Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Wie Dom Modeste Gorenflot den König segnete.

Kaum war Ernauton, mit dem Erfolg seiner Sendung nach jeder Richtung zufrieden, vor der Tür von Bel-Esbat, als er sein Pferd in Galopp setzte; kaum hatte er aber hundert Schritte im Galopp gemacht, als er plötzlich durch ein Hindernis aufgehalten wurde, das seine durch das Licht von Bel-Esbat geblendeten und noch nicht an die Finsternis gewöhnten Augen nicht hatten wahrnehmen können.

Es war eine Truppe von Reitern, die sich von beiden Seiten der Straße gegen die Mitte zusammenzogen, ihn umgaben und ihm ein halbes Dutzend Degen und ebensoviel Pistolen und Dolche auf die Brust setzten.

Das war viel für einen einzigen Menschen.

»Oh! oh!« rief Ernauton, »man raubt auf der Landstraße, eine Stunde von Paris! Pest über dieses Land! Der König hat einen schlechten Profos, ich werde ihm raten, einen andern zu nehmen.«

»Still! wenn's beliebt,« sagte eine Stimme, die Ernauton zu erkennen glaubte, »Euren Degen, Eure Waffen, und zwar geschwind.«

Ein Mann faßte das Pferd beim Zügel, zwei andere nahmen ihm seine Waffen ab.

»Pest! was für geschickte Leute!« murmelte Ernauton.

Dann wandte er sich an die Angreifer mit den Worten: »Meine Herren, ihr werdet wenigstens die Güte haben, mir zu sagen . . .«

»Ah! es ist Herr von Carmainges,« sagte der Hauptangreifer, der den Degen des jungen Mannes genommen hatte und noch in der Hand hielt.

»Herr von Pincorney!« rief Ernauton. »Oh! pfui! was für ein gemeines Gewerbe treibt Ihr da?«

»Ich habe ›Still!‹ gesagt,« wiederholte die in einer Entfernung von ein paar Schritten klingende Stimme des Anführers; »man führe diesen Menschen zur Station!«

»Aber Herr von Sainte-Maline,« sagte Perducas von Pincorney, »es ist ja unser Kamerad, Herr Ernauton von Carmainges.«

»Ernauton hier!« rief Sainte-Maline, vor Zorn erbleichend; »er, was macht er hier?«

»Guten Abend, meine Herren,« sagte Carmainges ruhig, »ich gestehe, ich glaubte mich nicht in so guter Gesellschaft zu befinden.«

Sainte-Maline blieb stumm.

»Es scheint, man verhaftet mich,« fuhr Ernauton fort, »denn ich nehme nicht, an, daß Ihr mich plündern wolltet.«

»Teufel! Teufel!« brummte Sainte-Maline, »ein solcher Fall war von mir nicht vorhergesehen.« – »Von meiner Seite auch nicht, dies schwöre ich Euch,« sagte Carmainges lachend.

Trotz seiner Versicherung, er habe im Auftrag des Königs gehandelt, wollte Sainte-Maline seinen Nebenbuhler nicht loslassen und nach Vincennes senden.

»Nach Vincennes, vortrefflich, dahin wollte ich,« versetzte Ernauton. »Ich bin glücklich, mein Herr, daß diese kleine Reise so gut mit Euren Absichten übereinstimmt.«

Zwei Mann bemächtigten sich, die Pistole in der Faust, sogleich des Reisenden, den sie zu zwei anderen führten, die fünfhundert Schritte von den ersten aufgestellt waren. Diese zwei anderen taten dasselbe, und Ernauton hatte somit bis in den Hof des Schlosses die Gesellschaft seiner Kameraden.

In diesem Hof erblickte Carmainges fünfzig entwaffnete Reiter, die mit gesenktem Ohr und bleicher Stirn, umgeben von hundertundfünfzig Chevaulegers, ihr schlimmes Schicksal beklagten.

Es waren unsere Fünfundvierzig, die diese Gefangenen gemacht hatten, die einen durch List, die andern mit Gewalt, bald indem sie sich zu zehn gegen zwei oder drei vereinigten, bald indem sie freundlich auf die Reiter, die sie für furchtbar hielten, zutraten und ihnen die Pistole auf die Brust setzten, während die andern Kameraden zu begegnen glaubten. So kam es, daß nicht ein Kampf stattgefunden, daß nicht ein Schrei ausgestoßen worden war.

Als Ernauton die Gefangenen erkannt hatte, denen man ihn zugesellte, sagte er zu Sainte-Maline: »Mein Herr, ich sehe, daß Ihr von der Wichtigkeit meiner Sendung in Kenntnis gesetzt wart, und daß Ihr als ein artiger Kamerad ein schlimmes Zusammentreffen für mich befürchtetet, was Euch bestimmte, mich eskortieren zu lassen; nun kann ich Euch sagen, daß Ihr recht hattet; der König erwartet mich, und ich habe ihm Wichtiges mitzuteilen. Ich werde mir sogar die Ehre geben, dem König zu melden, was Ihr für seinen Dienst getan habt.«

Sainte-Maline erbleichte, wie er errötet war; doch er begriff, daß Ernauton die Wahrheit sprach, und daß er erwartet wurde. Man trieb keinen Spaß mit den Herren von Loignac und von Epernon; er begnügte sich daher zu erwidern: »Ihr seid frei, Herr Ernauton, es entzückt mich, daß ich Euch angenehm sein konnte.«

Ernauton eilte aus den Reihen und stieg die Stufen hinauf, die zu dem Gemach des Königs führten. Sainte-Maline folgte ihm mit den Augen und konnte sehen, wie Loignac Herrn von Carmainges auf der Treppe empfing und ihn durch ein Zeichen vorwärts gehen hieß.

Als Loignac seinem Chef meldete, die Wege seien frei, erwiderte ihm Epernon: »Es ist gut. Der König befiehlt, daß die Fünfundvierzig drei Züge bilden, einen voraus und einen auf jeder Seite der Schläge; jeder Zug muß hinreichend geschlossen sein, daß das Feuer der Feinde die Karosse nicht erreicht.«

»Sehr wohl,« antwortete Loignac mit der Unempfindlichkeit des Soldaten; »doch was das Feuer betrifft, da ich keine Musketen sehe, so kann ich mir nicht denken, wie ein Musketenfeuer stattfinden soll.«

»Bei den Jakobinern werdet Ihr die Reihen schließen lassen,« sagte Epernon.

Dieses Gespräch wurde durch eine Bewegung unterbrochen, die auf der Treppe entstand.

Es war der König, der, zum Aufbruch bereit, herabkam, es folgten ihm einige Edelleute, unter denen Sainte-Maline mit einem leicht begreiflichen Zusammenschnüren des Herzens Ernauton erblickte.

»Meine Herren,« fragte der König, »sind meine braven Fünfundvierzig versammelt?« – »Ja, Sire,« antwortete Epernon, indem er auf eine Gruppe von Reitern deutete, die unter den Gewölben sichtbar war.

»Sind die Befehle gegeben?« – »Man wird sie befolgen, Sire.«

»Vorwärts also,« sagte Seine Majestät.

Epernon ließ zum Aufsitzen blasen. Als es am Schloßturm elf schlug, brach man auf.

Eine Stunde nach Ernautons Entfernung war Mayneville immer noch an dem Fenster, von wo aus er, wie wir gesehen, vergebens dem jungen Mann auf der Straße zu folgen versuchte; als diese Stunde abgelaufen, war er viel weniger ruhig. Nicht einer von den Soldaten war erschienen; schweigsam und schwarz, erscholl die Straße nur in entfernten Zwischenräumen von dem Hufschlag einiger Pferde, deren Reiter mit verhängten Zügeln nach Vincennes jagten.

Dieses fortwährende Hin- und Herreiten flößte Mayneville endlich eine solche Unruhe ein, daß er einen von den Leuten der Herzogin zu Pferde steigen ließ, mit dem Befehl, sich bei dem ersten Reiterzuge, dem er begegnen würde, zu erkundigen. Der Bote kehrte nicht zurück.

Als die ungeduldige Herzogin dies sah, schickte sie einen andern ab, der ebensowenig zurückkam wie der erste.

»Unser Offizier,« sagte nun die stets optimistische Herzogin, »befürchtete wohl, zu schwach an Leuten zu sein, und so wird er unsere Boten als Verstärkung behalten haben; das ist klug, aber beunruhigend.« – »Beunruhigend, ja, sehr beunruhigend,« erwiderte Mayneville, dessen Augen den tiefen, düsteren Horizont nicht verließen.

»Mayneville, was kann denn geschehen sein?« – »Ich will selbst zu Pferde steigen, und wir werden es erfahren.« Hierbei machte er eine Bewegung, um wegzugehen, doch die Herzogin hielt ihn zurück.

»Ich verbiete es Euch,« rief die Herzogin, »wer würde denn bei mir bleiben? Wer würde alle unsere Offiziere, unsere Freunde erkennen? Nein, nein, bleibt, Mayneville, man macht sich ganz natürlich Befürchtungen, wenn es sich um ein so wichtiges Geheimnis handelt; aber in der Tat, der Plan war zu gut kombiniert und besonders zu sehr geheim gehalten als daß er uns nicht gelingen sollte.«

»Neun Uhr,« sagte Mayneville, mehr auf seine eigene Ungeduld, als die Worte der Herzogin erwidernd; »ah! nun verlassen die Jakobiner ihr Kloster und stellen sich längs den Mauern des Hofes auf.«

»Still!« rief die Herzogin, die Hand gegen den Horizont ausstreckend. – »Was?«

»Still! horcht!« Man fing an in der Ferne ein Rollen, ähnlich dem des Donners, zu hören. »Das ist die Kavallerie,« rief die Herzogin, »sie bringen ihn uns, sie bringen ihn.«

Und, ihrem brausenden Charakter gemäß, von der grausamsten Angst zu der tollsten Freude übergehend, klatschte sie in die Hände und rief: »Ich habe ihn! Ich habe ihn!«

Mayneville horchte immer noch.

»Ja,« sagte er, »es ist ein rollender Wagen, begleitet von galoppierenden Pferden.«

Und er befahl mit voller Stimme: »Aus den Mauern, meine Väter, aus den Mauern!«

Sogleich öffnete sich das große Gitter der Priorei, und in schöner Ordnung kamen die zweihundert bewaffneten Mönche heraus, an deren Spitze Borromée marschierte.

Sie nahmen ihre Stellung quer über die Straße.

Man hörte Gorenflot rufen: »Wartet auf mich, wartet doch auf mich! Es ist wichtig, daß ich an der Spitze des Kapitels stehe, um Seine Majestät würdig zu empfangen.«

»Auf den Balkon, Sire Prior, auf den Balkon!« rief Borromée; »Ihr wißt wohl, daß Ihr uns alle beherrschen müßt; die Schrift sagt: Du wirst sie beherrschen, wie die Zeder den Ysop!«

»Das ist wahr,« sagte Gorenflot, »das ist wahr; ich vergaß, daß ich diesen Posten gewählt hatte, zum Glück seid Ihr da, um mich daran zu erinnern, Bruder Borromée.«

Borromée gab leise einen Befehl, und vier Brüder stellten sich auf den Balkon neben den würdigen Prior.

Bald fand sich die Straße, die in einiger Entfernung von der Priorei eine Biegung bildete, von einer Anzahl von Fackeln beleuchtet, mit deren Hilfe die Herzogin und Mayneville Panzer schimmern und Schwerter glänzen sehen konnten.

Unfähig, sich zu beherrschen, rief sie: »Geht hinab, Mayneville, und bringt ihn mir ganz gebunden, ganz von Wachen eskortiert.« – »Ja, ja,« sagte Mayneville zerstreut; »doch eines beunruhigt mich.«

»Was?« – »Ich höre das verabredete Zeichen nicht.«

»Wozu das Zeichen, da man ihn hat?« – »Aber man hätte ihn, wie mir scheint, erst hier der Priorei gegenüber festnehmen sollen.«

»Sie werden früher eine bessere Gelegenheit gefunden haben.« – »Ich sehe unsern Offizier nicht.«

»Ich sehe ihn.« – »Wo?«

»Jene rote Feder.« – »Alle Teufel, Madame!«

»Was?« – »Jene rote Feder ist Herr von Epernon! Herr von Epernon, den Degen in der Hand!«

»Man hat ihm seinen Degen gelassen.« – »Beim Tod! er befiehlt.«

»Unseren Leuten. Es ist also Verrat?« – »Ei! Madame, es sind nicht unsere Leute.«

»Ihr seid verrückt, Mayneville.«

In diesem Augenblick schwang Loignac an der Spitze des ersten Zuges ein großes Schwert und rief: »Es lebe der König!«

»Es lebe der König!« wiederholten in voller Begeisterung mit ihrem gaskognischen Akzent die Fünfundvierzig.

Die Herzogin erbleichte und sank wie ohnmächtig auf das Fenstersims.

Düster und entschlossen nahm Mayneville das Schwert in die Hand; er wußte nicht, ob man das Haus stürmen würde. Der Zug rückte immer weiter, wie ein Lärm- und Lichtwirbel. Er hatte Bel-Esbat erreicht und war der Priorei nahegekommen.

Borromée machte drei Schritte vorwärts. Loignac trieb sein Pferd gerade gegen den Mönch an, der ihm unter seiner wollenen Robe den Kampf anzubieten schien. Doch als Mann von Kopf sah Borromée, daß alles verloren war, und faßte sogleich seinen Entschluß.

»Platz! Platz!« rief Loignac mit gewaltiger Stimme, »Platz dem König!«

Borromée, der seinen Degen unter der Robe gezogen hatte, steckte ihn auch unter der Robe wieder in die Scheide.

Von dem Geschrei und dem Geräusch der Waffen elektrisiert, von den Flammen der Fackeln geblendet, streckte Gorenflot seine mächtige Rechte aus und segnete den König mit dem Zeigefinger und dem Mittelfinger vom Balkon herab.

Heinrich, der sich aus dem Schlage neigte, sah ihn und begrüßte ihn lächelnd.

Dieses Lächeln, ein authentischer Beweis für die Gunst, in der der würdige Prior der Jakobiner bei Hofe stand, begeisterte Gorenflot dergestalt, daß er ebenfalls: Es lebe der König! mit einer Lunge anstimmte, welche die Gewölbbogen einer Kathedrale zu heben imstande gewesen wäre. Borromée rief fast ebenso laut: »Es lebe der König!«, und dann brüllte das ganze Kloster: »Es lebe der König!« und schwang seine Waffen.

»Ich danke, meine ehrwürdigen Väter, ich danke!« rief Heinrichs III. scharfe Stimme.

Heinrich zog an dem Kloster, welches das Ziel seiner Fahrt sein sollte, wie ein Wirbel von Feuer, Lärm und Glorie vorüber und ließ Bel-Esbat in der Finsternis.

Von dem Balkon herab, durch den vergoldeten Wappenschild verborgen, hinter dem sie auf die Knie gesunken war, verschlang die Herzogin jedes Gesicht, auf das die Fackeln ihr flammendes Licht warfen.

»Ah!« machte sie einen Schrei, indem sie auf einen Reiter der Eskorte hinwies. »Seht! seht, Mayneville!« – »Der junge Mann, der Bote des Herrn Herzogs von Mayenne, im Dienste des Königs!«

»Wir sind verloren!« murmelte die Herzogin. – »Wir müssen fliehen, und zwar rasch, Madame,« sagte Mayneville; »heute Sieger, wird der Valois morgen seinen Sieg mißbrauchen.«

»Wir sind verraten worden!« rief die Herzogin. »Dieser junge Mann hat uns verraten! Er wußte alles!«

Der König war schon fern; er war mit seinem ganzen Gefolge unter der Porte Saint-Antoine verschwunden, die sich vor ihm geöffnet und hinter ihm geschlossen hatte.



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