatte sich jedoch nicht umgewendet.

Ernauton wartete einen Augenblick; sie wandte sich nicht um.

»Madame,« sagte der junge Mann mit weicher Stimme. »Madame, Ihr habt Euren untertänigen Diener rufen lassen, hier ist er.«

»Ah! sehr gut, ich bitte, setzt Euch, Herr Ernauton!« – »Verzeiht, Madame, ich muß Euch vor allem für die Ehre danken, die Ihr mir erweist.«

»Ah! das ist artig, Ihr habt recht, Herr von Carmainges, und ich denke, Ihr wißt doch noch nicht, wem Ihr dankt?« – »Madame, Ihr habt das Gesicht unter einer Larve, die Hand unter Handschuhen verborgen und mir im Moment meines Eintritts den Anblick eines Fußes entzogen, der mich sicher wahnsinnig verliebt in Euch gemacht hätte,« sagte Ernauton, allmählich näherkommend, »ich sehe nichts, was mir eine Erkennung gestattet, und ich kann nur erraten.«

»Und Ihr erratet, wer ich bin?« – »Die, nach der sich mein Herz sehnt, die meine Einbildungskraft jung, schön, mächtig und reich macht, zu reich und zu mächtig sogar, als daß ich glauben könnte, was mir begegnet, sei eine Wirklichkeit, und ich träumte nicht in diesem Augenblick.«

»Habt Ihr viel Mühe gehabt, hier hereinzukommen?« – »Nein, Madame, der Zugang ist mir sogar viel leichter geworden, als ich gedacht hätte.«

»Es ist wahr, für einen Mann ist alles leicht, nur für eine Frau ist das anders.« – »Ich bedaure sehr, Madame, daß Ihr Euch so viele Mühe gemacht habt, und kann Euch nur meinen untertänigsten Dank dafür darbringen.«

Doch die Dame schien schon zu einem andern Gedanken übergegangen zu sein.

»Was sagtet Ihr, mein Herr?« versetzte sie nachlässig, während sie einen Handschuh auszog, um eine bewunderungswürdige runde Hand mit zart zugespitzten Fingern zu zeigen. – »Ich sagte, Madame, ohne Eure Züge gesehen zu haben, wisse ich, wer Ihr seid, und ohne eine Täuschung zu befürchten, könnte ich Euch sagen, daß ich Euch liebe.«

»Ihr glaubt also dafür stehen zu können, daß ich wirklich die bin, die Ihr hier zu finden erwartetet?« – »In Ermangelung des Augenscheins sagt es mir mein Herz.«

»Ihr kennt mich also?« – »Ich kenne Euch, ja.«

»In der Tat, Ihr, ein Mann, der kaum aus der Provinz hier gelandet ist, Ihr kennt schon die Frauen von Paris?« – »Von allen Frauen von Paris, Madame, kenne ich bis jetzt nur eine einzige.«

»Und diese bin ich?« – »Ich glaube es.«

»Und woran erkennt Ihr mich?« – »An Eurer Stimme, an Eurer Anmut, an Eurer Schönheit.«

»An meiner Stimme, ich begreife das, denn ich kann sie nicht verstellen; an meiner Anmut, ich will dieses Wort als Kompliment nehmen; doch an meiner Schönheit, diese Antwort kann ich nur als Hypothese zulassen.« – »Warum dies, Madame?«

»Ganz gewiß: Ihr kennt mich an meiner Schönheit, die ist aber verschleiert.« – »Sie war es weniger, Madame, an dem Tag, als ich Euch, um Euch nach Paris zu bringen, so nahe bei mir hielt, daß Eure Brust meine Schultern streifte, und Euer Atem an meinem Halse brannte.«

»Bei Empfang meines Briefes habt Ihr auch erraten, es handle sich um mich?« – »Oh! nein, nein, Madame, glaubt das nicht! Ich hatte nicht einen Augenblick einen solchen Gedanken, ich dachte im Gegenteil, ich wäre das Spielzeug, irgendeines Scherzes, das Opfer eines Irrtums; ich glaubte, ich wäre mit einer Katastrophe bedroht, die man Glück bei Frauen nennt, und erst seit einigen Minuten, da ich Euch sehe, Euch berühre . . .«

Hier machte Ernauton eine Gebärde, um eine Hand zu nehmen, die sich vor der seinigen zurückzog.

»Genug, es unterliegt keinem Zweifel, daß ich eine ausnehmende Torheit begangen habe.« – »Und worin, Madame, wenn ich bitten darf?«

»Worin! Ihr sagt, Ihr kennt mich und fragt mich, wieso ich eine Torheit begangen habe?« – »Oh! es ist wahr, Madame, ich bin sehr klein, sehr niedrig gegen Eure Hoheit.«

»Aber, um Gottes willen! Macht mir doch das Vergnügen zu schweigen, mein Herr; habt Ihr denn gar keinen Verstand?« – »In des Himmels Namen, was habe ich denn getan, Madame?«

»Wie! Ihr seht mich in einer Maske.« – »Nun!«

»Wenn ich eine Maske trage, so geschieht es ohne Zweifel, um mich zu verkleiden, und Ihr nennt mich Hoheit? Warum öffnet Ihr nicht das Fenster und ruft meinen Namen auf die Straße!« – »Oh! verzeiht, verzeiht,« sagte Ernauton, auf die Knie fallend, »ich glaubte an die Verschwiegenheit dieser Wände.«

»Mir scheint, Ihr seid leichtgläubig.« – »Ach! Madame, ich bin verliebt.«

»Und Ihr seid überzeugt, ich werde sofort diese Liebe erwidern?« – Ernauton stand gereizt auf. »Nein, Madame.«

»Und was glaubt Ihr?« – »Ich glaube, daß Ihr mir etwas Wichtiges zu sagen habt; daß Ihr mich nicht im Hotel Guise oder in Eurem Hause in Bel-Esbat empfangen wolltet, und daß Ihr eine geheime Unterredung an einem einsamen Orte vorzöget.«

»Ihr glaubt dies?« – »Ja.«

»Und was denkt Ihr, daß ich Euch zu sagen gehabt habe, sprecht; es wäre mir nicht unangenehm, Euren Scharfsinn schätzen zu können.« Und unter einer scheinbaren Sorglosigkeit ließ die Dame unwillkürlich eine gewisse Unruhe durchdringen. – »Was weiß ich? Etwas zum Beispiel, was auf Herrn von Mayenne Bezug hätte.«

»Habe ich nicht meine Eilboten, die mir morgen abend mehr sagen werden, als Ihr mir sagen könnt, da Ihr mir gestern alles gesagt habt, was Ihr wußtet.« – »Vielleicht habt Ihr auch eine Frage über das Ereignis der vergangenen Nacht an mich zu richten.«

»Ah! welches Ereignis, wovon sprecht Ihr?« fragte die Dame, deren Busen sichtbar bebte, – »Ich meine den panischen Schrecken des Herrn von Epernon, die Verhaftung der lothringischen Edelleute . . .«

»Man hat lothringische Edelleute verhaftet?« – »Ungefähr zwanzig, die sich zur unrechten Zeit auf der Straße nach Vincennes befanden.«

»Was auch die Straße nach Soissons ist, wo Herr von Guise, wie mir scheint, Garnison hält. Ah! es ist wahr, Herr Ernauton, Ihr, der Ihr vom Hofe seid, könntet mir sagen, warum man diese Edelleute verhaftet hat.« – »Ich vom Hofe?«

»Allerdings.« – »Ihr wißt das, Madame?«

»Bei Gott! um Eure Adresse zu bekommen, mußte ich Erkundigungen einziehen. Doch ich bitte Euch um alles in der Welt, macht ein Ende mit Euren Redensarten, Ihr habt die bedauerliche Gewohnheit, das Gespräch zu durchkreuzen; . . . nun, was war das Resultat dieser Unbesonnenheit?« – »«Durchaus nichts, Madame, wenigstens soweit ich weiß.«

»Warum dachtet Ihr dann, ich würde von einer Sache sprechen, die kein Resultat gehabt hat?« – »Ich hatte diesmal wie die anderen Male unrecht, Madame, und ich gestehe mein Unrecht.«

»Wie, mein Herr! aus welcher Gegend seid Ihr denn?« – »Aus Agen.«

»Ah! mein Herr, Ihr seid Gaskogner, denn Agen liegt, wie ich glaube, in der Gaskogne,« – »Ungefähr.«

»Ihr seid Gaskogner und wart nicht eitel genug, anzunehmen, ich hätte, als ich Euch bei der Hinrichtung Salcèdes an der Porte Saint-Antoine sah, gefunden, Ihr seiet ein artiger Mann.«

Ernauton errötete und fing an unruhig zu werden. Die Dame fuhr fort: »Ich wäre Euch auf der Straße begegnet und hätte Euch schön gefunden.« – Ernauton wurde purpurrot. »Madame, Madame, Gott behüte mich, ich denke das nicht.«

»Und Ihr habt unrecht,« versetzte die Dame, indem sie sich zum erstenmal gegen Ernauton umwandte und auf seine Augen ihre unter der Maske flammenden Augen heftete und dabei vor dem entzündeten Blicke des jungen Mannes eine wunderbar verführerische Taille entwickelte, die sich in runden, wollüstigen Linien auf dem Samt des Ruhebettes hervorhob. – Ernauton faltete die Hände und rief: »Madame! Madame! Ihr spottet meiner.«

»Wahrhaftig, nein,« erwiderte sie mit demselben freien, ungebundenen Ton, »ich sage, daß Ihr mir gefallen habt, und das ist die Wahrheit.« – »Mein Gott!«

»Habt Ihr denn nicht selbst gewagt, mir zu erklären, daß Ihr mich liebt?« – »Als ich Euch dies erklärte, wußte ich nicht, wer Ihr wart, Madame, und nun, da ich es weiß, bitte ich Euch demütig um Verzeihung.«

»Ah! nun fängt er an zu faseln,« murmelte die Dame voll Ungeduld. »Bleibt doch, was Ihr seid, sagt doch, was Ihr denkt, oder Ihr werdet machen, daß ich bedaure, hierher gekommen zu sein.« – Ernauton fiel auf die Knie. »Sprecht, Madame, damit ich mich überzeuge, daß dies alles nicht ein Spiel ist, und vielleicht werde ich dann wagen, zu antworten.«

»Es sei; vernehmt, welche Pläne ich mit Euch habe,« erwiderte die Dame, indem sie mit der einen Hand Ernauton zurückschob, während sie mit der andern die Falten ihres Kleides symmetrisch ordnete. »Ich finde Geschmack an Euch, doch ich kenne Euch noch nicht. Ich habe nicht die Gewohnheit, meinen Neigungen zu widerstehen, bin aber auch nicht so albern, Irrtümer zu begehen. Wären wir von gleichem Stande gewesen, so hätte ich Euch bei mir empfangen und nach meiner Bequemlichkeit studiert, ehe Ihr meine Absichten geahnt haben würdet. Bei Euch war dies unmöglich; man mußte das anders einrichten und aufs Geratewohl diese Zusammenkunft herbeiführen. Ihr wißt nun, woran Ihr Euch in Beziehung aus mich zu halten habt. Werdet meiner würdig, das ist alles, was ich Euch empfehle.« – Ernauton verwickelte sich in Beteuerungen. »Oh! ich bitte, weniger Hitze, Herr von Carmainges,« sagte die Dame mit nachlässigem Tone, »es ist nicht der Mühe wert; vielleicht ist es nur Euer Name, was mir, als wir uns zum ersten Male trafen, aufgefallen ist und mich angesprochen hat. Im ganzen glaube ich entschieden, daß ich nur eine Laune für Euch habe, und daß dies vorübergehen wird. Glaubt indessen nicht, zu fern von der Vollendung zu sein, und verzweifelt nicht! Ich kann die vollkommenen Menschen nicht leiden, Oh! ich bete dagegen die ergebenen Leute an. Beachtet dies wohl, schöner Kavalier.«

Ernauton war außer sich; diese hochmütige Sprache, diese Gebärden voll Wollust und Weichheit, diese stolze Überlegenheit, dieses Hingeben ihm gegenüber von einer so vornehmen Person bereiteten ihm zugleich die höchste Wonne und den tiefsten Schrecken.

Er setzte sich zu der schönen, stolzen Gebieterin seines Herzens, die ihn gewähren ließ, und suchte seinen Arm hinter die Kissen zu schieben, auf die sie sich lehnte.

»Mein Herr,« sagte sie, »es scheint, Ihr habt mich gehört, aber Ihr habt mich nicht verstanden. Ich bitte, keine Vertraulichkeiten, bleiben wir jeder an seinem Platz. Es ist sicher, daß ich Euch eines Tages das Recht verleihen werde, mich die Eurige zu nennen, doch Ihr habt dieses Recht noch nicht.«

Ernauton stand bleich und unwillig auf und erwiderte: »Entschuldigt mich, Madame, ich mache nichts als Albernheiten, denn die Gewohnheiten von Paris sind mir noch fremd. Wenn bei uns in der Provinz eine Frau sagt: ›Ich liebe‹, so liebt sie und sträubt sich nicht. Sie nimmt ihre Worte nicht zum Vorwand, um einen Mann zu ihren Füßen zu demütigen. Das ist Pariser Sitte, das ist Euer Recht als Prinzessin. Ich füge mich in dies alles. Es fehlte mir nur die Gewohnheit, doch die Gewohnheit wird kommen.«

Die Dame hörte ihn stillschweigend an; es war sichtbar, daß sie Ernauton aufmerksam beobachtete, um zu wissen, ob sein Unwille am Ende in wirklichen Zorn überginge.

»Ah! ah! Ihr ärgert Euch, glaube ich,« sagte sie mit stolzer Miene.

»Ich ärgere mich in der Tat, Madame, doch über mich selbst; denn ich empfinde für Euch, Madame, keine vorübergehende Laune, sondern Liebe, eine sehr wahre und sehr reine Liebe. Ich suche nicht Eure Person, denn ich würde sie begehren, wenn dem so wäre, sondern ich suche Euer Herz zu gewinnen. Ich werde mir auch nie verzeihen, Madame, daß ich heute durch Freiheiten die Ehrfurcht verletzt habe, die ich Euch schuldig bin, eine Ehrfurcht, die ich nur in Liebe verwandeln werde, wenn Ihr es mir befehlt. Billigt also, daß ich von diesem Augenblick Eure Befehle erwarte.«

»Still, still, übertreiben wir nicht, Herr von Carmainges, Ihr seid nun eiskalt, nachdem Ihr zuvor ganz Flamme gewesen.« – »Es scheint mir jedoch, Madame . . .«

»Ei! mein Herr, sagt nie einer Dame, Ihr würdet sie lieben, wie Ihr wollt; das ist ungeschickt, zeigt ihr, daß Ihr sie lieben werdet, wie sie will, das ist vernünftiger.« – »Das habe ich gesagt, Madame.«

»Ja, aber das denkt Ihr nicht.« – »Ich beuge mich vor Eurer Überlegenheit.«

»Laßt die Artigkeiten, es würde mir widerstreben, hier die Königin zu spielen. Hier ist meine Hand, nehmt sie, es ist die einer einfachen Frau; nur ist sie etwas brennender und belebter als die Eurige.« – Ernauton nahm ehrfurchtvoll diese schöne Hand.

»Nun!« sagte die Herzogin. – »Nun?«

»Ihr küßt sie nicht? Seid Ihr verrückt? Habt Ihr geschworen, mich in Wut zu bringen?« – »Aber soeben . . .«

»Soeben entzog ich sie Euch, während ich sie Euch nun gebe.« – Ernauton küßte die Hand mit so viel Gehorsam, daß man sie ihm sogleich entzog.

»Ihr seht wohl,« sagte der junge Mann, »abermals eine Lektion.«

»Ich habe also unrecht gehabt?« – »Sicher, Ihr laßt mich von einem Gefühl zum andern springen, die Furcht wird am Ende die Leidenschaft töten. Wohl werde ich fortfahren, Euch auf den Knien anzubeten, doch ich werde weder Liebe noch Vertrauen zu Euch haben.«

»Oh! ich will das nicht, denn Ihr wärt ein trauriger Liebhaber, und so mag ich sie nicht, das sage ich Euch zum voraus. Nein, bleibt natürlich, bleibt Ihr selbst, seid Herr Ernauton von Carmainges und nichts anderes! Ich habe meine Eigenheiten. Ei! mein Gott, habt Ihr nicht gesagt, ich sei schön? Jede schöne Frau hat ihre Eigenheiten; achtet manche, widersetzt Euch einigen, fürchtet mich vor allem nicht, und wenn ich zu dem stürmischen Ernauton sage: ›Seid ruhig!‹ so befrage er meine Augen und nie meine Stimme.«

Nach diesen Worten stand sie auf.

Es war Zeit; wieder von seinem Delirium ergriffen, hatte sie der junge Mann in seine Arme genommen, und die Maske der Herzogin streifte einen Augenblick die Lippen Ernautons; da aber fühlte er die tiefe Wahrheit dessen, was sie gesagt; denn durch ihre Maske schleuderten ihre Augen einen Blitz, kalt und weiß wie der finstere Vorläufer der Stürme.

Dieser Blick machte einen solchen Eindruck auf Carmainges, daß er seine Arme sinken ließ, und daß sein ganzes Feuer erlosch.

»Es ist gut,« sagte die Herzogin, »wir werden uns wiedersehen. Ihr gefallt mir entschieden, Herr von Carmainges.« – Ernauton verbeugte sich.

»Wann seid Ihr frei?« – »Leider ziemlich selten.«

»Ah! ja, ich begreife, nicht wahr, dieser Dienst ist anstrengend?« – »Welcher Dienst?«

»Der Dienst, den Ihr beim König tut. Seid Ihr nicht bei irgendeiner Garde Seiner Majestät?« – »Das heißt, Madame, ich gehöre zu einem Korps von Edelleuten.«

»Das wollte ich sagen, und diese Edelleute sind, glaube ich, Gaskogner.« – »Ja, alle, Madame.«

»Wieviel sind es? Man hat es mir gesagt, doch ich habe es vergessen.« – »Fünfundvierzig.«

»Was für eine sonderbare Zahl.« – »Es hat sich so gefunden.«

»Und diese fünfundvierzig Edelleute verlassen den König nicht, sagt Ihr?« – »Ich habe nicht gesagt, wir verlassen Seine Majestät nicht, Madame.«

»Ah! verzeiht, ich glaubte, ich hätte Euch dies sagen hören. Ihr sagtet wenigstens, Ihr hättet wenig Freiheit.« – »Es ist wahr, ich habe wenig Freiheit, Madame, weil wir am Tage für die Ausfahrten des Königs oder für die Jagden im Dienste sind, und weil wir am Abend im Louvre weilen müssen.«

»Jeden Abend?« – »Beinahe.«

»Seht, was geschehen wäre, wenn Euch z. B. diesen Abend der Befehl im Louvre zurückgehalten hätte! Hätte ich nicht glauben müssen, mein Entgegenkommen treffe auf Verachtung?« – »Ah! Madame, um Euch zu sehen, werde ich nun alles wagen, das schwöre ich Euch.«

»Es ist dies unnötig, und es wäre albern, . . . ich will es nicht.« – »Aber dann . . .?«

»Tut Euren Dienst; es ist an mir, mich danach zu richten, an mir, die ich stets frei und Herrin meines Lebens bin.« – »Ah! wieviel Güte, Madame!«

»Doch dies alles erklärt mir nicht,« fuhr die Herzogin mit ihrem einschmeichelnden Lächeln fort, »warum Ihr diesen Abend frei gewesen seid und wie Ihr habt kommen können.« – »Ich hatte diesen Abend schon die Absicht, Herrn von Loignac, unsern Kapitän, der mir wohlwill, um einen Urlaub zu bitten, als der Befehl kam, allen Fünfundvierzig die Nacht freizugeben.«

»Aus welchem Anlaß wurde Euch diese Annehmlichkeit zuteil?« – »Ich glaube als Belohnung, für einen ziemlich anstrengenden Dienst, den wir gestern in Vincennes getan haben.«

»Ah! sehr gut.« – »Diesem Umstand habe ich also das Glück zu danken, Euch heute abend ohne Schwierigkeit sehen zu können.«

»Wohl! so hört, Carmainges,« sagte die Herzogin mit einer süßen Vertraulichkeit, die das Herz des jungen Mannes mit Freude erfüllt, »sooft Ihr frei zu sein glaubt, benachrichtigt die Wirtin durch ein Billett; jeden Tag wird einer von meinen Leuten zu ihr kommen.« – »Oh! mein Gott! das ist zu viel Güte, Madame.«

»Wartet doch,« sagte die Herzogin und legte ihre Hand auf Ernautons Arm. – »Was ist das für ein Geräusch?«

Es drang in der Tat ein Geräusch von Sporen, von Stimmen, von zugeworfenen Türen, von Freudenrufen aus dem untern Saal herauf.

Ernauton streckte seinen Kopf durch die Tür, die ins Vorzimmer ging, und antwortete: »Es sind meine Kameraden, die hier den Urlaub feiern, den ihnen Herr von Loignac gegeben hat.«

»Aus welchem Zufall gerade in dem Wirtshaus, wo wir uns befinden?« – »Weil wir bei unserer Ankunft in Paris gerade in den ›Kühnen Ritter‹ beschieden worden waren, weil meine Kameraden seit dem glückseligen Tage ihres Eintritts in die Hauptstadt eine Vorliebe für den Wein und die Pasteten des Meisters Fournichon und zum Teil auch für seine Türmchen gefaßt haben.«

»Oh!« versetzte die Dame mit einem boshaften Lächeln, »Ihr sprecht sehr erfahren von diesen Türmchen, mein Herr.« – »Bei meiner Ehre, es ist das erstemal, daß ich in eines komme, Madame.«

»Aber mein Gott, wie geräuschvoll sind Eure Kameraden?«

Der Lärm unten wurde inzwischen zu einem höllischen Orkan; die Prahlereien über die Taten am vorhergehenden Tage, das Klingen der Goldtaler und das Klirren der Gläser weissagten einen vollständigen Sturm. Plötzlich hörte man ein Geräusch von Tritten auf der kleinen Treppe, die nach dem Türmchen führte, und Frau Fournichons Stimme rief von unten: »Herr von Sainte-Maline! Herr von Sainte-Maline!«

»Nun, was soll's,« erwiderte die Stimme des jungen Mannes.

»Geht nicht da hinauf, Herr von Sainte-Maline, ich bitte Euch.«

»Gut! und warum nicht, liebe Frau Fournichon, gehört nicht das ganze Haus diesen Abend uns?«

»Das ganze Haus, ja; aber nicht die Türmchen.«

»Bah! die Türmchen gehören zum Haus,« riefen fünf bis sechs andere Stimmen, unter denen Ernauton die von Perducas von Pincorney und von Eustache von Miradoux erkannte.

»Nein, die Türmchen machen eine Ausnahme, die Türmchen gehören mir, belästigt also meine Mietsleute nicht!«

»Madame Fournichon,« erwiderte Sainte-Maline, »ich bin auch Euer Mietsmann, belästigt mich also nicht!«

»Sainte-Maline!« murmelte Ernauton unruhig, denn er kannte die schlimmen Neigungen und die Keckheit dieses Menschen.

»Aber ich bitte Euch!« wiederholte Madame Fournichon.

»Madame Fournichon,« sagte Sainte-Maline, »es ist Mitternacht; um neun Uhr müssen alle Feuer ausgelöscht sein, und ich sehe ein Feuer in Eurem Türmchen; nur die schlechten Diener des Königs überschreiten seine Verfügungen; ich will wissen, wer diese schlechten Diener sind.«

Sainte-Maline ging mit mehreren Gaskognern weiter.

»Mein Gott!« rief die Herzogin, »mein Gott! sollten diese Leute wagen, hier hereinzukommen?«

»In jedem Fall, Madame, bin ich hier, wenn sie es wagen, und ich kann Euch zum voraus sagen, habt keine Furcht!«

»Oh! sie sprengen die Türen.«

Sainte-Maline, der zu weit vorgerückt war, um zurückzuweichen, stieß wirklich so heftig an die Tür, daß sie entzweibrach.



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